Dr. Strebsam: Alle kennen JBL-Boxen, sei es aus dem Konzert, dem Kino oder in kompakter Form aus der Reisetasche. Doch so bekannt die Profi-Boxen, HiFi-Lautsprecher und Bluetooth-Sound-Systeme auch sind, so wenige Insider kennen Dr. Sean Olive und seine legendäre Ideenschmiede in Northridge. Der Northridge Campus in Kalifornien ist die Versuchs- und Entwicklungseinrichtung für alle Lautsprecher und Kopfhörer aus dem Hause HARMAN International. Als Teil einer ausgewählten Besuchergruppe konnte ich im Rahmen der „Science of Sound“-Tour für einen halben Tag hinter die Kulissen einer legendären Institution schauen, in der die JBL-DNS am kochen gehalten wird.
Die Tour beinhaltete das Lautsprecher-Labor mit seinem schalltoten Messraum, verschiedene Testlabore für Wettbewerbsvergleiche unterschiedlicher Lautsprechersysteme oder Kopfhörer und die riesige JBL-Arena für den Vergleich von wirklich großen Konzertsystemen. Ein weiteres Highlight war ein kleiner Blick auf das HARMAN Automotive-Labor, wo wir das JBL Pro System in einem Ferrari California T – im Moment in meinen Ohren das beste Cabrio-Sound-System – im Stand hören konnten. Das Vergnügen hatte ich allerdings schon auf der letztjährigen IFA in Berlin. Klar, dass ich lieber im sonnigen Kalifornien damit eine Runde gedreht hätte. Das vereitelte jedoch der enge Terminplan …
Dabei begegneten wir Dr. Sean Olive, Director of Acoustic Research and Corporate Engineering bei HARMAN. Die Koryphäe plauderte aus dem Nähkästchen und führte mit unserer kleinen internationalen Gruppe einige äußerst interessante Experimente durch. Es handelte sich um Schmankerl wie den vollautomatischen, via eigener iPad-App gesteuerten Lautsprechervergleich hinter einem akustisch transparenten, aber undurchsichtigen schwarzen Vorhang. Mit der nur intern verwendeten App ließen sich die Lautsprecher über eine ausgeklügelte Mechanik tauschen und bewerten. Am Ende des perfekten Blindtests sah jeder sein Ergebnis. Dabei fiel auf, dass zwischen mir als altem Hasen und den in Sachen Sound eher unerfahrenen Mädels von der Lifestyle-Presse zumindest in der Reihenfolge eine Korrelation herrschte. Tatsächlich schnitt eine Standbox aus der Revel-Familie dabei gegen illustre Konkurrenz am besten ab.
Einige Fragen an Dr. Sean Olive
Während unseres Besuchs haben Sie über Ihren Wunsch nach allgemeinen Branchenstandards gesprochen, nach denen es möglich sein sollte, die Soundqualität der verschiedenen Kopfhörer unabhängig und neutral zu vergleichen. Haben Sie eine konkreten Idee, wie dies ermöglicht werden könnte und wie ein solcher Standard überhaupt definiert werden sollte, damit zuverlässige und reproduzierbare Ergebnisse unabhängig vom Versuchsort erzielt werden?
Dr. Sean Olive: Gegenwärtige Standards für Kopfhörer sind etwas veraltet und überholt. Zudem werden sie nicht wirklich durch das, was wir „kontrollierte Hörtests“ nennen, unterstützt und bestätigt. Also haben wir hier bei HARMAN im ersten Schritt einige dieser Tests selbst entwickelt, um zu analysieren, worin Zuhörer mit uns übereinstimmen, was sich über einen Kopfhörer wirklich gut anhört. Auf dieser ersten Ebene war es wichtig, akkurate und wiederholbare Ergebnisse von den Hörern zu erzielen. Sobald wir konkrete Beispiele hatten, die deren beschriebene Qualität der Hörerfahrung widerspiegelten, machten wir es uns zur Aufgabe, die spezifischen technologischen Parameter zu bestimmen, die mit dieser wahrgenommenen Soundqualität korrelieren.
Eine der Herausforderungen dieses Prozesses ist die Passform der Kopfhörer, weil diese die individuell angestrebte Soundqualität bestimmt. Wir haben unter anderem herausgefunden, dass man, solange die Kopfhörer über die Ohren passen und dabei einen konstanten Halt haben, ziemlich akkurate, allgemein gültige und reproduzierbare Ergebnisse erhält. Trotzdem, sobald kleinere oder schlechtsitzende Ohrhörer genutzt werden, gibt es sehr viele Schwankungen innerhalb der subjektiven Wahrnehmung der Zuhörer und Messungen der akustischen Effekte, die am Eingang des Ohrkanals auftreten. Aufgrund unserer Versuchsreihen haben wir hier bei HARMAN den Ansatz übernommen, dass die Wissenschaft dahinter den Vorrang hat, bevor man überhaupt an einen Branchenstandard denken kann. Wir sind derzeit, auf Basis unserer Daten mit dem Fokus auf modifizierte Ohrmuscheln, in Gesprächen mit Herstellern von Testausrüstungen für Kopfhörer, um die Messungen zu verbessern und eine möglichen Standard zu schaffen.
Wir führen immer noch unsere eigenen Versuche durch – so ausführlich und wissenschaftlich wie möglich. Innerhalb der Audio Engineering Society existiert aber auch eine Gruppe, ein technisches Komitee für Kopfhörer. Also wäre eine Herangehensweise, unsere Ergebnisse vorzuzeigen und anzufangen, mit der Audio Engineering Society oder ähnlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, um zu prüfen, ob wir uns auf einen Standard einigen können.
Messungen mit Lautsprechern lassen sich dank schalltoter Messräume unter einfach zu kontrollierenden Umständen durchführen. Kopfhörer sind da eine ganz andere Geschichte, da die Struktur von Kopf und Ohr eine sehr große Rolle in der individuellen Geräuschwahrnehmung spielt. Wie definieren Sie einen Standard für Kopfhörer, wenn es nicht einmal einen genauen Standard für Kopf und Gehörgang gibt?
Dr. Sean Olive: Die Branche hat bereits versucht, einen Mittelwert zu berechnen und damit standardisierte Berechnungssysteme zu schaffen und zu nutzen. Jedoch sind sich die meisten Branchenvertreter einig, dass, sobald acht oder neun Kilohertz erreicht werden, diese Berechnungen keineswegs mehr akkurat sind. Also ist das Beste, was man machen kann, zu akzeptieren, dass Beschränkungen innerhalb der Standards existieren. Aber immerhin entwickeln alle Hersteller dann ihr Produkt auf der gleichen Grundlage. Somit sind die relativen Unterschiede zwischen den Kopfhörern völlig akzeptabel. Darüber hinaus schauen wir aber auch auf die Rahmenbedingungen, mit denen Journalisten ihre Tests durchführen, und unterstützen sie dabei, damit man zumindest Äpfel mit Äpfeln vergleichen kann. In all unseren Untersuchungen und Tests verwenden wir mehrere Samples, um einen Qualitäts-Mittelwert zu erreichen. Üblicherweise führen Magazine und Rezensenten keine Blindtests in solch einem großen Rahmen durch, wie es HARMAN hier in Northridge tut.
Streben Sie, mit dieser Beschränkung von Kopfhörer-Standards im Hinterkopf, nach dem Ziel einer Standardfrequenz?
Dr. Sean Olive: Wir versuchen, passende Zielfrequenzbereiche zu definieren, indem wir herausfinden, was Menschen normalerweise bevorzugen, wenn sie Musikaufnahmen hören. Durch Messungen am Ohr haben wir herausgefunden, dass Menschen die Bereiche bevorzugen, die einem neutralen Lautsprecher ähneln, der an einen Raum angepasst wurde. Generell bevorzugt die Allgemeinheit Kopfhörer mit einem Frequenzbereich, der nahe des diffusen Schallfelds ist, aber auch einen Bass tiefer als 125 Hz besitzt. Unsere Erkenntnisse waren, dass das diffuse Schallfeld zu dünn wahrgenommen wird und der Bass-Bereich sowie der des Freifelds zu dünn und hell. Was beiden fehlt, ist die Interaktion mit dem Raum bei niedrigen Frequenzen. Das sorgt dafür, dass sich das diffuse Schallfeld sowie die Kalibrierung des Freifelds total unausgeglichen anhören. Die meisten Räume liefern einen extra Bass unterhalb von hundert Hertz. Aufnahmen werden üblicherweise für Lautsprecher in einem Raum konzipiert, was bedeutet, dass der Raumeffekt in die Abmischung einbezogen und genutzt wird. Daher wird der Bass der gleichen Aufnahme als zu dünn wahrgenommen, wenn man sie mit Kopfhörern anhört.
Gibt es spezifischen Unterschiede, wenn man Hörtests mit Lautsprechern durchführt und diese mit den Tests von Kopfhörern vergleicht?
Dr. Sean Olive: Kopfhörer sind in vielerlei Hinsicht eine weitaus größere Herausforderung. Man kann Lautsprecher ganz einfach hinter einem Vorhang verstecken, und die einzelnen Boxen lassen sich immer exakt an der gleichen Stelle im Raum aufstellen, sodass die Hörerfahrung wirklich vergleichbar ist. Mit Kopfhörern sind Tester immer voreingenommen, was das Gewicht und das Wohlgefühl angeht, obwohl ein Assistent ihnen die Hörer von hinten auf den Kopf setzt, um die Markenerkennung zu erschweren. Also haben wir hier bei HARMAN eine Methode entwickelt, die wir „Virtual Headphone“ nennen. Wir nutzen einen einzigen Kopfhörer für alle Versuche, die wir flach ausgleichen, und dann simulieren wir alle Kopfhörer auf dieser einzigen Einheit. Auf diese Weise haben wir einen komplett zuverlässigen Test, in dem jegliche Voreingenommenheit gegenüber allem, was nicht mit dem Sound zu tun hat, nicht ins Spiel kommt. Außerdem haben wir herausgefunden, dass Verbraucher schneller voreingenommen sind, wenn sie weitaus einfacher zwischen den Kopfhörern wechseln können. Nichtsdestotrotz muss die komplette Evaluation jeglicher Kopfhörer einen Blick auf die akustische Leistung sowie den Komfort und das haptische Erlebnis werfen.
Bei unseren Produktversuchen integrieren wir eine breite Palette an Konkurrenzmodellen – auch jene, die als Beste am Markt gelten. Das ist notwendig, um zu erkennen, wo unsere eigenen Produkte stehen. Indem die Hörer uns verschiedene Wertungen für unterschiedliche Eigenschaften der Soundqualität mitteilen und ihre Meinung kundtun, lernen wir auch zu verstehen, wo ihre Vorlieben liegen. Indem wir das Feedback der Hörer auswerten, lernen wir auch, was wir an einem Produkt verbessern können.
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