Seit rund vierzig Jahren stehen der akribische Studio-Perfektionist Boris Meier und der geniale Improvisations-Bohemien Dieter Meier für elektronische Soundlandschaften mit Charme und Charisma. Das neueste Werk bringt die Qualitäten der beiden so unterschiedlichen Yello-Charaktere mal wieder auf den Punkt: Schweizerisches Präzisionshandwerk trifft auf state-of-the-art-Sound und herrlich freidenkerische Pop-Art. Yello Point ist unser Album der Woche.
Darf man im Jahr 42 nach Bandgründung und nach audiophilen Referenzproduktionen wie You Gotta Say Yes To Another Excess (1984), Stella (1985) oder Touch Yello (2009) noch über die Klangqualität von Yello-Alben schwärmen? Aber ja doch – und man muss es sogar! Nur weil Boris Blank und Dieter Meier die Latte in Sachen Tonkultur schon seit Jahrzehnten hoch legen, verliert der state-of-the-art-Ssound der beiden eidgenössischen Elektropop-Architekten schließlich nicht das kleinste Quäntchen an Faszination und Reiz.
Der Sound von Yello Point
Wir drehen die Uhr in diesem Zusammenhang einfach mal vier Jahre zurück und erinnern an das Vorgängeralbum Toy, dem LowBeats seinerzeit einen imaginären sechsten Klang-Stern verliehen hat und das als Referenzaufnahme für zeitgenössische Digitalmusik bis heute in vielen HiFi-Studios und heimischen Hörräumen seinen Dienst leistet.
Und nun? Kommt jetzt ein weiterer Stern hinzu? Nein – allerdings wird der sechste Stern von damals auch nicht wieder kassiert, sondern es bleibt bei dem Extraprädikat für eine weitere Produktion der Premiumklasse. Auch Point fordert auf exakt dieselbe Weise wie sein Vorgänger das Equipment mit kernig hartem Punch und feisten Tiefbässen. Yello Point klingt schlicht und ergreifend wieder phänomenal gut – also so knochentrocken druckvoll wie räumlich omnipräsent und hyperdigital clean.
Auch musikalisch bewegt sich Album Nummer 14 im vertrauten Yello’schen Sound-Universum und schreibt die Liaison zwischen dem kongenial harmonierenden (oder soll man sagen: sich gegenseitig gekonnt tolerierenden?) Duo Blank und Meier mit zwölf neuen Songs fort.
„Wenn Boris in seiner Musik versunken ist, ist er wie ein Kind im Sandhaufen“, umreißt Dieter Meier das Arbeitsverhältnis zu seinem Kompagnon. „Ich musste im Lauf der Zeit ein Dutzend Tricks entwickeln, wie ich dann das Studio betreten kann, ohne ihn zu Tode zu erschrecken.“
Derart in sein ureigenstes künstlerisches Biotop zurückgezogen, destilliert der Soundmaler Blank (so seine Selbstbeschreibung) aus seiner mehrere hunderttausend Beats und Loops, Melodiepartikel und Instrumentalfetzen umfassenden Sammlung an Klangbausteinen dann alle paar Jahre eine neue Songkollektion heraus. „Wenn dann so sechzig oder siebzig Bilder da sind, stellt sich die Frage: Was davon soll man an die Ausstellung schicken? Welche Stücke würden auf ein Album passen?“
Die Musik
Für Point einigte man sich auf ein Dutzend Tracks im typischen Yello-Style aus Groove, Atmosphäre und unkonventionellen Klanglandschaften, die mal retrofuturistisch daherkommen oder sich einfach mal in die eigenen Vergangenheit zurückbeamen – das elektronisch twistende „Waba Duba“ jedenfalls jongliert zum Auftakt gänzlich ungeniert mit den rhythmischen Figuren, den Harmonien und dem Flair des 1988er-Hits „The Race“ (Album: Essential). Dazu raunt Dieter Meier mit effektvoll-grabestiefer Stimme seine assoziativen Texte ins Mikrophon, die er zuvor in eine alte Schreibmaschine vom Typ Hermes „Baby“ geklopft hat – eine steinzeitlichen Form der Texterfassung, von der Meier aber aus gutem Grund nicht lassen will. „Die Schreibmaschine ist für mich ein erotischer Gegenstand“, erläutert er, „das Tippen ist ein Sich-Hineinempfinden.“
Was der Lebemann und Bohemien Meier bei diesem In-Sich-Hineinfühlen und -hören so alles entdeckt, wie er die Stimmungen von Blanks musikalischen Vorlagen in sich aufnimmt und reflektiert, war schon immer ein zentraler Bestandteil des Faszinosums Yello. Schon als Privatmann ist dieser Tausendsassa vom Zürichsee in unzähligen Rollen unterwegs, mutiert in einem Jet-Set Lifestyle vom Music Maniac zum Pokerprofi zum Rinderzüchter zum Uhrendesigner zum Restaurantbetreiber zum High-Tech-Investor zum Weinproduzent – und wieder zurück.
Mindestens so vielseitig und erfindungsreich ist Meier als Texter und Sprechsänger von Yello. Zu den perfektionistischen Blank’schen Klangwelten erdichtet er seine Texte bekanntlich aus dem Stegreif – exemplarisch für diesen Workflow steht etwa „The Vanishing Of Peter Strong“: Diese düstere Geschichte über den verschwindenden Besucher eines Tempels am Mekong wirkt tatsächlich so spontan erzählt, als wisse Meier am Anfang dieser Dreieinhalbminmüters selbst noch nicht, wie er seine Story eigentlich zu Ende bringen will. Und immer wieder jongliert er geradezu mit Silben und Wortversatzstücken, gurgelt seine Texte mit expressionistischem Duktus förmlich ins Mikrophon.
Umgekehrt verblüfft es immer wieder, wie Blank sein Arsenal an Klangerzeugern zum Leben erweckt, selbst die toteste Technik noch organisch tönen und ein Eigenleben entwickeln lässt. Beides zusammen lässt diese Drei- bis Vierminüter dann wie kleine Comic-Filme wirken, in denen es jede Menge schräger Details zu entdecken gibt. Mal tönen die Synthies so drollig, als würden sie gerade ein Bäuerchen machen („Out Of Sight“), mal wirken sie so mahlstromartig-dominant wie ein sich talwärts schiebender Gletscher („Hot Pan“) . Den Meier’schen Sprachsalat schickt Blank durch eine wahre Armada an Effektgeräten. Ergebnis: rund vierzig Minuten voller klanglicher Reizpunkte und ein Auf und Ab an temporeichen Grooves und sphärischen Stimmungen. „Way Down“ schiebt ein paar dezent angedeutete Dub-Effekte in die vollsynthetische Klangkulisse, „Out Of Sight“ lebt von einem Stakkato aus Rhythmus und Stimmeffekten, „Arthur Spark“ kombiniert Dance-Beats mit fernwehhafter Melancholie, „Big Boy’s Blues“ eine fiese Rockgitarre mit Leonard-Cohen-artiger Grundstimmung, „Hot Pan“ kokettiert mit alter Spaghetti-Western-Atmosphäre. Leichtfüßig wie eine Filmmusik im „Pink Panther“-Stil und mit hübsch verwehten Posaunen- und Flötensoli tänzelt wiederum „Rush For Joe“ vor sich hin, ehe zum glamourösen Finale die chinesische Sängerin Fifi Rong mit fernöstlichem Sirengesang den Vorhang schließt – schließlich heißt der Song nicht ohne Grund „Siren Singing“.
Bewertung
Musik
Klang
Repertoirewert
Gesamt
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