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Mike Scott Waterbpys
Ober-Waterboy Mike Scott vereint in seinem Werk unterschiedliche Facetten – den Rocker, den Feingeist, den Melancholiker. Auf dem aktuellen Waterboys-Album „Good Luck, Seeker“ gibt es diese spannende Mischung in Bestform zu erleben (Foto: Scarlett)

The Waterboys Good Luck, Seeker: das Album der Woche

Nahezu im Achtzehn-Monatsrhythmus veröffentlichen Mike Scott und seine Waterboys seit einigen Jahren ein Album nach dem anderen – ob da tatsächlich immer eine Steigerung zum Vorgänger möglich ist? Dass Where The Action Is  aus dem Frühjahr 2019 die Latte ganz schön hoch legte, macht die Sache für das neue Album nochmals schwerer. Doch siehe da: Auch die vierzehn neuen Songs strotzen vor Vitalität und Abwechslungsreichtum: ein emotionsgeladener Parforce-Ritt durch Soul, Rock und Folk. The Waterboys Good Luck, Seeker ist unser Album der Woche.

Dabei fällt das neue Album – Nummer 14 in der offiziellen Bandbiografie – eher in die Kategorie „Zufallsprodukt“ als in die Rubrik „lange geplantes Meisterwerk“. Oder besser gesagt: Good Luck, Seeker ist die Arbeitsbilanz eines Vollblutmusikers, der fernab jeglichen Kalküls seiner Leidenschaft nachgeht, es bündelt sozusagen die Ernte nach zwölf, vierzehn Monaten Lebenszeit im ureigensten Terrain eines Musikers.

Die technische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre hat dabei unmittelbaren Einfluss auf Werk und Schaffen. „Früher schrieb ich einen Song, buchte ein Studio und stellte meine Band zusammen“, erläutert Mike Scott, „das war mitunter auch eine sehr trockene Arbeitsweise. Heutzutage gehe ich in mein Heimstudio, mach‘ den Computer an und habe immer etwas am Brodeln. Ich bin da wie ein Kind im Spielzeugladen: Ich habe die ganze Zeit Spaß!“ Die so entstandenen Skizzen und Songfragmente schickte Scott dann an seine Waterboys-Kumpels, die in ihren eigenen Heimstudios eigene Teile hinzufügten, welche der schottische Sänger, Multiinstrumentalist, Bandleader und Produzent wiederum weiterbearbeitete – „und plötzlich wurde mir klar, dass ich ein Album gemacht hatte.“

Inspirationen sammelte Scott, mittlerweile bald 62 Jahre alt, sowohl in seiner persönlichen Geschichte als auch in der goldenen Vergangenheit und der aufregenden Gegenwart des Popmusik: Die Rolling Stones, Kate Bush, Sly Stone und Kendrick Lamar lieferten Inspirationen, aber auch der eigene Werkkanon. So mischt sich der angelsächsisch geprägte Folkrock-Sound der Waterboys auf  The Waterboys Good Luck, Seeker  mit hitzigem Seventies-Rock und einer tüchtigen Portion Soul transatlantischer Herkunft. Gleich zu Beginn schnürt „The Soul Singer“ mit feurigen, geradezu fleischig fetten Bläsern eine Verbindung aus klassisch-amerikanischem und zeitgenössisch-europäischem Soul. Sehr elegant geht es weiter mit „You’ve Got To Kiss A Frog Or Two“, das mit federnden Beats und geschmeidigen Gitarren-/Keyboardklängen an die goldenen Jahre des englischen Blue-eyed-Soul erinnert.

The Waterboys Good Luck, Seeker: die Musik

Mit „Low Down In The Broom“ ändert sich dann die Wetterlage: Allerlei flirrend-fiebrige Saitensounds künden von Mike Scotts Faible für düstere Stimmungen, undurchsichtige Charaktere und mystische Gestalten des 20. Jahrhunderts. Eine davon steht im Zentrum des nächsten Songs: Mit schneidenden Riffs, einer nervösen Orgel und unnachgiebigen Drumbeats zwischen HipHop und Rock heften sich Scott & Kollegen hier an die Fersen von Hollywood-Raubein „Dennis Hopper“; sogar ein paar digitale Spielereien klingen an. „Er ist einer meiner persönlichen Helden“, verrät der Chef-Waterboy – „sein Auf und Ab durchs Lebens spricht mich einfach an. Ich bewundere ihn dafür, was er durchgemacht hat und wie er nach Krisen mit einem Augenzwinkern einfach zurückgekommen ist.“

„Sticky Fingers“ verweist dann 46 Sekunden lang auf die Rolling Stones, ehe mit „Why Should I Love You“ eine Verbeugung vor Kate Bush folgt. „Ein trauriger, bittersüßer Song“, seufzt Scott. Das Original, eine Zusammenarbeit mit Prince, findet sich bekanntlich auf Kate Bushs Red Shoes-Album von 1993 – „es ist eines meiner Lieblingslieder von ihr.“ Für eine Compilation seiner damaligen Plattenfirma EMI hatte Scott den Titel 1997 schon einmal aufgenommen, „aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich diesen Song damals in angemessener Weise gesungen habe. Also habe ich mir die Multitrack-Dateien nochmals vorgeknöpft, manches hinzugefügt, anderes gelöscht, neue Gitarrensounds eingespielt und alles nochmals neu eingesungen. Das Ganze ist also eine Zusammenarbeit mit mir selbst – so, wie ich 1997 war und so, wie ich heute bin.“

Bis hierhin ist The Waterboys Good Luck, Seeker also schon mal ein wunderbares, facettenreiches Werk, das mit den flammenden Geigen von Steve Wickham, der extravaganten Orgel von Brother Paul, den groovigen Drums von Ralph Salmins und Scotts eigenen brennenden Gitarrensoli rund vier Jahrzehnte Bandgeschichte bilanziert und Einflüsse von Waterboys-Meilensteinalben wie A Pagan Place, Fisherman’s Blues  oder Dream Harder  reflektiert. Ohne große Diskussionen wären vier LowBeats-Sterne als Wertung also schon mal geritzt.

Aber halt: Das Beste kommt ja erst noch: „My Wanderings In The Weary Land“ greift als gewaltiges Gitarrengewitter der Extraklasse den Faden des 2000er-Albums A Rock In The Weary Land  auf und bringt über 6:48 Energie und Emotion pur. Salmins gibt seinem Drumset ordentlich Saures, Scott bringt die Saiten seiner Elektrischen förmlich zum Glühen. Schließlich, nach rund vier Minuten, schert er aus dem Gruppensound aus, um Freunden der Rockgitarre ein Solo zu schenken, das zum Furiosesten gehört, was es in diesem Jahr bisher zu hören gab. Intime Kenner der Waterboys-Historie werden es bemerken: Der Backing Track geht auf den Song „The Return Of Jimi Hendrix“ vom 1993er-Album Dream Harder  zurück. Im Vorfeld zur 2015er-Tournee seiner Band schrieb Scott hierfür ein neues Arrangement und nahm eine Demoversion in einem Motown-ähnlichen Uptempo-Beat auf. Auch diese Aufnahme ruhte indes wieder fünf Jahre im Archiv, ehe Scott schließlich auf die sleeve notes stieß, die er einst für A Rock In The Weary Land  verfasst hatte und die sich nun als stimmige Basis für den Songtext entpuppten. „Alles passte ideal zueinander und entwickelte ein großartiges Eigenleben“, beschreibt Mike Scott dieses Puzzle aus unterschiedlichen Einzelteilen des Waterboys-Oeuvres, die jetzt perfekt miteinander harmonieren.

Nicht weniger intensiv, allerdings nur 1:51 kurz gerät „Everchanging“ an vorletzter Position – auch hier geben röhrende Saitenriffs den Ton an. Aber natürlich gibt es auf Good Luck, Seeker  nicht nur den kernig zupackenden Gitarren-Berserker, sondern auch den sensitiven Songpoeten Scott zu entdecken. „Postcard From The Celtic Dreamtime“ und das finale „The Land Of Sunset“ zeigen den keltisch-folkloristischen Teil seiner schottischen Seele und sein Faible für intensive spoken poetry im Stil eines Van Morrison oder Jackie Leven. Alles zusammen: ein prachtvolles Album, das diesen Waterboy von der schottischen Ostküste in seiner ganzen musikalischen und emotionalen Bandbreite als Rocker, Feingeist und Melancholiker porträtiert.

The Waterboys Good Luck, Seeker Cover
The Waterboys Good Luck, Seeker ist bei Sony Music/Essential Music (Sony Music) erschienen und ist erhältlich als Audio CD, MP3-Download oder Vinyl-LP, z.B. bei amazon.de (Cover: Amazon)

 

The Waterboys
Good Luck, Seeker
2020/08
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.