Markolf Heimann ist seit Herbst 2019 sogenannter Beirat bei Audio Trade (ATR), Deutschlands größtem High End Vertrieb. Seit dieser Zeit hat er schon einiges bewegt und will auch in der Corona-Krise Zeichen setzen. Dafür hat er ein schnelles Maßnahmenpaket (siehe auch: erweitertes Handeln) entwickelt, denn ATR ist mit den meisten stationären HiFi-Händlern in Deutschland eng verknüpft. Im LowBeats Interview sprach der ATR Spin Doctor über die Digitalisierung des HiFi-Handels und warum die Krise für HiFi nicht schlecht sein muss. Das Interview führte Raphael Vogt und ist in voller Länge auf unserem Youtube-Kanal zu sehen.
LowBeats: Was genau macht ein Beirat?
Markolf Heimann: Meine Aufgabe ist nicht das Tages- oder operative Geschäft, sondern ich kümmere mich darum, Unternehmens-Projekte umzusetzen. Im Januar letzten Jahres bin ich angetreten, um ATR dabei zu unterstützen, moderner und professioneller zu werden. Da geht es um viele Prozess-Themen, aber natürlich auch um viel Digitales.
Das heißt auch, dass wir viel Zeit investieren mit unseren Kollegen. Und die spüren jetzt gerade, dass es in solchen Zeiten gut ist, zu wissen, wie man mit solch digitalen Werkzeugen umzugehen hat – nicht nur für Video-Konferenzen, sondern durchaus auch, um Produkte vorzustellen. Mal zu zeigen, was da geht, Service zu machen. Sogar über Videokonferenzen. Also ein ganzes Bündel an Themen. Und ich sag mal zusammengefasst: Das ist meine Aufgabe. Aus über 40 Jahren ATR haben wir ATR 4.0 gemacht. Das kennt man vielleicht aus der Industrie, im Grunde agiles Arbeiten, Prozesse optimieren, digitalisieren. Und dieses ATR 4.0-Projekt ist das Projekt, um das ich mich kümmere.
LowBeats: ATR, das sind ja viele, viele bekannte Marken wie ATC, Cabasse, Ortofon, Pro-Ject oder Stax, aber auch unbekanntere wie Blue Amp und Ensemble…
Markolf Heimann: Es sind noch viele mehr. Entscheidend ist die Botschaft, dass wir im Grunde ein sehr breites Portfolio haben. Wir fangen bei dem einfachen Stereo-Thema an oder den Einsteiger-Produkten von Pro-Ject bis hin zu den absoluten High-End-Sachen, die auch viele unserer Anbieter eben im Portfolio haben. Im Grunde von „Jedermann-HiFi“ bis hin zu absolutem High-End. Das ist unsere Bandbreite.
LowBeats: Jetzt aber hat uns alle der Lockdown erwischt und da geht’s der HiFi-Industrie natürlich wie allen anderen auch: nicht so gut. Als LowBeats haben wir das Glück, dass wir schon vor der Krise mehr oder weniger im Homeoffice gearbeitet haben und alles digital und online ist; für uns ist das kaum eine Umstellung. Für die Welt außen um uns herum, vor allem für den stationären HiFi-Fachhandel aber ist es schwer. Und da hat ATR Pläne entwickelt, wie man aus dem Lockdown rauskommt. Denn zumindest die Läden haben ja im Grunde alle geschlossen.
Markolf Heimann: Das genau ist das Stichwort. Die Eingangstür zum Geschäft ist heute verschlossen. Stimmt. Aber der Lockdown betrifft ja nicht die Händler selbst. Also ich find das klasse, wie die meisten unserer Händler im Laden, im Geschäft verfügbar sind, auf Telefonate und E-Mail reagieren und Beratungsgespräche machen – was sehr, sehr gut ankommt. Wir spüren immer noch eine gute Nachfrage, die natürlich vor allem online stark ist, keine Frage. Deshalb haben wir uns überlegt: Wie können wir den lokalen Händler, den stationären Fachhändler unterstützen?
Unsere erste Antwort: die „verlängerte Ladentheke“ Das heißt also, den Händlern, die nicht über eine Versand-Infrastruktur verfügen, bieten wir an, dass wir Bestellungen, die bei ihnen eingehen, in ihrem Namen ausführen und die Ware direkt zum Endverbraucher schicken. Unsere Mannschaft macht da einen super Job; in der „verlängerten Ladentheke“ ist alles ein bisschen komplizierter als beim normalen, für uns gewohnten Versand. Wir müssen für jeden Auftrag einen neuen Mandanten anlegen, also sprich den Kunden unseres Händlers, um das dort eben hinschicken zu können. Das sind schon Herausforderungen, aber wir spüren, dass es gut angenommen wird und dass es auch sinnvoll ist.
Das zweite Antwort ist strategischer Natur: der Live-Chat. Man kann heute bei uns auf der Website direkt mit uns kommunizieren, Fragen zu Produkten stellen. Das gilt nicht nur für Endverbraucher, erstaunlicherweise nutzen das auch gerne Händler von uns, um noch schneller konkrete Fragen stellen zu können, vielleicht aus dem Beratungsgespräch am Telefon heraus kurz mal checken, was kann das Gerät, gerade bei Nachfrage…
LowBeats: Das ist natürlich eine sehr clevere Geschichte, die für verschiedene Anbieter und Branchen nachahmenswert wäre. Aber da sind ja noch weitere Dinge, die unabhängig von Corona geplant und bereits in der Umsetzung befindlich sind. Vielleicht können Sie dazu noch zwei Worte dazu sagen? Denn das Thema ATR 4.0 umfasst ja mehr – unabhängig von der aktuellen gesundheitlichen Situation.
Markolf Heimann: Genau. 4.0 bedeutet, dass wir das agile oder ich sag mal: das flexible Arbeiten umsetzen. Wir probieren heute eher auch mal Dinge aus, müssen sie nicht perfekt haben, bevor wir sie an den Start bringen. Wir merken dann in der Zusammenarbeit oder in der Nutzung, wo vielleicht Schwächen sind in solchen Themen, da können wir dann optimieren.
Das nächste, was wir dort machen, ist unsere B2B-E-Commerce Kommunikationsplattform. Zuerst werden die Händler den Warenbestand und seine Verfügbarkeit einfach sehen können – das wird wahrscheinlich diese Woche noch heißgeschaltet werden. So kann der Händler den Auftragsstatus sehen, ohne bei uns anrufen zu müssen, da wir eben aufgrund der aktuellen Situation tatsächlich nicht immer sofort erreichbar sind. Das Ziel ist also, immer mehr Services, wo keine Beratung notwendig ist, ins Internet zu verlegen, sodass man sich dort ganz schnell, einfach und 24 Stunden lang eben auch darüber informieren kann, ob Produkte lieferbar sind oder wo der aktuelle Auftrag gerade liegt.
Und wir investieren derzeit in eine neue Verkaufs- beziehungsweise Vertriebsplattform. Dafür haben wir ein neues Gebäude im Rheingau angemietet. Dort wollen wir einen Showroom machen, durchaus nicht nur einen physischen Showroom, auch einen virtuellen Showroom, wo man gerade in Zeiten wie diesen auch Produkte vorstellen kann, vorführen kann, ohne dass Menschen dort sind.
Wir wollen generell das Remote-Arbeiten fördern und unseren Vertrieb damit unterstützen. Denn wir sind der Meinung, dass es nicht immer opportun ist, für jede neue Produktvorstellung in den Häuserkampf zu gehen, also das Produkt beim Händler physisch vor Ort vorzustellen. Wir wollen mit Videos arbeiten, Stichwort Remote Detailing.
So können unsere Partner, die Händler, im Grunde von Tag Eins an alle Produkte schon im Film sehen – mit allen wesentlichen neuen Produkt-Features und Infos – und dann gerne in der aktiven Nachfrage auf uns zukommen, mehr dazu erfahren, dann auch einen Besuch des Außendienstes anfordern. Also – es stellt sich alles ein bisschen um von „wir gehen raus“ hin zu „wir bieten alles an, der Kunde kann alles zu jeder Zeit von uns bekommen“. Aber das ist auch das Thema „Wer entscheidet in Zukunft darüber, wann er sich mit welchen Informationen auseinandersetzt“. Also bieten wir alles auch digital an. Das ist die größte Veränderung.
LowBeats: Da wurde offenkundig ein großer Prozess angestoßen, der noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber noch einmal zurück zum Jetzt und zum Lockdown: Wie ist denn aus Eurer Sicht die Stimmung draußen im Handel?
Markolf Heimann: Wir spüren es im Moment nicht. Insofern toitoitoi, auf Holz klopfen, unser Geschäft läuft derzeit noch sehr, sehr gut. Ungewöhnlich, denn es ist erstens Urlaubszeit und zweitens gutes Wetter. Dennoch haben wir eine stabile und gute Nachfrage. Was aus meiner Sicht auch daran liegt, dass es so eine Art Cocooning gibt. Die Leute sind gezwungen, zuhause zu sein und wollen sich deshalb mal was gönnen. Vielleicht haben sie überhaupt nun erstmals Zeit, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Man investiert in Möbel, in Küchen-Appliances und glücklicherweise offensichtlich auch in HiFi. Insofern läuft unser Geschäft sehr gut.
Bei vielen unserer Partner herrscht eine ganz komische Aufbruchsstimmung. Auch wenn man mit neuen Formaten arbeiten muss und heute Dinge anders angeht, als man es vorher getan hat. Also ich bin positiv aufgeregt ob dessen, was wir gerade alles vor der Flinte haben. Auch die Stimmung bei den Onlinern ist gut, muss man sagen. Und bei den niedergelassenen Händlern, die zusätzlich online Services anbieten, gibt‘s durchaus auch positive Stimmung.
Branchen-übergreifend glaube ich, dass viele Leute die Zeit nutzen, um sich hochwertig zu informieren – ohne jetzt unbedingt ein wirklich teures Gut zu kaufen. Aber dazu kommt man dann eben, wenn man es auch mal streicheln, anfassen kann, wenn der Lockdown wieder vorbei ist. Man informiert sich heute darüber, was man immer schon kaufen wollte.
Es wird natürlich stark davon abhängen, wie lange dieser Lockdown andauert, aber das können wir alle nicht wissen. Im Moment bin ich noch sehr, sehr positiv und das gilt auch für einen Großteil der Händler, mit denen wir in Kontakt sind.
LowBeats: Das ist schön zu hören und freut uns alle, die wir ja mit der Musikreproduktion zu tun haben. Offensichtlich kann gerade Musik im häuslichen Zwangsaufenthalt ihren Wert noch mal steigern.
Markolf Heimann: Dazu noch kurz etwas Spannendes, was wir auch gerade machen: Wir haben heute „Music@Home“, auf der Website installiert. Da sammeln wir einfach alles, was es aktuell an – ich sage mal – Remote- und Streaming-Services gibt. Also: wo Konzertveranstalter, Konzerthäuser überall Konzerte machen. Da ja kein Besucher mehr dort ist, werden die Konzerte live gestreamt. Das finde ich eine sehr spannende Sache. Auch die Clubszene in Berlin ist da ja super aktiv. Wir sammeln das, weil man gar nicht alles im Überblick haben kann. Unsere Botschaft lautet: es geht zuhause weiter, das ist für uns zwar alle überraschend, aber es funktioniert.
LowBeats: Kleiner Blick in die Glaskugel: Wie sieht die HiFi-Landschaft in 12 Monaten aus? Wie wird sie sich verändert haben nach Corona?
Markolf Heimann: Also ich glaube, dass sich nach Corona generell die Landschaft verändern wird. Unternehmen, die schon schwach in diese Krise hineingingen, werden wahrscheinlich auch überdimensional stark getroffen – das gilt nicht nur für die HiFi-Branche. Mein Blick in die Glaskugel sagt, es wird Veränderungen geben. Starke werden unter Umständen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, andere werden sich etwas schwerer tun.
LowBeats: Herr Heimann, da bedanken wir uns für das Gespräch und Ihre Einschätzung. Gibt es darüber hinaus noch irgend etwas, das Sie loswerden wollen?
Heimann: Ja Folgendes: Bleibt gesund, bleibt zuhause – und geht mit Lust an Eure HiFi-Themen ran. Das ist für mich persönlich die wichtigste Botschaft. Gesund und zuhause bleiben!
In diesem Zusammenhang möchten wir noch auf eine schöne Aktion der Kollegen von fairaudio hinweisen: Die haben im Netz eine Übersichts-Liste installiert, auf der man erkennen kann, welcher HiFi-Händler wann erreichbar ist. Eine gute Sache.