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Nelson Pass Beitrag Aufmacherbild
Nelson Pass ist der bekannteste Verstärker-Entwickler der Welt. In einer Fragestunde auf Reddit stellt er sich den Fragen der HiFi-Gemeinde

Nelson Pass: die Entwickler-Ikone redet Klartext

„Das Ohr des Kunden hat immer Recht.“ Der Mann, den wir mit diesem Satz zitieren, ist kein Handelsvertreter für Günstig-Audio, sondern die größte noch lebende Entwickler-Ikone im High End. Nelson Pass war Entwickler bei ESS, bei Threshold, bei Adcom und gründete 1991 die Pass Labs, eine der angesehensten High-End Manufakturen weltweit. Heißt: der Mann weiß über HiFi-Elektronik so gut wie ALLES. Und was Nelson Pass auszeichnet: Der überhaupt nicht eitle Sympathieträger, der langsam auf die 70 zugeht (Jahrgang 1951) lässt andere an seinem Wissen teilhaben – vor allem auf seiner Selbstbau-Website PassDiy.

Ich bin Nelson Pass – fragt mich alles. Reddit AMA vom 19. Juli 2018 bei /r/diysound

Zusätzlich stand Nelson Pass im Sommer diesen Jahres Rede & Antwort auf der in Amerika sehr populären Social Media Plattform Reddit. Dort gibt es das spannende Format AMA (Ask Me Anything), wo unter anderem auch schon ein gewisser Barack Obama Fragen beantwortete. Das Besondere am AMA-Slot: Jede Frage ist erlaubt und die Frager bleiben anonym. Den AMA-Slot von Nelson Pass haben wir hier übersetzt, weil er ihn so schön charakterisiert. Und weil er auch in dieser Stunde stets den ihm eigenen Humor bewahrt…

Nelson Pass beschreibt sich selbst wie folgt:

„Ich entwickle seit etwa 50 Jahren Audio-Komponenten, eine Tätigkeit, die ich noch immer sehr genieße. Meinen ersten Gehaltscheck erhielt ich 1972, als ich in der Entwicklungsabteilung von ESS arbeitete, die Firma, die später den berühmten AMT-Hochtöner von Oskar Heil auf den Markt brachte. Mein erster kommerzieller Verstärker erschien 1975, der Threshold 800A.

 

Nelson Pass – Theshold 800A
Einer seiner ersten Geniestreiche: der Threshold 800A

Die neuesten Verstärker von mir sind der XA25 von Pass Labs und der SIT-3 von First Watt. Im Laufe der Jahre habe ich etwa 30 Produkte für Threshold, 8 für Adcom und 15 für First Watt entwickelt. Darüber hinaus verfasste ich um die 80 Artikel zum Thema Do-it-Yourself. Ich bin noch lange nicht am Ende, also legt los und fragt mich alles…“

Und das taten sie ausgiebig. Wir veröffentlichen hier einen übersetzten Auszug aus der AMA-Aktion mit Nelson Pass auf Reddit vom Sommer 2018. Wir haben die relevanten Fragen herausgefiltert sowie zum Teil sprachlich geglättet und sinngemäß übersetzt, da durch den Chat-ähnlichen Verlauf in Echtzeit eines AMA leicht Tipp- und/oder Verständnisfehler entstehen können. Von daher ist das Ganze ohne Gewähr, dafür mit viel Leidenschaft übersetzt worden. Wer des Englischen fließend mächtig ist, findet den Original-Thread hier.

Mr. Pass, ich bin Ingenieur der Elektrotechnik und liebe es, Verstärker zu konstruieren. Können Sie ein bisschen davon erzählen, wie Sie es geschafft haben, hauptberuflich in diesem Job zu arbeiten? Wie war Ihr Weg dorthin und was würden Sie jemandem raten, der selbst ein Audio-Unternehmen gründen will?

Die zwei wichtigsten Eigenschaften hast du ja schon. Bei mir war es so, dass ich Geld brauchte, um die letzten zwei Jahre meines Physikstudiums an der Universität von Davis zu finanzieren. Meine Stelle als technischer Assistent und die Arbeit in einer Konservenfabrik brachten es nicht. Doch dann hatte ich das Glück, Peter Werback (späterer Gründer von Linear Power, Anm. d. Red.) als Freund zu haben, der bereits Verstärker konstruierte und schließlich einen Job bei ESS bekam. Er stellte mich den Leuten dort vor und tatsächlich boten sie auch mir einen Job an, der gut bezahlt wurde. Das machte ich die ganze Studienzeit über und nach meinem Abschluss hatte ich bereits eine gute Perspektive. Ich war also ein schlaues Kerlchen mit einer Portion Glück. Nachdem auch du intelligent bist, rate ich dir, dran zu bleiben. Um es mit Worten von Joseph Campbell auszudrücken: „Es werden sich Türen öffnen, von denen du vorher nicht wusstest, dass sie da sind.“

Was halten Sie von der Verwendung von Operationsverstärkern? Ich habe eine Menge Gespräche verfolgt, die diesen Bauteilen wundersame Eigenschaften zuschreiben. Allerdinges glaube ich, dass es in der Audio-Branche übliche Praxis ist, exotische und übermäßig komplizierte Technologien zu fördern …

Ich habe keine Probleme mit Operationsverstärkern und baue sie gelegentlich aus diskreten Transistoren auf (ja, ich kann das). Ich nehme jedoch an, dass Sie IC-Operationsverstärker meinen. Richtig gemacht, sind sie sehr präzise und günstig herzustellen. Wenn es das ist, was Sie von einem Verstärker erwarten, dann sind Sie hier richtig. Trotzdem basieren diese Chips oft auf einer komplizierten und außergewöhnlichen Schaltung – lasst euch nicht von den simplen Schaltplänen, wie sie in den Datenblättern stehen, täuschen. Lassen wir das mal als gesetzt stehen, dass die Teile gut sein können. Davon abgesehen bin ich durchaus für Messungen und objektive Daten, aber was ich schlussendlich möchte ist, dass das Produkt gut klingt. Wenn dies bedeutet, dass ich einen Kompromiss eingehen muss, dann immer den, der sich zugunsten des Klangs auswirkt. Manchmal hat das zur Folge, dass die Verzerrungen nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Meine Kunden hatten damit aber bisher offenbar kein Problem. Und wenn jemand sagt, dass „gut klingen“ oft die Folge einer Ungenauigkeit ist, würde ich das nicht bestreiten. Das Ohr weiß, was es will, und das Ohr des Kunden hat immer Recht.

Was halten Sie von SET-Röhrenvorverstärkern (SET = Single-Ended-Tubes oder Eintakt-Schaltung, Anm. d. Red.) und Endstufen? Halten Sie Röhren für eine veraltete Technologie? Wie klingen sie in Ihren Ohren? Warum Ihre Vorliebe für Halbleiter?

Ich mag SET-Röhrenverstärker sehr gerne. Ich besitze einige, und viele meiner Verstärkerkunden setzen sie ein. Sie sind nicht veraltet, ich würde sie eher als gut erforscht bezeichnen. Sie haben ein abwechslungsreicheres Klangbild, als sich viele vorstellen. Einige klingen klar und hell, andere sind im Höhenbereich weicher und gehen mehr in die Tiefe und so weiter. Ich persönlich finde Halbleiter interessanter, weil sie der Kreativität mehr Möglichkeiten bieten. Einige meiner Entwicklungen sind denen der Röhrentechnik sehr ähnlich, sowohl vom Aufbau als auch von der Bauteilauswahl her. Meine neueste Entwicklung, der SIT-3 (SIT = Static Induction Transistor, Anm. d. Red.), ist ein Single-Ended Class A-Verstärker, mit einem Netztrafo und VFET-Transistoren (Vertical field effect transistors, Anm. d. Red.) und null Rückkopplung. (Anm. d. Red.: Ein Transistorverstärker, der wie ein Röhrenverstärker klingt. Siehe auch hier: https://positive-feedback.com/reviews/hardware-reviews/first-watt-sit-3-stereo-power-amplifier/)

Nelson Pass – First Watt
Immer wenig Leistung, aber an Klangreinheit kaum zu überbieten: die First-Watt-Endstufen

Was, denken Sie, wird die Zukunft an neuen Transistoren und Entwicklungen bringen? Werden neue Transistoren besser klingen als die heutigen?

Keine Ahnung, ich weiß nicht, was als Nächstes kommt. Sicherlich wird es Verbesserungen bei Halbleitern und Materialien geben. Aber die Forschung liegt in der Verantwortung von Leuten, die nicht an High-End-Audio denken. Werden die besser klingen? Sind sich alle einig, dass Transistoren besser klingen als Röhren? Lassen Sie es mich mit den Worten meines langjährigen Kollegen und Freundes Joe Sammut umschreiben: „It’s Entertainment, not Dialysis“.

Pass INT-60 Front1
Mit den Abmessungen von 48,2 x 19,0 x 55,1 cm (B x H x T) ist der Pass INT-60 sicher einer der größten Vollverstärker am Weltmarkt. Klanglich aber in jedem Fall mit das Beste, was es im Transistorbereich gibt (Foto: Pass)

Ich habe zwei Fragen: Welche Ihrer eigenen Verstärkerkonstruktionen ist Ihr persönlicher Favorit? Welches Verstärker-Design anderer Konstrukteure schätzen Sie besonders?

Zur Ihrer ersten Frage: Mein Lieblingsverstärker ist immer der nächste, den ich entwickle. Um Ihre zweite Frage zu beantworten, musste ich erst im „TAS Illustrated History Vol. 2“ nachsehen („The Absolute Sound’s Illustrated History of High-End Audio“, Anm. d. Red.). Mein Auswahlkriterium ist in diesem Fall weder der Klang, denn in einigen Fällen habe ich den Verstärker nicht gehört, noch ob mir der Designer gefiel (gemeint ist die Art der Konstruktion, Anm. d. Red.).:

1968 SAE Mark 2
1974 Stax DA300
– 1977 Mark Levinson ML2 (John Curl)
1993 Ayre V-3

Sind Sie der Meinung, dass alle High-End Verstärker gleich klingen sollten? Deren Aufgabe soll ja nur sein, dass Signal zu verstärken und nichts hinzuzufügen, damit die Aufnahme so klingt, wie sich de Künstler das vorgestellt hat. Oder soll ein Verstärker seine eigene Note hinzufügen?

High-End Verstärker sollen in erste Linie den Kunden zufrieden stellen. Wenn das bedeutet, dass der Klang absolut linear ist, habe ich damit kein Problem. Ich habe viele Verstärker dieser Art gebaut. Wenn der Kunde jedoch wünscht, dass der Sound ein wenig aufgepeppt werden soll, ist das auch völlig in Ordnung. Er ist schließlich derjenige, der den Scheck unterschreibt.

Was halten Sie von DSP-gesteuerten Lautsprechern, bei denen hinter jedem Treiber ein Verstärker sitzt, wie etwa bei der Linkwitz LX521 oder der B&O Beolab 90?

Das DSP soll in der Lage sein, den perfekten Klang zu liefern. Die Zukunft wird zeigen, was wirklich dahintersteckt. Es ist bequem damit herumzuspielen, einfacher als bei Analog, aber ich bin überzeugt, dass es keine Wunderwaffe ist. Die Begrifflichkeit „perfekter Klang“ empfinde ich sowieso als problematisch, denn die Wahrnehmung der Menschen ist nicht identisch. Ganz zu schweigen von den persönlichen Vorlieben. Die größte Aufgabe ist immer die, dass sich alle mit der „Perfektion“ einverstanden erklären.

Wie ist Ihre Meinung zu Biegewellenschwingern (Englisch DML = Distributed Mode Loudspeakers, Anm. d. Red)?

Ich hatte mal ein paar DMLs, um damit herumzuspielen. Sie funktionieren auf wundersame Weise, so wie Class-D, aber ich muss gestehen, dass sie bei mir keinen Spitzenplatz einnehmen. Ebenfalls wie bei Class-D habe ich keine Idee, wie man sie besser machen könnte.

Hallo Mr. Pass, danke, dass Sie sich die Zeit hierfür nehmen. Können Sie sich vorstellen, dass das Einsetzen neuraler Implantate den High-End-Audiomarkt zerstören wird, oder glauben Sie, dass es weiterhin Menschen geben wird, die die Musik auf herkömmliche Weise hören wollen?

Ich bin überzeugt davon, dass man einen Weg finden wird, Ihnen eine Spindel mitten auf den Kopf zu pflanzen, um Platten direkt in Ihr Gehirn schallen zu lassen…

 

Ein würdiges Beispiel für Nelson Pass Werke im Test bei LowBeats:
Test Vollverstärker Pass INT-60: Faszination Class-A