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Calexico hat mal wieder Grenzen gesprengt und mit dem Singer Songwriter Iron Wine (Mitte)ein fantastisches Album aufgenommen: Year To Burn (Foto: P. Ferguson)

Calexico + Iron & Wine Years To Burn – das Album der Woche

Die Herren Joey Burns, John Convertino und Band geben sich (wieder mal) die Ehre: Calexico nahmen zusammen mit Americana-Singer-Songwriter Sam Beam (alias Iron & Wine) ein herzerwärmend kluges Album auf. Der Name ist etwas kryptisch: Calexico + Iron & Wine Years To Burn. Das aber tut der Qualität des Albums keinen Abbruch – es ist unser Favorit der Woche.

Die Hertz-Schrittmacher von Calexico, Joey Burns und John Convertino, machen das, was eigentlich viel zu wenige Künstler tun: Den Mund aufmachen und zu ihrer weltoffenen politischen Gesinnung stehen. Sei es bei einem ihrer abendfüllenden Live-Events auf Bühnen ihrer Heimat Arizona in Tucson oder Phoenix, über deutsche Provinzstädte wie Erlangen oder aber auf der Akropolis in Athen sowie an anderen Enden der Welt wie im australischen Tasmanien. Ihr letztes Album The Thread That Keeps Us (CD der Woche 5/2018) reflektiert die gegenwärtigen, zerrissenen Zeiten, in denen dennoch – oder gerade deshalb – fragile Hoffnungen keimen, die zunehmend die klaffenden Lücken in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen reflektieren. Ein vielleicht wichtiger Randaspekt künstlerischer Arbeit.

Calexico mit Iron Wine
Von vorn: Iron Wine, Joey Burns und John Convertino (Foto: P. Ferguson)

Denn in erster Linie stehen Calexico für handverlesene, akustisch geprägte Songs, die sich aus feinen Folk-Wurzeln nähren und staubige Tex-Mex-Böen aufwirbeln, getragen von Alternative-Rock-Rhythmen. Dabei legt die Band eine unerhört lebendige Spielfreude an den Tag. Und solch eine Musikkultur kann gar nicht anders, als sich wie selbstverständlich Teamworks mit anderen kreativen Könnern zu öffnen. Sie dürstet geradezu danach, sich auszutauschen, zu improvisieren und sich im wahrsten Wortsinn spielerisch weiter zu entwickeln.

Genau das steht für Joey Burns und John Convertino schon immer, mindestens seit ihren Lehrjahren beim intelligent-schrulligen Howe Gelb mit Giant Sand, auf der DNA-Setlist von Calexico. Und so ist es nur logisch, dass die beiden mit vielen anderen Kollegen, darunter auch mit einem gewissen Sam Beam alias Iron & Wine, gemeinsame Sache machen; zum ersten Mal vor 14 Jahren auf dem Album In The Reins. Damals gingen sie mit ihrer zart-besaiteten Indie-Folk-Liaison wie auch jetzt auf Tour, beinahe wie in klassischer Tradition einer Rolling Thunder Revue eines Bob Dylan.

Vor dieser Coop-Zeit herrschte bereits großer Respekt für die gegenseitige Arbeit – bei Sam zunächst mit bescheidener Selbstbetrachtung. „Ich hielt mich für einen Typen, der gerade mal drei Akkorde auf dem Klosett aufnehmen konnte. Schließlich waren Calexico superbe Musiker, die auf großen Bühnen spielten.“ Sam Beam „liebte“ all ihre unterschiedlichen Sounds. „Sie sind musikalische Anthropologen, die das aufnehmen und reflektieren, was sie entdecken.“

Der heute 44-Jährige stammt aus Chapin, einem Städtchen in der Nähe von Charlotte im US-Bundesstaat South Carolina. Dort begann er, feinsinnige, düster-melancholisch angehauchte Folk-Songs zu schreiben, gerne mit wispernder Stimme vorgetragen. Über die Jahre evolutionierte er seine sonor-warm schwingenden Stimmbänder, die längst feine Americana-Melodien prägen.

Die ursprünglichen Selbstzweifel Sams beim Team-Spiel mit Calexico erwiesen sich übrigens als Humbug. Burns lobte schon damals Sams „Arrangements, das Songschreiben, sein Gefühl für Rhythmen und die Qualität seiner Stimme – und seine experimentelle Seite.“  Dieses neue Projekt musste „seine richtige Zeit finden“, erklärt Burns heute. „Für all die Dinge, die auf der Welt und in unserem Leben passieren, auch für diese Freundschaft, ist das Album eine Art Vehikel. Es birgt eine Chance, zu sehen, wo wir stehen, Bilanz zu ziehen und für unsere Freunde da zu sein.“

Von der Herangehensweise der Album-Entstehung unterscheidet sich Calexico + Iron & Wine Years To Burn etwas von In The Reins. Damals kamen Calexico mit einer langen Referenzliste an Teamworks ins Studio, wie eben mit Giant Sand oder auch Victoria Williams (die übrigens in dem herzentzückenden 92er Video-Clip „Wonder“ von Laura Levine mitspielt). Und Sam schrieb sämtliche Songs. Für den Album-Neuling steuerte Burns ein paar Stücke bei, zum Beispiel das zart schmelzende „Midnight Sun“.

Für Calexico + Iron & Wine Years To Burn kamen die Jungs letzten Dezember für nur vier Tage im „Sound Emporium Studio“ in Nashville zusammen. Ein geschichtsträchtiger Ort, gegründet von „Cowboy Jack“, an dem dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum gefeiert wird. In dieser Zeit haben sich hier illustre Gäste die Klinke in die Hand gegeben, als da beispielsweise wären: Barbra Streisand, Cyndi Lauper, Emmylou Harris & Rodney Crowell oder Robert Plant und Allison Krauss (übrigens wie Calexico + Iron & Wine Years To Burn in feiner Klangqualität eingespielt). Und R.E.M.: John Convertino war ganz gerührt als er an einer der Studiowände ein Foto der Band entdeckte – die Supergruppe aus Athens/Georgia nahmen hier ihr Album Document auf.

Sound Emporium
Ein legendärer Ort, an dem schon viele Größen ihre Alben einspielten: das Sound Emporium in Nashville

Für Years To Burn trafen sich Paul Niehaus (Gitarre, Pedal Steel u.a.), Trompeter Jacob Valenzuela, Beans-Mann Rob Burger (Keyboards) sowie Sebastian Steinberg (Soul Coughing, Fiona Apple), der seinen Bass auch während der weltweiten Live-Tour zupft (Tourdaten siehe unten).

Calexico Years to burn
Die Truppe vom Sound Emporium hat ganze Arbeit geleistet: Years To Burn klingt hervorragend gut

Für den beinahe audiophilen Sound des Albums zeichnet der Grammy-Award prämierte Toningenieur Matt Ross-Spang verantwortlich, assistiert von Rachel Moore, die bereits für Beam, Burns und Convertino an den Reglern saß. Erstaunlich, wie plastisch und schön aufgefächert sich Instrumente und vor allem die mehrstimmigen Vocals im Raum zwei- und dreidimensional positionieren. All das in feiner Auflösung und Farbechtheit.

Die Musik von Calexico + Iron & Wine Years To Burn

Die kompositorische Zusammenarbeit zwischen Joey Burns und Sam Beam erweitert den Horizont beider Musiker. Während Beam sonor-beseelt seidige Noten spinnt, verschmelzen diese Burns und Convertino in ihre teils sphärischen Arrangements mit offenen Horizonten. In ihren besten Momenten – und davon gibt es einige – trägt das weit hinauf in nahezu vergessen geglaubte Welten der 60er und 70er Jahre, hinauf in die Hügel des Laurel Canyon, wo damals eine Keimzelle des Westcoast-/Prog-Rock- und Folk-Musik mit vielen späteren Promimusikern lag. Und so scheinen sich Crosby, Stills, Nash & Young, Jackson Browne, aber auch ein Dan Fogelberg oder eine Joni Mitchell irgendwo im Geiste mit einzufinden – schön zu hören im harmonie-süchtigem „Father Mountain“.

Der Opener „What Heaven’s Left“ trabt als leicht beschwingter Country-Folk mit dezenter Pedal Steel daher, als ob man Bread oder die Eagles im nächsten Kaff treffen wollte, schön getragen von Beam’s Leadvocals, ebenso schön verwoben mit Burns Backgrond-Gesang.

„Midnight Sun“ leuchtet in strahlendsten Westcost-Folk-Farben, dessen Rauheit dank sich aufschwingender E-Gitarren im Laufe seiner Entwicklung zunimmt. Ein wunderbarer Song, gesungen von Joey Burns. Und ein Paradestück seiner Kompositionskunst. „Sam sandte mir ein paar Demos eine Woche vor unserer Studiosession. Auf deren Basis schrieb ich den Song, als ich in unserem gemieteten Haus in Nashville ankam – das war ein Tag vor all den anderen. Darin fand ich ein altes Piano, eine alte Orgel und eine Gitarre. Ich fing mit einem Summen in F# an und war gespannt, wohin es mich führen würde. Spät in der Nacht fand ich schließlich diese Melodie, die die Welten beider Bands verband.“

„Outside El Paso“ glänzt dagegen mit leichter Electronica, angeschrägten Trompeten-Tupfern und kontrastierenden Drums; ein experimentell inszeniertes Instrumental-Drama.

„Follow The Water“ hat Neil Yong geschrieben. Nein, hat er nicht. Aber es hätte von ihm sein können: das Picking der Akustikgitarre, der verhalten gespielte Bass und die von einem aufrührerisch schönen Refrain getragene Songstruktur wirken meisterhaft. Neo-American-Bands wie The Fleet Foxes oder Other Lives – hinhören!

„The Bitter Suite“ entfaltet sich auf rund acht Minuten Länge mit vielen Wendungen wie ein musikalischer Triptychon, beginnend mit einem traurigen, spanischen Gesang von Jacob Valenzuela, den ein kämpferisches Intermezzo mit schräg angehauchten Trompetensounds wie zerrissene Fanfaren abwechseln, begleitet von aufrollenden Drums, die sich imaginären Feinden in den Weg stellen wollen. Teil Drei befriedet die Angelegenheit mit einem besänftigenden Folk-Waltz und Akkordeontönen.

Auf dem Titelsong vereinen sich John Convertinos stolpernde Drums schön mit Valenzuelas Trompete und hellen Vocals in Slow-Motion-Manier.

„In Your Own Time“, einem etwas älteren Beam-Stück, scheint in einem Saloon oder einer kleinen Bar zu spielen, mit Beam und Burns am Tresen, fabulierend über Gott und die Welt.

Ein beseeltes Album, dessen Essenz Sam selbst auf den Punkt bringt: „Das Leben ist hart. Überwältigend. Und beängstigend. Aber es lässt dich schweben, wenn Du es zulässt. Das sind die Dinge, über die Joey und ich schreiben. Dabei kann der Titel viele Dinge ausdrücken. Years To Burn kann bedeuten, dass du großspurig bist, du glaubst, es geschafft zu haben. Oder dass es an uns liegt, sich vom Leben inspirieren zu lassen. Oder aber, dass du verrohst. Es ist ein mehrdeutiger Titel, weil das Leben eben nicht einfach ist. Lasst uns nicht wie Teenager über Liebe, Wünsche oder den Schmerz reden, weil wir keine Teenager sind. Und das ist doch nicht schlecht.“

Cover Art Calexico + Iron & Wine Years To Burn
(Cover: Amazon)

Calexico + Iron & Wine Years To Burn erscheint bei City Slang / Rough Trade und ist erhältlich als CD, LP oder als Stream sowie MP3-Download, z.B. bei amazon.de

Video-Clip:

„Midnight Sun“ (mit über 100 Zeichnungen Sam Beams, deren Stil auch das Albumcover ziert)

Top-Alben von Sam Beam alias Iron & Wine:

The Creek Drank The Cradle von 2002
Our Endless Numbered Days von 2004
The Shepherd’s Dog von 2007

Tourdaten Calexico + Iron & Wine:

28. Juli, Wien, Wiener Konzerthaus
31. Juli, Hamburg, Stadtpark Freilichtbühne
9. November, Berlin, Tempodrom
11. November, München, Muffathalle
14. November, Mannheim, Rosengarten Musensaal
15. November, Köln, Palladium

Calexico + Iron & Wine
Years To Burn
2019/06
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.