Dieser Test war überfällig. Jedes Mal, wenn ich den Vollverstärker Pass INT-60 gehört hatte (und das war im Laufe der letzten drei Jahre recht häufig der Fall) war ich eigenwillig berührt, weil es so nachhaltig gut klang.
Mal spielte er an einer Magico S1, mal an einer Wilson Audio Sasha, mal an einer Martin Logan Expression – irgendetwas Schönes blieb immer hängen. Etwa so wie bei einem wirklich großen Wein, dessen nachklingende Aromen einem noch den Nachhauseweg versüßen.
Und irgendwann, nach der fünften oder sechsten Begegnung dieser Art, verstieg ich mich zu der These, dass dies wohl der beste Vollverstärker sein müsse – zumindest in der Klasse um 10.000 Euro.
Und nun steht dieser Class-A-Bolide seit über 10 Wochen im LowBeats Hörraum und macht genau das, was ich erwartet/erhofft hatte: er spielt einfach göttlich – aber keineswegs so, wie sein kantiges, recht technisches Äußeres vielleicht vermuten ließe.
Der Pass INT-60 ist ja ein unglaublicher Berg von einem Verstärker. 42 Kilo wiegt das Ding. Und er hat Abmessungen, die ein normales HiFi-Rack schlicht überfordern: 48,2 x 19,3 x 55,1 cm (B x H x T).
Rechnet man dann hinzu, dass es sich hier um einen waschechten Class-A-Verstärker handelt, dessen Abwärme stattlich ist und der deshalb dringend nach oben einiges an Platz für die Luftzirkulation braucht, kommt man schnell zu dem Schluss: dieser Verstärker braucht keinen Platz in einem üblichen HiFi-Rack, dieser Verstärker braucht einen Altar – hat ihn aber womöglich auch verdient…
Das Stichwort ist schon gefallen: Class-A. Der Pass INT-60 ist einer der wenigen noch am Markt befindlichen Amps, die nach dem Class-A-Prinzip und dementsprechend mit hohem Ruhestrom arbeiten.
Wegen der schlechten Energiebilanz werden diese Konstruktionen von den EU-Regulierern äußerst kritisch beäugt. Bis zu 30 Watt macht der Pass INT-60 in “reinem” Class-A (also ohne Übernahmeverzerrungen), zieht aber trotzdem zwischen 250 und 400 Watt aus dem Netz.
In den Leistungsbereichen darüber wechselt er sanft und unhörbar in einen A/B Push-Pull-Modus, in welchem er an 8-Ohm-Lautsprechern bis knapp über 60 Watt leistet. An Lautsprechern mit 4 Ohm ist es das Doppelte, an Lautsprechern mit noch geringeren Impedanzen kann es noch deutlich mehr werden.
Dwe Mastermind hinter den Pass Labs ist Nelson Pass, der wahrscheinlich größte Spezialist für analoge Verstärker weltweit. Sein Lebensweg ist gepflastert mit HiFi-Meilensteinen – etwa dem Threshold Stasis 1 oder dem Pass Aleph 0, beides Geräte, die einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der HiFi-Verstärker geleistet haben.
Nelson Pass ist ein Guru, dessen Gemeinde riesig ist – auch, weil er sein immenses Wissen nicht für sich behält. Auf seiner Selbstbauplattform www.passdiy.com veröffentlicht Pass fast alle seine Geniestreiche.
Fast könnte man meinen, der Kenner baut sich nach diesen Rezepten die Verstärker selbst, der Laie überlässt das den Pass Labs, die das Wissen von Nelson Pass in höchster Präzision und mit viel Liebe umsetzen.
Aber selbst der Kenner sollte, wenn sehr hohe Leistungen im Spiel sind, den Aufbau besser den Spezialisten überlassen…
Die Technik des Pass INT-60
Ein Leitsatz von Pass Labs lautet: mehr Verstärker und mehr Verstärkerklang bekommst du “Made in USA” nirgends. Schaue ich mir den Pass INT-60 an, haben sie zweifelsfrei Recht.
Ein zweiter Leitsatz, denen ihnen Nelson Pass ebenfalls ins Stammbuch geschrieben hat, lautet: möglichst wenig Gegenkopplung. Wo deutsche Verstärker lange Zeit nach dem “Viel-Gegenkopplung-hilft-viel-Konzept” arbeiteten, erkannte Nelson Pass schon früh deren klangschädlichen Auswirkungen.
Bei ihm kommt Gegenkopplung nur im äußersten Notfall zum Einsatz und alle Schaltungen ab Generation .8 laufen so stabil, dass sie ohne Kondensatoren und Spulen im Signalweg auskommen.
Auch der hier getestete Pass INT-60 gehört zur Generation .8, die Pass Labs vor vier Jahren beginnend auf den Markt brachte. Auf der CES 2014 hatte ich die Gelegenheit, den Meister selbst nach den Unterschieden zur Vorgänger-Generation .5 zu fragen.
“Och”, sagte Nelson Pass, “so viel war das gar nicht. Wir haben die Siebkapazität etwa um ein Drittel erhöht und konnten über das neue Layout des Netzteils und der einzelnen Kanäle das Rauschverhalten um 10 -15 dB senken.
Dann nutzen wir neue Kühlkörper, die zu einer geringeren Wärmeentwicklung führen. So konnten wir praktisch den Class-A-Bereich nach oben ausweiten. Am Ende ist es die Summe der Maßnahmen, die die Generation .8 so viel besser macht.”
Und noch einmal Nelson Pass: “Ich sollte auch noch erwähnen, dass wir auch bei der Generation .8 die Toshiba 2SK170 / 2SJ74 JFET in der Eingangsstufe und die 2SK2013 und 2SJ313 MOSFETs in der Spannungsverstärkungsstufe nutzen.”
Diese Bauteile sind auf dem Weltmarkt immer noch einzigartig. Vor dem Einbau wird jedes FET gemessen; da schaffen wir paarselektierte Gruppen mit nur 2% Abweichung.
Der Aufbau des Pass INT-60 ist – wie schon erwähnt – solide wie eine Bohrinsel. Die neuen Kühlkörper sind an den Kanten gerundet, sodass man den Boliden sogar an ihnen tragen könnte.
Muss man aber nicht: Auf der Rückseite haben die Pass Ingeniere Tragegriffe eingelassen. Das mutet an einem High-End-Verstärker zuerst etwas komisch an, im praktischen Betrieb (vor allem bei uns im Hörraum) lernt man so ein Detail aber schnell zu schätzen…
Die Bauteile sind sorgsam selektiert und per Hand implantiert. Alles macht einen piekfein aufgeräumten Eindruck.
Die Front des Pass INT-60 besteht aus einer kiloschweren Platte aus zentimeterdickem Aluminium. Das Auffälligste daran (oder darin) ist natürlich das runde Anzeigeninstrument, das skurrilerweise ohne Angabe einer Einheit auskommt: kein Watt, kein Volt.
Man darf nur unterstellen, dass – wenn der Zeiger ganz rechts anschlägt – die Leistungsgrenze des INT-60 erreicht ist. Aber es macht natürlich mächtig was her…
Hier passt die Fernbedienung ins Bild. Weil der INT-60 nun so viele Anschlussmöglichkeiten und Spielereien gar nicht ermöglicht, sind auch die Funktionen auf dem Signalgeber überschaubar. Aber er sitzt ebenfalls in einem massiven Alu-Gehäuse und ist nicht eine jener unwürdigen Universalfernbedienungen im Plastik-Kleid, die der Konkurrenz meist beiliegt.
Und wo wir gerade davon sprechen: Die Anschlussmöglichkeiten sind überschaubar, aber von bester Qualität: 4 x Hochpegel rein (davon zwei auch als XLR ausgelegt), 1 x Vorstufenausgang raus, ebenfalls auch als XLR ausgelegt.
Genial aber sind die Lautsprecheranschlüsse von Furutech. Nicht nur, dass man aufgrund der Tropfenform einen guten Zugriff hat, ein eingebauter Drehmoment-Schutz verhindert Schäden durch zu festes Anziehen. “Nach fest kommt ab”, hieß es bei uns immer. Diese Gefahr besteht hier nicht.
Der INT-60 im Hörraum
Ich hatte zum Vergleich die gesamte Prominenz des Referenzregals warmlaufen lassen: McIntosh MA 7900 AC, T+A PA 2500R, dieVor-/Endstufenkombination Questyle CMA 800P plus Nubert nuPower A.
Alle drei waren deutlich stärker, hatten bei hohen Pegeln hörbar einige Reserven mehr. Aber mit seiner einzigartigen Stimmigkeit, dieser geschmeidigen Natürlichkeit bei Stimmen oder klassischen Instrumenten und der noch glaubhafteren Abbildung verwies der Pass diese Konkurrenz relativ schnell zurück ins Regal.
Tatsächlich war es wieder einmal unsere Röhrenreferenz, der Octave V80SE (natürlich mit Black Box), der mit seinen Qualitäten dem INT-60 Paroli bieten konnte. Aber selbst er nur mit Mühe…
Beispiel “Walking On The Moon”, die geniale Coverversion des Police-Klassikers vom Juri Honing Trio (Album Star Tracks) ist ja deshalb als Aufnahme so herausragend, weil sich das gesamte Aufnahmeteam wie auch die Band enorme Mühe gegeben und bestes Equipment aufgefahren haben. Ich habe diese Aufnahme viele hundert Mal gehört und eigentlich verbietet sich die Erwähnung schon aus Langeweile-Gründen…
Dass ich “Walking On The Moon” dennoch erwähne, liegt an meiner Überraschung. Meine Überraschung darüber, dass der INT-60 diesen Titel noch ein Stück realistischer wiedergibt, als ich ihn die letzten Jahre gehört habe.
Der INT-60 zeichnete die Umrisse der Instrumente schärfer und schuf eine geradezu holografische Räumlichkeit, in der man sich nicht verliert, sondern die der Musik noch etwas mehr Struktur gibt. Vor allem aber: der INT-60 trifft immer den richtigen Ton. Sei es bei Stimmen, Schlagwerk oder akustischen Instrumenten.
Was diese Aufnahme ebenfalls auszeichnet, ist ihre herausragende Dynamik. Da wird auf die Snare-Drum eingedroschen, dass es eine Freude ist. Da wird ins Saxophon geblasen, dass fast der Limiter anspringt.
Der Pass INT-60 spielt so unaufgeregt richtig, so detailreich, dass man nicht komplett überfahren wird – und trotzdem klingt es absolut “echt”.
Vor allem das Saxophon, bei dessen beherztem Einsatz man den (vorher auf Fast-Vollausschlag gedrehten) Pegelregler fast immer deutlich runterfahren muss, weil es sonst doch zu kernig kommt: mit dem Pass klingt es absolut realistisch, druckvoll, aber auch noch warm und verträglich.
Der Octave V80 SE spielte in allen Belangen dynamischer, teils offener, vielleicht nicht ganz so satt, aber letztendlich “schneller”. Die Snare kamen mit dem Octave noch etwas brutaler, die angeschlagenen Bass-Saiten noch etwas mehr auf den Punkt.
Auch Stimmen wie die von Sean Rowe (Album: New Lore) brachte der Octave noch offener, der Pass etwas wärmer und minimal dunkler. In einer Hörrunde hatte ich zwei Bekannte zu Besuch, die nach einer guten Stunde des Hörens echt verzweifelt waren: “Ja welcher der beiden ist denn hier der Röhrenverstärker?” fragte der eine. “Der warm-räumlich spielende Pass oder der knackig-dynamische Octave?”
Eine gute Frage, denn der Pass INT-60 spielt tatsächlich so wie eine richtig gute Röhre. Nur dass er auch im Tiefton immer sehr stabil bleibt. Der Octave V80 SE ist an dieser Stelle kein gutes Beispiel für eine klassische Röhre, denn seine Bässe sind dank Black Box viel präziser und dazu trockener als bei den meisten Röhren dieser Klasse.
Fazit
Er ist groß, er ist teuer, er hat nur wenige Anschlussmöglichkeiten und geht mit der zugeführten Energie ausgesprochen verschwenderisch um. Und dennoch ist dieser Vollverstärker ein absolutes Highlight.
Der Pass INT-60 ist einer der letzten aufrichtigen Class-A-Mohikaner. Ein Verstärker, der seine Qualitäten dem Zuhörer nicht sofort auf die Nase drückt, sondern sachte seine klanglichen Vorzüge präsentiert.
Dass er einfach saugut klingt, hört man sofort. Aber wie körperhaft er abbildet, wie viele Dinge er tonal besser und von den Klangfarben her richtiger macht als fast alle anderen Vollverstärker am Markt, das erschließt sich erst nach und nach.
Als jemand, der recht lange mit dem INT-60 gehört hat, kann ich nur sagen: Ich kenne keinen anderen Vollverstärker, der die Klangfarben so natürlich malt und die Abbildung so glaubhaft modelliert wie dieser weitere Geniestreich von Nelson Pass.
Schön eigentlich. Doch das Schlimme ist: Wenn man so lange Zeit mit ihm gehört hat, wird es schwer, wieder umzusteigen. Oder anders herum: Ich kenne keinen Transistor-Verstärker dieser Klasse, den ich lieber hätte.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Herausragend satter, natürlicher, holografischer Klang |
| Stabil auch an niedrigen Impedanzen |
| Vergleichsweise wenig Anschlussmöglichkeiten |
| Class-A-typisch wenig Leistung und wenig effizient |
Vertrieb:
Audio Components Vertriebs GmbH
Harderweg 1
22549 Hamburg
www.audio-components.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Pass Labs INT-60 11.750 Euro
Mit- und Gegenspieler:
Test McIntosh MA 7900 AC – Power & Passion
Test T+A PA 2500 R – so baut man Vollverstärker
Test Line-Preamp Questyle CMA800P – der Purist
Test Nubert nuPower A: die schwäbische Endstufe
Test Octave V 80 SE: der Referenz-Vollverstärker
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