Ein Klassiker trumpft – wieder einmal – auf: Jackson Browne zählt seit einem halben Jahrhundert zu den renommiertesten Singer-Songwritern der Westcoast-Riege. Der gebürtige Heidelberger hat sich über all die Jahre zudem stets politisch engagiert und kulturelle Brücken geschlagen. Sein neues Album setzt diese Reihe bravourös fort. Jackson Browne Downhill From Everywhere ist deshalb unser Album der Woche.
Ein Könner. Ein Macher. Einer, der den Ton trifft – mit politisch ambitionierten Texten, aber auch mit viel Emphase und Sensibilität für die weniger sonnigen Seiten des Lebens, denen er gerne mit einem feinen Duft von bittersüßer Melancholie Aufmerksamkeit zollt.
Klasse Alben wie „Late For The Sky“ oder auch die unterschätzten Werke von 1980 und 1983 wie „Hold Out“ und „Lawyers In Love“ füllen das Westcoast-Songbook von Jackson Browne beeindruckend. Und natürlich eines der außergewöhnlichsten Live-Alben ever: „Running On Empty“ (1977), eingespielt in diversen Situationen und Orten auf Tour – Backstage mit dem fantastischen Stimmen-Piano-Dialog („Rosie“), im Continental Silver Eagle Tourbus („Nothing But Time“) oder im Hotelzimmer mit einem knödelnd fabulierenden, scheinbar leicht angesäuseltem – oder bekifften – David Lindley („Cocaine“). Was HiFi-Fans stets freute: Die Klangqualität von Jackson Brownes Alben hielt über die Dekaden hohe Niveaus – das verleiht den Songs nochmal eine extra Brise Ästhetik unter den Flügeln.
1948 in Heidelberg geboren als Sohn eines US-Armee-Bediensteten, wuchs Jackson in der Nähe des mexikanischen Viertels von Los Angeles auf, später dann im damals eher biederen Orange County wo er mit 16 genervt von der Schule nach New York abhaute – und im Greenwich Village junge aufstrebende MusikerInnen wie Nico oder Velvet Underground traf sowie bei Elektra Records anheuerte. Von diesem Outbreak handelt übrigens sein 96er Song „Barricades of Heaven“.
Damals sprach ich mit Jackson während eines Interview-Termins im Hamburger Hotel Atlantic. Ein freundlich, hell lächelnder Mensch sprach nicht nur über sein Album „Looking East“, sondern auch über seine Youngster-Zeit und sein Verhältnis zu David Geffen: Der damalige Agent und spätere Musik- und Filmmogul (heute rund sieben Milliarden Dollar schwer) hatte einen Riecher und ein Händchen für das Potenzial junger MusikerInnen. Zu seiner Klientel zählten neben Browne auch Joni Mitchell, Linda Ronstadt und eine Band namens The Eagles. Eine famose Zeit, die beseelt war von Ausprobieren, Aufbruchstimmung und endlosen Konzerttourneen. In Kalifornien schließlich fand Jackson schließlich zu seinem Stil: Kraftvoll-melancholisch angehaucht Songs, gefüttert mit zartbitterer Lyrik. Gitarre und Piano, Drums, Bass mehrstimmige, sonnig-reife Refrains – und dennoch dieser Touch gelassene Leichtigkeit.
Wahre Musik handelt vom Leben, so sein Credo. Er erzählt lieber über Politik und gesellschaftliche Verwerfungen, als dass er sie mit dem erhobenen Zeigefinger anklagt. Über die US-Außenpolitik in Lateinamerika, über Atomkraft, über die Flüchtlings- oder Einwanderungspolitik oder Umweltverschmutzung. Und er handelt. Mit Benefizkonzerten oder Spendenaufrufen wie beim legendären Konzert „No Nukes“ 1979 in New York gegen Atomkraft. Und so wundert es nicht, dass der mittlerweile 72-Jährige immer noch nicht müde ist in dieser Rolle. Das ist gut so. Andere Musiker wie beispielsweise die schwedische Singer-Songwriterin Anna Ternheim halten sich bewusst raus aus dem Politikzirkus und fokussieren lieber emotionale Themen (siehe auch Interview auf LowBeats.de. Clyde Jackson Browne ist zudem Mitglied der Rock’n’Roll Hall Of Fame und zählt in den Augen des Rolling Stone zu den Top-Singer-Songwritern dieses Planeten. Allein seine ersten fünf Alben, darunter „Late For The Sky“ und „The Pretender“ gelten als beinahe heilige Instanz des Westcoast-Genres.
„This is my sister Rosemary!!!“ plärrte es von der Rücksitzbank des beigen Mercedes 240D. Wir befinden uns in der Rückblende im Bamberg Anfang der 80er Jahre, als ich neben dem Nachhol-Abitur nachts als Taxifahrer jobbte. Natürlich mit Cassetten im Autoradio, aufgenommen von einem Dual CS721 Direkttriebler, dem wenig später ein Micro Seiki DQX 500 folgen sollte.
„The Load Out / Stay“ lief. Hinten saßen zwei US-Soldaten, die nach einem nächtlichen Ausflug in die Stadt wieder in die Kaserne mussten. Und einer von den leicht angesäuselten Jungs meinte lautstark, dass er der Bruder von Background-Sängerin Rosemary Butler sei. Wahr oder nicht, jedenfalls knöpfte ich mir danach sämtliche Browne-Alben vor – und wurde beseelt von seiner Art Musik zu machen.
Sein jüngstes Album nährt sich immer noch aus dieser eigenständig-schöpferischen Kraft. Stärker als auf den Vorgängerwerken schüttelt Browne wieder einige Perlen aus dem Notenblatt: Fein konstruiert, scheinbar einfach strukturiert – aber in der Summe kleine Gesamtkunstwerke, die von der typisch Brownschen Westtoast-Welle getragen werden. Das muss man erstmal draufhaben, über fünf Dekaden hinweg ein hohes Niveau zu halten. Ein Elton John hat das nicht geschafft, mit Verlaub.
Die Musik von Jackson Browne Downhill From Everywhere
Groove Masters ist ein halbprivates Tonstudio von Jackson Browne. Es liegt in Santa Monica, 1415 Colorado Ave, einem Ortsteil von L.A., einen guten Steinwurf vom Pazifik. Es war Schauplatz vieler seiner Aufnahmen. Chef-Toningenieur ist der Grammy-nominierte Paul Dieter. Rein dürfen am liebsten Kumpels wie David Crosby – der übrigens gerade ebenfalls ein neues Album veröffentlicht hat.
Die Songs entstanden über größere Zeiträume hinweg und differieren wohl daher etwas im Klang. „Still Looking For Something“ wirkt im Vergleich mit den übrigen Stücken einen Tick blasser. Songs wie „Minutes To Downtown“ oder „Human Touch“ oder der Titeltrack strahlen stärker und beeindrucken wie die übrigen Stücke mit schöner Auflösung, Klangfarben und Tieftondruck.
Am nahen Santa Monica Pier hat Fotograf Nels Israelson offensichtlich auch die Cover-Innenfotos des neuen Albums geschossen, der Browne bereits früher schon vor der Linse hatte. Ein nettes Plätzchen, wo gerne mal Interviews gemacht oder Filmszenen abgenudelt werden. Und wo das California Dreaming mit dem Palmen-besäumten Highway Number One gen Norden parallel den Verlauf der Meeresküste verfolgt.
Schön: bei den meisten neuen Songs begleiten Backgroundvocals den Meister – harmonisch, gediegen im besten Westcoast-Stil. Ebenso fein: Ein Teil seiner alten musikalischen Weggefährten mischen wieder mit, darunter Bob Glaub am Bass („Still Looking For Something“, „Minutes To Downtown“, „Love Is Love“, „Downhill From Everywhere“, „Until Justice Is Real“), Russ Kunkel an den Drums („Minutes To Downtown“, „A Little Soon To Say“, „A Song For Barcelona“) oder Waddy Wachtel an der E-Gitarre auf „Until Justice Is Real“. Aber auch andere, jüngere KollegInnen wie Multiinstrumentalist Jason Crosby (Bruce Springsteen, Carlos Santana, Pete Seeger) sind mit im Boot. Und die wunderbare Singer-Songwriterin Leslie Mendelson.
Die Single-Auskopplung „My Clevelan Heart“ gefällt mit zackig gepeitschten Drums und treibendem Rock-Rhythmus sowie einer jubilierenden Lap-Steel-Guitar von Greg Leisz. „Minutes To Downtown“ kommt als typischer Browne-Sound daher, gepusht mit veritablem E-Gitarrensoli und wärmenden Flirren der Hammondorgel. Schön: Russ Kunkel (Drums) und Bob Glaub (Bass) mischen heftig mit, die Sängerinnen Chavonne Stewart und Alethea Mills setzen feine Stimmakzente.
Minutes slip away, minutes become days
Minutes to Downtown, minutes tot he Coast Highway
And I’m out on this freeway, still plotting my getaway
Don’t know how I’m still in LA
Der nachdenklich stimmende Song „A Human Touch“ ist ebenso wie der Titelsong bereits vor einigen Monaten erschienen. Ursprünglich wollte Browne das Album ja bereits 2020 veröffentlichen.
Kongeniale Duett-Partnerin ist Singer-Songwriterin Leslie Mendelson – die übrigens auch eigene feine Alben veröffentlicht hat. Es geht um die fragile Schönheit des Lebens – und dessen manchmal allzu schnelle Vergänglichkeit. Den Link zum Video gibt es unten.
Everybody wants a holiday
Everybody wants to feel the sun
Get outside and ran around
Live like they’re forever young
Everybody wants tob e beautiful
And live life their own way
No one ever wants to let it go
No matter what they do or say
„Love Is Love“ fand es bereits auf die 2019 erschienen Haiti-Kollaboration „Let The Rhythm Lead“, ein überaus gechillter Sunny-Island-Song. „Downhill From Everywhere“ beeindruckt mit 5:45 Minuten Kurzweil: Im Stil von „Barricades of Heaven“ dominiert pulsierender Drive, mehrstimmige soulige Vocals, cool strahlend und schön aufgefächert, umrahmt von fein jauchzenden E-Gitarren.
Do you think oft he ocean as yours?
Because you need the ocean to breathe
Every second breath you take is coming from the sea
And we don’t really know, because we dont’ really see
Do you think oft he ocean as yours?
Do you think about it at all?
Bei „The Dreamer“ geht’s um Menschen, die ihre Heimat verlassen (müssen), um ein neues, besseres Leben zu wagen – mit spanischem Timbre, für das Browne bereits früher ein Herz hatte, zum Beispiel auf „The Pretender“ und dem Song „Linda Paloma“ vom November 1976. Oder mit „Lawless Avenues“ vom Album „Lives In The Balance“ von 1986. „Until Justice Is Real“ rockt und geht ab, auch dank Altmeister Waddy Wachtel an der singenden elektrischen Gitarre wie er sie 1983 auf „Lawyers In Love“ schon spielte. Klasse! “A Little Soon To Say“ fokussiert die ruhige Note, nachdenklich und besinnlich, mit gediegen getupfter Hammond-Orgel.
Zum Ausklang gibt’s noch eine Überraschung: Einen achtminütigen Song, eine Hommage an Barcelona – „A Song For Barcelona“, getränkt von der Dankbarkeit (wieder) Leben zu spüren und gleichzeitig vorbereitet zu sein, alles hinter sich zu lassen. Zumindest so, wie es mal war. Das sind Zeilen, die man als 72-Jähriger weise wohl gut schreiben kann.
Unterm Strich ein gehaltvolles Album, für das Jackson Browne nochmal tief aus seiner vielfarbig schillernden Kreativquelle schöpfen konnte. Ein reifes Alterswerk? Ja, aber hoffentlich nicht das letzte.
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
Videoclips:
Der Live-Klassiker „Running On Empty“ als „Official Video Montage“ mit Fotos vom ehemaligen Tour-Fotograf Joel Bernstein
„A Human Touch“, Duett mit Leslie Mendelson
Single „My Cleveland Heart“ in der Home-Studio-Version