Manche Dinge sind ja so naheliegend, dass sie immer jemand anderem einfallen müssen, bevor man selbst darauf kommt. Etwa beim Thema Wiedergabequalität. Im Wettkampf um den originalgetreusten Klang neben dem Original taucht unverhofft ein alter Begleiter aus fast vergessenen HiFi-Zeiten wieder auf: Das Tonband. Wohlbemerkt, wir sprechen hier (noch) nicht von Hardware, also einer Bandmaschine in Neuauflage (die folgt weiter unten), sondern von der Wiederentdeckung der magnetischen Aufzeichnung als Originalmaterial, dem Mastertape. Denn vor dem Schneidstichel, der die Schallrillen in die Aufnahmeplatte schneidet, kommt das Tonband zum Einsatz. Wenn es also darum geht, bei einer analogen Wiedergabekette näher am Original zu sein, führt eigentlich kein Weg am Mastertape vorbei.
1:1 Kopien vom Mastertape lautet die Formel zur analogen Glückseligkeit. Wer jetzt einwirft und meint, dass es das schon mal gegeben hat, hat Recht, leider ist ausgerechnet der „Revox Musicstore“ nicht mehr aktiv. Dafür haben die Amerikaner den Markt für sich (wieder) entdeckt. Dan Schmalle, Geschäftsführer von „bottlehead“, einem Do-it-yourself-Röhrenamp-Hersteller, hat mit Paul Stubblebine und Michael Romanowski das „Tape Project“ ins Leben gerufen. Unter https://tapeproject.com/ werden nagelneue Kopien von Mastertonbändern unter anderem von John Lee Hooker, George Shearing, oder rare Mozart Klavierkonzerte mit dem Pianisten Eugene Istomin, angeboten. Letztere Aufnahme, Mozarts gemeinsam mit dem Seattle Symphony Orchestra eingespieltes Klavierkonzert KV 24, ist besonders erwähnenswert, denn die Referenzkopie wurde mit dem gleichen Typ Bandmaschine erstellt, welche einst auch das Original aufzeichnete.
Die Mastertape Preise haben es erwartungsgemäß in sich, 450 Dollar pro Werk sind Standard. Trotzdem ist die Nachfrage nach Mastertape Kopien groß, fast alle der 26 Neuauflagen sind ausverkauft. Die Macher vom Tape Project scheuen tatsächlich weder Mühen noch Kosten, um so nah wie möglich am Original zu bleiben. Das Tape Project setzt beim Kopieren auf edelste Bandmaschinen im besten Zustand. So etwa die legendäre RS-1500 Baureihe von Technics, der auch unter Revox-Fans höchste Anerkennung zukommt. Profi-Maschinen sind selbstverständlich auch im Studio, so etwa die Ampex ATR-102. Ampex genoss in den USA einen Ruf wie hierzulande die Bandmaschinen von AEG/Telefunken und wurde mehr als oft für Studioaufnahmen verwendet. Dan Schmalle, der in diesem Frühjahr in den Ruhestand ging, ist überzeugter Tonband-Fan und zieht den Klang dem von CD oder sogar Vinyl vor.
Ein Problem bleibt jedoch: Woher die Tonbandmaschinen bekommen? Die letzten neuen Geräte wurden in den 1980er-Jahren hergestellt. Das einstige Projekt von „Horch House“ mit Sitz in der Slowakei, auf Basis des Studer B-676 wieder ein neues Tonbandgerät auf den Markt zu bringen, scheint jedenfalls gestorben zu sein. Die Seite des bereits für Sommer 2017 angekündigten „r2r“ ist nicht mehr erreichbar und auch sonst sind keine Informationen verzeichnet. Was es aber gibt, sind Kopien vom Mastertape. Horch verwendet nach eigenen Angaben ausschließlich Studer Bandmaschinen vom Typ A807 oder A80R und zeichnet auf Studer Bandmaterial SM-468 auf. Die Preise sind ähnlich wie die vom Tape Project: zwei RTM SM468 Tapes auf 10,5 Zoll Metall-Spulen kosten 398,- Euro.
Glücklicherweise haben auch Hardwarehersteller die Freude am analogen Sound neu für sich entdeckt. Die Düsseldorfer Firma Ballfinger (www.ballfinger.de) wird auf den Deutschen HiFi Tagen in Darmstadt (deutsche-hifi-tage.com; 21./22. Oktober 2017) eine neue Bandmaschine mit Direktantrieb vorstellen. Erste Geräte sollen wahrscheinlich noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. „Die Maschine ist eine komplette Neukonstruktion“, wie Firmeninhaber Roland Schneider gegenüber LowBeats sagte. Bilder liegen leider noch nicht vor, nach Schneiders Aussagen wird das fertige Modell dem Prototypen M063 aber ähnlich sein.
Technisch wird das Teil ein Leckerbissen, nicht nur für Mastertape Fans. Das für den professionellen Einsatz gedachte Gerät wartet unter anderem mit direkt angetriebenen, bürstenlosen Gleichstrom-Scheibenläufermotoren auf. Alle Motoren liegen direkt auf der Antriebsachse. Ausgeleierte Riemen? Kein Thema mehr! Nach dem Druck auf den Startknopf dauert es 0,5 Sekunden, bis der erste Ton zu hören ist. Zudem ist der Antrieb Servo-gesteuert, was den einen oder anderen ein sattes Klacken vermissen lassen wird, jedoch für flüsterleisen Betrieb sorgt. Die Bremse, der Kopfblock für Aufnahme und Wiedergabe und die Andruckrolle gehorchen kleinen Elektromotoren, die mit sanftem Druck geräuscharm den mechanischen Betrieb in Schach halten. Aber auch Bewährtes wird eingesetzt, so etwa ein Alu-Druckgusschassis. Ein Material, das einst schon etwa bei Uher-, Grundig- oder Studer-Maschinen für Verwindungssteifheit sorgte.
Das in Düsseldorf gefertigte Stereogerät wird Bandgeschwindigkeiten bis 38 Zentimeter pro Sekunde unterstützen, der Preis soll laut Roland Schneider bei 27.900 Euro liegen. Somit passt der Einstandspreis dann irgendwie auch zu denen der Mastertape Kopien. Doch Schneider verriet uns, dass noch mehr Hersteller an neuen Tonbandgeräten arbeiten sollen, wer das ist, wollte er nicht verraten. Schade eigentlich. Aber wir bleiben dran.
Weitere Informationen zu den neuen Tonbandgeräten unter tapeproject.com und unter www.ballfinger.de
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