Nein, die haben keinen Blankoscheck auf ein Album der Woche – die sind einfach so gut. Und dass „Laugh Stock“ nicht einmal ein halbes Jahr nach dem Vorgänger „First Two Pages Of Frankenstein“ erscheint, kann ja kein Kriterium sein, ein erneut großartiges Werk nicht entsprechend zu würdigen. Applaus also für einen weiteren Coup der amerikanischen Ausnahmeband, die mit The National “Laugh Stock” den Titel als LowBeats Album der Woche erneut ohne Wenn und Aber verdient hat.
Die schon wieder? Ernsthaft jetzt? Aber ja: Auch mit ihrem zweiten Album innerhalb von fünf Monaten treffen The National den Fan von Qualitätsmusik zwischen melancholisch-intensivem Indie-Rock und unangestrengt kunstvollem Avantgarde-Folk mitten ins Herz. Von meiner Faszination für Matt Berningers Stimme hatte ich ja schon anlässlich des im April erschienenen Vorgängers „First Two Pages of Frankenstein“ berichtet. Dem ist nichts hinzuzufügen – und erst recht nicht auch nur eine Silbe davon zurückzunehmen. Aber natürlich ist da noch so viel mehr im Soundkosmos von The National. Sogar so viel an Musikalität, Kreativität und Mitteilungsbedürfnis, dass diese Band manchmal von sich selbst überwältigt wird.
Zum Beispiel im Sommer diesen Jahres. „First Tow Pages Of Frankenstein“ war veröffentlicht, eine Tournee dazu absolviert – Zeit zum Ausruhen, zum Entspannen, um den Kopf und das eigene Leben wieder etwas normaler zu strukturieren eigentlich. Nicht aber diesmal. Eine fieberhafter Aktivitätsdrang erfasst insbesondere Matt Berninger, der von einem Extrem ins andere verfiel. Durchlitt der Bandleader 2020/21 eine schwere Depression inklusive einer massiven Schreib- und Komponierblockade, so mutierte er 2023 zum Workaholic. Anstatt also zur Ruhe zu kommen, drehte die Musikerseele Berninger auf Hochtouren, und mit ihm der Rest des Quintetts.
Erleichternd beziehungsweise erschwerend hinzukam, was bei vielen Bands geschieht, die mehr als nur ein paar Jahre auf dem Buckel habe: Irgendwann sitzt man vor einem Haufen halbfertiger Songs, spannender Ideen, noch von Rätseln durchsetzter Textfragmente, für die aber noch nicht der passende Kontext gefunden wurde. Kein Zufall daher, dass beispielsweise das bereits 2022 mit Bon Iver, dem vielleicht größten aller Brüder im Geiste von The National eingespielte „Weired Goodbyes“ hier das Licht der Welt erblickt. Noch seltsamer die Geburt von „Smoke Detector“: Nach dem Soundcheck zu einem Auftritt in Vancouver im Juni 2023 spielte die Band einfach weiter. Matt Berninger sang einige Zeilen, die schon seit Jahren in ihm schlummerten („Smoke detector, smoke detector / All you need to do is protect her“), Aaron und Bryce Dessner steuerten aus dem Nichts geangelte Gitarrenparts bei, Bryan Devendorf seinen typischen, mit allerlei Fills garnierten Drumbeats, Bruder Scott tief gründelnde Bassfiguren. So ging das über zwölf Minuten lang, und zu Berningers Fantasie über die lebensrettenden Eigenschaften eines Rauchmelders kamen allerlei weitere Zeilen über Amseln und Apothekerpantoffeln hinzu oder über einen Hund auf dem Fahrersitz, der einen roten Helm trägt.
Die Musik von The National “Laugh Stock”
Soweit die Gemengelage, die nun zum zweiten The-National-Album in nicht einmal sechs Monaten führte. „Laugh Track“ angesichts dieser Entstehungsgeschichte als zweiten Teil eines lange geplanten Doppelalbums zu bezeichnen, wäre daher nicht adäquat, auch wenn viele Songs in etwa zeitgleich zu jenen von „First Tow Pages Of Frankenstein“ entstanden. Zumal sich allerlei viele feine Unterschiede im Detail offenbaren: Die Gitarren zeigen mehr Präsens, Bryan Devendof trommelt wieder ein Naturschlagzeug anstatt wie auf dem Vorgänger überwiegend ein Syndrum-Equipment oder gar ein vollelektronisches Schlagzeug. Aber selbstverständlich hat sich am seit 1999 herauskristallisierten Gesamtkosmos von The National nicht Wesentliches verschoben.
„Alphabet City“ eröffnet mit filigran gewobener Melancholie, in die hinein mal ein Drumbreak, mal zwei, drei harsche Saitenriffs hineinragen wie Felsen in den Atlantik vor der bretonischen Küste. Doch genau dort gehören sie hin – als emotionale Ankerpunkte, als Wellenbrecher einer weitläufigen, von einer finalen Unergründlichkeit durchzogenen Klanglandschaft. „Deep End (Paul’s In Pieces)“ bringt eine wohldosierte rhythmische Dynamik ins Spiel, die 5:04 von „Weired Goodbyes“ vergehen wie im Flug, der vertrackte Beat von „Turn Off The House“ korrespondiert prächtig mit minimalistischen Pianoklängen, die Gitarren der Dessner-Brüder mischen grobkörnige Indierock-Riffs mit silbrig schimmernden Solo-Parts. Die volle Breitseite aus Dröhnung und Schönheit gibt es dann in „Space Invader“, das in beschaulichen Folk-Gefilden startet, um nach 6:58 als psychedelisch fauchendes Post-Rock-Monster auszuklingen.
Wie all diese typischen National-Elemente einmal mehr wie von Zauberhand miteinander korrespondieren, verleiht diesem Dutzend neuer Songs einen betörenden Flow. Keinerlei Längen weist dieses fast 60 Minuten lange Programm auf; jeder Track, egal ob prägnanter Dreieinhalbminüter oder das knapp achtminütige Finale „Smoke Detector“, ist auf den Punk gebracht. Und mit Neo-Folk-Fee Phoebe Bridgers (im Bläser-Streicher-dekorierten Titelsong „Laugh Stock“) sowie Country-Ikone Rosanne Cash (in „Crumble“) stehen Matt Berninger wieder zwei Gastvokalistinnen der Extraklasse zur Seite. Bleibt zum Abschluss noch die Sache mit dem Rauchmelder: Von dem einst zwölf Minuten langen Jam aus Vancouver blieben immerhin 7:47 übrig, und sie zeigen diese Ausnahmeband im Status jener Fiebrigkeit des damaligen Abends: Berninger agiert hier weit näher am Rap als am Sprechgesang, die Gitarren werfen alle Hemmungen über Bord und Bryan Devendorf verprügelt sein Drumset nach alle Regeln der Kunst!
Alle Schallplatten-Editionen sind mit Gatefold-Covern ausgestattet. Die physischen Formate sind ab 17. November erhältlich, können aber schon jetzt vorbestellt werden.
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