Welches Produkt der Unterhaltungselektronik wird seit 75 Jahren nahezu unverändert hergestellt? Ok, die Frage war leicht, die Antwort steht ja nahezu oben, aber ganz im Ernst: Fällt Ihnen überhaupt ein Produkt ein, das seit den 1940er-Jahren durchgehend gebaut wird? Es sollte schon etwas anspruchsvoller sein. Der Kugelschreiber? Super, von 1938! Aber der ging erst später bei BIC so richtig ab und Elektronik …? Na ja. Versuchen Sie’s nochmal. Der Anrufbeantworter? Nicht schlecht! Der kam auch 1938, konnte aber keine Anrufe aufzeichnen. Blöd. Der VW Käfer? Gut gemeint, aber leider schon perdu. Schade. Der direkt angetriebene Plattenspieler Technics SL-1200 passt in diesen Kontext und stand im Guinnessbuch der Rekorde, weil er so lange hergestellt wurde, aber der war erst 1970 zu haben. Also gut, Sie wollen lösen? Richtig, die Antwort lautet: Das Klipschorn von Paul Wilbur Klipsch, ein Lautsprecher. Und damit feiert auch die Company ihren Geburtstag: Klipsch wird 75.
Falls nun der Deutschlehrer wegen des Namens „Klipschorn“ in Ihnen hervorkommt, dann haben Sie wieder recht, denn eigentlich müsste es ja Klipsch-Horn heißen. Mit Doppel-„h“. Ein bewusst gewählter Marketinggag. Klipschorn-Konstrukteur und Firmeninhaber Paul Wilbur Klipsch (Jahrgang 1904), kurz PWK, war eben nicht nur ein talentierter Ingenieur, sondern auch ein findiger Marketingstratege, der sogar seine eigene Exzentrik geschickt als Markenzeichen einzusetzen wusste. Beweise? Gerne. So trug der US-Amerikaner eine Krawatte, auf deren Rückseite der Ausspruch „Bullshit“ eingestickt war. Diese pflegte er umzudrehen, wenn etwa – aus seiner Sicht – jemand „Bullshit“ erzählte.
Klipsch wird 75: das “Orn”
Entstanden sein soll der Spruch, als er die Werbeanzeige eines Mitbewerbers las, in der nach PWKs Meinung einfach nur „Bullshit“ stand und weswegen er laut „Bullshit“ rief. Berühmt wurde eine von Klipschs Werbekampagnen in den 1970ern, bei denen alle Mitarbeiter gelbe T-Shirts mit eben genau dieser Aufschrift trugen, selbst Buttons mit dem Schimpfwort wurden produziert. Eine seiner weiteren Lautsprecherboxen erhielt den Namen „Heresy“, was nichts anderes als „Ketzerei“ bedeutet. Der Legende nach, sollen sich diese Boxen besonders gut an kirchliche Gemeinden verkauft haben …
Überhaupt „Legenden“. Die Legende bei Klipsch war und ist PWK himself. Auch wenn er 2002 im gesegneten Alter von 98 Jahren von der Erde abberufen wurde, ist er weiterhin beim neuen Firmeninhaber VOXX (u.a. Heco, Magnat, Oelbach) ein immer gern zitiertes Werbe-Idol. Klipsch ist PWK, egal ob da nun ein anderer das Ruder übernommen hat, oder nicht. Immerhin und da sind wir wieder beim Einstieg der Geschichte, ist die von ihm ins Leben gerufene „Heritage“-Serie bis heute im Programm. Die Bezeichnung „Klipsch Heritage Series” bedeutet, dass der Firmengründer Paul W. Klipsch eine entscheidende Rolle bei Design, Entwicklung und Konstruktion des Originalprodukts gespielt hat. Irgendwas muss der Patriarch also richtig gemacht haben, wenn sich die Teile bis heute noch immer weltweit gut verkaufen.
Wie kam PWK soweit? Klipsch hatte mehrere Jobs, die in der einen oder anderen Form immer mit Akustik, Messungen und Aufnahmen zu tun hatten. So entwarf er direkt nach seinem Abschluss als Elektroingenieur Rundfunkempfänger für General Electric, später wartete er Lokomotiven, war Geophysiker für eine texanische Ölgesellschaft und Oberstleutnant in der US-Armee, bei der er Schallwellen und Schwingungen in der Ballistik berechnete. Ende der 1930er Jahren erstellte er erste Skizzen und Prototypen von Boxen, nachdem er immer wieder von der mangelnden Wiedergabequalität der damals erhältlichen Lautsprecher enttäuscht war.
Zur Erinnerung: 75 Jahre ist das Klipschorn nun im Angebot, die Konstruktion ist sogar über 80 Jahre alt, wie ein ins Deutsche übersetzter vom Oktober 1941 aus dem amerikanischen Wissenschaftsmagazin „The Journal of the Acoustical Society of America” beweist. So zimmerte er die ersten Prototypen aus Pappe und Sperrholz während seiner Wehrdienstzeit in Arkansas zusammen. In der Freizeit kümmerte er sich um die Konstruktion eines neuen Lautsprechers, der bald darauf seinesgleichen suchen sollte. Kameraden und Freunde, die ihn in dieser Zeit besuchten, sollen ihn ermuntert haben, mit den Neukonstruktionen ein eigenes Unternehmen zu gründen. Das dürfte einer der wenigen Momente gewesen sein, bei denen PWK auf den Rat anderer hörte. Was also hatte Paul W. Klipsch getan? Was hatte er anders gemacht? Klipsch stand vor dem Problem, dass Verstärker seinerzeit recht leistungsschwach waren. Er brauchte also Treiber mit einem hohen Wirkungsgrad, wie sie Hornlautsprecher aufweisen. Ärgerlich jedoch, dass diese Platz brauchten, verdammt viel Platz. Wenn sie denn einen ordentlichen Bass wiedergeben sollten, mussten sie riesig sein.
In ihrem angestammten Umfeld, dem Kino, war das kein Problem, doch im heimischen Wohnzimmer? Undenkbar. Wer übrigens ein bisschen von den Dimensionen erfassen will, von denen wir hier reden, sehe sich die Präsentation von Silbatone Audio auf der HighEnd in München 2017 an. Silbatone stellt exklusive Röhrenverstärker her, von denen etwa das Modell P-103 gerade mal 8 Watt Leistung produziert. Geschickt koppeln die Koreaner daher auf Messen ihre Amps gern mit Lautsprechern mit sehr hohem Wirkungsgrad, wie etwa Horn-Kinolautsprecher von Western Electric, von denen die ältesten aus dem Jahr 1916 stammen. Ein Trumm an Lautsprechern, angefeuert von einem Class-A-Röhrenverstärker mit der Leistung eines Küchenradios. Das sorgt jedes Mal für großes Erstaunen.
Zurück zu Klipsch: Auch wenn die amerikanischen Wohnverhältnisse in der Regel eher großzügiger dimensioniert waren – damals wie heute – kamen Kinolautsprecher auch dort eher für die wenigsten in Frage. Ganz abgesehen von den Kosten. Was also machte PWK? Er setzte drei Hörner in seiner Box ein, auch für den Bass. Für letzteren faltete er die für die gewünschte Klangwiedergabe notwendige Fläche mehrmals und ließ die Box hinten offen. Daher die Bezeichnung „Eckhorn“ – ein Klipschorn hatte stets in der Ecke zu stehen. Denn auch die Wohnzimmerwand war Teil des Konstruktionsprinzips und nutzte diese als Vergrößerung der Abstrahlfläche. Ein perfektes Beispiel für „form follows function“.
Noch heute beeindruckt das Labyrinth, das er aus Sperrholzflächen geschaffen hatte, durch das der Schall vom 38 cm-Bass hindurchmusste. Das Ergebnis: Ein Bassfundament, das bis heute seinesgleichen sucht. Ein Klipschorn schafft 105 dB bei einem Watt, es ist also unglaublich effizient. Für damalige Verhältnisse waren die Klipschörner kompakt: rund 135 cm hoch, 80 cm breit, 28 cm tief und 100 kg schwer (Modell AK6). Oder wie es Norddeutschlands größter Klipsch-Händler, Werner Enge, ausdrückt, wenn ein Kunde anmerkt, dass das Klipschorn doch ziemlich groß sei: „Wir haben gar keine große Box. Eine große Box ist 2,50 Meter hoch! Auf der IFA in Berlin habe ich Klipschörner mal auf 2,60 Meter gestackt, das war dann wirklich groß!“ Es kommt eben, wie immer im Leben, auf die Betrachtungsweise an.
War PWK der erste, der dieses Prinzip erfand und umsetzte? Behauptet wird es, aber das Automobil wurde auch nicht allein von Carl Benz erfunden. Der Engländer Paul G. A. H. Voigt arbeitete in den 1930er Jahren ebenfalls an Eckhornlautsprechern, der Zweite Weltkrieg jedoch setzte ihm, im Gegensatz zu Klipsch, deutliche Grenzen bei der Weiterentwicklung.
Während es 1941 an vielen Stellen auf der Welt krachte und eigentlich kluge Menschen ihre Intelligenz zur Konstruktion tödlicher Waffen einsetzten, perfektionierte Paul Wilbur Klipsch das gefaltete Eckhorn. 1945 bekam er schließlich ein Patent auf seinen Prototyen X5 – Urvater des Klipschorns. Nach seiner Dienstzeit beim Militär kaufte er 1946 von eben diesem einen der Hangars, gründete „Klipsch & Associates“ und begann dort die ersten Klipschörner in Serie zu produzieren.
Ganz klar fand beim Klipschorn aber so etwas wie eine evolutionäre Entwicklung statt, wie Matt Sommers, Senior Creative Director bei Klipsch in einem Interview unumwunden eingestand: „Es gab vielleicht hundert kleine Änderungen im Laufe der Jahre, aber die meisten davon sind kosmetischer Natur. Das Klipschorn ist im Grunde unverändert geblieben.“ Von den ursprünglich 350 Schrauben im originalen Klipschorn, werden längst deutlich weniger verwendet, tatsächlich hat das Klipschorn die weitestgehenden Änderungen aber erst mit der aktuellen Generation, der AK6, erfahren.
Doch an dieser Stelle sind wir noch nicht. Klipsch hatte 1945 mit der Patenterteilung zwar eine wichtige Hürde genommen, doch die Qualität der elektronischen Bauteile – etwa denen für die Frequenzweiche – war damals bei weitem nicht die, die Paul W. Klipsch benötigte und verlangte. So begann er die essenziell wichtigen Schwingspulen selber zu wickeln und ersann ein vernünftiges Messsystem, um sich nicht auf das Gehör allein verlassen zu müssen. Pionierarbeit und damals ein Novum! PWK überließ eben nichts dem Zufall.
Auch nicht bei der Vermarktung. So reiste der flugbegeisterte Ingenieur bereits in den 1950er Jahren mit seiner Cessna 190 durch die Vereinigten Staaten, um das Musikinteressierte Publikum auf Messen von seinen Werken zu überzeugen. Stets mit dabei war eine Tonbandmaschine vom Typ Berlant-Concertone 20/20. Mit dieser zeichnete er in Anwesenheit des Publikums live gespielte Stücke eines extra dafür engagierten Pianisten auf, um wenig später die Aufnahme über Klipschörner wiederzugeben. Dies galt als Beleg der Klangreinheit. Die „transportable“ Bandmaschine, die gemeinsam mit einem kleinen Verstärker in einem zusammenklappbaren Koffer untergebracht war, brachte mehr als 20 kg Gewicht auf die Waage. PWK schonte sich also nicht selbst, sondern war stets mit Leidenschaft und Engagement dabei, was ihm Authentizität verlieh. Bis zum heutigen Tag.
Klar, dass ein so kluger Geist wie Paul Wilbur Klipsch nach dem Erfolg seines Klipschorns, nicht die Hände in den Schoß legte. So setzte er sich als einer der ersten mit dem Raumklang auseinander, dem „Klipsch 3-Speakers Master Stereo System“. Dazu ein Auszug aus dem „Journal of the Acoustical Society of America“ vom April 1958: „Jüngste Experimente des Autors (Paul W. Klipsch) haben zu einem funktionsfähigen Dreikanal-Wiedergabesystem geführt, bei dem der Mittenkanal durch Kombination aus dem herkömmlichen Eingangskanalpaar wiedergewonnen wird. Der Ausgang jedes Flankenkanals wird um 3 dB abgeschwächt, um die Balance zu erhalten. Es werden praktische Schaltungsdetails angegeben und subjektive Hörergebnisse beschrieben.“ Auch wenn sich dieses System nicht gehalten hat, der Lautsprecher blieb. Sie haben den Namen schon vernommen: „Heresy“.
Die Modellpalette wuchs, genauso wie der Umsatz von „Klipsch & Associates“. Neben dem Klipschorn und der Heresy gehören die Klipsch Rebel, Forte, Shorthorn, Cornwall, La Scala und Belle Klipsch zu den bekanntesten Lautsprechern, die von Paul W. Klipsch entwickelt wurden. Viele dieser Modelle werden auch heute noch hergestellt und weltweit verkauft:
Und doch gibt es da noch die hartnäckigen Vorurteile gegenüber Klipsch-Lautsprechern, besonders beim Klipschorn, die sich vor allem in Europa halten. Diese besagen, dass das Klipschorn, nur bei bestimmter Art von Musik gut klänge … Lassen wir dazu Klipsch Markenbotschafter Werner Enge in ungekürzter Länge zu Wort kommen:
“Es ist ja so: Wenn du dauernd irgendwelche Lügen verbreitest, dann werden die irgendwann mal zur gefühlten Wahrheit. Die Leute haben immer wieder erzählt „Klipsch ist nichts für Klassik. Jazz und Rock – dafür ist die toll“. Was für ein Quatsch! Ich habe mal einen Kunden aus Berlin gehabt, der hat gesagt „In Berlin haben mir alle Händler von Klipsch abgeraten, das hat mich neugierig gemacht.“ Also haben wir einen Termin ausgemacht, schließlich kam der mit seiner Frau vorbei. Da will ich zu meinen Vorführ-CDs greifen, doch der sagt: „Nee, nee, das lassen Sie mal. Ich glaube Sie haben die Musik nicht, die wir hören.“ Ich sag: „Na, da bin ich jetzt aber mal gespannt.“ Da zieht der CDs mit Opern und Operetten aus seiner Tasche! Er hatte recht, sowas hab nicht, denn ich mag diese Art von Musik einfach nicht. Aber egal, es geht ja nicht um mich. Ich hab den dann alleine hören lassen… Eine Stunde später komme ich wieder und frag ihn: „Na?“ Da sagt der: „Ja, wir haben uns schon entschlossen.“ Und was sagt der dann? Der sagt nicht „Nee, das ist doch nichts für mich“. Der sagt den bedeutungsschwangeren Satz, den ich nie vergessen werde: „Das ist hier das erste Mal, dass ich meine Musik wiedererkenne.“ Und was meinst du, was der für einen Job hatte? Der war Opernintendant.”
Klipsch hat in den vergangenen 75 Jahren etliche Audio-Produkte auf den Markt gebracht, so auch Kopfhörer ebenso wie Verstärker und Tonabnehmersysteme. Jüngst erschien ein transportabler High-End Bluetooth-Lautsprecher, der sich im Design an seine historischen Vorbilder anlehnt, der Klipsch Heritage Groove. Ganz stark ist Klipsch mittlerweile im Heimkinosegment, Soundbars verkaufen sich wie geschnitten Brot. Und – es lag eigentlich auf der Hand – auch bei der Kinobeschallung ist Klipsch ganz vorn mit dabei.
Eine größere Revision schließlich erhielt auch das Klipschorn, in der jüngsten Modellvariante trägt es nun die Modellnummer AK6. Schon einige Jubiläumsmodelle waren bereits so ausgestattet, im Vergleich zum Vormodell AK5 sind aber Unterschiede erkennbar: Die Verkabelung ist nun vom renommierten Hersteller Audioquest, die Mittel- und Hochtonkalotte wurden geändert und erstmals ist die Rückseite des Bassteils geschlossen! Was den großen Vorteil mit sich bringt, dass das Klipschorn nun auch ein Stück von der Wand weg platziert sein kann.
Das ist in heutigen Zeiten nötiger als früher, wenn man an all die Steckdosen und/oder Kabelkanäle denkt, die die wandnahe Aufstellung oft erschweren. Die Mittel- und Hochtonabteile bleiben, wie gewohnt, weiterhin offen. Der Anforderungen an Klipsch—Lautsprecher sind sowieso immer die gleichen, so wie sie PWK ins Pflichtenheft schrieb: hoher Wirkungsgrad, geringe Verzerrung, präziser ausgerichteter Klang, großer Dynamikbereich und ein linearer Frequenzgang. Eben genau so, wie es die Klipschfans seit Jahrzehnten schätzen: 75 Jahre jung und besser denn je.
Und das Klipschorn (sowie auch seine in Preis und Größe fein abgestuften Heritage-Geschwister) inspiriert auch immer die aktuelle Linienware: die Reference-Premier- und die Reference-Serie. Bei allen Linien-Modellen, die wir bei LowBeats bislang in den Fingern hatten, konnten wir nicht nur die gängigen Klipsch-Ideale von hoher Dynamik und hoher Pegelfestigkeit attestieren, sondern auch (mittlerweile) einen erstaunlichen Feinsinn und – ganz im Sinne des Firmengründers – stets ein exzellente Preis-/Klang-Relation. No Bullshit eben!