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Sanyo RD-XM1 Front
Weltkleinstes Frontlader-Tape-Deck für Microcassetten: Sanyo RD-XM1 Baujahr 1981 (Foto: J. Schröder)

HiFi bizarr: Micro Tapedeck Sanyo RD-XM1

Man schrieb das Jahr 1981: Ronald Reagan wurde Präsident der Vereinigten Staaten, während sich in Europa die Friedensbewegung konstituierte. U2 schickte sich an, von einer Indie-Band zu einem international bekannten Act zu mutieren und The Police veröffentlichten ihr viertes Album „Ghost In The Machine“.

Die digitale Audiotechnik steckte noch in den Kinderschuhen, während die CompactCassette weltweit zum Tonträger Nummer 1 aufstieg. Auch in anspruchsvollen HiFi-Kreisen erfreute sie sich wachsender Beliebtheit – nicht zuletzt durch effiziente Rauschunterdrückungssysteme.

Den nachhaltigsten Qualitätsschub erfuhr die CompactCassette jedoch durch eine neue Technologie – dem Aufbringen von echten Metall- anstelle von Eisen- oder Chromdioxid-Partikeln als magnetischer Schicht: Das Reineisen- oder Metal-Tape war geboren.

Das brachte nicht nur immense Verbesserungen in Sachen Dynamik; auch die Höhenaussteuerbarkeit – ein besonders kritischer Punkt bei Magnetbändern – nahm deutlich zu, was klaren Klang auch bei hochtonintensiver Musik ermöglichte. Die Reineisen-Tapes besaßen in der Tat derart gute Eigenschaften, dass die meisten der damaligen Recorder sie nicht mal annähernd ausreizen konnten.

Die Microcassette wird HiFi-tauglich

Kaum war das Reineisenband verfügbar, dachte man in den Entwicklungsabteilungen der Band- und Recorder-Hersteller bereits darüber nach, welche anderen Einsatzmöglichkeiten sich mit dieser Technologie eröffneten.

Denkbar waren nicht nur CC-Recorder mit halbierter Bandgeschwindigkeit (2,38 cm/s), was doppelte Spielzeiten ergab; Möglich war es nun auch, die putzige, ursprünglich für Diktiergeräte entwickelte Microcassette mit Reineisenpigment-Beschichtung für HiFi-Zwecke zu nutzen.

compact-vs-microcassette
Gegenüber einer Standard-CompactCassette (hinten) fällt die für Diktiergeräte entwickelte Microcassette exakt viermal kleiner aus. Man glaubt kaum, dass dort fast 43 Meter Tonband von 3,81 Millimetern Breite hineinpassen, was für immerhin 2 x 30 Minuten Spielzeit reicht. (Foto: J. Schröder)

Genau diesen Weg schlug der 1981 vorgestellte Sanyo RD-XM1 ein: Er verwendet als Tonträger die gegenüber der CompactCassette rund viermal kleinere Microcassette.

Sanyo RD-XM1: Weltkleinster Cassetten-Frontlader

Im gleichen Ausmaß schrumpften, verglichen mit herkömmlichen Tapedecks, auch seine äußeren Abmessungen – das allerdings bei annähernd gleichem Gewicht von 4 Kilogramm: Die kommen nicht von ungefähr, besticht doch der Sanyo nicht nur durch mechanisch ungewöhnlich soliden Aufbau, sondern zeigt sich auch noch bis unters Dach vollgepackt mit hochwertiger Technik.

Sanyo RD-XM1 innen mit Transformator
Beim Blick ins Innere fällt sofort der vergleichsweise riesige Transformator auf. Links daneben die auf zwei Ebenen angeordnete Elektronik. (Foto: J. Schröder)

Die ist auch dringend nötig, denn bei der Bandgeschwindigkeit von rund 2,4 cm/s einen HiFi-gerechten Übertragungsfrequenzgang zu erzielen, stellt eine echte Herausforderung dar: Immerhin darf beispielsweise der Tonkopfspalt im Vergleich zu einem herkömmlichen CC-Recorder nur noch halb so breit ausfallen.

Überhaupt muss das gesamte Laufwerk allerhöchste Präzision erfüllen, um auch langfristig die Senkrechtstellung des Tonkopfes (Azimut) einzuhalten. Daher wundert es nicht, dass Sanyo hierfür formstabile Druckguss-Teile einsetzte: Die ermöglichen zudem gute Wärmeabfuhr von Ton- und Löschkopf, was speziell beim Betrieb mit Reineisenbändern nicht unwichtig ist.

Sanyo RD-XM1Laufwerk von oben
So etwas schaffen nur Japaner: Beim Blick in den Cassettenschacht erkennt man sofort die überdurchschnittliche Qualität der Laufwerkseinheit. In der linken Bildhälfte zu sehen sind Capstanwelle, Gummiandruckrolle und der Sendust-Aufnahme-Wiedergabekopf. Der Löschkopf befindet sich in der Mitte. (Foto: J. Schröder).

Wie seine großen CompactCassetten-Brüder arbeitet auch der Sanyo RD-XM1 als echter Frontlader mit einem 2-Motoren-Laufwerk: Der eine treibt riemengetrieben die Tonwelle (Capstan) an, der zweite übernimmt das schnelle Umspulen sowie das Aufwickeln des Bandes beim Aufnehmen und Wiedergeben.

Ein kräftiger Hubmagnet fährt beim Drücken der Play-Taste den Kopfschlitten mit sattem „Klack“ ans Band. Auffälligster Unterschied zu herkömmlichen Recordern: Die Bandlaufrichtung beim Aufnehmen und Wiedergeben erfolgt beim RD-XM1 von rechts nach links.

Wie Magnetband-Experten schon vermuten, ist bei solchen Präzisionsansprüchen an Autoreverse-Betrieb nicht zu denken: Die Microcassette will beim RD-XM1 also manuell gewendet werden; eine MC-60 reicht dabei für 2 x 30 Minuten Spielzeit.

Sanyo RD-XM1 Llaufwerk 2
Die Laufwerkseinheit von oben betrachtet: Im Blickpunkt der Hubmagnet, der den Kopfschlitten ans Band bewegt. Rechts daneben der winzige Aufwickelmotor zum Antrieb der Cassettenspindeln. Der Capstan-Motor befindet sich im Untergeschoss (Foto: J. Schröder)

Selbstverständlich arbeitet der schnuckelige Sanyo zur Verbesserung der Dynamik mit einem Dolby-B-Rauschunterdrückungssystem. Und nicht nur das: Zur Verbesserung der Höhenaussteuerbarkeit enthält er sogar den von Bang & Olufsen entwickelten HX- (Headroom Extension-) Schaltkreis, der den Vormagnetisierungsstrom (Bias) beim Aufnehmen abhängig vom Hochtonsignal anpasst.

Dahinter steckt die Tatsache, dass sich hohe Frequenzen quasi selbst vormagnetisieren, sodass sich bei statischer Vormagnetisierung und starkem Hochtonpegel ein zu hoher Arbeitspunkt einstellt. HX wurde daher auch bei professionellen Bandmaschinen eingesetzt.  Sehr hilfreich fürs richtige Aussteuern mit dem Sanyo ist auch die sehr flinke, 12-teilige LED-Aufnahmepegel-Anzeige.

Der Klang des Sanyo RD-XM1: Überraschend gut

Angesichts der physikalischen Größenordnungen, in denen der Sanyo arbeitet, ist seine Performance auch heute noch fürwahr beachtlich: Bei sorgfältigem Einmessen (was dank seiner vielfältigen und gut zugänglichen Justagemöglichkeiten recht gut klappt) reicht sein Frequenzgang mit Reineisen-Tapes – erstaunlich weit – bis 15 Kilohertz, wobei der Rauschabstand mit aktiviertem Dolby bei etwa 55 Dezibel liegt.

Gemessen an guten Compact-Cassetten-Decks klingt der RD-XM1 ein wenig unruhiger und dynamisch gebremster, aber dennoch sehr ordentlich.

Allerdings blieb der Sanyo RD-XM1 trotz seiner exzellenten Technik-Gene ein echter Exot – Sony, Aiwa und JVC mischten beim Thema Reineisen-taugliche Microcassetten-Recorder zwar ebenfalls mit, doch war diesem Tonformat letztendlich kein Erfolg beschieden.

Die Spielzeit war einfach zu knapp, und dank dem sich allmählich etablierenden Rauschunterdrückungssystem Dolby C erreichten CompactCassetten-Decks auch ohne Reineisen-Tapes ausreichend gute Höhendynamik.

Der Titel „Weltkleinster Cassetten-Frontlader“ steht dem Sanyo RD-XM1 aber unbestritten zu – schon allein deshalb haben Magnetband-Fans ihn in bester Erinnerung, zumal er nur noch äußerst selten anzutreffen ist.

 

Sanyo RD-XM1 von vorne
Aus der Nähe betrachtet, sieht der Sanyo RD-XM1 aus wie ein erwachsenes Tape-Deck für CompactCassetten. Zur Laufwerkssteuerung lässt sich sogar eine kabelgebundene Fernbedienung anschließen. (Foto: J. Schröder)
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Autor: Jürgen Schröder

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Toningenieur, R&D-Spezialist und das (mess-)technische Gewissen von LowBeats. Kümmert sich am liebsten um Wissens-Themen, Musik und den spannenden Bereich zwischen Studio und HiFi.