Was nützt eine großartige Stimme, wenn man nichts damit anzufangen weiß? Umso mehr freut sich LowBeats Musicman Christof Hammer über einen Künstler wie den amerikanischen Songwriter Sean Rowe, der nicht nur einen Bariton der Extraklasse, sondern auch jede Menge Stilsicherheit besitzt. Auf seinem vierten Album Sean Rowe New Lore croont und brummelt sich der vielleicht markanteste Sänger (und Vollbart) der US-Westküste in beeindruckender Manier durch Soul, Country und Folkblues – und liefert damit die LowBeats CD der KW 15.
Wenn man den Beruf des Sängers ausübt, kann eine schöne Stimme nicht schaden. Wer diese dann auch noch gestalterisch einzusetzen weiß, hat nochmals bessere Karten. Umso trauriger wäre es freilich, wenn man sein Talent und seine Kunst dann an Banalitäten verschwenden würde. Sean Rowe jedenfalls weiß, was er seiner Stimme schuldig ist.
Dunkel, süß und etwas herb klingt das Organ des Singer-Songwriters aus dem 50.000-Einwohner-Städtchen Troy im Norden des US-Bundesstaates New York.
Meist hält sich Rowe mit seinem Bariton im angestammten mittleren Tieftonterrain auf und brummelt damit so wohlig wie ein pensionierter Braunbär, der gerade seine Nachmittagsration Tannenhonig verspeist hat. Aber er kann damit auch barmen wie ein gefallener Engel – ein Organ, viel zu schade also für oberflächenfixierte Ex-und-hopp-Ware.
Aber keine Bange: Früh schon hat sich der 42-jährige Singer-Songwriter für Qualitätsmusik entschieden, die nach den Wurzeln sucht – the real stuff eben.
Mit Sean Rowe New Lore gibt es jetzt das vierte Album dieses Ausnahmesängers unter den amerikanischen Gegenwartsmusikern: ein Werk der leisen Töne, der Kontemplation und Introspektion, bei dem aus der Ferne diverse Großmeister aus der goldenen Songwriter-Vergangenheit grüßen – und manchmal auch aus deren Gegenwart.
Auf vokaler Ebene kann man aus den zehn Liedern von Sean Rowe New Lore etwa Einflüsse von Otis Redding heraushören, während die emotionale Tiefe von Rowes Musik eine Seelenverwandtschaft zu Kurt Wagner und dessen Lambchop-Kollektiv erahnen lässt.
Instrumental geht es mit fast klassisch strengen Streichern, Mellotron, Piano und Wurlitzer-Orgel in herbstlich-milden Klangfarben durch Balladen und Midtempo-Songs, die Elemente schwarzer und weißer Traditionsmusik von Soul über Country bis Folkblues zusammenführen.
So swingt „Newton’s Cradle“ in einem munteren, „weißen“ Groove, während drum herum ein kleines Streicherthema ganz entfernt die Temptations zitiert. „Promise Of You“ hingegen erinnert harmonisch an Lou Reeds „A Perfect Day“, während im Finale „The Very First Snow“ eine Mundharmonika in bestem Bob-Dylan-Stil wimmert.
Unterm Strich die vielleicht sinnvollste Bezugsgröße: der in audiophilen Kreisen bestens beleumundete Kollege Eric Bibb, und das auch in Sachen Klangqualität.
Mit Produzent Matt Ross-Spang (Jason Isbell, Margo Price) erarbeitete Rowe in den Sam Phillips Studios in Memphis (dem 1960 errichteten Erweiterungsbau der an ihren Kapazitätsgrenzen angekommenen Sun Studios übrigens) einen transparenten, tiefenscharfen Sound auf Topniveau.
Allerdings wurde bei den Aufnahmen zu Sean Rowe New Lore bewusst nicht klinisch rein durchgeputzt – der ein oder andere atmosphärische Klangpartikel war durchaus willkommen auf dem Festplatten-Master. „Wir waren auf der Suche nach der `perfekten Unvollkommenheit’ “, erklärt Rowe – „wenn etwas aus dem Ruder lief, aber einfach cool war, ließen wir es geschehen und haben es nicht auf Hochglanz poliert.
Uns interessierte die Rauheit, die Sam Phillips damals mit seinen Künstlern erarbeitete.“ So startet etwa „You Keep Coming Alive“ nach 0:05 mit einem diffusen Saitenflirren, ehe in 0:25 ein Geräusch wie von einem quakenden Ochsenfrosch hinzutritt – ein Szenario, als habe man open-air in den Mississippi-Sümpfen aufgenommen.
Sean Rowe New Lore erscheint bei Anti Records im Vertrieb von Indigo und ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl LP+Download-Code und MP3-Download.
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