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Unten das Netzteil, oben die Endstufe: KlarTon 604
Vier Räder, 40 Kilogramm, anderthalb Watt: KlarTon604 mit Röhre RE604 (Foto: R. Kraft)

Single-Ended Endstufe mit der Röhre RE604

Es war grad keiner da, der es mir ausgeredet hat: Röhrenprojekte von Wahnsinnigen für Wahnsinnige. Diesmal: die Röhre RE604. Die KlarTon 604 ist eine Single-Ended-Endstufe mit der Röhre RE604 und hangelt sich an sehr alten Schaltungsprinzipien entlang. Der Verstärker ist ein ausschließlich für mein (Audio-) Labor gedachter Experimentier-Träger, den man so „offen“ wie hier natürlich keinesfalls nachbauen sollte; Sinn der Sache war es, schnell Veränderungen vornehmen zu können.

(Ironieschalter: An): Der Verstärker steht, wie man unschwer erkennt, völlig im Einklang mit allen elektrotechnischen Vorschriften einschließlich RoSH und wurde vorschriftsgemäß mit dem bekannt gut klingenden, bleifreien Lötzinn gefertigt. Eine deutsche Übersetzung der Bedienungsanleitung liegt ebenfalls vor und beschreibt ausführlich die Inbetriebnahme, die im wesentlichen aus dem Herumdrehen des Hauptschalters besteht, der auf einem Münchner Flohmarkt aus einer Kiste mit 40er-Jahre-Elektromaterial exhumiert wurde. Wie man an dem wegen der Sicherheit hermetisch geschlossenen Gehäuse unschwer sieht, dürfte die freie Wärmeabfuhr der insgesamt zehn Röhren kein Problem darstellen … (Ironieschalter: Aus).

So bitte nicht nachbauen!!!

Nun mal ganz ohne Spass an der Freude: Hier geht es um ein Demo- oder Experimental-Teil, welches natürlich nicht den geltenden Sicherheitsvorschriften entspricht. So wie gezeigt darf der Amp (oder andere Röhrenverstärker) weder gebaut noch betrieben werden! Auch ist das hier keine Bauanleitung, sondern lediglich eine Vorstellung eines rein experimentellen Röhrenprojekts, die sich nicht an Einsteiger, sondern an erfahrene Lötkolben-Artisten richtet …

Die KlarTon 604 (ich nenne alle meine Amps KlarTon, zur Erinnerung an die uralte deutsche Marke :-) entstand nicht nur aus der Intention heraus, wieder mal einen Verstärker mit der Röhre RE604 zu bauen, sondern auch, weil ich es diesmal anders machen wollte. Gerade die vielen Single-Ended-Standardschaltungen sind zwar nicht schlecht, aber meistens doch langweilig und vorhersehbar. Außerdem wollte ich anfangs unbedingt ein sehr altes, rein Übertrager-gekoppeltes Schaltungskonzept bauen, das sich im Verlauf des Entwurfes doch ein wenig abwandelte. Im Focus stand immer eine Kombination aus RE134 als Treiber und RE604 als Endröhre. Die resultierende „Leistung“ von knapp zwei Watt führt naturgemäß dazu, dass nur sehr „laute“ Lautsprecher als Partner geeignet sind.

Unten das Netzteil, oben die Endstufe: KlarTon 604 mit Röhre RE604
Vier Räder, 40 Kilogramm, anderthalb Watt, 8 x Röhre RE604 (Foto: R. Kraft)

Übertragerkopplung

Schaltungstechnisch benutzt die KlarTon 604 einen Eingangsübertrager im Übersetzungsverhältnis 1:4, anschließend folgt eine Verstärkerstufe mit der RE134, die via Lundahl-Interstage LL1660 1:1 übersetzt an die Röhre RE604 ankoppelt. Der 20-Watt-Ausgangsübertrager lag noch rum, er stammt von James Audio (fürs Geld beileibe nicht schlecht!) und könnte leicht überdimensioniert sein.

Der Dual-Mono-Aufbau besitzt vier unabhängige Heizspannungs-Versorgungen für die direkt geheizten Röhren, diese Netzteile bestehen jeweils aus einer mehrstufigen CLC-Siebung. In den beiden Hochspannungs-Netzteilen kommen je zwei parallel geschaltete Gleichrichter RGN1054 zum Einsatz, die Siebung übernehmen eine Art halber L-Eingang (der erste Siebkondi, altes russisches Öl, vor der Siebspule nur zwei Mikrofarad groß) plus eine (Transistor-) Gyrator-Stufe, dann neue Mehrfach-Kondis alter Bauart (Lieferant: www.fragjanzuerst.de/) und natürlich eine weitere RC-Siebstufe für den Treiber.

Jettron-Schaltrelais überbrücken derzeit noch nach 300 Sekunden Verzögerung einen großen „Bremswiderstand“ in der Anodenspannung (geht zugegeben viel eleganter mithilfe von Thyristoren, zumal sich herausstellte, dass die ziemlich heiß laufenden Jettron-Schaltröhren nicht gerade zuverlässig sind und schalten, wann sie Lust haben …

Nicht vergessen: Bei direkt geheizten Gleichrichtern kommt die Anodenspannung praktisch schlagartig hoch, was die langsam anheizenden Trioden stresst (Stichwort: Anoden-Kaltspannung). Die Heiz-Stromversorgung der Jettrons sowie des aus Lust und Laune eingebauten, nur als Betriebsanzeige dienenden „Magischen Auges“ UM35 übernimmt schließlich ein abgeschirmtes Schaltnetzteil.

Die offene Bauweise der KlarTon 604 mi Röhre RE604. Ganz unten: das Netzteil
Hier ist die offene, Änderungs-freundliche Bauweise sehr schön zu sehen. Wenn nur die Schlepperei nicht wäre … (Foto: R. Kraft)

Spezielle Schaltungstechnik

Bei diesem zweistufigen Eintakt-Amp ist die Betrachtung der Schaltung rund um die Kathoden interessant. In diesem Zusammenhang möchte ich an ein bisschen Lesestoff erinnern, etwa an die 2004 von Lynn Olson inspirierte Diskussion über Input- und Output-„Loops“ sowie auch an den im RCA Tube Manual noch knapp angesprochenen (Western-Electric-) „Grid Bypass“ oder auch an gemeinhin als „Western-Electric-Input“ und „Western-Electric-Output“ bezeichnete Schaltungen.

Diese machen sich im Netz sehr, sehr rar und sollten vielleicht besser am Prinzip-Schaltplan angeschaut werden. Ähnliche Strukturen findet man etwa auch in den Plänen der sehr frühen Verstärker WE 34-A oder WE 32. Im alten Vacuum Tube Valley (VTV No.16) gab es ebenfalls noch einen zusammenfassenden Artikel von Olsen zu diesen prinzipiellen Dingen.

Schaltungsplan WE32A Verstärker für Röhre RE604
Hier finden wir das Prinzip: die WE32A aus den frühen 20er Jahren – vor der Erfindung spezieller Gleichrichterröhren. Dafür diente hier die zweite 205D

Im größeren Zusammenhang lesenswert ist ebenfalls die Ultrapath-Story bei Tubecad sowie einige Absätze im klugen Blog von Richard Sears, der an eine dort „Direct Feed“ getaufte WE-Schaltung erinnert. Bei näherer Betrachtung ist klar, dass die hier aufgebaute Schaltung sehr durch tieffrequente Selbsterregung gefährdet ist und entsprechend sorgfältig dimensioniert werden muss.

Früher benutzte man diese Eigenschaft möglicherweise (?) auch ganz bewusst, um den Frequenzgang nach unten hin zu erweitern; falls zusätzlich Kathoden-Bypass-Kondensatoren verwendet werden, dienen sie hierbei nicht mehr ihrem üblichen Zweck, sondern (viel größer dimensioniert) dem Schutz vor unerwünschter tieffrequenter Schwingung. In alten Western-Plänen sind diese „Schutzkondensatoren“ entweder nicht vorhanden oder sehr klein ausgelegt – kein Wunder, wenn man sich klar macht, dass große Kapazitätswerte damals sehr teuer waren. Es war übrigens hilfreich, diese Schaltung vor der Realisation ausführlich in einem Simulationsprogramm (bei mir ein altes Electronic Workbench) zu studieren; die so festgestellten Eigenschaften trafen in der Realität tatsächlich sehr exakt zu.

Prinzpplan KlarTon 604
Das ist das Prinzipschaltbild einer Verstärkerstufe. Zwei dieser Stufen sitzen hintereinander. Damit die Verstärkung ausreicht, hat der Eingangsübertrager eine Übersetzung von 1:4
Offene Bauweise, trotzdem sehr guter Signal-to-Noise!
Trotz der großen, offenen Bauweise wurde ein professioneller Störspannungsabstand erreicht, der es ermöglicht, an „lauten“ Treibern völlig brummfrei zu arbeiten (Foto: R. Kraft)

Wie immer spielt auch die Güte der verwendeten Übertrager eine große Rolle, ebenso natürlich die Qualität der Koppel-Kondensatoren. Übrigens sind viele Öl-Kondis, insbesondere sehr alte Typen, wegen hoher Leckströme völlig ungeeignet als Koppel-C, also aufpassen.

Was die Stromquellen (Spulen) angeht, so findet man geeignete hohe Induktivitätswerte bei entsprechender Strombelastung beispielsweise bei Reinhöfer oder Lundahl.

Wie hört sich die Röhre RE604 in diesem Aufbau an?

Subjektiv hört sich dieser kleine Eintakter (das fahrbare Schränkchen wiegt runde 40 Kilogramm) alles andere als Retro oder Röhre an, nämlich sehr transparent, sehr sauber, sehr detailliert und ohne oft übliche „Single-Ended“-Artefakte.

Bei einem Watt (die aus Sorge um die alten Gläser konservativ betriebenen Röhre RE604 sind hier auf anderthalb Watt eingestellt) bleibt der Gesamtklirr knapp unter einem Prozent, wobei man wissen sollte, dass Übertrager ohnehin eher zu K3 tendieren. Mit der Dimensionierung rund um die Kathoden lässt sich die untere Grenzfrequenz leicht auf Null dB bei 20 Hertz (oder sogar durch Selbsterregung noch tiefer) setzen, was freilich Blödsinn ist; in der Praxis sind so tiefe untere Grenzfrequenzen wenig relevant, 30 bis 40 Hertz reichen völlig aus.

Als Eingangsübertrager kommt zurzeit ein feiner Wickel von Silvercore zum Einsatz, der Interstage ist wie gesagt ein Lundahl 1660. Bei allen Übertragern sollte man wie immer auf die umgebenden Impedanzen, etwaige Resonanzen und damit auf den Frequenzgang achten.

Die Bauteile zur Röhre RE604

Die Standard-Netztransformatoren stammen aus dem Programm von Bürklin, wo es immer noch bezahlbare, sehr gute röhrenbezogene Netztrafos zu kaufen gibt. Eine der zusätzlichen Heizwicklungen eignete sich gut für die Röhre RE604, während die RE134 einen eigenen kleinen Heiz-Netztrafo besitzt. Man sollte vielleicht nicht vergessen, dass diese alten deutschen Röhren einst für Batteriegeräte entwickelt wurden, die Kathoden gehen gut mit minimaler Unterheizung, Gleichstrom und einer mehrstufigen CLC-Siebung; ich verwende hier auf ein Ampere spezifizierte, kleine Spulen im höheren Millihenry-Bereich, bei denen zwei Wicklungen auf demselben Kern sitzen.

Als Experiment darf man die 10-Volt- „Super-Caps“ oder „Batterie“-Kondensatoren betrachten, die in der Heizspannungsversorgung am Schluss eingesetzt wurden (10 V, 470000 Mikrofarad). Vorneweg kommen in der Heizung Selen-Brückengleichrichter zum Einsatz, die man aber neu gefertigt beschaffen sollte (als alte Lagerware ist Selen nicht zuverlässig). Der Grund ist einfach: Selen ist deutlich „ruhiger bei der Arbeit“ … So gelang es, beide Röhren wirklich absolut still zu bekommen; im Kathodenkreis sitzen dann noch die üblichen Symmetrierwiderstände, aber natürlich kein Poti mehr. Bitte nicht vergessen, die (Heiz-) Spannungen im Amp stur bei 240 Volt Netzspannung einzustellen, damit ist man auf der sicheren Seite; hier bei mir messe ich abends auch schon mal 245 Volt!

Da das ganze schwarz lackierte Chassis aus MDF besteht, wurden alle Trafos zunächst kanalgetrennt sternförmig „hart“, also galvanisch direkt auf den Schutzleiter bezogen, geerdet. Die Schaltungsmasse selber ist vom Schutzleiter durch die übliche Kombination aus antiparallelen Dioden abgetrennt.

Da auch das gesamte Netzteil relativ weit weg vom Verstärkertrakt liegt, wurde letzten Endes, natürlich auch durch halbwegs korrekte Führung der Schaltungsmasse und halbwegs vernünftige Anordnung der Trafos, ein professionell hoher „Signal-to-noise“ erzielt. Über etwas längere Anodenspannungs-Verbindungen zu den Übertragern sollte man sich keine grauen audiophilen Haare wachsen lassen, in der Praxis sind die vielbeschworenen ultrakurzen Verbindungen nicht soooo wichtig …

Das böse Fass mit der Kabeldiskussion wollen wir hier eigentlich nicht aufmachen, deshalb nur so viel: Ich verdrahte meine Amps immer mit dem feinstadrigen und sehr biegsamen „Lify“-Kupfer und bin zufrieden damit. Auch, weil ich finde, dass die ganzen Silber-Geschichten doch sehr einseitig in eine Richtung klingen. Aber das alles ist reine Geschmacksache. Und deshalb soll doch jeder „verbraten“, was er schön findet.

Ach ja: Große Erdungs- oder Masseflächen, Erdungs-„Schienen“, Kupfer-„Stangen“ und ähnlicher Krimskrams sind neumodische HiFi-Erfindungen und verursachen gerne mal etwas, was man „kapazitive Verschränkung“ nennen könnte; in frei verdrahteten Röhrenkonzepten gelten mitunter ganz andere Gesetze. Falls Ihnen in einer Verdrahtung schon einmal etwas begegnet sein sollte, was alte Röhren-Haudegen „Hochfrequenz-Brezel“ nennen, dann wissen Sie vielleicht, was ich meine.

Der Vorteil eines MFD-Chassis für den „Hausgebrauch“ ist natürlich die einfache Bearbeitung, etwa auch mit großen Bohrern oder Fräsern, es ist zudem leicht, halbwegs saubere Oberflächen oder Sägekanten zu erzielen. Ich arbeite immer nach der Regel, dass ich mit simplen Werkstatt- und Baumarkt-Mitteln zurecht kommen möchte (Ständerbohrmaschine, Schleifmaschine, Stichsäge, Kreissäge) und verwende deshalb gerne MDF und vorgefräste Buche, ebenso bevorzuge ich Mechanikteile aus dem Baumarkt-Repertoire.

In der KlarTon RE604 kamen, soweit möglich, altes Elektromaterial, etwa Allen-Bradley-Kohlemasse-Widerstände und einige in der Bucht besorgte NOS-Teile zum Einsatz. Die Röhren stammen aus meinen Vorräten, andere Teile aus alter Messtechnik, die nicht mehr komplett gerettet oder restauriert werden konnte. Neu gekauft wurden freilich einige Lötleisten sowie auch anderes Material.

Als Quelle dienen mir auch häufig Elektronik-Surplus- und „Schrott“-Händler im Netz, Sammlertreffs, Elektrozeugs vom Flohmarkt oder aus dem Antikhandel sowie eigene, in mittlerweile fast 40 Jahren Radio- und Elektro-Sammelwut angehäufte Vorräte; falls die strengen Bewacher nicht hingucken, plündere ich auch schon mal Elektroschrott-Container auf dem Wertstoffhof (da lag zuletzt etwa ein gut erhaltener „Schneewittchensarg“ von Braun).

Semiprofessionelle Fledderer von einst teurer alter Mess- und Kommunikationstechnik sowie natürlich  Radio-Schänder (da geht es um die alten Lautsprecherchassis) kann ich aber gar nicht gut leiden. Hier wird viel erhaltenswertes Kulturgut einfach zerstört. Ganz abgesehen davon, dass etwa einst qualitativ höchstwertige Messtechnik, die auch heute noch gute Dienste leisten kann, kaputt gemacht wird, um mit ohnehin zweifelhaften Röhren schnelles Geld zu verdienen.

Der HiFi-Hype um bestimmte, vermeintlich „bessere“ Röhren ist in aller Regel nichts weiter als Unfug, der von genau denen verbreitet wird, die von Elektrotechnik keine Ahnung haben, aber alle Röhren-Herstellcodes auswendig können. Mich erinnert das immer ein wenig an die Antik-Händler-Szene, wo man schon an den Fingernägeln erkennt, ob jemand selber restauriert oder nur Geld zählen kann.

Derzeit sind noch einige Bauteile in der Verstärkerschaltung der Röhre RE604 provisorisch angelötet; die endgültige Dimensionierung ist mess- und hörtechnisch quasi noch ein wenig „in progress“, wenngleich es an den Arbeitspunkten der Röhren nicht viel zu rütteln gibt.

Dass die KlarTon 604 in dieser betagten Schaltungstechnik ganz anders klingt, als man das vielleicht vermuten würde, liegt sicher nicht nur an modernen Übertragern. Ich persönlich finde, dass wir die Altvorderen immer noch sträflich unterschätzen und darüber hinaus vieles, was an sich wunderbar funktioniert, auf dem Altar der Kostenersparnis geopfert haben.

Aber zum Glück gibt es auf der nichtkommerziellen Seite jede Menge Freaks, die sich solchen „Klangforschungen“ rein aus Spaß an der Freude widmen …

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