Auf der HIGH END 2018 zeigte Hegel (in Deutschland beim GPA-Vertrieb) erstmals seinen Big-Block-Verstärker namens H590 – einen Vollverstärker, der quasi als Quintessenz der fast 20-jährigen Firmengeschichte gilt. Vollgestopft mit feinster Elektronik und ausgestattet mit üppigen 2 x 300 Watt an 8 Ohm, erweckte er natürlich augenblicklich höchstes Interesse in der LowBeats Autorenschaft – doch er war erstmal nicht verfügbar. Wenn also der Verstärker nicht zum Tester kommt, fährt der Tester zum Verstärker. Und so kam es zu einem Ortstermin bei Hegel am Rande der Landeshauptstadt Oslo.
Das Gebäude, in dem Hegel schon seit seiner Gründung eine Heimat gefunden hat, ist ein etwas in die Jahre gekommener Backsteinbau, ein Technologie-Zentrum, das von außen nicht einmal im Ansatz erkennen lässt, dass hier einer der ambitioniertesten Verstärker-Hersteller Skandinaviens seine Heimat hat. Und doch macht schon der Eingang mit der aufmerksamen Security klar, dass hier Besonderes entsteht.
Wir fahren den Fahrstuhl hoch: 5 Stock. Noch immer sieht es eher bescheiden aus – und das ändert sich auch nicht mehr. Das liegt daran, dass die Macher von Hegel trotz ihres Erfolges bescheiden geblieben sind. Allen voran Bent Holter, der Hegel Chef. Ihm geht es nicht um einen hocheleganten Auftritt, sondern um Effizienz und Zufriedenheit seiner Mitarbeiter. Einst hat Holter Software für die Ölbohrungen der Norweger in der Nordsee entwickelt und damit viel Geld verdient. Wirklich froh gemacht hat es ihn nicht.
Doch bei einer dieser Entwicklungen machte er eine interessante Entdeckung: eine Schaltung, die durch geschickte Auslöschung von Störeinflüssen stabiler arbeitete. Holter ahnte, dass man damit auch Musik störungsfreier hören kann. So entstand die „Sound Engine“, ein cleverer Elektronik-Block, der über Auslöschungen Übergangsverzerrungen deutlich reduziert.
Er selbst beschreibt es so: “Die Sound Engine arbeitet wie eine klassische A/B-Schaltung, wirkt aber wie ein Class-A-Schaltung – ohne deren Nachteile von zu hoher Hitze und geringer Leistung mitzubringen.” Und weil vor ihm noch keiner draufgekommen war, ließ sich der schlaue Herr Holter das Ganze umgehend patentieren. Die Sound Engine ist seitdem Basis einer jeden Hegel-Schaltung und Grundlage für den sehr natürlichen Klang der norwegischen Verstärker.
Sieben Leute arbeiten für oder bei Hegel in Oslo – inklusive Chef. Hier werden die gesamten Entwicklungen gemacht; das gilt auch für die Software, an der hier zwei junge Spezialisten arbeiten. Überhaupt: Der Chef wirkt jung, seine rechte Hand, der Vertriebs- und Marketingleiter Anders Ertzeid ebenfalls und die Entwickler machen den Eindruck, als hätten sie ihr Studium gerade hinter sich. Das wirkt sich aus: der Umgangston ist ungewöhnlich locker und familiär. Sehr sympathisch.
Die Produktion ist nach China ausgelagert. Dort wird alles nach Hegel Vorgaben umgesetzt – auch die umfangreichen Prüfmessungen. Über mangelnde Qualität können die Norweger jedenfalls nicht klagen. Und auch der Vollverstärker Röst aus dem LowBeats Test machte ja einen sehr guten Eindruck.
Und alle haben irgendwie mit Musik zu tun. So sehr, dass wir kurz vor der Hör-Session mit einem kleinen Konzert im kleinen Demo-Raum überrascht wurden. Die norwegische Liedermacherin Anette Askvik tauchte plötzlich auf spielte hier einige Stücke aus ihrem ersten Album Liberty, das unter Kennern als ausgewiesen audiophil aufgenommen gilt.
Die Geschichte dahinter: Anders Ertzeid liebt diese Musik und besorgte sich auch das zweite Album Multiverse, das aber klanglich extrem stark abfällt. Er lud die Künstlerin zu Hegel ein und spielte ihr die beiden Alben auf einer großen Hegel Kette mit einer Blade 2 vor. Und die Sängerin war geschockt, wie groß der Unterschied war.
Sie gelobte für das dritte Album Besserung und aus Dankbarkeit für diese Erfahrung spielte sie nun einige Stücke live für die Tester aus Deutschland. Ich kannte diese Musik vorher nicht, war aber von diesem skandinavisch-sphärischen Gesang sofort angetan. Der Sound kam übrigens über eine HiFi-Anlage mit H360 und KEF Blade 2 – und der Chef ließ es sich nicht nehmen, hier selbst den Tonmeister zu machen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der H590 auch auf Wunsch des deutschen Hegel Vertriebs GPA entwickelt wurde, um die manchmal recht mimosenhaften KEF Blade oder Blade 2 optimal anzutreiben. Beide brauchen viel Leistung und noch mehr Kontrolle. Da passt es, dass die Hegel Verstärker einerseits im KEF Vertrieb GPA sind und andererseits immer mit einem sehr hohen Dämpfungsfaktor ausgestattet sind.
Und so hörten wir das neue Kraftwerk natürlich auch an einer Blade 2. Aber nicht nur den H590: Anders Ertzeid stellte die gesamte Verstärker-Flöte vor und gab uns die Gelegenheit, alle miteinander zu vergleichen. Es begann mit dem kleinen H90 (1.700 Euro), der sich an den großen Blade 2 erstaunlich wacker schlug und sich keine Blöße gab. Der Röst (2.500) legte erwartungsgemäß noch einiges an Kraft, Dynamik und Farbigkeit drauf – ein klarer Zugewinn.
Mit dem H190 (3.600) hatte ich eher den Eindruck eines Rückschritts. Der brachte zwar noch mehr Schnelligkeit, wirkte aber glatter und weniger farbenfroh. In dieser Konstellation hätte ich dem Röst den Vorzug gegeben. Mit dem H360 (5.300 Euro), dem bisherigen Flaggschiff, vollzog sich wieder ein klar nachvollziehbarer Fortschritt. Man spürte quasi die größere Kraft, mit welcher der H360 die Bässe der Blade 2 im Griff hatte und mit der wabernde Elektronik-Bässe sehr viel mehr Gestalt und Präzision bekamen.
Aber mit dem fast noch einmal doppelt so teuren H590 (10.000 Euro) war der H360 eindeutig abgemeldet. Selbst die Kombination aus externer DAC Hegel HD30 (4.600 Euro) plus H360 erreicht mit gestreamter Musik nicht diese Transparenz, Mühelosigkeit und Abbildungsschärfe des H590. Tatsächlich ist der höhere Aufwand hier eindeutig nachvollziehbar. Und man kann auch sagen, dass eines der Planungsziele voll erreicht wurde: Ich habe die Blade 2 noch an keinem Vollverstärker so gut gehört.
Diese Hör-Session hat Spaß gemacht und Appetit auf mehr. Da der H590 schon bald in den Handel ausgeliefert wird, wird auch der Test auf LowBeats nicht mehr lange auf sich waren lassen…
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