Der Audio Research I/50 erlebte in seinem noch kurzen Leben schon einige Ups and Downs. Doch nun ist der kleinste Vollverstärker der legendären Röhrenschmiede final fertig, wird sicherlich schon bald eine Design-Ikone und klingt schlicht betörend…
Audio Research war ein Bollwerk. Gegen den Mainstream – die Formsprache hatte sachlich zu sein, mit dem Touch von Studio-Professionalität. Die Amps und die Quellelektronik kam im überwiegenden Design mit zwei mächtigen Griffen daher. Als wollten wir sie täglich mehrfach in ein Rack schieben und wieder herausnehmen. Zwei Farben standen zur Debatte: ein Schwarz und ein matter Silberton.
Man beachte die Vergangenheitsform. Denn ganz frisch scheint es bei Audio Research (AR) „Klick“ gemacht zu haben – den Vollverstärker I/50 gibt es in sechs Farben. Poppig bis zu zartem Himmelblau, mattem Rot und erfrischendem Gelb. Audio Components, bzw. der deutsche Importeur, hat in seiner Pressemitteilung die schöne Formulierung „visuell überaus ansprechend“ gefunden. Das trifft es. Wird es die alten Fans der Marke vergraulen? Hoffentlich nicht. Neue, jüngere Fans hinzugewinnen? Schauen wir einmal.
Die Hintergründe sind vielfältig. 1970 in Minneapolis gegründet, arbeitet man heute im eher kleinen Maple Grove, aber noch immer im gleichen Bundesstaat Minnesota. Die Eigentumsverhältnisse der vergangenen Jahre waren ein lustiges Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. 2008 ging Fine Sounds auf Beutezug und schnappte sich Audio Research. Sonus Faber hatte man schon, McIntosh und eben AR wurden ebenfalls einverleibt. Dann 2014 eine Drehung um die eigene Achse, McIntosh wurde Namensgeber der Gruppe. Audio Research war plötzlich ein Mitbewerber im gleichen Haifischbecken. 2020 trennte man sich, AR ging an TWS Enterprises und bereits 2023 an Valerio Cora, den Mann hinter der Lautsprechermarke Acora, die überaus schwere Lautsprecher aus massiven Steinplatten fertigen und in Kanada daheim sind.
Muss man alles nicht wissen. Aber man ahnt, dass Audio Research auf diesem Weg nach Eigenständigkeit und Wertebewusstsein ringen musste. Der I/50 steht genau in diesem Kontext. Er soll erneuern und zugleich die Basis bewahren. Ein Spagat. Auch preislich. Die anderen Komponenten im Katalog sind fünfstellig unterwegs, durchgehend und bis 44.000 Euro im Maximum (der Monoblock 750 SEL). Runde 6.500 Euro sind für einen echten Audio Research geradezu ein Schnäppchen. Klarer könnte die Botschaft nicht sein.
Aha, dann verlagert AR die Fertigung des I/50 wahrscheinlich nach Fernost, um Lohnkosten zu sparen? Genau das Gegenteil. Offizieller Pressetext: „Der I/50 ist das erste Produkt, das vollständig im eigenen Haus fertiggestellt wird.“ Da haben die neuen Besitzer offenbar investiert. Es gibt eine eigene Lackieranlage für den Neuling, ausgestattet mit Lasern für Sondermotive. „Cerakote“ ist dabei ein neuer Fachbegriff, vielmehr eine Company, die sich auf die Keramik-Veredelung von Oberflächen spezialisiert hat. Sieht unfassbar gut aus. Ich könnte sachlich bleiben, doch dieses Finish schreit nach Lob und Faszination. Hier lebt ein ganz besonderer Edeltouch von Keramik, das auf massives Metall trifft. Bei Weiß geht der Himmel auf, deutlich attraktiver für alle, die es modern aber immer noch klassisch haben wollen. Bei Gelb, Blau und Rot vermittelt der matte Schimmer noch immer Noblesse, hier schreit einen das Finish eben nicht an. Wer genau hinschaut, entdeckt, dass die komplette Oberfläche die Farben durchgehend widerspiegelt – bis ganz nah an die Sockel der Röhren. Wirklich ein Schmaus.
Man sieht Männer mit Messgeräten, Finger, die Röhren zu Paaren kombinieren und schweißtreibende Arbeit am Lackierungsschrank. Doch so schön das Video ist, es verheimlicht etwas. Deshalb haben wir insistiert und bei Dave Gordon nachgefragt, dem Brand Director von Audio Research. Der mich – leichtsinnigerweise – auf der HIGH END 2024 auf einen Kaffee eingeladen hat. „Die Idee für den I/50 entstand, als wir noch zur McIntosh-Gruppe gehörten. Wir wollten einen attraktiven integrierten Verstärker für den Einstieg. Livio Cucuzza, der Chief Design Officer der Gruppe und auch für das Äußere der Sonus Faber Lautsprecher zuständig, entwarf das ästhetische Design, das uns gefiel.“
So weit, so gut. Aber die US-Amerikaner sollten von den Italienern auch das technische Design erhalten. Schwer erträglich für eine Kultmarke aus Minnesota. Die Zeit spielte den Amerikanern in die Hände. Das anfängliche elektrische Design des italienischen Ingenieurs wurde verworfen, aber ein erster Gesamtentwurf 2019 privat in München gezeigt. Dave Gordon sagt es offen: „Diese Schaltung hatte miserable Messwerte und klang furchtbar. Als Audio Research weigerten wir uns, mit dem I/50 weiterzumachen, was unserem CEO nicht gefiel – um es vorsichtig auszudrücken…“ Dann kam die Pandemie und viel Zeit zum Nachdenken; die US-Ingenieure trauten sich an die Aufgabe, den I/50 neu zu entwerfen. Ein echter Audio Research sollte es werden.
Audio Research I/50: zweimal 50 Röhrenwatt aus Push-Pull
Der Wechsel der Besitzer tat ein Übriges. Audio Research brachte alles unter Dach und Fach für die Premiere des I/50. Jetzt kommt der Name Warren Gehl ins Spiel. Der Mann ist oberstes Ohrenpaar bei Audio Research und hauptverantwortlich für die Abstimmung des I/50. Jetzt stellen wir uns einen alten Haudegen vor, seit Jahrzehnten mit der Company verbandelt. Stimmt nicht. Warren Gehl ist ein gepflegter Vollbartträger in den besten Jahren, mit Vorliebe für Holzfäller-Hemden. Bei Audio Research trägt er den schönen Titel „Aural Evaluator“, Hör-Bewerter oder besser Hör-Beauftragter. In Deutschland trifft der „Klang-Botschafter” es noch feiner.
Beim Aufbau des neuen Vollverstärkers hat er keine Revolutionen gesucht. Das ist ein geradliniger Push-Pull mit 50 Watt pro Kanal – daher die Ziffer im Namen. Das ist also ein eher potenter Amp der Röhrenzunft, selbst kritischere Lautsprecher werden stabil bedient. Die dicke, mächtige, fette Stromaufbereitung tritt in den Hintergrund – im Wortsinn und hinter ein Abschirmgitter. Die Röhren selbst werden ausgestellt: Eine 6922 ist die Eingangsröhre, zwei weitere geben die Treiberröhre (pro Kanal), je zwei 6550 transformieren das Signal auf bis zu 50 Watt.
Den optischen Extra-Kick steuern zwei weiteren Röhren bei. Die man aber nicht hört und die nicht im Signalweg liegen. Sie sollen nur schön aussehen – und bei der Bedienung helfen. Noch ein neues Wort zum Lernen: „LexieTubes“. Kennt man vielleicht aus alt-neuen Vintage-Regal-Uhren – das sind Röhren mit Leuchtpunkten, die nur einen Job haben, eben Zahlen anzuzeigen. Beim I/50 ist es wahlweise der Status des Hochfahrens, die Quelle (zwei Cinch, ein XLR) und die Lautstärke. Alles steuerbar über die Fernbedienung, die im Lieferumfang dabei liegt.
Da geht der Spieltrieb durch, auch wir sind angefixt, wirklich schön, schlau und gut gemacht. Der Blick auf den Rücken zeigt Platz für Zukünftiges. Es gibt zwei – bei der Lieferung leere – Einschübe. Hart links für ein Phonomodul, hart rechts für einen D/A-Wandler. Kann man selbst installieren, ab Werk vorbestellen oder nachträglich den Händler beauftragen. Wobei der Preisunterschied recht heftig ausfällt. Das Phonomodul liegt bei 890 Euro – und kann nur MM-Ströme verstärken. Fans von MC-Wandlern müssen also bei den High-Outputs zugreifen. Das DAC-Modul preist Audio Research mit 1.790 Euro ein. Das ist stolz, aber auch potent. Da hatte Audio Research einige Grabenkämpfe auszufechten. Da der Hersteller des Wandler-Chips nicht liefern konnte – das AKM-Werk in Japan wurde Raub der Flammen – suchten die Amerikaner auf dem Weltmarkt weiter. Aber sie hielten AKM weiterhin die Treue, weil die just einen brandneuen Wandler, den „Velvet Sound“, versprachen.
Für mich als Konsument ist es möglich, auf der kompletten Digital-Tastatur zu spielen. Ich kann von meinem Mac/PC direkt per USB hinein, oder ich wähle den optischen oder koaxialen Weg. Mit einem Schlag gibt es auch einen Bluetooth-Empfänger hinzu. Die maximalen Datenraten liegen bei PCM bei 32 Bit und 384 Kilohertz plus DSD256, alles stattlich, aber nicht hysterisch.
Wir drehen den I/50 wieder um und holen die Lupe heraus. Moment – steht da wirklich auf den 6550-Röhren der Schriftzug „Electro Harmonix – Made in Russia“? Ja, kein Missverständnis möglich. Da muss man kurz ein- und wieder ausatmen – und zum Telefonhörer greifen. Ich habe beim deutschen Importeur nachgefragt. Das müssen doch Röhrenbestände aus alten Zeiten sein, da von einem kriegerischen Akt Russlands und dem großen Embargo noch nicht die Rede war? Nein, die Lage ist kritisch und anfechtbar.
Offenbar nutzt Audio Research (wie übrigens viele andere Röhren-Anbieter auch) eigene Wege auf dem internationalen Markt und bringt die Electro Harmonix – gegen eine freundliche Spende für humane Projekte – aus dem Putin-Reich in die USA. Nun gut, mit Electro Harmonix hat schon Kurt Cobain seine Gitarren verstärkt. Die Ausstatter für Musiker sitzen als Company in New York – aber die nötigen Röhren werden nach wie vor aus der Russischen Föderation beschafft. Kann ich andere Röhren ordern? Ja, macht die Sache aber vielleicht nur schlimmer. Dann glimmen nämlich – aus der gleichen Quelle! – Röhren mit der Aufschrift „Sovtec“ in unmittelbarer Nähe zu „Made in Minnesota“. Wir leben in seltsamen Zeiten.
Hörtest
Irgendwie glaube ich nicht, dass Billie Eilish und Taylor Swift gute Freundinnen sind. Dafür sind die Biografien und die Musikstile zu unterschiedlich. Der Kontostand wahrscheinlich auch. Taylor Swift mag reicher sein, aber das neue Album von Billie Eilish ist um eine halbe Galaxie besser, spannender, klangstärker. „Hit me hard and soft“ beginnt wie eine Ballade aus den 1980ern, gedoppelte Stimme, mit sich selbst im Chor, noch ein Streichorchester darunter. Da muss ein Röhrenverstärker nicht in Ekstase verfallen oder gewaltige Leistung bereitstellen. Aber den schwarz-schimmernden Samt will ich haben.
Der I/50 liefert ihn, eher unaufgeregt, man könnte ihn unterschätzen. Das Klischee vom hyper-entspannten Schönklang hält er auf jeden Fall nicht hoch. Das war analytisch wie ein Transitor-Amp der gehobenen Mittelklasse. Also weder Röhrenfeeling noch irgendein Kick, der die Preisklasse rechtfertigt. Trotzdem ist da der Genpool, den Audio-Research-Fans wahrscheinlich blind wahrnehmen können. Die Mitten sind einen Hauch präsenter. Völlig unauffällig in den Messungen, aber bei „Chihiro“ groovt etwa ein E-Bass in den oberen Saitenlagen – das ist der Motor des Songs, großartig aufgenommen, noch besser verstärkt. „Wildflower“ begrüßt uns mit einer einsamen Gitarre, alles andere als aufregend – und doch verstand es der I/50 zu fokussieren, eine Spannung auf das Kommende hochzuhalten. Hitchcock hätte es Suspense genannt – Zitat des Meisters: „Bei der üblichen Form von Suspense ist es unerlässlich, dass das Publikum über die Einzelheiten, die eine Rolle spielen, vollständig informiert ist. Sonst gibt es keinen Suspense.“ Genau dieses künstlerische Mittel aller Informationen auf einen Takt ist der musikalische Kern des neuen AR-Amps.
Auf seine alten Tage kann John Williams offenbar nicht mehr still in seinem Schaukelstuhl an der Westküste sitzen. Nach den Wiener und den Berliner Philharmonikern hat er bei seiner Filmmusik nun auch das Salto Kinen Orchestra in Tokyo dirigiert. Am besten laut hören. Der Marsch zu Indiana Jones ist schon klangliches Hochamt, der „Imperial March“ aus Star Wars folgt in noch extremer Dynamik. Die Querflöte huscht vorbei, das Glockenspiel beharrt auf dem Rhythmus – die Truppen des Bösen marschierten nie schöner (Sorry Wien, Sorry Berlin). Dabei ist die Komposition vertrackt – komplexe Synkopen, über hundert Musiker müssen absolute Profis sein, zugleich hat eine banale Militärkapelle den besseren Schmiss.
Wie sich auch die verstärkende Elektronik entscheiden muss: Edelorchester oder Blaskapelle? Der I/50 hält es eindeutig mit den Professoren, klar, analytisch insbesondere in der Präsenz des Raumes. Alles ist gegenwärtig, die große dynamische Welle, aber immer unterfüttert mit einer professionellen Analyse. Die Audio Research ja auch gerade unter Musikern und Tonmeistern so berühmt gemacht hat.
Natürlich haben wir auch quer verglichen – mit dem PrimaLuna EVO 200 beispielsweise. Der ist deutlich günstiger und eigentlich nur etwas weniger leistungsstark. Doch die Unterschiede hört man sofort. Der neue I/50 gab sich in unserem Hörraum kämpferischer, stärker und auf Kontrolle ausgelegt. Der EVO 200 streichelte mehr die Seele, hatte den süßen Honig des Röhrensounds. In der Summe – auch und gerade durch die Optionen von Phono- & DAC-Modul – ist der Audio Research aber klar überlegen, ein Charakter- aber auch ein Klassenunterschied.
Fazit Audio Research I/50
Die Farben auf der Oberfläche sind nur Farben. Das Design ebenso. Klar möchte Audio Research gern neue, womöglich “moderne” Konsumenten einfangen. Aber die alten Werte sind ungebrochen und unverhandelbar, auch im I/50. Was den Neuen so spannend macht, für all jene, die sich bislang weigerten, tief in das Portemonnaie zu greifen. Mit 6.500 Euro ist das der günstigste Verstärker der US-Amerikaner im Portfolio – perfekt eingepreist angesichts einer Fertigung in den Staaten und hoher Wertstabilität. OK, irgendwo aus den Fernen Asiens bekomme ich einen vergleichbaren Aufbau für weniger Geld. Aber auch diese analytischen Fülle und Finesse? Und vielleicht noch wichtiger: das gute Gefühl, eine moderne Legende einer alten, legendären Company im Rack zu haben?
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Äußerst feiner, offener und harmonischer Klang |
| Erfreulich hohe und stabile Leistung |
| Außergewöhnliches Design in sechs Farben |
| Phono MM und DAC/Bluetooth nachrüstbar |
Vertrieb:
Audio Components Vertriebs GmbH
Leverkusenstraße 3
22761 Hamburg
Tel.: 040 / 40 11 303 – 80
Fax: 040 / 40 11 303 – 70
www.audio-components.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Audio Research I/50: 6.500 Euro
Phonoboard MM: 890 Euro
Digitalboard: 1.790 Euro
Technische Daten
Audio Research I/50 | |
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Konzept: | Röhren-Vollverstärker (Push/Pull) |
Leistungsröhren-Bestückung: | Zwei gematchte 6550 pro Kanal |
Leistung: | 2 x 50 Watt (4 + 8 Ohm) |
Eingänge analog: | 2 x Cinch, 1 x XLR |
Ausgänge: | – |
Fernbedienung: | Metall |
Besonderheiten: | Phono (MM)- und Digitalboard (mit Bluetooth) nachrüstbar |
Farben: | Silber, Schwarz, Gelb, Grau, Blau, Rot |
Abmessungen (B x H x T): | 42,0 x 18,0 x 34,0 cm |
Gewicht: | 18,1 Kilo |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Doppeltest Röhrenverstärker: PrimaLuna EVO 100 & 200
Test Dynaudio Heritage Special: in der Tradition der großen Sondermodelle