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Review Paul Simon In The Blue Light: Studio
Paul Simon hat mit In The Blue Light 10 Songs noch einmal neu interpretiert. Ein Meisterwerk mit Starbesetzung

Paul Simon In The Blue Light – die CD der Woche

Der Reigen von Old-School-Top-Musikern, die es noch einmal wissen möchten, reißt nicht ab: Nach Neil Diamond (LowBeats CD der Woche 34/2018), Robert Plant (CD der Woche 44/2017) und David Gilmour (39/2017) oder Ry Cooder und Jennifer Warnes mischt nun Paulchen Simon die Musikszene auf: mit einem sehr persönlichen, All-time-Highlights-Werk, das er im Team mit Promi-Kollegen in mehreren renommierten Tonstudios aufnahm. Paul Simon In The Blue Light ist die Zusammenstellung von zehn Song-Preziosen der über 50-jährigen Karriere von Paul Simon. Und die veredelt der 76-Jährige mit dem Jazz-Appeal illustrer Studiogäste wie Wynton Marsalis, Bill Frisell oder Jack DeJohnette.

Paul Simon In THe Blue Light: Band
Wynton Marsalis (dritter von links) mit einer Brass-Group verstärkt das Projekt

Farblich macht Paul Simon einfach mal blau: Aus psychologischer Sicht soll die Farbe ja beruhigend und entspannend aufs Gemüt wirken: „Blue Note“ – das legendäre Jazz-Label fokussiert diese These formidabel. Miles Davis, Cassandra Wilson oder das Art Blakey Quintet können nicht lügen. Thelonious Monk oder John Coltrane mit seinem „Blue Train“ auch nicht.

Und so passen auch die Mitmusiker von Paul Simon In The Blue Light gut zur blauen Stunde: Wynton Marsalis, Bill Frisell oder Jack DeJohnette, Steve Gadd, aber auch ein John Pattitucci oder das wunderbare sechsköpfige New Yorker Kammerensemble „yMusic“ – letzteres Sextett begleitete Paul auch bei seiner „Farewell-Tour“.

Paul Simon In THe Blue Light: Bill Frisell
Einer der besten Jazz-Gitarristen weltweit: Bill Frisell

„Es ist nicht alltäglich, dass man als Künstler die Gelegenheit bekommt, sein Frühwerk zu überarbeiten, neu zu überdenken und sogar komplette Parts der Original-Songs zu verändern“, so Simon.

„Ich nutzte diese Gelegenheit, die es mir noch dazu ermöglichte, mit außergewöhnlichen Musikern zu spielen, die bisher an keiner meiner Aufnahmen mitgewirkt haben. Ich hoffe, dass ich den Songs neuen Schwung verleihen konnte, so wie man einem alten Wohnhaus einen neuen Anstrich verpasst.“ So entstand Paul Simon In The Blue Light.

Paul Simon In THe Blue Light: Bandleader
Gibt eindeutig den Takt an: Paul Simon (rechts) hier mit Wynton Marsalis

Paul Simon schrieb schon vor langer, langer Zeit zusammen mit Art Garfunkel Musikgeschichte. Die beiden trieben viele Teenager-Herzen in den melancholischen Wahnsinn.

Selbst deren Onkels und Tanten kriegten Tränen in die Augen angesichts solch zarter Flut an seelen-schmeichelnden Melodien, die nach wie vor bei vielen im kollektiven Gedächtnis wärmend flimmern.

Die 60er Jahre. Unendliche Weiten des Folk und dessen was damals für Folk gehalten wurde. Das US-Duo Simon & Garfunkel becircten damals (sieht man mal von dem späteren Live-Album The Concert In Central Park von 1982 ab) von 1964 bis 1970 die Gemüter – mit Chorknaben-Kaskaden, die durchaus Hitqualität auf dem Level der soften Beatles-Ära bescherten.

Das Rezept: sanft-sonore, beinahe gehauchte Vokalsätze, die in schier unermesslich fragil-süßlicher Noten-Zuckerwatte akustisch kondensieren und so geniale Songs wie „Bridge Over Troubled Water“, „Mrs. Robinson“ oder „The Sound Of Silence“ generierten. Während der gebürtige New Yorker Art Garfunkel, heute 77, solo einige veritable, erfolgreiche Stücke schrieb („Bright Eyes“), schauspielerte und zusammen mit Paul 2003 einen Grammy für ihr gemeinsames Lebenswerk erhielt, flossen Paul über all die Jahre vermehrt hochkarätige Songs aus der Notenfeder (siehe auch „Die Musik von …“). Darunter auch stilistisch-mutige Werke wie die Roots-Rhythmus-Alben Graceland (1986) oder „The Rhythm Of The Saints“ (1990).

Und nun Paul Simon In The Blue Light: Ein Rückblick, eine persönliche, intime Auswahl an Songs, die sich nie im Rampenlicht der Hit-Bühnen sonnten – Simon platzierte ja 29 seiner Singles in den Top 40 der US-Charts, 14 davon kletterten in die Top 10.

Rund 100 Millionen Tonträger pflastern dabei seinen musikalischen Weg. Der Mann aus New Jersey ist Mitglied der Songwriters Hall Of Fame – und als Solo-Künstler sowie auch als Teil von Simon & Garfunkel schaffte er es zudem in die Rock ‚n’ Roll Hall of Fame.

„Auf diesem Album sind die Songs versammelt, denen noch der letzte Feinschliff fehlte oder die beim ersten Hören skurril klangen und deswegen wenig Beachtung fanden. Ich überarbeitete die Arrangements und harmonischen Strukturen, feilte aber auch an den Texten, damit deren Bedeutung klarer wurde. So realisiert ich auch selbst, was ich eigentlich mit den Lyrics transportieren wollte, wurde mir über meine Gedanken klar und konnte sie deutlicher zu Ausdruck bringen,“ so Simon.

Paul Simon In THe Blue Light: Wynton Marsalis
Gab noch einmal alles: Paul Simon bei den Aufnahmen zu In The Blue Light

Kurz zu den Studios, die Simon für seine Sessions buchte, da der Klang des Albums eine audiophile Note trägt: Das Sear Sound (David Bowie, Norah Jones, Björk), dessen Gründer gleich mehrere kreative Berufe wie Designer, Erfinder und Komponist vereinte, stand auch für Vintage-Aufnahme-Equipment.

Daneben nahmen Simon und seine Promis Stücke in den Avatar Studios (Dire Straits, Sting, Roxy Music) bei Sterling Sound (Janet Jackson, Interpol, Bob Dylan) und in der Power Station (Bruce Springsteen, Bon Jovi, Madonna) auf.

Paul Simon In THe Blue Light: Avatar Studios
Einer kleiner Ausschnitt aus dem höchst erfolgreichen Portfolio der Avatar-Studios

Dabei spielte ein gewisser Roy Halee eine zentrale Rolle: Der 83-Jährige (!) betreute Simon & Garfunkel in den 60er Jahren als Produzent nebst Toningenieur und begleitete Paul Simon unter anderem bei den Aufnahmen zu seinem Multi-Kulti-Album The Rhythm Of The Saints in Brasilien und Westafrika. Und nun stand er Paul, rüstig wie eh und je, wie ein echter Rock’n’Roller, als Produzent zur Seite.

Die Musik von Paul Simon In The Blue Light

Simon wählte für Paul Simon In The Blue Light zehn ihm persönlich wichtige Songs aus, deren Entstehung sich über eine Bandbreite von beinahe 40 Jahren erstreckt.

„One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor“ stammt aus There Goes Rhymin’ Simon, eingespielt 1973. Still Crazy After All These Years aus dem Oktober 1975 enthielt den Song „Some Folks’ Lives Roll Easy“.

Das für Simon-Verhältnisse eher durchschnittliche Werk One-Trick Pony von 1980 stellt den Song „How The Heart Approaches What It Yearns“. Das Stück „René And Georgette Magritte With Their Dog After The War“ stammt aus dem exzellenten Album Hearts And Bones, das 1983 vorwiegend in New Yorker Studios eingespielt wurde, darunter auch die bereits erwähnte „Power Station“.

The Rhythm Of The Saints (1990) stellt den Track „Can’t Run But“. Aus You’re The One von 2000 stammen wiederum „Darling Lorraine“ und „Love“ sowie „The Teacher“ und „Pigs, Sheep And Wolves“. So Beautiful Or So What von 2011 stellt den Schlusstrack „Questions For The Angels“.

Zunächst zum Klang. Hier merkt man, dass Toningenieure wie Andy Smith oder Chris Allen, Brett Mayer und Owen Mulholland erfahrene Hasen sind mit einem prima Händchen für ausbalancierte Klangfarben.

Natürlich trug auch Altmeister Roy Halee seinen Schliff als Mixer bei, ebenso wie das Mastering von Greg Calbi bei Sterling Sound. Kurzum: Die Aufnahmen bestechen durch schönes Raumgefühl, präzise Ortbarkeit, Plastizität und authentische Feindynamik. Dass Simons Stimme in manchen Songs gewollt und teils heftig hallig abgemischt ist– sei’s drum.

Musikalisch finden die zehn Stücke dank der jazz- und klassik-affinen Arrangements wunderbar zueinander.

Den Auftakt macht in „One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor“ ein vehement losstürmendes Piano, zu dem sich eine brillante Bläsersektion gesellt und Simons verhallte Stimme trägt.

„Can’t Run But“ beeindruckt mit Streichern in leichter Aufruhr mit reduzierten Flöten-Tönen und minimalistischer Grundstruktur – tonal in puncto Ortbarkeit und Feindynamik nuanciert ausbalanciert.

„How The Heart Approaches What It Yearns“ glänzt mit klasse Auflösung und tollem Raumambiente, in dem die glasklare Trompete von Wynton Marsalis Akzente setzt.

„René And Georgette Magritte With Their Dog After The War“ wiederum betört mit streicher-zart schwebenden Arrangements, E-Gitarren-Tupfern und körperhaftem Cello; Simons Stimme wärmt mit zartem Schmelz zu dieser Hommage an den Maler.

Paul Simon In THe Blue Light: Streicher
Streicher unterstützen den anmutigen Sound von Paul Simon In The Blue Light

Schließlich begeistert zum Beispiel auch „Some Folks’ Lives Roll Easy“ mit aufrüttelndem Jazz-Appeal, angestiftet durch die Spiellust von Jack DeJohnette (Drums), John Pattitucci (Basso, Joe Lavano (Saxofon) und Sullivan Fortner am Piano.

Angesichts dieser musikalischen Fülle, fragt man sich:
„Wer hat an der Uhr gedreht?
Ist es wirklich schon so spät?
Soll das heißen, ja ihr Leut,
mit dem Paul ist Schluss für heut‘.“

Noch schöner aber wäre:
„Heute ist nicht alle Tage. Ich komm‘ wieder, keine Frage

 

Paul Simon In THe Blue Light: Cover
Paul Simon In The Blue Light (Cover: Amazon)

Paul Simon In The Blue Light: Studio erscheint bei Sony Music als CD, LP, MP3-Download oder Stream, z.B. bei amazon.de.

Paul Simon In The Blue Light
2018/09
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

Avatar-Foto
Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.