Das sind ganz frische, spannende Zahlen: Laut Branchenverband GFU verkauften sich 2017 in Deutschland 1,7 Millionen netzwerkfähige Audiokomponenten. Das waren rund acht Prozent mehr als im Vorjahr. Für 2018 wird ein gleicher Anstieg prognostiziert. Was beweist: Ohne Streaming ist ein Audioprodukt schwer zu verkaufen. Das wissen auch die Norweger: Die Firmenchefs des norwegischen Elektronik-Spezialisten Hegel haben deshalb unter anderem den Vollverstärker Hegel Röst entworfen. Ein hübsches Gerät und ein wunderbarer Name, der alle unsere Assoziationsketten zu Skandinavien fordert. Und wir liegen richtig: Röst ist auch der Name einer der schönsten norwegischen Inseln, recht weit nördlich gelegen in den Lofoten. Also eine Idylle.
Die auch der Röst bieten will: Von außen betrachtet sieht das Auge vornehmlich einen Vollverstärker, schlank und rank. Regelrecht abgespeckt. An der Front gibt es nur zwei Knöpfe: einen für die Quellenwahl, einen für den Verstärkungsfaktor. Rechts daneben noch ein Löchlein für den Kopfhöreranschluss – das war’s. Alle Zusatzoptionen bildet das Display in der Mitte ab. Hier hat sich Hegel nicht lumpen lassen. Das ist ein herrlich brillantes Display in OLED-Technologie. Auch erfreut die gesamte Bauweise.
Der Korpus des Hegel Röst besteht aus Stahl, die Front aus Aluminium, ebenso die Wahlknöpfe. Alles wurde in Weiß gefärbt. Es gab ihn anfangs nur in dieser Version, kein Schwarz, kein naturbelassenes Aluminium. Die Macher mussten sich ihrer Sache sehr sicher sein. Aber wie es so ist: der HiFi-Fan will sein Schwarz und so bietet Hegel auch den Röst seit Herbst 2017 in zwei Farben an. Aber die wirklich feine Fernbedienung (aus dem vollem Aluminiumblock geschnitten) gibt es nur in einer Farbe: schwarz natürlich…
Auf seiner Webseite verrät Hegel viel von der hauseigenen Philosophie. Hier geht es nicht um Datenraten und Formate, sondern vornehmlich um Leistungswerte. So erfahren wir, dass der Röst doppelte 75 Watt an acht Ohm stemmt – glaubhaft, wenn man ihn hört. Groß auch die versprochene Bandbreite: von 5 Hertz bis 100 Kilohertz. In der ehrenwerten Kür können wir auch Komponenten mit XLR-Kabel andocken.
Was die Frage nach dem Kern stellt. Was ist der Hegel Röst in seinen tiefsten Werten? Offenbar ein Vollverstärker mit flankierender Digital-Sektion. Neben der Class-A/B-Schaltung zur Signalverstärkung wurde ihm zusätzlich eine Platine mit Digital/Analog-Wandler eingebaut. Im Zentrum waltet ein DAC vom AKM mit dem Kürzel AK4396. Das ist ordentliche Qualität, aber nicht die Speerspitze unter den Wandlern. In der höchsten Datenausbeute leistet der Hegel Röst 24 Bit und 192 Kilohertz. Was für die meisten Anwendungen ausreichen sollte. DSD ist für seinen DAC hingegen eine Fremdsprache. Wie für so viele andere Produkten auch. Also kein wirkliches Manko.
Ganz anders der Umstand, dass der Röst kein ALAC, also kein Apple Lossless wandeln kann. Dabei gilt ALAC als gar nicht so nebensächlicher Standard. Ich beispielsweise habe als Mac-Nutzer meine gesamte Musik in Apple Lossless gerippt und alle High-Res-Dateien in eben diesem Format gekauft. Der Röst wäre für mich also eine große Fehlinvestition. Das ist vor allem unverständlich, weil Hegel zugleich eine umfangreiche Anbindung per Apple AirPlay pflegt. Zum besseren Verständnis: Dahinter liegen keine technischen Schranken, sondern schlicht eine fehlende Lizenz – die norwegischen Entwickler wären gut beraten, hier in die Portokasse zu greifen und Apple Lossless per Update freizuschalten.
Auf diese irritierende Lücke angesprochen, antwortete Hegel Marketingleiter Anders Erzeid: „Bei der Entwicklung des Röst gingen wir davon aus, dass jeder Apple User normalerweise Air Play nutzt. Wir haben das AirPlay im Röst deshalb komplett neu entwickelt – und sind uns auch sicher, dass es wesentlich besser als Apples eigenes Airplay ist.“
Hm, das stimmt vielleicht. Doch Streaming Usern, die überwiegend ALAC nutzen, hilft das nicht weiter. Vor dem Kauf des Hegel Röst muss sich der geneigte Besitzer deshalb fragen, in welcher Form seine Musikdateien codiert sind. Und sollte die Antwort überwiegend ALAC lauten, so sollte er mit dem Hegel H90 oder dem H160 liebäugeln; die können nämlich ALAC decodieren.
Ändern wir die Blickrichtung – beziehungsweise die Quelle. Wer seinen CD-Player digital anbindet, kann auf das interne Up-Sampling des Röst vertrauen. Hier werden die Daten via Sync DAC auf 24 Bit und 192 Kilohertz angehoben. Was ich allerdings bei einem so smarten Verstärker wie dem Hegel Röst erwartet hätte, ist eine eigenständige App. Das Fehlen wird von Hegel als Absicht verklärt: Wer den Streaming-Amp per Smartphone oder Tablet steuern will, möge sich im Fundus der allgemeinen Steuerapps bedienen. Für Apple spricht Hegel beispielsweise eine Empfehlung für die App von Jriver aus.
So klingt der Hegel Röst
Wie tönt der Norweger? Zunächst wählte ich aus dem LowBeats Testgeräte-Fundus drei Lautsprecher aus: Neben der LowBeats Referenz Wolf von Langa Chicago, an der obligatorisch jeder Verstärker zeigen muss, was er kann, auch noch die herausragend neutrale Dynaudio Contour 20 sowie die KEF LS 50. Die KEF wird vom deutschen Hegel Vertrieb GPA gern mit dem Hegel Röst kombiniert. Ein 2.500 Euro Verstärker mit einer 1.200 Euro teuren Box? Warum nicht? Die beiden harmonieren auch klanglich ausgesprochen gut miteinander und die KEF LS 50 klingt ja eh nach sehr viel mehr als sie kostet…
Als erste Testmusik habe ich die große Oper aufgelegt. Im Wortsinn: Die Orchesterbesetzung der Elektra von Richard Strauss ist das Maximum, was ein Opernhaus aufbieten kann. In manchen Häusern passt das Orchester kaum in den Graben hinein. Die fulminanteste unter den Aufnahmen stammt aus der Mitte der 60er Jahre: Sir Georg Solti treibt die Wiener Philharmoniker in einen Klangrausch. Gerade ist die Aufnahme frisch gemastert erschienen – in 24 Bit und 96 Kilohertz. Das raubt schlicht den Atem, was die Decca-Tontechniker damals vollbrachten. Das neue Master klingt wie gestern aufgenommen, komplett rauschfrei und ultra-dynamisch. Auf der Bühne geht es vom ersten Takt an ums Überleben. Die Handlung jagt in Echtzeit an uns vorbei. Strauss kratzt dabei an den Grenzen der Tonalität. Im Finale gibt es geschwungene Äxte und einen Muttermord; auf dem Höhepunkt ihres Triumphs bricht Elektra tot zusammen.
Auch so mancher Vollverstärker bricht bei dieser Musik zusammen. Hier braucht es satten Schub und zugleich ein Händchen für die Feinheiten. Die Singstimmen müssen sich aus der Boxenachse lösen, zugleich darf die Wucht der Kontrabässe nicht beschnitten werden. Der Hegel Röst vollführte diese Kunst erstaunlich souverän. Da war wirklich bester Punch im Klangbild. Zudem stimmte die Staffelung im Orchester, da war klar zu hören, wo die Wiener Philharmoniker ihre Holzbläser aufspielen ließen: Der Röst überzeugt durch ein feines, großformatiges Panorama.
Womit vergleichen? Zum Beispiel mit dem auf seine Art ebenfalls sehr smarten Magnat RV4 herangezogen – einem Röhren/Transistor-Hybriden für 3.000 Euro, der allerdings ohne Streaming auskommt. Auch der Magnat verfügt über einen DAC (Burr-Brown), der Daten bis 24 Bit und 192 Kilohertz feinrastern kann. Also durchaus vergleichbar mit dem Röst. Der Magnat liebte sich in den vollmundigen Tönen, tourte satt von unten heraus. Der Röst hingegen punktete klar mit der besseren Auflösung, das war vor allem in der Feindynamik intensiver und informativer. Klares Votum hier für den Hegel.
Wie bringt er diese Werte bei gepflegtem Pop ein? Zum Start habe ich einen Stream von John Lennon zugespielt. Das Solo-Werk des Ex-Beatles ist komplett neu abgemischt worden und in 24 Bit und 96 Kilohertz erschienen. Die Signature Box ist ein Muss für alle Fans. Der Röst zeigte die ganze Pracht. Wie er den Song „Mother“ intonierte, war vom Feinsten – da spürte man den genauen Fokus auf die Phrasierungen, dazu folgte der Röst perfekt dem Walking-Bass von Klaus Voormann. Dazu noch der feine Drive des Schlagzeugs mit Ringo Starr an den Drums. Feiner und emotionaler kann man diese Musik nicht auflösen; großes Kompliment an den Röst.
Dann „Cold Turkey“ – John Lennon besingt seine Drogenerfahrungen. Regelrecht martialisch schneidet die Rhythmusgitarre aus der Boxenachse, dazu peitscht das Schlagzeug. Der Hegel Röst liebte diesen Sound und stellte ein wunderbar griffiges Klangbild vor die Lautsprecher. Das war bester Rock, ungemein plastisch und druckvoll.
Fazit Hegel Röst
Der Hegel Röst will geliebt werden. Im Kern ist er ein kraftvoller, farbstarker Amp. Alles digitale Wandeln erscheint eher als Zugabe. So gibt es kleine Schwächen und große Stärken. Schade, dass er sich nicht auf Apples Lossless-Format versteht. Das ist ein veritables Manko. Aber die Datenauslese per FLAC funktioniert vorbildlich. Wunderbar ist der Schub in der Tiefe – dieser Amp versteht sich auf das große, druckvolle Klangbild.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Kraftvoller, farbstarker Klang |
| Stabil auch an impedanzkritischen Boxen |
| Ungewöhnliche Weiß-Lackierung, solide Verarbeitung |
| Kann kein ALAC decodieren |
Vertrieb:
GP Acoustics GmbH
Kruppstraße 98
45145 Essen
de.kef.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Hegel Röst: 2.500 Euro
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Mit- und Gegenspieler im Hörraum:
Test Wolf von Langa Chicago – die LowBeats Referenz
Test Dynaudio Contour 20 – Maßstab in der Kompaktklasse
Test KEF LS 50 – große Klangbilder aus kleinem Gehäuse
Test Magnat RV4 – Vollverstärker mit BT & Röhrenflair