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NAD M10 V2 von oben
Der NAD M10v2 ist ein kleines und sehr hübsches HiFi-Wunder: vollgepackt mit sinnvoller Ausstattung und erstaunlich audiophil. Sein Preis: 2.500 Euro (Foto: NAD)

Test NAD M10v2: Lifestyle-Streamingamp mit viel Klangkultur

Schon das Auspackerlebnis ist beim NAD M10v2 anders. Schwarzer Karton, innen mit grünlichgoldenem Muster bedruckt, welches – nun monochrom schwarz – auch in dem Samtsäckchen eingewoben ist, das den M10 auf dem Transportweg zusätzlich schützen soll. Solche Inszenierungen kenne ich eher von sehr teuren Schuhen, weniger von HiFi-Geräten. Mit diesem Gerät will NAD alle Sinne ansprechen. Und auch Leuten ohne langjährige HiFi-Expertise auf Anhieb das Gefühl geben, das Richtige gekauft zu haben. Altgediente Tester brauchen mitunter etwas länger, um dem M10v2 zu vertrauen. Schließlich hat die relativ neue Produktgattung „Lifestyle-Streamingamp“ nicht nur klangliche Haute Cuisine hervorgebracht, sondern auch jede Menge Convenience-Klangsnacks, die man unterm Strich dann doch lieber durch einen richtigen Amp und ein Sortiment geeigneter Player ersetzen würde.

Der NAD M10v2 …

… dagegen ist nicht nur schön gemacht und liebevoll verpackt, sondern auch nach strengen, alten HiFi-Maßstäben einfach ein fantastisches Stück modernster Audiotechnik. Der kompakte Streaming-Receiver aus NADs luxuriöser Masters-Baureihe klingt mit analogen wie digitalen Quellen gleichermaßen vollwertig und dauerhaft befriedigend. So dauerhaft, dass HiFi-Händler sich zu Recht um so manche gehobene High-End-Anlage Sorgen machen könnten, die dadurch vielleicht nicht mehr gekauft wird. Andererseits ist der M10v2 gut genug, um wirklich anspruchvolle, hochauflösende Boxen anzutreiben. Budget, das nun mal ausgegeben werden will, verschiebt sich potenziell also nur ein wenig in Richtung der Lautsprecher – und weg von Digitalplayern und Verstärkern. Denn diese beiden Themen erschlägt der M10v2 schon sehr gründlich.

NAD M10 V2 Display
Knackig: Auf dem hochauflösenden Screen sieht Album-Artwork richtig gut aus.(Foto: B. Rietschel)

Als Streaming-Verstärker ersetzt der M10v2 einen Vollverstärker und einen Streamer, braucht dabei aber weniger Platz als jede dieser Einzelfunktionen, würde man sie auch nur in annähernd adäquater Qualität aufbauen. Als Bonus integriert NAD auch noch das leistungsfähige Einmess-System Dirac Live, das normalerweise teuer gekauft und umständlich auf einem PC ausgeführt werden muss – und steckt die ganze Hightech-Packung in einen Würfel aus eloxiertem Alu und kratzfestem Gorilla-Glas, der mit seinem großen, hochauflösenden Touchscreen auch als Op-Art-Objekt durchginge. Oder hätte durchgehen können, wenn NAD dem Display einen angemessen schnellen Grafikprozessor spendiert hätte: Text und Cover Art sieht darauf wirklich klasse aus, aber bei den animierten Oberflächen und auch bei den Touch-Steuergesten etwa für die Lautstärke fehlt etwas Geschmeidigkeit. Das ist freilich Genörgel auf ganz hohem Niveau, wenn man bedenkt, dass vergleichbar teure Mitbewerber mitunter gar keinen Touchscreen oder nicht mal ein ordentliches Farbdisplay haben.

Und dass dem M10v2 nicht nur eine schöne Fernbedienung für die Grundfunktionen beiliegt, sondern auch beliebige lernfähige IR-Geber mit einem erweiterten Befehlssatz angelernt werden können. Die virtuellen VU-Meter – wahlweise als Farbbalken oder klassisch als Zeiger – wirken also zwar ein bisschen rau, aber immerhin sind sie da, trotzdem sehr schön anzusehen und nebenbei durchaus praktisch. Sie zeigen nämlich den Pegel des ankommenden Signals an, was an den Analogeingängen eine durchaus wertvolle Information sein kann.

Der M10v2 in der Praxis

Ernsthaft bedient wird der NAD ohnehin meist mit der sehr guten, ausgereiften App – erhältlich für iOS, Android, PC, Mac und sogar den Amazon Kindle Fire. Der NAD M10v2 gehört dem inzwischen wirklich großen BluOS-Ökosystem aus Smartspeakern, Playern und eben Streamingamps an, das vor über zehn Jahren als audiophile Antwort auf das damals boomende Sonos-System startete. Heute zählen die Lenbrook-Konzernmarken NAD, Bluesound und PSB ebenso zur großen BluOS-Familie wie OEM-Partner Roksan, Cyrus und Monitor Audio.

Beim Streaming gilt ganz klar the more, the merrier: Je mehr Firmen, je mehr Modelle dabei sind, desto größer wird die Nutzerbasis, desto schneller reift die Software, desto mehr Auswahl hat man an kompatiblen Playern, Amps und Boxen für jede Lebenslage. Und desto kooperationsfreudiger sind potenzielle Contentpartner, also Musik-Abodienste und andere Streamingservices. Die Liste an unterstützten Diensten ist eindrucksvoll. Nur Sonos kann da noch ein oder zwei Spezialitäten draufsetzen, zieht dafür aber bei den unterstützten Audioformaten klar den Kürzeren: BluOS ist voll HighRes-fähig, kann also auch Studiomaster-Files mit mehr als CD-Auflösung abspielen. 192 kHz und 24 Bit sind das obere Limit. Sonos steigt oberhalb von 48 kHz aus.

Ob der M10v2 solche Dateien – etwa den klanglich überragenden DVD-Audio-Rip von Neil Youngs „Harvest“ oder Bachs h-moll-Messe in der preisgekrönten Einspielung des Dunedin Consort für Linn Records – wirklich bis zum letzten dB und kHz ihrer theoretisch unglaublich hohen Auflösung ausreizt, ist sekundär. Auch, ob und wann man den Unterschied zwischen beispielsweise 96 und 192 kHz Samplingrate tatsächlich hört. Es geht um Kompatibilität, um ungehinderten Zugriff auf möglichst jedes digitale Musikfile des Universums. Wenn Neil Young und Bach eben in 192/24 auf dem Server liegen, dann sollen sie auch genau so laufen können. Sogar das nicht unumstrittene, verschlüsselte HighRes-Format MQA, das aktuell nur der Streamingdienst Tidal in nennenswertem Umfang anbietet, wird im NAD korrekt dechiffriert.

Schwächen bei DSD

Einzig bei DSD muss der M10 passen. Das audiophile Einbitformat spielt in der Streamingwelt eine Nischenrolle, meist in Form von .dff- oder .dsf-Dateien, die sowohl aus SACD-Rips als auch per Bezahl-Download erhältlich sind. Was immer sich an DSD-Files auf einem NAS befindet, wird von BluOS schlicht ignoriert. Das ist bei den meisten Sammlungen kein großer Verlust. Aber natürlich gibt es Fans des Formats, die mit den Jahren umfangreiche DSD-Sammlungen akkumuliert haben. Die können auch über den Workaround nur müde lachen, den BluOS für DSD anbietet. Er besteht darin, sämtliche DSDs auf dem PC in FLAC zu konvertieren und diese FLACs dann der Bibliothek hinzuzufügen. Die Desktop-Version des BluOS-Controllers bringt dafür zwar eine automatisierte Konvertierungsfunktion mit. Diese kann aber nicht auf externe Massenspeicher, etwa NAS-Server, zugreifen.

Da genau liegen DSD-Sammlungen aber typischerweise – schon wegen ihrer barocken Dateigrößen von mehreren Gigabyte pro Album. Für eine Handvoll oder ein Dutzend Alben mag das somit nötige Hin- und Herkopieren noch vertretbar sein. Hardcore-DSD-Fans dürften mit BluOS aber eher nicht warm werden. Wobei sich echter DSD-Purismus ohnehin nur in sehr engen Grenzen wirklich ausleben lässt. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass nur die wenigsten SACDs im Studio wirklich ohne kurze Abstecher ins PCM-Format entstanden sind (oft arbeitet man dort in DXD, also mit 352.8kHz Abtastrate und 24 oder 32bit Wortbreite), müsste man sich auch in der Wiedergabe einschränken und zum Beispiel auf jede Art von digitaler Entzerrung oder Raumkorrektur verzichten. Was ja gerade eine der Stärken des M10 ist.

Besteht die lokale Musiksammlung überwiegend auf PCM-basierten Formaten, also FLAC, ALAC, WAV, MP3, AAC und so weiter, glänzt BluOS mit einer vorbildlich stabilen Serverfunktion. Festplatten im Heimnetzwerk scannt und sortiert der M10v2 selbstständig. Es muss auf der NAS oder dem PC also kein eigener Mediaserver laufen, BluOS braucht lediglich Lesezugriff auf die entsprechenden Ordner. Zeigt man dem System einmal, wo die Musikdateien überall liegen (das können auch mehrere Speicherorte/IP-Adressen sein), macht sich der NAD im Hintergrund an die Arbeit.

Die resultierende BluOS-Bibliothek wird automatisch mit neu hinzukommenden Playern geteilt und erlaubt sehr flüssiges und intuitives Stöbern auch in größeren Sammlungen. Und zwar unabhängig von Alter und Leistungsfähigkeit des eigentlichen Servers, der in diesem System dann wirklich nur als reiner Speicher dient. Bei uns funktionierte das zum Beispiel mit einer 15 Jahre alten NAS mit über 30000 Songs tadellos: In nicht mal einer halben Stunde war die Bibliothek komplett neu erstellt. Die Sortierkriterien entsprechen exakt denen von Sonos: Artist, Album, Komponist, Genre, Titel sowie direkter Zugriff auf die Ordnerstruktur. Besser als Sonos ist die Unterstützung sehr großer Sammlungen: Wird bei dem US-Riesen spätestens bei 65000 Titeln der Speicher knapp (der genaue Wert hängt unter anderem von der Menge an Metadaten und der Größe der Coverbilder ab), soll BluOS locker dreimal so große Sammlungen unterstützen.

NAD M10 V2 rear
Die Anschlussvielfalt des NAD M10v2 ist wegen der Größe nicht so üppig. Digital ist mit HDMI (ARC), LAN, USB, koaxialen und optischen Eingängen alles Wesentliche dabei. Überraschend sind die beiden Subwoofer-Ausgänge, die separat konfigurierbar sind (Foto: NAD)

Für die Nutzung mit Streamingdiensten gibt es natürlich keine Größenlimits. Mit Spotify Connect, TIDAL Connect, Qobuz, Deezer, Napster, Amazon Music und etlichen kleineren Diensten ist BluOS hier sehr breit aufgestellt, hinzu kommen Tausende von kostenlosen Radiosendern über das integrierte Portal TuneIn. Schon ganz für sich alleine, also ohne jegliche externen Zu- oder Mitspieler hält der M10v2 also eine überwältigende Musikvielfalt bereit, in CD-Qualität und – etwa bei Qobuz – auch deutlich darüber. Das Einzige, was er dafür benötigt, ist Internetzugang via LAN oder WLAN. Für Sonder- und Notfälle stehen natürlich auch Airplay2 und Bluetooth bereit, letzteres sogar in der aktuell bestklingenden aptX-HD-Luxusausführung und zudem bidirektional. Was immer auf dem NAD läuft, kann dieser damit auch an einen Wireless-Kopfhörer weiterleiten.

Gesteuert wird er M10v2 hauptsächlich per App. Auch Geräteeinstellungen und die Eingangswahl sind darüber zugänglich: Neben dem Streamer ist Platz für zwei Analogquellen, ein Koax-Digitalkabel und einen TV mit eARC-Funktion. Phono gibt’s nicht. Plattenspieler brauchen also entweder einen daselbst eingebauten oder einen separaten Phono-Vorverstärker, um mit dem NAD spielen zu können. Nun könnte man bequem argumentieren, dass Vinyl vielleicht auch nicht die primäre Quelle an einem Streamingreceiver ist – zumal an einem wie dem M10v2, der nicht mal einen wirklich analogen Signalweg anbietet.

NAD M10 V2 App
Komfortabel: Die BluOS-App erlaubt eine vollständige Steuerung des M10v2. Wie alle Apps ist sie anfangs etwas gewöhnungsbedürftig (Screenshot: B. Rietschel)

In der Tat landen Analogsignale direkt nach den Eingängen zwingend in einem A/D-Wandler. So ist gewährleistet, dass alle Signale auf einem gemeinsamen Weg durch den M10 reisen und von dessen zahlreichen Veredlungs- und Verbesserungsmöglichkeiten profitieren können: Klangregelung, Bassmanagement und Raumkorrektur, oder die Weiterleitung angeschlossener Zuspieler innerhalb des BluOS-Netzwerks arbeiten ja alle mit digitalen Audiodaten. Aber auch wer ganz puristisch nur seinen Plattenspieler hören will, kann die A/D-D/A-Ehrenrunde nicht abkürzen. Das ist bei Geräten dieser Gattung aber tatsächlich auch nicht mehr üblich. Und es ist, wie der Hörtest zeigen wird, auch nicht wirklich nötig.

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NAD M10 V2 App
Mit einem Wisch: Einmal eingemessen und konfiguriert, taucht die Dirac-Entzerrung als Option im BluOS-Menü auf. Hier ist mit „Hörraum 1“ nur ein Speicherplatz belegt, es lassen sich aber bis zu fünf Setups ablegen und auswählen. Eine Neutralstellung ohne Dirac ist natürlich stets verfügbar (Screenshot: B. Rietschel)
NAD M10 V2 App
Multiroom, markenübergreifend: Hier bieten sich zwei NAD-Geräte und ein Roksan Attessa Streaming-Amp auf dem Home Screen der BluOS App an. Der große weiße Plus-Button neben den Geräten lädt zur Partymode-Rudelbildung ein (Screenshot: B. Rietschel)
NAD M10 V2 App
Nice to have, aber vermutlich selten genutzt: Neben klassischen Multiroom-Gruppen kann man aus BluOS-Geräten auch Stereopaare und Surround-Setups bilden. Wer extrem leistungshunrige Boxen hat, könnte also zum Beispiel zwei M10 jeweils in Mono-Brücke betreiben. NAD hat für solche Fälle aber auch spezialisierte Lösungen – etwa die größeren Masters-Modelle (Screenshot: B. Rietschel)
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Das eingebaute DIRAC …

… ist ein weiteres Plus des NAD M10v2. DIRAC gilt als eines der besten Raum-Anpassungssysteme weltweit. Es wird mit seiner eigenen App – die den M10 automatisch erkennt – und einem mitgelieferten Messmikrofon einmal konfiguriert und führt die errechneten Korrekturen dann auf dem DSP des NAD aus.

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DIRAC
Noch alles frei: Fünf „Filter Slots“, also Speicherplätze für jeweils eine komplette Raumeinmessung, lassen sich auf dem NAD belegen. Das können zum Beispiel auch verschiedene Stereo- und Mehrkanal-Setups sein (Screenshot: B. Rietschel)
DIRAC
Mit Mikrofon und Telefon: Die App leitet den Nutzer durch eine Serie von Messungen an unterschiedlichen Positionen. Deren Zahl kann man je nach Fleiß und gewünschter Genauigkeit selbst auswählen. Hier ein Beispiel mit „nur“ fünf Messpositionen (Screenshot: B. Rietschel)
DIRAC
Messergebnis: Nach erfolgter Testton-Messung zeigt die Dirac-App den Hörplatz-Frequenzgang und einen Korrekturvorschlag an. Dieser lässt sich im nächsten Schritt dann an den M10 übertragen (Screenshot: B. Rietschel)
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Akustiknerds können zum Feintuning ihren PC anwerfen und auf die DIRAC-Vollversion (99 Euro) upgraden, die dann nicht nur im Bass, sondern im gesamten Audiobereich wirkt. Mir reichte die kostenfreie Basisversion zur Einstellung im Bass vollkommen. Aber wie gesagt: wenn der Nutzer oder die Nutzerin es will, spielt der NAD auch bei der aufwändigen Einmessung mit.

Die eigentliche Überraschung am M10v2 ist nämlich, wie gut er – wider jede Erwartung – mit analogen Quellen klingt. NAD hat die beiden Wandlungsschritte offenbar geschickt ausgewählt und aufeinander abgestimmt: A/D wandelt ein Texas-Instruments-Chip, D/A der vornehme 32-Bitler ESS Sabre 9028. Und wenn man außer Lautstärke regeln (was auch in der digitalen Domäne geschieht) nichts weiter tut, bekommt man eine absolut neutrale, transparente Verstärkung, der man ihren nicht ganz geradlinigen Signalweg nie und nimmer anhört. Genau genommen klingt der NAD mit einem guten Plattenspieler und einem Top-Phonoteil vornedran sogar analoger als die meisten konventionellen Verstärker. Zu verdanken hat er dieses Talent einerseits einer offensichtlich sehr sorgfältigen Auslegung und Abstimmung seines Signalwegs. Andererseits aber auch seiner ganz offensichtlich überragenden Endstufe. Die arbeitet nach dem Class-D-Prinzip, was häufig als „digital“ beschrieben wird – eine grob vereinfachende und unrichtige Umschreibung für den hier verwendeten selbstschwingenden Pulsfolgenverstärker, den eine Mischung aus komplexer Mathematik und penibel ausgelegter Gegenkopplungs-Kontrolle extrem verzerrungsarm und nebenbei auch nahezu perfekt lastunabhängig arbeiten lässt. Die Rede ist von einem Stereo-Powermodul namens NC252MP des niederländischen Herstellers Hypex, das auf derselben Platine auch gleich noch sein eigenes Schaltnetzteil mitbringt.

Hör-Eindruck

Das „NC“ steht für nCore, die höchste Hypex-Entwicklungsstufe, die mit der in kleineren NADs verwendeten UcD-Technik verwandt, dieser aber messtechnisch wie klanglich weit voraus ist. Das habe ich nicht irgendwo abgelesen, sondern über Wochen selbst erfahren: Wenn nebenan das Keith Jarrett Trio live zu spielen schien und die Töne mit einer so offensichtlich überlegenen Fülle, Reinheit und Impulsivität den Raum fluteten. Wenn die spektakulär laute, im Hochton mit Gesangs-Sibilanten und Schlagzeugbecken gesättigte erste Labyrinth-Platte obenrum fast wissenschaftlich objektiv zimbelte, und das aber nicht etwa nervte, sondern zum Mitsingen und -feiern animierte – auch weil das Bass-Gegengewicht in den fetten Beats um kein Milligramm zu leicht war. Der NAD ist einer der seltenen Verstärker, deren Klangbalance wirklich hundertprozentig genau auf der Mittellinie liegt. Er löst bei geringer Lautstärke mühelos auf, kippt aber auch bei höchsten Pegeln nicht ins Schrille. Duckt sich im Hochton nicht weg, wenn’s mal intensiv wird, und klingt bei aller Neutralität stets lebendig, bewegend und interessant.

NAD M10 V2 Hörraum
Kompromissloser, als es aussieht: Der M10v2 machte uns auch und gerade als Partner höchstwertiger Plattenspieler einen Riesenspaß. Hier ragt der Zwölfzoll-Arm eines Acoustic Signature Tornado Neo ins Bild. Ein separater Phono-Vorverstärker ist auf jeden Fall Pflicht – die Analog-Inputs brauchen Line-Pegel (Foto: B. Rietschel)

Für einen All-In-One, noch dazu in einem so kompakten, schicken Gehäuse, klingt der M10v2 schlicht überraschend audiophil. Ich hatte meist beide Analogeingänge mit je einem Phono-Preamp bestückt, und vornedran munter durch meine Spieler- und Systemsammlung durchrotiert. Ganz erstaunlich fand ich die Harmonie, die sich mit dem Technics SL-1210GR und einem Denon DL103 einstellte – vorverstärkt lediglich durch einen preiswerten Cambridge Duo. Um den Dreher wirklich stimmig zu bekommen, braucht man noch ein paar Accessoires: Eine schwerere Headshell, darin einen dicken Carbon-Spacer, ein schwereres Gegengewicht und eine extradicke Matte. Das geht nicht anders, wenn man dem System wirklich passende Bedingungen schaffen will, und kostet in Summe vielleicht nochmal 200 Euro Extra. Aber es lohnt sich, weil man dann aus einem relativ preiswerten System – und folglich zu entsprechend geringen laufenden Kosten – ein Maximum an Hörspaß gewinnt und der Spieler mit dem NAD eine faszinierend stimmige Kombination bildet.

Natürlich überzeugt der NAD auch in seiner Grundfunktion als Streaming-Amp, also mit seinem internen Netzwerkplayer als Quelle. Der Vinylklang war aber das überraschendere Resultat des Hörtests, und tatsächlich fand ich den NAD über seine Analogeingänge am eindrucksvollsten. Das wird zwar niemand machen, aber man kann daran tatsächlich auch einen externen Top-Digitalplayer anschließen und überraschenderweise noch Klang hinzugewinnen. Da der externe Zuspieler dann letztlich über denselben DAC läuft wie der interne BluOS-Streamer, als zusätzliches Handicap aber zuvor noch je einen weiteren D/A- und A/D-Schritt absolvieren muss, kann man daraus schließen, dass die eigentliche Wandlung nur einen Teil des Playerklangs ausmacht – und eventuell nicht mal den entscheidenden. Man kann aber auch einfach das tun, wozu der M10v2 konstruiert wurde: Mit der wunderbar stabilen App in Tidal, Qobuz oder der privaten Sammlung stöbern, sich lange Hörlisten zusammenstellen, neue Musik aufstöbern und alte Favoriten neu entdecken.

Die nCore-Endstufen haben gegenüber den Ur-Hypexen auch den Vorteil eines sehr hohen Dämpfungsfaktors und damit einer großen Boxentoleranz: Impedanzschwankungen und Phasendrehungen, wie sie bei jedem Lautsprecher mehr oder weniger stark auftreten, haben praktisch keine Chance, sich auf den Frequenzgang oder das Verzerrungsverhalten des Verstärkers auszuwirken. Das können bestimmte andere Verstärker auch. Die Kunst ist, den niedrigen Ausgangswiderstand, der dieser Toleranz zugrunde liegt, technisch so zu erreichen, dass man nicht nebenbei Lebendigkeit, Feindynamik und Natürlichkeit opfert. Die Test-Historie ist reich an Beispielen, wo dies nur unvollständig oder gar nicht klappte. So weich, farbenreich und zugleich locker, wie meine Tannoy Legacy Eaton am NAD spielte, spielen sonst nur wirklich ernsthafte High-End-Amps. Und die Frage drängt sich auf, wie denn wohl ein ganz puristischer, wirklich rein analog beschalteter, reiner nCore-Verstärker klingen muss. Dazu wird es sicher bald einen Test geben – die Recherche läuft schon…

Fazit NAD M10v2

Als Komplettpaket aus Streamer  und Amp mit zusätzlichem HDMI-Eingang für den TV-Ton und der ganzen modernen Wireless-Konnektivität inklusive „Roon Ready“-Status spricht der NAD aber die Leute an, die gerade nicht einen neuen Stapel aus Einzelgeräten anhäufen wollen. Und die im Idealfall auch keine allzu großen Zugeständnisse bei der Ein- und Ausrichtung des Hörraums machen wollen, der da in aller Regel nämlich „Wohnzimmer“ heißt. Hier zieht der NAD ein weiteres Ass aus dem Ärmel: Dirac Live, ein hoch wirksames, fein anpassbares Raumakustikprogramm.

NAD hat im vergangenen Jahrzehnt mit vielen unterschiedlichen Schaltverstärker-Technologien experimentiert. Irgendwann muss sich das auszahlen: Der M10v2 holt dank seiner nCore-Endstufen nicht nur üppig Leistung aus seinem kompakten Gehäuse, sondern straft all jene Lügen, die solchen Lifestyle-Geräten halbseidenen Klang unterstellen: Der M10v2 ist ein ernsthaft audiophiler, vollwertiger HiFi-Verstärker mit toller Ausstattung und bildschönem Aufbau, mit dem auch der Tester problemlos länger Spaß haben könnte.

NAD M10v2
2023/07
Test-Ergebnis: 4,7
ÜBERRAGEND
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Überragender Klang mit hoher, unangestrengter Dynamik
Bildschönes Design, leistungsbezogen sehr geringer Platzverbrauch
Leistungsfähiges DIRAC-Einmessprogramm, bi-direktionales Bluetooth
Kein Phonoeingang, keine Kopfhörerbuchse

Vertrieb:
DALI GmbH
Berliner Ring 89
64625 Bensheim
www.dali.gmbh

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
NAD M10v2: 2.500 Euro

Technische Daten

NAD M10v2
Konzept:Lifestyle Streaming-Amp
Leistung:2 x 100 Watt (4 + 8 Ohm)
Streaming-Plattform
BluOS™
Eingänge:Analog: 2 x Hochpegel; Digital: 1 x opt., 1 x coax, 1x HDMI (ARC), 1 x USB, 1 x Gigabit Ethernet, Bluettoth (bi-direktional)
Besonderheit:optionale kabellose 4.0, 4.1 und 4.2 Surround-Wiedergabe, Roon ready
Abmessungen (B x H x T):21,5 x 10,0 x 26,0 cm
Gewicht:
5,0 Kilogramm
Alle technischen Daten
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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.