Her mit den kleinen Holländerinnen: PrimaLuna will großen Röhrenklang in die Welt bringen – und die Preise klein halten. Ein Spagat. Der gelingt? Die beiden Röhren-Vollverstärker PrimaLuna EVO 100 & 200 sind Tipps für Entdecker des guten Tons. Nun mit neuer Präsenz auf dem deutschsprachigen Markt.
Da reibt sich etwas. Aber auf die gute, spannende Art. Schon ab dem Moment, an dem wir uns in das Auto setzen und zur Firmenzentrale von PrimaLuna brausen wollen. All’ unsere Lebenserfahrung sagt uns: Es geht nach Süden, in das sonnige Italien. Irrtum. PrimaLuna, „Der erste Mond“, scheint in Holland. In einem kleinen Dorf auf halber Strecke zwischen der niederländischen Grenze und Rotterdam. Herman van den Dungen ist der Kopf hinter allem. Ein klassischer Self-Made-Man des High-End. Als Bastler hat er angefangen, der versuchte, alte Radios und Plattenspieler wieder zum Leben zu erwecken. Mit 25 Jahren stieg er zum Importeur auf. Was ihn endgültig in den Olymp der Branche katapultiert hatte, war der Moment, als er die legendären Kiseki-Tonabnehmer entwarf.
Herman van den Dungen ist keiner, der unter dem Radar fliegt. Er hat das Zeug zum Popstar. Besser: zum Rockstar. Ken Kessler von Hi-Fi News erhob ihn in den Adelsstand, als er ihn als derjenigen beschrieb, „der in der Audiobranche einem Keith Richards am nächsten kommt“.
Also ein Mann, der ständig im Rausch in die Saiten greift. Nein, so ist Herman van den Dungen überhaupt nicht. Ein kühler Kopf erkennt die Trends, ein warmes Herz setzt sie um. So konstatierte der Niederländer schon kurz nach der Jahrtausendwende, dass bald die Neuzeit des Röhrenklangs anbrechen würde. 2003 lief die Marke PrimaLuna vom Stapel. Besagter „erster Mond“ war der Spitzname seines Großvaters und ist heute der Name seines Hundes. Und um die Verwirrung komplett zu machen: Es gibt tatsächlich eine Stadt nahe Mailand, die Primaluna heißt. Ganz tief an den Namenswurzeln steht das Lateinische – das „Erste Licht“.
Also geht es um die „Erleuchtung“ der High-End-Gemeinde. Insbesondere um die Befreiung von den exorbitanten Preisen. Schon bei der Markengründung war klar, dass PrimaLuna erschwinglich sein musste. Kein leichtes Unterfangen. Aber Herman van den Dungen rief gute Freunde an, von Goldmund und Jadis – mit Kontakten in der Beschaffung von Röhren und Produktionswegen. Es sollte noch Monate dauern, bis eine Factory gefunden war, die Preis und Präzision im Sinne der Van-Dungen-Werte vereinen konnte. Die sitzt – natürlich – in China. Jetzt aber nicht dem Klischee verfallen. Da werkeln Profis – unter ständigem Kontakt der niederländischen Meister. In einem Interview rühmte sich die Firmenspitze, dass hier Verstärker entstehen, die eine maximale Fehlerquote von einem halben Prozent erreichen. Da werden selbst deutsche Ingenieure blass um die Nase.
Wie auch immer. Warum testen wir PrimaLuna jetzt und erstmals? Weil sich die Marke neu aufstellt. In Deutschland, in Österreich und der Schweiz. Die Besser-Distribution mit Sitz in Berlin hat den Vertrieb übernommen. Recht frisch noch dazu, seit Anfang 2023. „Udo (eben mit Nachnahmen Besser), schick mir doch mal die Preisliste.“ 2990 Euro, 3490 Euro – einzig die große Vor-Mono-Kombi (knapp 20 000 Euro) büchst ein wenig aus dem Bereich des Erschwinglichen aus. Ein optionales Phonoboard für MM-Abnehmer ist schon für 165 Euro zu bekommen. Also her mit den kleinen Holländerinnen. Der EVO 100 markiert mit 2.990 Euro den Einstieg unter den Vollverstärkern, der EVO 200 für 500 Euro mehr den Aufstieg. Der Paketbote lieferte zwei noch immer kompakte Kartons, die es aber in sich hatten: 18 Kilo und 24 Kilo bringen einen erwachsenen Mann nicht zum Schwitzen, aber sie stoßen den Vertrauensvorschuss an.
PrimaLuna EVO 100 & 200: die technische Basis.
Der Unterschied kann in Fotos täuschen. Tatsächlich ist der EVO 200 mit 36,5 Zentimetern deutlich größer in der Breite. Der EVO 100 erscheint wie ein Winzling mit seinen 28 Zentimetern. Doch nichts an der Röhrenbestückung oder den Bedienelementen lässt einen klaren technischen Unterschied erkennen. Links der Knauf für die Lautstärke, rechts die Wahl zwischen vier Cinch-Eingängen. Zwei Leuchtdioden in der absoluten Mitte. Warum zwei? Die Frage heben wir uns als Cliffhanger auf und beantworten sie später.
Doch schalten wir die Augen einmal aus und vertrauen unseren Händen. Da gibt es an beiden Brüdern viel zu ertasten. An der linken Seite liegt der harte Einschalter, nix Standby. Dahinter die kleine Rundung für die Sicherung. Auf der rechten Seite kommen selbst Branchenkenner ins Grübeln. Zwei Kippschalter, identisch groß, mit unterschiedlichen Aufgaben. Der Vordere bestimmt, ob die Klangenergie an die Lautsprecherklemmen fließt oder an die Kopfhörer-Muffe. Der hintere Schalter entscheidet über High Bias oder Low Bias.
Da sollen sich Pentoden unterschiedlicher Bauart wohlfühlen, eben mit hohem oder niedrigem Ruhestrom. Die Fans dürfen sich also im Pool ihrer Lieblingsröhren austoben. KT88, KT120 KT150 – die beiden EVOs lieben alle High-Bias-Modelle. Die optional zugesteckt werden können. Geliefert werden die Amps aber mit Low-Bias-EL34. In der Endstufe – davor glühen vier deutlich kleinere 12AU7.
Erstaunlich, erstaunlich: Auf allen acht Röhren prangt der Schriftzug von PrimaLuna. Das ist gutes Branding, im Wortsinn. Aber auch das, was man im Theater eine Camouflage nennt – eine durchschaubare Kulisse.
Denn die Niederländer fertigen natürlich nicht selbst ihre Röhren. Der Weltmarkt der Hersteller ist überschaubar. Doch die meisten sind willig für Geld und gute Worte. So auch Psvane, ein Produzent aus China, aber in der Hand von Audiophilen innerhalb und außerhalb des Landes. Da gibt es die seltensten Schönheiten, alles andere als zu Dumpingpreisen. Ein gematchtes Pärchen WE211? Aber sicher doch, macht umgerechnet 820 Pfund. So mächtig greift PrimaLuna nicht in die Firmenkasse. Aber auch hier gilt die hohe Selektion, über ein Drittel aus der chinesischen Fertigung wird vor dem Einsatz und dem Branding als nicht edel genug verworfen.
Auch der Blick unter die Haube ist aufs Neue ein Argument dafür, dass man diese Fertigung zu diesem Preis nur in Fernost zaubern kann. Das ist eine aufwändige Punkt-zu-Punkt-Verkabelung. Hier rühmt sich PrimaLuna, eigens Silberkabel aus der Schweiz nach China zu verschiffen. Die Trafos sind abgestimmte Maßarbeit – aus den USA. Wieder geht es per Schiff nach China – weil die Lohnkosten den Großteil des Endpreises ausmachen. Die Geschichte könnte man schier endlos weitererzählen: Der Lautstärkeregler kommt von ALPS, die Polypropylen- und Stanniolkondensatoren von Nichicon und DuRoch, die Gleichrichterdioden von Philips.
“Adaptive Auto Bias“: für ein längeres Röhrenleben
Jetzt zu den absoluten Eigenheiten und Meriten. PrimaLuna hält ein Trademark auf seine „Adaptive Auto Bias“-Schaltung. Die Röhrenvorspannung wird permanent überwacht, liegt aber selbstverständlich außerhalb des Signalwegs. Unmittelbar wird angepasst – und das singulär für jede einzelne Röhre; andere Mitbewerber behandeln den Parcours als Pool mit einer passiven Konstruktion. Die Win-win-Situation: PrimaLuna lässt die Röhren edel und sicher altern – bei stets bestem Betriebszustand. Längeres Leben, weniger Verzerrungen.
Genau jetzt kommt auch die Antwort auf die Frage, warum auf der Front der beiden Verstärker zwei LEDs eingebettet wurden. Die untere, grüne LED souffliert – „ich lebe noch, mir geht es gut“. Blitzt dagegen die obere rote LED auf, dann bitte den Amp vom Strom nehmen und nach der kritischen Röhre suchen. Übernimmt natürlich der Fachhändler.
Die Schaltung hört auf den Namen Power Ultra-Linear. Der Brite Alan D. Blumlein hatte sie schon 1938 zum Patent angemeldet. Wir sind in der Welt der Gegenkopplung, weshalb das „Adaptive Auto Bias“ der Niederländer gerade im kritischen Übernahmebereich eine Wunderwirkung gegen die typischen Verzerrungen einbringen soll. Konjunktiv.
Wo liegen die technischen Unterschiede zwischen dem 100er und dem deutlich größeren 200er? Der höhere Output ist marginal. Der Kleine schafft 41 Watt, der größere 45. Also zu vernachlässigen. Der Parcours der Röhren ist identisch. Doch bei den Quellen kann ich beim EVO 200 auch einen „Home Theater Input“ wählen.
Ein externer Multikanal-Receiver lässt sich so einschleifen; der EVO umgeht dann die Vorstufe und schickt die Stereo-Information ungeregelt an die Endstufen. Etwas seltsam und sicherlich nicht für die Freunde der audiophilen Stringenz geschaffen, aber vermutlich werden Konsumenten auf anderen Kontinenten darauf abfliegen. Auch zu vernachlässigen.
Der größte Unterschiede zwischen den beiden Brüdern liegt im Bereich der Trafos: der EVO 200 protzt diesbezüglich mit mehr Potenz – irgendwo muss das Mehgewicht von 6 Kilo ja auch herkommen…
Identisch bei beiden Modellen ist ein kleines Kästchen am hinteren Bodenrand. „Phono Stage“ sagt der Aufdruck. Doch das ist nur eine Hülle, eine Option. Wer Vinyl will, muss das Modul gesondert ordern. Kostet 165 Euro, kann aber nur MM-entschlüsseln und verstärken.
Wer sein Moving-Coil-System liebt, den verweist PrimaLuna auf den hauseigenen EVO 100 Tube Phono Preamplifier. Der ist tatsächlich genauso groß wie der Vollverstärker selbst, übertrifft ihn aber klar beim Preis und liegt bei 3990 Euro. Sieht aber nebeneinander bildschön aus.
Hörtest
Die Beschreibung der klanglichen Vorzüge der beiden Vollverstärker fließt leicht in die Tastatur: Hier huldigt eine Company den schönsten Momenten des Röhrenklangs. Alles gelingt elegant, entspannt – und doch hat sich PrimaLuna eine Dynamikbereitschaft anerzogen, die andere Röhrenanbieter nicht beherrschen. Das hatte in den besten Momenten den Charme von ungebremsten Studio-Amps aus der Frühzeit der Stereo-Aufzeichnung. Aber ohne den Schmutz und mit einem Extra-Kick in der Basswiedergabe.
Im Herbst kommt Nick Cave zu uns, die „Bad Seeds“ an seiner Seite. Die Zeit der kleinen Clubs ist vorbei; NC will die großen Arenen füllen – in Oberhausen, Berlin, Hamburg, München, Zürich. Wer es intimer mag: Der Meister jettet auch Solo um die Welt, primär in der Heimat Australien, dann mit Abstechern nach Griechenland und Island. Immer wieder eigenwillig. Wer sich einstimmen will: „Australian Carnage“. Der EVO 100 hatte sofort die Halle mit ihren rund 2.600 Plätzen im Griff, die Atmosphäre, die Reflexionen – der Applaus schuf Gänsehaut und Surround-Effekt. Wie eine weiche Umarmung für den Nationalheiligen Australiens. Dann „Bright Horses“, eine langsame Ballade mit mächtiger Tiefe von Kontrabass und Flügel. Selten bis nie habe ich einen Röhrenamp erlebt, der das so stark in den Konturen und der puren Kraft in den Raum stellte – und das in dieser kleinen Bauform.
Der EVO 200 müsste das noch toppen, oder? Nö, nicht zwingend. Der Vorteil lag eher in der räumlichen Weite – da ging es tiefer in Saal hinein, der kleine Chor am Ende der Bühne wirkte präziser in seiner fernen Aufstellung. Stimmt die Relation vom Aufpreis von 500 Euro? Ja, passt, ist ja auch keine gewaltige Summe.
Was die Frage nach der Zielgruppe und dem Einsatzgebiet stellt. Wer das Feine liebt und eher mit kompakten Lautsprechern hört, wird keine Sehnsucht nach dem Zugewinn des EVO 200 fühlen. Aber bei Standboxen ändern sich die Spielregeln. Da ist das Plus der Stabilität und der mächtigeren Strombereitschaft klar in der technischen wie hörbaren Argumentation.
Noch mehr Show, noch mehr Power: Beyoncé hat sich gerade neu erfunden. „Cowboy Carter“ ist der Ritt auf der amerikanischen Musikgeschichte. Ein wichtiges Album, muss man nicht mögen, klingt aber großartig und spielt mit akustischen Gimmicks. „Bodygard“ startet wie ein erster Testlauf im Studio. Wo ist denn der Bass? Der kommt, langsam, aber heftig. Ein extrem helles Tamburin noch obendrauf – der EVO 200 wirkte hier strukturierter, leistungsbereiter. Doch genetisch ist der EVO 100 nicht nur verwandt, sondern in der Basis identisch: umfassend in der Analyse, mit dem passgenau inszenierten Lebensgefühl für die Röhrenfans.
Fazit PrimaLuna EVO 100 & 200
PrimaLuna ist ein Herzensprojekt – sehr schlau umgesetzt. Beide EVO-Amps tönen mit dem typischen, gewünschten Röhren-Sound, aber in die Neuzeit transferiert. Die Kombination mit Analyse ohne Härte und die Lust an der Dynamik sind selten am Weltmarkt – jedenfalls zu diesen Preisen. Gibt es Kompromisse? Nein, weder im Klang noch in der Präzision der Fertigung – und die Adaptive Auto Bias wird auf Jahre den möglichen Tausch der Röhren vereinfachen. Der Unterschied zwischen Modell 100 und 200 ist hörbar, aber undramatisch. Schon der kleine Bruder verführt maximal.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Smart-samtiger Röhrenklang mit hoher Dynamik |
| Kluges Auto Bias System, verschiedene Röhren einsetzbar |
| Herausragender Kopfhörer-Verstärker, zuschaltbar |
| Gute Verarbeitung |
Vertrieb:
Besser Distribution
Holbeinstrasse 8
12250 Berlin
www.besserdistribution.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
PrimaLuna EVO 100: 2.990 Euro
PrimaLuna EVO 200: 3.490 Euro
Technische Daten
PrimaLuna EVO 100 & 200 | |
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Konzept: | Röhren-Vollverstärker |
Röhren-Bestückung: | 4 x EL34, 2 x 12AU7, 2 x 12AX7 / 4 x EL34, 4 x 12AU7 |
Eingänge EVO 100 / 200: | 4 x Stereo RCA / 4 x Stereo RCA, 1 pair Home Theater Input |
Leistung: | 2 x 41 / 2 x 45 Watt |
Leistungs-Aufnahme: | 270 / 280 Watt |
Farben: | Schwarz / Silber |
Abmessungen (B x H x T): | 280 x 190 x 405 / 36,5 x 20,5 x 40,5 cm |
Gewicht: | 18,0 / 24,0 Kilo |
Alle technischen Daten |