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Well Tempered Simplex Mk2 von vorn
Allein schon wegen seiner Golfball-Lagers extrem außergewöhnlich: der Well Tempered Simplex Mk2 für 2.750 Euro (Foto: Well Tempered)

Test Plattenspieler Well Tempered Simplex Mk2: das wohltemperierte Laufwerk

Mit einer höchst eigenwilligen Armkonstruktion irritiert Well Tempered Labs seit Jahrzehnten die HiFi-Welt. Das preiswerteste Modell, der Well Tempered Simplex Mk2, macht den berühmt-berüchtigten Golfballarm vielleicht nicht Einsteigern, aber doch vielen ambitionierten Musikhörern zugänglich: Sicher nicht der komfortabelste, aber klar einer der klangstärksten Spieler seiner Preisklasse.

Es ist schon eine Weile her, dass ich einen Well-Tempered-Plattenspieler im Hörraum hatte, locker 20 Jahre. Amadeus hieß das Modell damals. Es hatte aber nicht viel mit dem heutigen Amadeus zu tun, der in der Well-Tempered-Rangordnung zwei Stufen oberhalb des hier getesteten Simplex rangiert. Was ich noch gut in Erinnerung habe, ist die Souveränität, mit der dieser unscheinbare Brettpieler meinen Hausreferenzen von Linn und SME das Leben schwer machte. Und das, obwohl der Well Tempered gegen wirklich jede geschriebene oder ungeschriebene Regel des Analogspielerbaus zu verstoßen schien.

Oder natürlich gerade deshalb. Well-Tempered-Gründer William Firebaugh und seine Kollegen haben nämlich durchaus einen Plan. Der sieht zwar anders aus als andere Pläne, aber jedes Detail ist gut begründet und stimmig hergeleitet. Und selbst wenn dem nicht so wäre und Firebaugh behaupten würde, die Blaupausen seien eines Nachts beim Camping vom Vollmond auf seine Zeltwand projiziert worden, bliebe immer noch der durch und durch erstaunliche Klang dieser Laufwerke, der eigentlich Beweis genug ist. Wer bereit ist, sich an ein paar Besonderheiten zu gewöhnen, kann mit einem Well Tempered – auch diesem Economy-Modell – Vernunft-Tonabnehmer zu audiophilen Preziosen veredeln.

Das Besondere am Well Tempered Simplex Mk2

Nicht alles ist anders an Well Tempered. Der Teller des Simplex ist rund wie bei jedem anderen Dreher auch. Und er besteht aus Acryl, dem wohl konsensfähigsten aller Tellermaterialien: für einen Kunststoff mit relativ hoher Dichte gesegnet, stabil, gut zu bearbeiten und nebenbei schön anzusehen. Erst recht, seit die Neuseeländer – beziehungsweise deren Produzent, Opera in Peking – farbloses statt des schwarzen Acryls verwenden, das auf Abbildungen oft noch zu sehen ist. Wer einmal erlebt hat, wie die flach zum Fenster hereinscheinende Morgensonne den gesamten Rundling zum Leuchten bringt, während darauf eine Platte rotiert, will kein Schwarz mehr haben. Auch weil dieses weiche Licht, das der mattierte Tellerrand dann abgibt, wunderbar zum klanglichen Charakter des Simplex passt: weit und klar ausgeleuchtet, aber zugleich sehr, sehr sanft.

Well Tempered Simplex Mk2
Licht- und Schattenspiele: Morgendliche Sonnenstrahlen bringen den Teller des Test-Simplex zum Leuchten. Am rechten Rand tummeln sich Tonabnehmer-Alternativen – hier von Goldring und Audio-Technica. Der Arm verträgt sich mit nahezu jedem nicht völlig fehlkonstruierten System (Foto: B. Rietschel)

Mittig in den Teller eingepresst steckt eine Achse aus Stahl, die auf beiden Seiten herausragt: Nach unten als polierte Lagerwelle mit einem auffallend spitzen Ende, nach oben als Tellerdorn mit auffallender Überlänge. Warum die Spindel so lang sein muss, wissen wir nicht. Vielleicht wird sie als Gleichteil auch in Spielern mit dickerem Teller verwendet, was die Anzahl unterschiedlicher Achsen und damit die Kosten verringern würde. Vielleicht will Well Tempered auch nur die Besitzer ritueller Klemmen und Pucks zur Vernunft bringen: Das Zubehör lässt sich so gut wie nie weit genug auf die Achse stecken und eiert dann nutz- und würdelos über dem Label herum. Das Plattenauflegen dagegen wird durch die lange Achse vereinfacht, weil man in sicherer Höhe über dem Teller in Ruhe einfädeln und das Vinyl dann einfach loslassen kann. Ein paar Zentimeter tiefer landet es sanft auf einer Matte aus Kork-Gummi-Gemisch, die eine Aufmerksamkeit des deutschen Well-Vertriebs zu sein scheint. International liegen wohl immer noch die alten Schaumstoffmatten bei, die zwar ein bisschen schäbig aussehen, aber auch sehr gut funktionieren. Wer will, kann jede beliebige andere Matte verwenden, die er oder sie gerade vorzieht. Weil das Tellerlager auch in Modellen mit deutlich mehr bewegter Masse verwendet wird – und zwar seit vielen Jahren – dürfte es auch kein Problem darstellen, wenn die Auflage der Wahl etwas zusätzliches Gewicht mitbringt. Das gleiche gilt für etwas schwerere Klemmen – aber eher theoretisch, weil die meisten Modelle auf der langen Mittelachse wie gesagt gar nicht erst das Label erreichen und mithin zu eitel Tand verkommen.

Well Tempered Simplex Mk2 Lager
Tellerlager nach 2000 Stunden Dauerlauf: Die Teflon-Stahl-Paarung läuft im Ölbad und zeigt keinerlei Verschleißspuren (Foto: B. Rietschel)

Das Tellerlager ist eine vereinfachte Version des klassischen Well-Tempered-Lagers, das William Firebaugh 1987 zum Patent anmeldete: Ein „Zero Tolerance“-Lager, das den Zug des Riemens ausnutzt, um die Achse sanft an wenigen, definierten Punkten zu führen – quasi statisch bestimmt und damit absolut spielfrei. Ursprünglich waren es fünf Auflagepunkte: zwei am oberen Ende der Buchse in Richtung des Motors, zwei weitere unten auf der anderen Seite als Gegenlager, sowie einer am Lagerboden, der das Gewicht trägt. Im Lager des Simplex verschmelzen die letzten drei Lagerpunkte zu einem – oder zumindest fast: Die untere Spitze der Achse sitzt einfach in einer kleinen Vertiefung des Teflon-Lagerbodens und übernimmt neben der Tragfunktion auch die – sehr geringen – seitlichen Führungskräfte. Viel einfacher zu bauen, streng betrachtet etwas weniger konsequent, aber mit vernachlässigbaren Nachteilen.

Oben, also knapp unterm Teller, verläuft die Achse durch eine Teflonscheibe mit einem dreieckigen Ausschnitt, der mit einer Ecke genau in Richtung des Motors weist. Dieser Teflon-Winkel bildet mit der Achse die beiden oberen Kontaktpunkte. Die dritte Seite der Dreiecks-Führung hat im Spielbetrieb keinen Kontakt zur Achse. Sie verhindert lediglich, dass der Teller kippt, wenn der Besitzer oder die Besitzerin zum Beispiel eine Tonarmwaage oder Plattenbürste rechts vorne aufsetzt. Denn der Zug des Riemens ist sanft und reicht gerade aus, um die Achse im Betrieb sicher in Kontakt zu den Lagerflächen zu halten.

15 bis 20 Gramm auf dem rechten vorderen Tellerrand reichten an meinem Testgerät aus, um die Riemenkraft zu überwinden. Der Teller gibt dann um etwa einen Millimeter nach, um nach Entfernen der Last sogleich wieder zurück in seine stabile Lage zu federn. Im Alltag bekommt man davon gar nichts mit. Was man von der extravaganten Konstruktion tatsächlich bemerkt: dass sie extrem leise und stabil läuft. Zur Not sogar ohne Schmierstoff. Wobei Well Tempered ein Fläschchen Öl beilegt, das bis ans Ende aller Tage reichen müsste. Sollte es aber je ausgehen (eigentlich unmöglich: es kann ja nirgends hin), findet sich Ersatz in jeder Garage: Der Hersteller empfiehlt gewöhnliches Motorenöl der Viskosität 5W-40. Wobei das Selenia Racing 10W-60, von dem ich noch einige Liter Vorrat habe, weil ein leider verunfallter Lancia darauf bestand, einen etwas schwärzeren Bass und mehr Transparenz… nein, das habe ich nicht wirklich ausprobiert.

Nachdem wir ja bereits über den Riemen gesprochen haben: Das ist eigentlich gar kein Riemen, sondern ein String. Also eine in korrekter Länge verknotete Schlaufe aus hauchdünnem Nylonfilament. Das bewirkt zwar ein eher gemächliches Startverhalten, weil es weniger Grip hat als ein Gummiriemen. Aber dafür bringt es genau die gewünschte Elastizität mit, hat eine sehr konstante Dicke (wie groß können die Schwankungen schon sein, wenn der String selbst nur einen zehntel Millimeter dick ist?) – und ist billig zu ersetzen: Ein Rückumschlag an den Vertrieb reicht, und kostenloser Ersatz kommt postwendend. Und zwar „lifetime“ – solange es den Hersteller gibt. Da man die Nutzung guter Plattenspieler nicht in Jahren, sondern in Dekaden misst, ist es zudem beruhigend, dass man ein Röllchen des Fadens – gut für Hunderte von Strings – in jedem Hobbymarkt für ein paar Euro kaufen kann und das Manual eine detaillierte Knotanleitung enthält.

Well Tempered Simplex Mk2 String-Antrieb
Bewährter Antrieb: DC-Motor und Nylonstring versetzen den Acrylteller lautlos und stabil in Rotation. Der Faden ist nur 1/10 Millimeter stark. Rund 2000 Stunden Dauerbetrieb steckte er im Test dennoch problemlos weg (Foto: B. Rietschel)

Angetrieben wird der String durch einen Gleichstrom-Motor mit hauseigener Servoregelung und einem Pulley aus Aluminium, der zwecks Umschaltung von 33 auf 45 Umdrehungen über zwei Radien verfügt. Über Stop und Go entscheidet ein kleiner Kippschalter am Heck – nicht unbedingt der Gipfel der Ergonomie, aber letztlich dann auch wieder egal, zumal das Auflegen und Umdrehen von LPs sehr gut auch bei laufendem Teller funktioniert. Für einen DC-Motor mit der typischen hohen Drehzahl arbeitet der Well-Tempered-Motor angenehm geräuscharm, was sicher auch an der elastisch-dämpfenden Lagerung des potenziellen Unruhestifters liegt.

Die gesamte Motorsteuerung wohnt unweit des Schalters im Heck des Spielers unter einer attraktiven Alu-Abdeckung. Sollte die ab Werk präzise abgeglichene Drehzahl irgendwann – etwa durch Bauteilalterung, einen anderen Riemen oder, Gott bewahre – einen Mitlaufbesen – nicht mehr stimmen, lässt sie sich mittels eines kleinen Schraubendrehers an einem Trimmpoti korrigieren. Strom für die Motorsteuerung liefert ein 12-Volt-Steckernetzteil, das experimentierfreudige High-Ender durch ein vornehmeres Upgrade-Stromhaus aus dem Well-Sortiment oder womöglich auch durch eine akkubasierte Bastellösung ersetzen können. Wobei das Original-Netzteil bereits von sehr ordentlicher Qualität und klassisch mit Trafo und Gleichrichter aufgebaut ist. Gegenüber den zunehmend verwendeten Billigst-Schaltnetzteilen verspricht das schonmal deutlich geringere Störemissionen und auch eine längere Lebensdauer.

Der eigentliche Partytrick des Simplex sind aber nicht der interessante Stringantrieb oder das originelle Tellerlager. Beide funktionieren hervorragend, bereiten aber nur die Bühne für den einzigartigen Well-Tempered-Tonarm, mit dessen entferntem Vorfahren die Firma Mitte der 1980er Jahre startete. Die Mikrofon- und Messtechnikfirma Brüel&Kjaer hatte zuvor an Tonarmen geforscht und an den Einflüssen, die deren Klangeigenschaften beeinträchtigen. Ihre Resultate legten die dänischen Schwingungsspezialisten dann der ehrwürdigen Audio Engineering Society vor. Als ideale Tonabnehmer-Heimat forderte das AES-Paper von B&K einen leichten, aber perfekt gedämpften Arm, der nach einer Auslenkung augenblicklich und ohne Über- oder Nachschwingen wieder zur Ruhe kommen sollte. Nur wie das konkret umzusetzen sei, schrieben die Dänen nicht. Firebaugh, damals noch Ingenieur bei Ford, hatte eine Idee. Und dann noch eine, und noch eine. Und noch ein paar mehr. Nach zahllosen Testaufbauten und Prototypen entstand so der bis heute nur geringfügig veränderte „wohltemperierte“ Arm, der die Forderungen so eigenwillig wie effektiv umsetzt. Ein Lager im herkömmlichen Sinn, das Spiel haben oder Geräusche erzeugen könnte, gibt es nicht. Stattdessen schwimmt der Arm in einem Bad aus hochviskosem Silikonöl, wobei der tragende Körper einer Kugel gleicht, perfekt rund, aber mit hunderten präzise verteilten Dellen an ihrer Oberfläche.

Well Tempered Simplex Mk2 Aufbau
Golf im Schafspelz: Das Lager des Well-Tempered-Arms basiert auf einem veritablen Golfball. Der Zylinder darunter hat einen konkaven Boden und wird mit sehr zähem Silikonöl befüllt. Tonarmgalgen, -ablage und Dämpfungsbad sind unabhängig voneinander verstellbar. Den Azimuth verstellt man bequem durch Verdrehen der schwarzen Gummischeibe, die Auflagekraft klassisch mit verschiebbarem Gegengewicht – eine elektronische Tonarmwaage liegt dem Spieler bei (Foto: B. Rietschel)

Das sieht nicht nur aus wie ein Golfball. Es ist ein Golfball. Oben ist er durchbohrt, um das schlanke, mit feinstem Sand gefüllte Alu-Armrohr aufzunehmen. Damit das ganze Gebilde an Ort und Stelle bleibt, hängt es an einem stabilen Nylonfaden von einer Art Metallgalgen herab, der in der Höhe verstellbar und zur Einstellung des genauen Drehpunkts schwenkbar ist. Auch das Silikonbad ist höhenverstellbar. So lässt sich der Dämpfungsgrad verändern, ohne jedes Mal etwas von dem honigzähen Öl nachfüllen oder entfernen zu müssen: Je weiter der Golfball-Bauch in die farblose Masse eintaucht, desto stärker dämpft das Silikon. Als Faustregel empfiehlt das Handbuch ein Drittel des Durchmessers oder weniger. Eine praktisch perfekt aperiodische Dämpfung ist meiner Meinung nach schon deutlich früher erreicht. Und auch das klangliche Optimum ergab sich im Test bei eher geringen Eintauchtiefen. Wobei das natürlich vom Tonabnehmer abhängt. Die Auswahl ist hier besonders groß, weil die genaue Nadelnachgiebigkeit wegen der hochwirksamen und einstellbaren Bewegungsdämpfung keine entscheidende Rolle mehr spielt.

Übertrieben und keinesfalls zur Nachahmung empfohlen, aber nicht gelogen: Man kann den Arm aus der Haltegabel nehmen und das vordere Ende buchstäblich blindlings in Richtung Platte werfen. Er spielt einfach da weiter, wo er landet, ohne Nachfedern, Schwabbeln, Hüpfen und Stottern. Bewegt man den Arm beim ordnungsgemäßen Auflegen gemächlicher, spürt man keinerlei Widerstand. Schwenkt man ihn zügig, zum Beispiel von der Ablage zu einem bestimmten Titel, spürt man eine ganz weiche, sämige Bremswirkung, bei schnellen vertikalen Bewegungen ebenso. Nach dem Aufsetzen beruhigt sich die Nadel augenblicklich.

Das Handling vermittelt eine solche Sicherheit und Stabilität, dass man glatt vergisst, den Lift zu benutzen. Also hat Well Tempered einfach keinen montiert. Der Simplex MK2 ist damit noch manueller als andere manuelle Spieler. Das wird nicht jede/r mögen oder akzeptieren. Es ist aber selbst für nur mittelmäßig erfahrene Analogfreunde in der Praxis völlig OK. Wer unbedingt einen Heberich/Senkerich will, greift zum Beispiel zum großen, doppelt so teuren Simplex-Bruder Versalex, dessen Arm auch ansonsten etwas mehr Komfort und schimmernde Metalloberflächen bietet. Letztendlich funktionieren die Armverwandten aber genau gleich – und auch fast gleich gut. Ich würde jedenfalls, ohne zu zögern, meine kostbarsten Systeme in den Simplex montieren. Wobei… Moment! Das genau habe ich ja getan. Dauerhaft im Headshell verbleiben würde aber erstmal ein ganz preiswertes MC, mit dem der Well Tempered Simplex MK2 im Hörtest ein veritables Dream Team bildete.

Beim ersten Aufbau des nagelneuen Spielers hatte sogar ich Respekt vor der ungewohnten Konstruktion: Wo kann man wie fest hinlangen, wo lieber nicht, und wie vermeidet man, dass nachher alles mit Silikonöl verklebt ist? Das Armrohr ist filigran aus pulverbeschichtetem Alu, die Headshell nur mit einer zentralen Schraube fixiert. Das ist kein superfestes Hooligan-Tool wie der Linn Ekos oder ein Rega RB330. Am Well Tempered schraubt man mit Bedacht und moderatem Drehmoment. Andererseits muss man sich beim Hantieren am bereits installierten Arm nie Sorgen um sensible Kugellager machen, denn es gibt ja keine und das Silikon weicht auftretenden Kräften einfach aus.

Um beim ersten Aufbau das Risiko überschaubar zu halten, holte ich einen noch preiswerten, aber sehr kompetenten und ehrlichen Abtaster aus seiner Verpackung: Den Audio-Technica OC9XEN, der um die 350 Euro kostet und somit zu den günstigsten MCs zählt. Dank eigener Gewinde ist sein Metallbody ruckzuck am Well-Shell montiert, und auch die Überhangjustage ist im Rekordtempo abgehakt. Weil keine stattfindet. Abgesehen von einer Haaresbreite Luft an den Headshell-Löchern ist die Systemposition in diesem Arm vorgegeben, und in den anderen Modellen des Herstellers auch. Das hat eine gewisse Coolness und stößt Schablonenschüler wie mich ein klein wenig vor den Kopf. Ähnlich wie einst Guy Lamotte beim seligen Naim Aro geht William Firebaugh einfach davon aus, dass Tonabnehmerhersteller vernünftig sind und sich an das Standardmaß von 9,5mm zwischen Befestigungsschrauben und Nadelspitze halten. Das tun die allermeisten auf wenige Millimeterbruchteile genau – auch AT mit neun Millimetern. Wer wirklich mal einen Abweichler erwischt, etwa ein olles Ortofon MC20 mit 7 mm oder das astronomisch teure Ortofon Verismo mit 10,4 mm, kann immer noch durch leichtes Verschieben des Drehpunkts à la SME gegensteuern: In der Silikonwanne ist genug Platz für solche Korrekturen, und der Tonarm-Galgen ist – wer hätte Anderes erwartet? – nicht nur vertikal verschieb- sondern auch horizontal verdrehbar.

Well Tempered Simplex Mk2 Fuss
Sportgeräte, die Zweite: Vier Squashbälle sorgen als Füße für eine tatsächlich exzellente Entkopplung des Spielers. Höhenverstellbar sind die sportlichen Füße leider nicht (Foto: B. Rietschel)

Hörtest

Das AT-OC9XEN klingt im Well Tempered Simplex Mk2 einfach richtig. So richtig, dass ich lange suchen muss, um überhaupt Kritikpunkte zu finden. Also schnell, bevor ich sie wieder vergesse: Es gibt (natürlich) noch höher auflösende MC-Systeme. Etwa das Shibata-benadelte AT-33SH aus gleichem Hause für mehr Geld. Das bringt dann auch am Well-Tempered-Arm mehr Glanz und Klangfarben, eine noch feinere Körnung. Damit geht aber nicht die bei gehobenen ATs manchmal störende Helligkeit einher. Der Hochton bleibt bei aller Auflösung maßvoll, fast etwas warm-romantisch. Ein System, das im Well-Arm überhell und zischelig klingt, ist entweder eklatant falsch justiert oder defekt. Denn was im Hochton eines Plattenspielers manchmal unangenehm wird, sind nicht die paar dB plus oder minus, um die sich die Frequenzgänge moderner Tonabnehmer unterscheiden. Sondern es sind Verzerrungen. Vor denen sind auch teuerste Nadeln nicht sicher, wenn sie unter nicht-idealen Bedingungen arbeiten müssen.

Beim Well Tempered Simplex Mk2 ahnt man spätestens mit dem zweiten Tonabnehmer, der nach dem Einbau nahezu auf Anhieb weich, sauber und angenehm klingt, dass dieser Spieler am vorderen Ende seines Arms ganz besondere Wellness-Bedingungen schafft, die selbst gefürchtete Giftzicken-Abtaster in schnurrende Phonokätzchen verwandeln. Das Gewicht verlagert sich beim Wechsel zum Audio Technica 33Sa trotzdem ein klein wenig weg vom Erdverbunden-Standfesten, hin zum Spielerisch-Leichten. Das ist einfach Geschmackssache. Es bringt bei vielen Pop- und Rockplatten aber kaum zusätzliche Erkenntnisse, und es bringt den stolzen Besitzer oder die glückliche Besitzerin um eine coole Preis-Leistungspointe.

Well Tempered Simplex Mk2 mit Audio Technica
Für Premium-Hörer: Das Audio-Technica 33Sa kommt mit Shibata-Diamant an einem konischen Bor-Nadelträger und kostet etwa 750 Euro. Es tastet verblüffend geräuscharm und zugleich detailreich ab. Die Zarge aus dickem Birken-Multiplex trägt seitlich nur Klarlack (Foto: B. Rietschel)

Die herausragenden Eigenschaften im Klang des Simplex sind Ruhe, Stabilität und Abtastsicherheit. Letztere verortet man eigentlich eher im Tonabnehmer, beziehungsweise dessen Nadel. Aber dasselbe System, dieselbe Nadel spielt im Well-Tempered-Arm entspannter als in den allermeisten anderen Armen. Und das hat eben mit den ersten beiden Eigenschaften zu tun: Arm und Laufwerk schaffen es nicht nur sehr gut, jegliche externen Störungen vom Tonabnehmer fernzuhalten. Sie machen auch die beim Abtastvorgang entstehenden Vibrationen sehr effektiv unschädlich. Das hört man bereits, wenn man bei aufgesetzter Nadel und stehendem Teller ganz vorsichtig auf das Armrohr klopft (besser nicht nachmachen).

Da hört man nur ein dumpfes „Bup“ ohne erkennbare Tonhöhe. Kein Ding, Dong, Ping oder Deng oder Derdängderdäng, wie es manch durchaus teurer Arm schon von sich gegeben hat. Auch wenn Keith Jarrett mit seinem Konzertflügel auf „Dark Intervals“ (ECM 1379) mächtige, donnernde Klang-Cluster auftürmt, wird garantiert jede Resonanz angeregt. Da geraten die meisten Arm-System-Kombinationen doppelt in Bedrängnis: Nur gute und sauber justierte Nadeln haben überhaupt eine Chance, den krassen Auslenkungen dieser Pressung einigermaßen verzerrungsfrei zu folgen. Und selbst wenn die Nadel es schafft, ohne knisternd-kratzigen Kontrollverlust die schwierigsten Stellen zu passieren, hinterlässt das mechanische Eigenleben des Tonarms, angeregt durch die vom System eingeleitete Energie, immer noch Spuren im Klang: Das Gehör spürt untrüglich, wenn im Abtastvorgang Stress aufkommt, die Abbildung wird enger und dichter, die ganz großen Dynamikbögen kurzatmig. Mit dem Well Tempered passiert das praktisch gar nicht. Das können manche anderen Spieler auch – da bekommt man zum Preis des ganzen Simplex aber oft nicht mal den Tonarm.

Wo wir gerade bei ECM sind: „Book Of Days“ von Meredith Monk auf ECM New Series ist auch so eine schwierige Platte: Bezaubernd, weil hier zwar gesungen, aber keine Sprache verwendet wird. Und weil aus diesen reinen Stimmen, ohne Text und praktisch ohne Begleitung, unglaublich suggestive Stimmungen und Bilder entstehen. Aber für Vinylhörer:innen auch frustrierend, weil der zum Teil sehr dynamische Gesang vor dem kargen akustischen Hintergrund kleinste Abtastfehler gnadenlos zum Vorschein bringt. Auf dem Simplex meistert bereits das kleine Audio-Technica-MC diese Herausforderung sehr gut.

Meredith Monk „Book Of Days ECM New Series Cover
Macht Abtastfehler leider sehr deutlich: Meredith Monk „Book Of Days ECM New Series (Cover: JPC)

Von der Ruhe des Spielers profitiert auch die Abbildung: Ob eher fern und fein fokussiert oder nah und groß – etwa bei „Eliot‘s Song“ vom Score der zweiten Staffel der HBO-Serie „Euphoria“. Das Album des britischen Musikers und Produzenten Labrinth (ohne „y“) mischt Chöre, Kirchenorgeln, Pop, Hip- und Triphop zu einer coolen und zugleich rauschhaften Soundreise, die auch ohne Bildbegleitung so spannend und bewegend ist, dass man gar nicht anders kann, als sie von Anfang bis Ende durchzuhören. Um dann auf der B-Seite „Eliot‘s Song“, einer wunderschönen kleinen Ballade zu begegnen, auf der neben Labrinths eigener Stimme auch ganz sanft, fast gehaucht, die von Dominic Fike und Hauptdarstellerin Zendaya zu hören sind. Das ist edler, feiner und für meinen Geschmack gerade darum audiophiler produziert als so manche in your face herangezoomte Jazztante. Aber auch schwieriger überzeugend wiederzugeben.

Well Tempered Simplex Mk2 von oben
Vertigo Days: Auch mit der aktuellen Notwist-LP gelingt dem Well Tempered eine schöne Balance zwischen saftigem Bass und akkuratem Mittelhochton – ohne jede künstliche Kratzigkeit (Foto: B. Rietschel)

Der Well Tempered kann nicht zaubern, übt aber schon eine gewisse Magie aus: Analogklang wirkt damit unkompliziert, entspannt und problemarm. Und gerade, wenn der Verdacht aufkommt, er erschwindle sich sein ausgeglichenes Wesen vielleicht mit gedeckelter Dynamik und weichgezeichneten Details, widerlegt die nächste wirklich dynamische Platte diese These. Bei „Loose Ends“ auf der aktuellen Notwist-LP „Vertigo Days“ haben die Drums jedenfalls reichlich Kick und die Gitarren schönen, unmittelbaren Grip. Der Simplex ist möglicherweise nicht die ultimative Maßnahme in Sachen Basshärte und -schwärze. Untenrum einfach quantitativ mehr liefert zum Beispiel ein Technics SL-1200GR mit Denon DL-103. Wer‘s noch trockener und konturierter mag, könnte mit dem Transrotor Max Nero und dessen Rega-Arm den gewünschten Sound finden. Der Simplex hat einen etwas weicheren Antritt, aber der passt perfekt zu seinem eleganten, vornehmen Gesamtklang. Der zudem ohne große Verrenkungen und leicht reproduzierbar immer wieder zu erreichen ist: Die Überhangjustage fällt aus, und auch das Antiskating bereitet kein Kopfzerbrechen. Der Arm kompensiert die Skatingkraft nur Pi mal Daumen durch eine 180-Grad-Verdrillung des Aufhängeseils. Die realen Kräfteverhältnisse sind vermutlich kompliziert, die reale Annäherung passt aber sehr gut und ich hatte nie das Gefühl daran etwas ändern zu müssen.

Ich würde abschließend den Charakter des Well Tempered Simplex Mk2 als auffallend sauber und verzerrungsarm  zusammenfassen. Und zwar mit jedem Tonabnehmer, den ich probiert habe. Diese offensichtliche Verzerrungsarmut erklärt auch den weichen, runden, subjektiv manchmal etwas weniger anspringenden Klang, den die Tonabnehmer darin annehmen: Wenn Klirr wegfällt und der Hochtonpegel ansonsten gleichbleibt, klingt‘s unterm Strich eben etwas dunkler. In diesem Punkt unterscheiden sich meine Eindrücke kein bisschen von denen, die J. Gordon Holt beim allerersten Test eines Well-Tempered-Tonarms in der stereophile bereits im Jahr 1985 gewann. Oder auch von meinen eigenen Hörtests vor über 20 Jahren mit dem konstruktiv dem Simplex schon sehr ähnlichen Ur-Amadeus. William Firebaughs radikales Tonarmkonzept funktioniert. Die Viskosität des Silikonbads lässt das „Lager“ des Arms bei Audiofrequenzen hart werden wie Stahl, und erlaubt zugleich absolut ungestörte Beweglichkeit auf realen, gerne auch leicht exzentrischen oder verwellten Platten. Das Armrohr – diese simple sandgefüllte Alustrebe – ist sicher nicht das Steifste im Universum. Aber sie verhält sich akustisch absolut neutral und lässt den Tonabnehmer wirklich ungestört sein Ding machen. Darauf kommt es an – heute wie schon vor 20 oder 40 Jahren.

Fazit Well Tempered Simplex Mk2

Eine gewisse Unerschrockenheit gehört dazu, um sich mit dem Simplex anzufreunden, der seinen Namen schließlich nicht zum Spaß trägt. Idealerweise hilft ein erfahrener Händler beim ersten Aufbau. Bei dem können Interessent:innen auch ausprobieren, ob sie mit dem liftlosen Arm zurechtkommen. Meine Vorhersage: 90 Prozent werden die Aufsetzhilfe nach der zweiten Platte nicht mehr vermissen. Durch die hohe und einstellbare Dämpfung des Arms sind der Tonabnehmerwahl praktisch keine Grenzen gesetzt: Harte wie weiche, schwere wie leichte Systeme stehen so stabil in der Rille, als stünde diese still. Die Musik dagegen bewegt sich umso mehr: anmutig, fein aufgelöst und stressfrei – selbst schon mit relativ preiswerten Tonabnehmern. Die Praxisnote leidet etwas unter dem fehlenden Lift und der etwas fummeligen Justage. Beide Einschränkungen sind aber Gewöhnungssache. Einmal aufgebaut und eingestellt, ist der Simplex absolut langzeitstabil und wartungsfrei.

Well Tempered Simplex Mk2
2023/02
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Außergewöhnlich sauberer, unangestrengter Klang
Arm harmoniert mit harten wie weichen Systemen gleichermaßen gut
Sehr ruhiges, stabiles Laufwerk
Keine Haube, Lift nur gegen Aufpreis, Azimuth nur bedingt einstellbar

Vertrieb:
CW Acoustics
Gartenstrasse 4
76761 Rülzheim
Tel : 07272 777 56 47
www.cw-acoustics.eu

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Well Tempered Simplex Mk2: 2.750 Euro
Tonarmlift: 220 Euro

Mit- und Gegenspieler:

Test Technics SL-1200GR – die Direktantriebs-Legende
Test Plattenspieler Transrotor Max Nero 2022 mit RB880 und Merlo

Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.