Bisher war der amerikanische Sänger und Gitarrist Bear Rinehart mit seiner Band NEEDTOBREATHE in Gitarrenrock-Gefilden unterwegs. Nun legt Rinehart als Wilder Woods ein Solodebüt vor, an dem vieles verblüfft: sein bemerkenswertes, überraschend schwarzes Timbre, sein musikalischer Stilwechsel hin zu Retro-Soul – und der Background dieser zehn Songs, die – echt jetzt – eigentlich ein Ergebnis pädagogischer Fürsorge sind. Wilder Woods Wilder Woods macht richtig Spaß und ist unser Album der Woche.
Immer wieder sind es nicht nur Songs, sondern auch Stimmen, die uns aufhorchen lassen – man denke an Michael David Rosenberg alias Passenger, der 2012 mit Let Her Go durchstartete, oder an den „Rag ‘N Bone Man“ Rory Graham und seinen Welthit „Human“ (2016); von vokalen Jahrhunderttalenten wie Adele oder Amy Winehouse ganz zu schweigen.
Mit dem amerikanischen Songwriter Bear Rinehart kündigt sich nun der nächste Kandidat an, um der alten Musikbusiness-Weisheit „it’s the singer, not the song“ neues Leben einzuhauchen. Auch Rinehart verfügt über ein außergewöhnliches Timbre, das man bisher freilich eher in rockigem Kontext kennt: Mit seiner Hauptband NEEDTOBREATHE war er bisher im Spannungsfeld zwischen Mainstream- und Alternative Rock, zwischen Kollegen wie The Fray, Lifehouse oder Kings Of Leon unterwegs.
Sein ganzes stimmliches Potenzial scheint der sympathische Typ aus dem Städtchen Possum Kingdom in South Carolina aber erst im Alleingang so richtig auszusingen. Beweglich wechselt Rinehart mit seinem Soloprojekt Wilder Woods Wilder Woods zwischen sonorem Bariton und einem ungewöhnlich kehligen, aber angenehm zu hörenden Falsett, lässt sein gefühlvolles Organ ungemein soulig klingen und verblüfft mit der schwärzesten Stimme, die man seit langem von einem weißen US-Musiker gehört hat.
Die Musik von Wilder Woods
Und mit der Musik verhält es sich ebenso: Eine spannende stilistische Kehrtwende legt Rinehart hier hin und entpuppt sich in zehn starken Songs als lupenreiner Soul-Crooner, der seinen bisherigen Background bei alledem aber nicht komplett aus-, sondern immer mal wieder geschickt einblendet – etwa wenn er countryeske Akustikgitarrenschleifen um seine ansonsten von einem „schwarzen“ Klangspektrum dominierten Arrangements legt wie in „Someday Soon“, das mit zartem Gospelchor aufwartet. Und auch seine Stimme bleibt in beiden Genres verwurzelt: Zwar klingt sie auf Wilder Woods meist soulig, aber immer mal wieder auch nach weißem, dezent alternativem Songwriter.
In klassischen Soul-Gefilden bewegt sich Rinehart auf der ersten Single „Sure Ain’t“ (siehe Video), einem lupenreinen zwischen Ballade und Midtempo-Song pendelnder Track mit vehementer Gitarre, warmem E-Piano und einem Schuss Bläsereleganz. Auch „Electric Woman“, ein Liebeslied an seine Frau, die ihn vom ersten Moment des gegenseitigen Kennenlernens förmlich elektrisierte und die auch im dazugehörigen Clip mitspielt sowie insbesondere „Supply And Demand“ mit fluffigem Sixties-Swing und einer ebensolchen Optik (bitte hier entlang) zeigen ihn mit cremigem Bariton und hellem Falsett auf den Spuren von Soul-Men der 60er und 70er-Jahre wie Curtis Mayfield oder Smokey Robinson.
Die Musik dazu pendelt zeitlos-apart zwischen Vergangenheit und Gegenwart: schlank die Gitarren, luftig-verspielt die Streichersounds, zupackend bis federnd Schlagzeug und Perkussion. Einen Hauch Moderne in Form von abstrakt pulsierenden und kernig scheppernden Grooves bringt Aufnahmeleiter Gabe Simon zudem ins Spiel – der Produzent von Dua Lipa oder Gin Wigmore betreute die Recording-Sessions in den Layman Drug Company Studios in East Nashville.
„Light Shine In“, der Album-Opener und Kandidat für einen der Überraschungshits des Jahres 2019 – hier gibt’s das Video dazu – und mehr noch „Feel“ überraschen dann mit herrlich kratzigen Gitarrensounds, auch „What Gives You The Right“ traut sich mit einem minimal industrial-artigen Beat an eine etwas explizitere Klangsprache. „Someday Soon“ mit Cello, „Hillside House“ (wieder mit leisem Gospelchor) und „Mary You’re Wrong“ mit filigranen Saitensounds bespielen dann wieder die eher balladeske Seite des Soul-Pop. Allen gemein: jener ganz besonders emotionale Ton und eine fast fiebrige Intensität, mit der Wilder Woods sich in seine Kompositionen stürzt.
Benannt hat Bear Rinehart seinen ersten Schritt Richtung Solokarriere übrigens nach seinen beiden Söhnen – Wilder und Woods mit Vornamen. Mehr noch als in väterlichem Stolz liegen die Wurzeln hierfür aber in pädagogischer Fürsorge: Wohlwissend darum, dass er von seinen Söhnen nicht erwarten konnte, mutige, potenziell lebensverändernde Entscheidungen zu treffen, wollte der Daddy mit gutem Beispiel vorangehen und selbst einen beherzten Sprung Richtung Neuland riskieren. „Meine beiden Jungs werden mit Lichtgeschwindigkeit erwachsen“, erzählt Bear Rinehart – „ich wollte die Zeit anhalten und diese Musik als Brief an sie schreiben. Ihnen zeigen, dass ich an diesem Punkt meines Lebens keine Angst davor verspürte, den Schritt ins Ungewisse zu tun.“
Und tatsächlich: Als Wilder Woods liefert Bear Rinehart einen bärenstarken Beweis dafür, dass man einfach öfter mal etwas Neues wagen, etwas mutiger sein und quer zu seinen bisherigen Lebenslinien denken sollte. Mehr als zu scheitern, kann einem schließlich nicht passieren – und die Chance, eine richtig gute Entscheidung zu treffen, ist möglicherweise größer als man denkt.
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