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Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 1&2
In LowBeats alternativem Musik-Jahresrückblick kommen die Foals: mit "Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 1 & 2" gleich zweimal vor. Ein doppelt gutes Werk.

Musikalischer Jahresrückblick 2019 mal anders: 5 Alben, die mehr verdient hätten

Noch ein paar Dutzend Zeigerumdrehungen, dann ist auch dieses Jahr wieder Schnee von gestern. Musikalisch aber lohnt es sich, 2019 noch einmal hinterher zu horchen. Nach einem Korb voller Alben der Woche und einer Auslese der herrlichsten Box-Sets schließt LowBeats den Vorhang für dieses Jahr mit einer finalen Zugabe: Musicman Christof Hammer erinnert an fünf Alben, die jenseits der allerorten gewürdigter Aufnahmen – etwa von den Beatles, Leonard Cohen, Kate Bush oder der letzten von Runrig – ebenfalls einen Platz im Rampenlicht verdient haben. Und den bekommen sie jetzt: LowBeats musikalischer Jahresrückblich 2019 umfasst 5 Alben:

Gary Clark jr.: This Land
Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 1
Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 2
Fontaines D.C.: Dogrel
New Order + Liam Gillick: ∑(No,12k,Lg,17Mif) – So It Goes …

LowBeats musikalischer Jahresrückblick 2019:

Gary Clark jr. This Land

Ob das nochmal was wird? Seit rund einem Jahrzehnt bereitet Gary Clark jr. seiner Plattenfirma nur bedingt Freude – kommerziell betrachtet hat der Sänger und Gitarrist aus Austin die Erwartungen bisher nämlich nicht erfüllt. Dabei nannte ihn der amerikanische Rolling Stone einst den „chosen one“, und die Kollegen des Onlineportals JamBase hörten in Clark „die Zukunft des Texas Rock“. Doch auch 2019 kam der vermeintlich Auserwählte, mittlerweile auch schon 35 Jahre alt, nicht über den Geheimtipp-Status hinaus.

Gary Clark jr.: This Land Cover
Gary Clark jr. This Land, erschienen bei Warner Music (Cover: Amazon)

Dabei steht seine Klasse als Gitarrist außer Zweifel: Auch auf This Land  wandelt Clark auf den Spuren großer Kollegen wie Jimi Hendrix, Prince, Buddy Guy und Living Colour. Furios wie seine prominenten Kollegen reißt Clark so ziemlich jedes Genre von Rock, Punk und Funk bis Blues, Soul und Jazz von den Saiten – gleichwohl klingt sein Stil absolut eigenständig: rau und erdig, metallisch und elegant zugleich. Doch Clark ist mehr als nur ein Kind der Siebzigerjahre, sondern führt seinen Stil mit Elementen aus Rap, Hip-Hop sowie elektronischen Sounds immer wieder nah an die Gegenwart heran. Dazu gibt es Sixties-Soul („When I’m Gone“) plus lupenreinen Lenny-Kravitz-Style („Don’t Wait Till Tomorrow“), und ab und an auch verblüffend smarte, smoothe Flirts mit Reggae-Rhythmen. Doch täusche sich keiner: Gary Clark ist ein scharfzüngiger Texter und Beobachter mit klarer Botschaft und Haltung, der unverblümt ausspricht, was man als schwarzer Amerikaner heute noch immer und mehr denn je wieder zu hören bekommt – „Nigger run, nigger run, go back where you come from“ heißt es im Titelsong. Alles zusammen macht This Land  zu einem stupenden Sittengemälde der USA im Jahr 2019, das Geschichte und Gegenwart, Politisches und Persönliches präzise vereint.

LowBeats Bewertung Gary Clark This Land

 

Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 1

Die gesellschaftliche Großwetterlage als Kreativ-Booster: Gleich zwei Alben haben die Foals 2019 vorgelegt. „Beide Platten können einzeln gehört werden“, erklärt Foals-Chef Yannis Philippakis den dystopisch „Everything Not Saved Will Be Lost“ betitelten Doppelschlag des Quartetts aus Oxford. „Grundsätzlich jedoch bildet eine das Gegenstück zur anderen.“

Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 1 Cover
Foals Everything Not Saved Will Be Lost, Part 1, erschienen bei Warner Music (Cover: Amazon)

Los ging’s im März mit Teil 1, der sich Entwicklungen wie die digitale Überwachungsmaschine, den sich aufbauenden Klimakollaps oder den ungezügelten Turbo-Kapitalismus vornahm. Und dass das Brexit-Chaos ebenfalls seinen Teil beigetragen hat zu den Foals’schen Reflexionen über ein Leben zwischen Dauer-Angst und Teilzeit-Paranoia, darf wohl auch angenommen werden. Smarter Leichtgewichtspop, ohnehin nicht das Metier der „Fohlen“, steht angesichts dieser Themensammlung natürlich nicht auf dem Spielplan – nur noch sehr entfernt klingen die Keyboards nach Depeche Mode („Exits“). Stattdessen sorgen zackige Rhythmen und straffe Synthie-Saiten-Dialoge für eine latent nervöse Atmosphäre und für eine weitere Verdichtung jenes Hybrids aus Alternative- und Elektro-Rock, der die Foals seit 2008 zu einer der spannendsten Bands der Szene macht.

LowBeats BewertungFoals Everything Part1

Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts 2

Foals: Everything Not Saved Will Be Lost, Parts m Cover
Foals Everything Not Saved Will Be Lost, Part 2, erschienen bei Warner Music (Cover: Amazon)

Teil 2 folgte dann im November. „Nun geht es darum, ob die versengte Erde eine Zukunft hat“, so Philippakis & Co. und liefern die Antwort mit einem nochmals etwas dichteren Album, das mit biggen Beats, satten Riffs und düster dräuenden Saiten- und Tastensounds die Lücke zwischen Alternative- und Psychedelic Rock, zwischen Radiohead und Pink Floyd schließt. „Teil 2 klingt härter“, erläutert Philippakis, „die Gitarren sind stärker ausgearbeitet und es gibt eine Reihe echt großer Riffs.“ Mit kristallinen Keyboards, quecksilbrigen Gitarren und der Stimme von Philippakis groovt der Synthie-Rock der Foals hier über weite Strecken auf Topniveau. Dass es sich bei diesem Doppelschlag ähnlich verhält wie einst mit „Use Your Illusions“ von Guns ‚N Roses? Natürlich: Die stärksten Songs aus Teil 1 („White Onions“, „In Degrees“ und allen voran „Syrups“, als Mischung aus Reggae- und Techno-Rock) und Kapitel 2 („The Runner“, „Wash Off“, „10.000 Feet“, „Black Bull“  und „Into The Surf“) – und die Foals hätten ihr definitives Opus Magnum vorgelegt. Dennoch bleiben auch so noch zwei prachtvolle Einzelalben, die lange nachklingen werden.

LowBeats BewertungFoals Everything Part2

 

Fontaines D.C.: Dogrel

Tatort Dublin: Hier werden Steuermilliarden hinterzogen, und zwar völlig legal und vor den Augen der ganzen Welt. Die Crème de la Crème der amerikanischen New Economy, ob Google, Apple oder Microsoft, ob Twitter, Facebook oder Zynga, hat die Grüne Insel als Standort für ihre Europa-Niederlassungen gewählt, denn artig rollt ihnen die irische Politik fiskalisch den roten Teppich aus und unternimmt noch nicht einmal den Versuch, auf die in der EU-Zone erwirtschafteten Gewinne eine europäische Steuergesetzgebung anzuwenden. So musste die EU-Kommission der Regierung in Dublin 2017 erst mit einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof drohen, ehe die sich dazu bequemte, im Fall von Apple eine Steuernachzahlung über 13 Milliarden Euro (für die Jahre von 2003 bis 2014) einzufordern.

 Fontaines D.C.: Dogrel Cover
Fontaines D.C.: Dogrel, erschienen bei Partisan Rec./ Rough Trade (Cover: Amazon)

Mag Irlands landschaftliche Schönheit auch für wahre Flutwellen der Ergriffenheit gut sein: Die Chuzpe, mit der hier großzügige Steuergeschenke an zigmilliardenschwere Großkonzerne verteilt werden, kann einem schon mal die Laune verhageln. Neben Gitarre, Bass und Schlagzeug ist denn auch eine gehörige Portion Wut die wichtigste Zutat für den Sound von Fontaines D(ublin).C(ity). Die Frustration einer Jugend, die sich mit einem System herumärgern muss, das sich mit Haut und Haaren dem Kapitalismus 4.0 unterwirft: Bei dieser Band bekommt sie ein musikalisches Gesicht – zeitgemäß, kompromisslos und ohne folkloristisch-schunkeliges Beiwerk wie Fiddle oder Whistle. Mit Bässen im XXL-Format, krawalligen Riffs und zackigen Drumbeats kreiert das Quintett um Sänger Grian Chatten einen Post-Punk, der den Geist der sehr frühen Achtzigerjahre in sich trägt und immer wieder an die jungen Clash erinnert. Und Chatten vereint in seinem herben Sprechgesang politisch explizite Deklamationslyrik mit juveniler Street Poetry. Sechs mal spielt sich das auf ordentlichem, fünf Mal („Sha Sha Sha“, „Too Real“, „Hurricane Laughter“, „Liberty Belle“, „Boys In The Land“) auf gehobenem bis mitreißendem Niveau ab.

LowBeats Bewertung Fontaines D.C. Dogrel

New Order + Liam Gillick: ∑(No,12k,Lg,17Mif) – So It Goes … 

Unser musikalischer Jahresrückblich 2019 endet mit einem Live-Album von New Order. Nett, aber ist das nach rund vierzig Karrierejahren wirklich noch etwas Besonderes? Und ob – zumindest in diesem Fall. Denn an historischer Stätte stellten Bernard Sumner, Peter Hook & Co. im Juli 2017 fünf Shows auf die Bühne, die das ganze Spektrum von New Order als Kultband des Britpop auf den Punkt brachten. Für ihr mit dem Objektkünstler Liam Gillick umgesetztes, kryptisch „∑(No,12k,Lg,17Mif) – So It Goes …“ betiteltes Konzertprojekt ging es zurück in die Old Granada Studios von Manchester – dort, wo das legendäre New-Order-Mutterschiff Joy Division einst sein Fernsehdebüt in der „So It Goes“-Show des damaligen TV-Moderators und späteren Factory-Labelchefs Tony Wilson bestritten.

New Order + Liam Gillick: ∑(No,12k,Lg,17Mif) – So It Goes ...Cover
New Order + Liam Gillick: ∑(No,12k,Lg,17Mif) – So It Goes … Erschienen bei Mute/ Rough Trade (Cover: Amazon)

Es entstand ein Livedokument, das exemplarisch zeigt, weshalb diese Band mehr als drei Jahrzehnte zur Spitze des Genres zählt und welche innovativen Impulse sie der Popszene verpasste: Den Post-Punk der Gründerzeit schoben New Order mit Grooves zwischen House und Techno sowie allerlei studiotechnischen Gimmicks schon bald Richtung Dancefloor und perfektionierten ihren Sound fortan zu furiosem elektronischem Britpop der Premiumklasse. Musikalisch entpuppt sich dieser mit gläsernem Punch und exzellenter Feinzeichnung prachtvoll klingende Doppeldecker (als 3-LP-Set auch in hübsch farbigem Vinyl zu haben) gleichermaßen als würdevolle Ian-Curtis-Gedächtnismesse und als packende Synthiepop-Revue voll raffiniert renovierter Songs aus vierzig Karrierejahren. Dass bis auf „Bizarre Love Triangle“ die großen Hits wie „True Faith“, „Regret“ oder „Blue Monday“ diesmal nicht zum Repertoire gehören, mindert den Reiz keineswegs. Dafür begeistern „Sub-culture“ oder „Plastic“ mit fast Pet-Shop-Boys-artiger, glamouröser Elektronik – ein Verdienst auch des langjähriges Bandkumpels Joe Duddell, der ein zwölfköpfiges Synthesizer-Ensemble des Royal Northern College of Music distinguiert in den Bandsound integrierte. Weitere Gänsehautmomente gibt es in Form des Joy-Division-Frühwerks „Heart And Soul« und des erstmals seit 30 Jahren wieder gespielten Klassikers „Disorder“.

LowBeats Bewertung New Order So it goes

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.