Diese Zahl vorab: 300. Nämlich 300 Watt. Sinus. Pro Kanal. Und an 8 Ohm. Die Leistungsausbeute des neuen Hegel H590 ist ungewöhnlich hoch und liegt locker 100 Watt über jener der meisten anderen „großen“ Vollverstärker dieser Klasse. Mit 300 Watt an 8 Ohm reiht sich Hegels neuer Flaggschiffverstärker nahtlos in die Liste der „großen“, sehr leistungsstarken und außergewöhnlichen Amps vom Schlage McIntosh MA 9000, Gryphon Diablo 300 oder ASR Emitter II Exclusive ein. Die Norwegen setzen auf diesem Gebiet also schon einmal ein dickes Ausrufezeichen.
Die immense Leistungsausbeute lässt sich auf zweierlei Gründe zurückführen. Zum einen wollten die Hegel Verantwortlichen eigentlich eine Super-Endstufe (Arbeitsname: Big Brother) entwickeln. Aber im Laufe der Zeit kamen immer mehr Wünsche hinzu: Vorstufenfunktion, D/A-Wandler, Streaming… Zum anderen äußert sich Hegel Chef und Mastermind Brent Holter schmunzelnd: „weil wir es können.“
Als ich vor wenigen Wochen bei Hegel in Oslo zu Besuch war, hatte ich die Gelegenheit, eine halbe Stunde mit Bent Holter sprechen. Und natürlich musste ich auch diese Frage stellen: „Warum kommt nun auch ein so sympathisch zurückhaltendes Unternehmen wie Hegel mit einem Verstärker der 10.000-Euro-Klasse? Muss das sein? Ist ein Kraftpaket wie der H360 (250 Watt/Kanal) nicht ausreichend?“
“Hm”, meinte Holter, „wir waren einfach bereit für den nächsten Schritt. Wir haben so viele neue Technologien… Aber wir mussten auch etwas Neues machen, weil beispielsweise die von uns bislang verwendeten H30 Vintage-Toshiba-Transistoren kaum noch zu bekommen sind.“
Zwischen den Zeilen konnte man auch hören, dass sich die Verantwortlichen von GP Acoustics (KEF), dem deutschen Hegel Vertrieb, ausdrücklich einen Verstärker wünschten, der auch die technisch anspruchsvollen Klang-Skulpturen KEF Blade und KEF Blade II souverän treiben kann. Denn davon gibt es auf dem Weltmarkt gar nicht so viele…
Nun gibt’s auf alle Fälle einen mehr: Ich habe die Kombination aus Hegel H590 und Blade schon viele Stunden hören können – dieser Wunsch der GPA Leute ging jedenfalls auf sehr überzeugende Art in Erfüllung.
Die Technik des Hegel H590
Einige Stichworte müssen bei der Beschreibung des Hegel H590 fallen. Das wichtigste: die SoundEngine. Holter ersann die SoundEngine, als er noch für die norwegische Ölindustrie tätig war. Auch dort braucht man hochsensible Schaltungen. Er adaptierte seine Erfahrung für Audio und heraus kam die besagte SoundEngine, ein Modul, welches die Übernahmeverzerungen klassischer AB-Verstärkertypen (beziehungsweise der im Gegentakt geschalteten Transistoren) beim Nulldurchgang deutlich reduziert. Deshalb klingen die Hegel Verstärker immer so unangestrengt. Diese Schaltung ist patentiert und wesentlicher Bestandteil der Hegel DNA.
Die SoundEngine ist mittlerweile in der zweiten, noch einmal verbesserten Generation. Sie wurde ursprünglich für das H360 entwickelt, wird nun aber natürlich in allen aktuellen Vollverstärkern eingebaut. Die SE2 ist nach Aussage von Holter viel “schneller” und reduziert im Vergleich zur originalen SE1 noch einmal fast 75% der dynamischen Verzerrungen. Ein weiterer Vorteil der SE2, so Holter, sei ihr höherer Dämpfungsfaktor – wichtig für die Basskontrolle. Der H590 nutzt die bisher beste Implementierung der SE2 und hat einen Dämpfungsfaktor von mehr als 4000. Dieser Wert ist allerdings beeindruckend.
Und so fallen auch die physischen Unterschiede vom Hegel H590 zum bisherigen Spitzen-Amp, dem H360, recht deutlich aus. Zum einen ist das neue Flaggschiff gleich 5 Zentimeter höher – die Kühlkörper mussten einfach viel größer werden. Aber auch ansonsten ist in dem erhöhten Gehäuse so gut wie kein Platz mehr – wie der Blick unter die Haube zeigt. Der H590 hat den größeren Trafo, ein um 50% größeres Netzteil und 12 statt 8 Ausgangstransistoren pro Kanal.
Der Hegel H590 ist fast vollkommen dual-mono aufgebaut: linker und rechter Kanal sind strikt getrennt. Einzig der wie ein Toroid gewickelte Trafo hat zwei Abgriffe für die beiden Kanäle. Und das aufwändige Digitalboard wie auch die Vorstufe haben eh eine eigene Stromversorgung. Da soll sich ja nichts gegenseitig beeinflussen…
Die Gehäuse-Mechanik des großen Hegel Vollverstärkers gleicht denen seiner kleineren Verstärker: sie ist sehr ordentlich. Und doch, sagt Holter, sei das Gehäuse des H590 klanglich besser als das der kleinen Geschwister. Stahlteile in Deckel- und Bodenplatten erwiesen sich als magnetische Störer. Indem sie entfernt wurden, verschwanden vorher kaum erklärliche Verzerrungen. Das ist ja auch immer mein Plädoyer an alle HiFi-Hersteller: Kümmert euch mehr um die Gehäuse – sie sind leider klangentscheidender, als wir uns das wünschen würden…
Die Anschlussmöglichkeiten des Hegel H590
Neben der Leistungsstufe ist der interne DA-Konverter ein wesentlicher Baustein des Hegel H590. Man hätte vermuten können, in ihrem Flaggschiff-Verstärker würden die Norweger einfach das Digitalboard ihres Top-Wandlers HD30 unterbringen. Nichts da. Spricht man mit den Hegelianern, geben sie ziemlich unumwunden zu, dass ihnen der DAC aus ihrem CD-Player Mohican klanglich besser gefällt. Sie erklären den Vorteil des Mohican-DACs so, dass dieser alle Sampling-Frequenzen in ihrer ursprünglichen Form behandelt. Kurz: bei Hegel ist man kein Freund von internem Upsampling.
Das gleiche gilt für Bluetooth. Auf meine Frage, warum dieser in fast allen Belangen top-ausgestattete Verstärker nicht auch Bluetooth habe, erntete ich erstaunte Blicke. “Nein, nein,” sagte Bent Holter. “Mit Bluetooth fängst du dir ernsthafte klangliche Probleme ein. Bei High End Komponenten lassen wir BT deshalb unbedingt draußen.”
Dafür aber hat Hegel eine komplett neuen USB-Schnittstelle für den H590 entwickelt. Die soll nicht nur besser klingen, sondern dem Nutzer auch den Zugang zu Formaten wie MQA oder anderen hochauflösenden Formaten wie DSD256 oder 23/384 PCM ermöglichen.
Noch so ein Stichwort: MQA. Über MQA ist eine eigenwillige Diskussion im Gang. Ob diese Art und Weise der Verpackung angemessen und das ganze tatsächlich HiRes sei (mehr dazu im LowBeats TV Interview mit Bob Stuart, dem Erfinder von MQA).
Was für eine Diskussion: MQA macht das Hören von hochauflösenden Audiodateien einfach. Was also spricht dagegen? Bei LowBeats haben wir schon einige Versuche gemacht: ich empfand MQA jedes Mal als echte Bereicherung.
Bent Holter geht es ebenso. Holter: “Wir sind wirklich sehr beeindruckt von dem MQA-Sound. Im Hegel H590 hat MQA einen eigenen Signalweg im Verstärker und wird so PCM nicht stören.”
Und während ich noch am Schreibtisch sitze und versuche, mir die Ausstattungsliste des Hegel-Amps noch einmal vor Augen zu führen, flattert eine Mail vom Hegel Vertrieb GPA ins Postfach: “Ganz aktuell: Mit dem neuesten Update ist der H590 auch Roon-ready und versteht Audirvana++”. Ja, was kann dieser Vollverstärker denn noch alles? Zum Beispiel ausgesprochen gut klingen.
Der H590 im LowBeats Hörraum
Ich hatte bei meinem Hegel-Besuch in Oslo die Gelegenheit, den H360 gegen den H590 zu hören. Der Unterschied zugunsten des neuen Flaggschiffs fiel größer aus, als von mir gedacht. Es ist vor allem diese Stabilität, die Souveränität von unten heraus.
Man spürt förmlich die Kraft der 300 Watt: „301 Watt bitteschön, soviel Zeit muss sein“ würde Bent Holt jetzt verschmitzt einwenden. Denn bei allen Messungen im Hegel Labor wurden immer über 300 Watt ermittelt. Das ist ihm wichtig. An 4 Ohm sind es dann fast 600 und an 2 Ohm (was der Hegel H590 durchaus verträgt) knapp 1.000 Watt pro Kanal. Selbst Impedanz-technisch kritische und sehr leise Schallwandler sollte man damit betreiben können.
Die Triangle Esprit Australe EZ ist so ein Fall. Die Impedanz der drei 18 cm Tieftöner fällt hier im leistungsrelevanten Bereich um 100 Hertz gern einmal unter 3 Ohm. Wenn man dann richtig laut hört, schalten viele Endstufen vorsichtshalber mal ab.
Nicht so der Hegel H590. Selbst bei so extrem energiereicher Musik wie von der Indie/Psychedelicband Infected Mushrooms. Ich habe keine Ahnung, wie die Israelis es schaffen, dass bei ihrer Musik so viele Endstufen so schnell in die Knie gehen. Aber es ist Fakt.
Ein schönes Beispiel: das geniale Album Converting Vegetarians, Titel “Apogiffa night”: Die Elektronik-Beats kommen mit soviel Schwärze, Kraft & Wumms, dass es eine Freude ist – vor allem, wenn man diese Musik sehr, sehr laut hört.
Die von mir aufgefahrene Phalanx an Vergleichs-Verstärkern (Cambridge Audio Edge A, McIntosh MA 7900 AC, Pass INT-60, T+A PA 2500 R) schlug sich an der Triangle mal mehr (McIntosh, T+A) und mal weniger (Pass) wacker. Aber so laut und unverzerrt, so strukturiert von unten heraus spielte nur der H590.
Was ebenfalls beeindruckt: Während Cambridge und Pass schon im Leerlauf recht warm werden und der T+A bei höheren Pegeln schnell den (durchaus hörbaren) Lüfter anwirft, bleibt der H590 auch bei sehr hohen Lautstärken nur handwarm.
Gehört haben wir den Hegel H590 und die Vergleichs-Verstärker aus dem LowBeats Referenzregal an drei verschiedenen Lautsprechern: der schon erwähnten, impedanzkritischen Triangle Esprit Australe EZ, der LowBeats Referenz Wolf von Langa London mit Lowther Breitbänder und der brandneuen B&W 607 als Kompaktboxen-Beispiel.
An allen drei Lautsprechern, die natürlich auch alle ihre Eigenarten haben, traten die Unterschiede der Verstärker deutlich zum Tragen. Jeder dieser Vollverstärker ist etwas Besonderes.
Der T+A spielt ungemein agil und kräftig, auch schön trocken im Bass, aber nicht ganz so auflösungsfreudig und natürlich wie der Hegel. Der McIntosh ist der Laid-Back-Verstärker, der mit viel Kraft jede Art von Musik an allen Lautsprechern meistert.
Er kam von der schieren Kraftentfaltung her dem Hegel am nächsten – ohne aber dessen Leichtigkeit und Offenheit zu erreichen. Der Cambridge spielt wunderbar flink, ausgewogen und fein. Jedoch reichte auch er letztendlich nicht an die überragende Natürlichkeit und Unaufgeregtheit des H590 heran – auch, weil er leistungsmäßig etwas hinterherhinkt.
Aber trennen wir uns von der Leistungsbetrachtung: Mit der extrem lebendigen und authentischen Tango-Musik des Italieners Alessandro Quarta ist der H590 sicher nicht der spektakulärste. Dennoch wirkt selbst mit solcher Musik seine Melange aus Natürlichkeit, impulsiver Kraft und unaufgeregter Präzision noch ein Stück authentischer als bei den meisten seiner Mitbewerber.
Klingt dieser Hegel nun wirklich besser als jeder andere Verstärker des Referenz-Regals? Nein. So schön, so richtig und so atemberaubend fein wie der Pass INT-60 tönt keiner der anderen Vollverstärker – auch der H590 nicht. Allerdings hat der Class-A-Bolide von Pass nur 30 beziehungsweise 60 Watt zur Verfügung und sein Lautstärke-Output reicht im 70 Quadratmeter großen LowBeats Hörraum mit den meisten Lautsprechern gerade mal für gehobene Pegel. Das, was mit Aufnahmen à la Infected Mushrooms, Yello & Co so viel Spaß macht, ist mit dem Pass leider nicht zu haben.
Fazit
Gemessen an der real verkauften Anzahl, gibt es im HiFi erstaunlich viele Verstärker um 10.000 Euro oder sogar darüber. Mag sein, dass viele von ihnen eine Daseinsberechtigung haben, aber glauben kann ich es kaum. Beim Hegel H590 liegt der Fall anders: Dieser Streaming-Vollverstärker hat mich nachhaltig beeindruckt.
Zum einen hat er so viele Möglichkeiten zum Abspielen verschiedenster Quellen und Formate, da fällt allein das Aufzählen schwer… zum anderen ist er einer der stärksten Vollverstärker, die mir bislang über den Weg gelaufen sind; impedanzkritische und/oder sehr leise Lautsprecher bekommen mit ihm einen Antrieb, wie er souveräner kaum ausfallen kann.
Klar: Leistung und Stabilität bekommt man auch von Bühnen-Endstufen für weniger Geld. Nur klingt dieser H590 auch noch so atemberaubend unaufgeregt-natürlich, dass er die besten seiner Zunft vielleicht nicht deklassiert, jedoch durchaus auf Abstand hält.
Wer nicht auf die Platzhirsche von Accuphase oder McIntosh fixiert ist, bekommt mit dem Hegel H590 eine höchst musikalische, zudem extrem vielseitige und zukunftsträchtige Alternative geboten.
Zählt man alle Vorteile des H590 zusammen, wird es schwer, selbst in dieser Klasse um 10.000 Euro ein attraktiveres Angebot zu finden.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Kraftvoller, farbstarker, sehr natürlicher Klang |
| Stabil auch an impedanzkritischen Boxen |
| Ungewöhnlich hohe Leistung (2 x 300 W/8 Ohm) |
| Extrem vielseitig: Roon, Audirvana++, Spotify, Control4, MQA…. |
Vertrieb:
GP Acoustics GmbH
Kruppstraße 98
45145 Essen
de.kef.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Hegel H590: 10.000 Euro
Mehr von Hegel:
Zu Besuch in Oslo: So klingt der H590 bei Hegel
Test Hegel Röst – Vollverstärker mit DAC und Streaming
Mit- und Gegenspieler:
Erster Test: Vollverstärker Cambridge Audio Edge A
Test Pass INT-60: Faszination Class-A
Test T+A PA 2500 R – so baut man Vollverstärker
Test McIntosh MA 7900 AC – Power & Passion
Test Triangle Esprit Australe EZ – Standbox mit 2 x Hochtonhorn
Test Wolf von Langa Audio Frame Chicago: die neue Lautsprecher-Referenz
Im Beitrag erwähnt:
LowBeats TV Interview mit Bob Stuart über den Sinn von MQA
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