Thesenpapiere haben schon Revolutionen ausgelöst. Doch vor 50 Jahren führte eines mit dem nüchternen Titel „Ein Verfahren zur Messung der transienten Intermodulationsverzerrung (TIM)“ nicht nur zu einer technischen Revolution im Verstärkerbau. Aus seinen Erkenntnissen ging auch ein international erfolgreiches Unternehmen hervor. Als der technisch versierte Musiker Per Abrahamsen 1973 im norwegischen Oslo gemeinsam mit dem norwegischen Rundfunkproduzenten Erik Børja seine Firma mit dem bezeichnenden Namen Electrocompaniet, Norwegisch für „Electro Company“, gründete, geschah das auf Basis der Aufsehen erregenden Studien zu Transient Intermodulation (TIM).
Damit bezeichneten die drei Autoren Eero Leininen, John Curl und dem dafür bekannt gewordenen Matti Otala eine neue Art von Verzerrungen, die sich mit konventionellen Methoden nicht nachweisen ließ. Bisher achteten Entwickler aus aller Welt bei der Konstruktion von Transistor-Verstärkern akribisch darauf, dass der nach im üblichen THD-Wert (Total Harmonic Distortion) zusammengefasste Klirrfaktor besonders niedrig lag. Gerade bei den traditionellen japanischen HiFi-Herstellern tobte damals ein erbitterter Kampf um die Anzahl der Nullen hinter dem Komma, auch wenn manchem dämmerte, dass sich damit Klang wohl eher unzureichend beschreiben ließe.
Electrocompaniet: The need for Speed
Der Ansatz von Otala und seinen Co-Autoren stellte dagegen Übertragungs-Bandbreite und Impulsverarbeitung in den Fokus. Diese Betrachtung fiel nicht nur beim US-Hersteller Harman/Kardon auf fruchtbaren Boden, wo er letztlich zur Konstruktion des legendären Low-Feedback-Verstärkers Harman/Kardon Citation XX führte, den Otala gemeinsam mit Mamoru Sekiya für die Amerikaner entwickelte. Auch Abrahamsen verwendete bei seiner Antwort auf die Entdeckung der TIM-Verzerrungen eine Konstruktion mit niedrigem negativem Feedback. Schließlich belegte Otalas Arbeit eindrucksvoll, wie negativ sich exzessive Gegenkopplung zur möglichst vollständigen Eliminierung nichtlinearer Verzerrungen auf die Slew-Rate (die Anstiegsrate) bei Impulsen auswirkt und den Klang verschlechtert. So entstand im hohen Norden der Vollverstärker „The 2 Channel Audio Amplifier“.
50 Jahre später blickt die Electrocompaniet nicht ohne Stolz auf ein umfangreiches Produktprogramm aus Vollverstärkern, Vorstufen, Endstufen, CD-Playern, Tunern und Streamern, die rund um den Globus mit Lob und Auszeichnungen aufgenommen wurden. Am Erfolg der Norweger konnten auch zwei Insolvenzen, ein Besitzerwechsel und das das damit verbundene Ausscheiden des Gründers Per Abrahamsen nichts ändern. Abrahamsen verstarb 2022, also 18 Jahre nach seinem Abgang im Alter von 78 Jahren.
Lob von allen Seiten
Besonders stolz sind die Norweger neben dem Titel „bester Verstärker der Welt“ auf die Erwähnung samt Logo auf den Covern von Michael Jacksons Alben “History” und “Invincible”. Der King of Pop bedankte sich damit öffentlichkeitswirksam bei der vergleichsweise kleinen Elektronik-Schmiede für deren Beitrag zum Entstehen der beiden Alben. Das kam so. Der Produzent Bruce Swedien verwendete Eletrocompaniet-Verstärker in seinem Masteringstudio., nachdem er einem Test der Amps aus Europa einwilligte. Sie wurden ihm im übergewichtigen Handgepäck in die USA gebracht. Und zwar ins Larrabee Studio on Lakershim Boulevard in Studio City in Los Angeles, um ganz genau zu sein.
Nach eigenem Höreindruck lässt sich der mit Jackson-Produzent Quincy Jones befreundete, röhren-affine Swedien zur Ansage hinreißen: “Dieser Verstärker hat mein Leben verändert.” Entsprechend seiner Überzeugung, den besten Transistor-Amp gefunden zu haben, produzierte der für “Dangerous” mit einem Grammy für das “Best Engineered Album” ausgezeichnete Tonmeister 1994 das Folgealbum “History” mit der nordischen Verstärker-Elektronik.
Um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen, wollte Bruce Swedien seine norwegischen Freunde gegen den Widerstand des Plattenlabels auf dem Albumcover verewigen. Wäre Jackson nicht im rechten Augenblick im Studio gewesen, wäre die Hommage an Swediens norwegische Freunde wohl ausgefallen. Doch der King of Pop sprach: “So muss es sein.” Damit verewigte Jackson Electrocompaniet AS, Per Abrahamsen, Nils B. Kvam und Trond Braaten auf einem der meistverkauften Alben der Welt.
Was die bereits erwähnte Auszeichnung „welt-bester Verstärker“ betrifft, zeichnet dafür das damals angesehene HiFi-Magazin „The Audio Critic“ nach einem Test des als „Otala-Verstärker“ bekannten 2 Channel Audio Ampflifier 1976 verantwortlich. Auch der deutsche Verstärker-Experte unter den HiFi-Testern, Johannes Maier, feierte regelmäßig die Konstruktionen von Electrocompaniet in der deutschen „stereoplay“. Hier ein kleiner Historien-Abriss in Bildern:
Preuss’ are us
Während die Electrocompaniet unter dem 1944 geborenen Abrahamsen eher ein typischer Familienbetrieb war, entwickelte sich das Unternehmen unter dem jetzigen Eigentümer Westcontrol zum breit aufgestellten Vollsortimenter, der mit der EC Living Serie sogar eine überzeugende Antwort auf das Thema Streaming-Aktiv-Lautsprecher hat. Die 2-Wege-Komapktboxen Tana L2 lassen sich mit dem wireless Subwoofer Sira L1 zu einem veritablen High-End-Audio-System mit geringstem Platzbedarf ausbauen.
Inzwischen sind die von goldenen, runden Tasten und der schwarzglänzender Glasfront geprägten Komponenten von Electrocompaniet modular aufgebaut. Das ermöglicht dem Team vom technischen Direktor Volker Hunger, flexibel auf Marktrends zu reagieren. Der 54-jährige Berliner stieß 1997 zum Unternehmen, was ihm im düsteren, regnerischen November in der Einsamkeit der Fjorde als Haupstadtbewohner einiges abverlangte.
Mittlerweile ist Hunger in seiner neuen Heimat angekommen und mit einer Berlinerin verheiratet, die er in Norwegen kennenlernte. Im Unternehmen bietet sich für ihn ein Traumjob für einen Audiophilen. So vertraut Electrocompaniet bei der Entwicklung neuer Komponenten nicht einfach nur auf Messwerte. Die Basis zum internationalen Erfolg sind systematische Hörtest-Reihen, bei denen immer wieder kleine, aber entscheidende Bauteile wie Kondensatoren mit unterschiedlichen Kapazitäten miteinander verglichen werden. Dabei übernimmt Hunger üblicherweise so etwas wie die Rolle eines Klang-Botschafters, während Geir Svihus, zuvor Ingenieur bei Westcontrol, für die Technik steht.
Der Elektronik-Experte kam am ersten Tag des Neustarts nach der Insolvenz im Jahre 2004 dazu und passt prächtig ins Team. Dabei kann es schon mal zu eigenwilligen Ergebnissen kommen, wie etwa während der Entwicklung der Endstufe AW 800. Volker Hunger: “100 Prozent Geir klingen eigentlich besser als 100 % Volker. Doch am Ende kamen 75% Hunger und 25% Svihus heraus.” Soll heißen, dem technischen Direktor war es wichtiger, die klassische Klangsignatur von Electrocompaniet beizubehalten, Geir wollte das Schaltungskonzept auch messtechnisch ans Limit bringen. Die in langen Hörtest- und Messreihen ermittelte Lösung klingt besonders musikalisch, aber auch präzise und gilt als erneuter Meilenstein in der Firmengeschichte.
Das sagt auch viel über das entspannte Arbeitsklima im hohen Norden aus. Und über die Ressourcen, die sich mit dem jetzigen Eigentümer, dem High-Tech-Unternehmen Westcontrol ergeben. Dahinter steht die Fertigung nach modernsten Maßstäben, am 2004 neu bezogenen Standort Tau bei Stavanger. Das macht Electrocompaniet besonders stolz, sogar eine Bestückung der Platinen im eigenen Haus zu haben.
Electrocompaniet Reloaded
Dabei hätte die fruchtbare Partnerschaft zwischen Electrocompaniet und Westcontrol schon um ein Haar 2018 mit der zweiten Insolvenz des HiFi-Unternehmens enden können. Die erste Insolvenz erfolgte noch zu Zeiten, als Per Abrahamsen die Geschicke der von ihm gegründeten Firma lenkte. Doch der zweite Neustart erfolgte innerhalb von 24 Stunden und Electrocompaniet blieb weiter unter der Ägide von Westcontrol.
Was zum Neustart mit Besitzer- und Standortwechsel im Schicksalsjahr 2004 führte, war nicht zuletzt die Technik-Fixierung des Gründers, der auch schon vor Electrocompaniet versuchte, PA-Lautsprecher zum Schnäppchenpreis anzubieten. Immerhin verdankt ihm die Electrocompaniet nicht nur ihr Entstehen. Nachdem sich Abrahamsen und Hunger auf einer Produktschulung kennengelernt hatten, riss der Kontakt nie ab. Hunger arbeitete damals an der Seite des heutigen Importeurs Matthias Roth (MRW Audio) noch für den deutschen Celestion-Vertrieb, der neben KEF auch Electrocompaniet im Programm hatte. Der Kontakt blieb bestehen, bis ihn sein Mentor (Hunger über Abrahamsen) schließlich vor fast 25 Jahren nach Norwegen in die Firma holte, wo sich der Berliner Auswanderer bis heute pudelwohl fühlt.
Allen Neustarts zum Trotz tut sich Electrocompaniet durch eine außergewöhnliche Kontinuität hervor. So blickt der CD-Player EMC 1 auf eine 22-jährige Bauzeit zurück. Der Klassiker wurde seit 2001 immer wieder modernisiert. Das liegt nicht nur an Performance-Steigerungen wie bei der aktuellen Limited Edition mit Unterschrift von Volker Hunger auf dem Signet. Der Evergreen überlebte im Laufe seiner Karriere schlicht auch zahlreiche Laufwerke. So erfolgte in der neuesten MK V Special Edition der Wechsel von Philips auf einen Treibsatz von StreamUnlimited. Wie die Norweger ticken, zeigt auch ihre Kontinuität im Vertrieb: Matthias Roth betreut Electrocompaniet in Deutschland schon seit 1994. Da dürfte es nur wenige Beispiele einer ähnlich langen Zusammenarbeit geben.
„Weiße Ware“ – die Fans sahen Schwarz
Einmal traute sich Electrocompaniet, mit der Tradition zu brechen. Obgleich sie aus Sicht mancher, der Autor dieser Zeilen eingeschlossen, sehr cool und modern aussahen, hielt sich die Begeisterung der Fangemeinde für die ganz in Weiß gekleideten Komponenten in Grenzen. Offensichtlich hängt die Identifikation mit der Marke wie bei Burmester weniger am Logo oder der ausgeklügelten Technik. In besonderem Maße zählt bei Markentreuen auch das markante Design. Dank der modularen Bauweise dürften wir aber in Zukunft zahlreiche Neukreationen mit den Funktionen mehrerer Einzelkomponenten in einem gemeinsamen Gehäuse sehen.
Als ersten Baustein einer neuen Zeit könnte man den Endstufenblock AW 800 sehen. Das Team aus Geir Svihus und Volker Hunger wollte anfangs zwar nur die AW 600 Nemo weiterentwickeln. Aber mit der Auseinandersetzung und der Forschung, mit neu gefundenen technischen Lösungen, entstand sozusagen das “next Level”. Dass Hunger dabei immer die Electrocompaniet-DNA im Ohr behielt, versteht sich von selbst. Und so wird diese extrem laststabile Endstufe wieder einmal Maßstäbe in ihrer Zeit setzen. Wir können diese Sätze mit Gewissheit schreiben, weil wir gleich zwei der AW 800 für mehrere Wochen im Hörraum hatten. Der Test folgt natürlich auf dem Fuße…
Mit der AW 800 entwickelten sich zudem neue Produktionsabläufe, sodass auch AW-800-Derivate wie die bald kommende, kleinere Endstufe AW 300, sich mit noch vertretbarem Zeit- und Kostenaufwand realisieren lassen. Das sichert Wettbewerbsfähigkeit.
Um die Zukunft des Traditionalisten, der mit seinem knappen Programm faszinierender Audiotechnik wieder vollständig zu sich gefunden hat und von passionierten Menschen nicht nur be-, sondern auch vertrieben wird, ist mir nicht bange. In einer HiFi-Welt, in der gerade so starke Verschiebungen stattfinden, ist so viel Kontinuität wohltuend. Bleibt für die nächsten 50 Jahre der bewegten Erfolgsgeschichte nur zu hoffen, dass sich außerhalb der norwegischen Heimat auch die korrekte Aussprache des modular zusammengesetzten Firrmennames durchsetzt: Electrocompaniet bedeutet nicht nur so viel wie Electro Company – es wird auch genauso ausgesprochen.