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Ayon Spirit SE II Totale
Der Ayon Spirit SE II ist ein 15-Watt Single-Ended Class A Vollverstärker im besten Sinne und mit bestem klanglichen Auftritt. Sein Preis: 4.250 Euro (Foto: H. Biermann)

Test Ayon Spirit SE II – feinster Single-Ended Amp zum Überraschungspreis

Das muss Vision eines jeden High-End-Herstellers sein: Innerhalb eines Monats waren alle Modelle des neuen Vollverstärkers verkauft. So geschehen bei Ayon, als die Österreicher einen bewusst kleinen, günstigen, schnellen Amp auflegen wollten. 100 Exemplare gab es vom Spirit SE – der nun in der Version II erscheint. Ayon hat an entscheidenden Stellschrauben gedreht. So gibt es neue „Chokes“. Das sind für alle Nichtinsider eine besondere Art der Stromspeicherung in Kombination mit speziellen Spulen. Benötigt jeder Röhrenamp. Ayon hat die Messwerte noch feiner gestaltet und auf höhere Leistungsausbeute getaktet. Bedeutet: Die Version Ayon Spirit SE II bringt nun mehr Leistung an die Lautsprecher. Konkret: 15 Watt pro Kanal.

Ayon Spirit SE II: das Schaltungskonzept

Da werden Transistor-Fans nur lächeln. Mit einigem Recht, denn hier ist die Wahl eines wirkungsgradstarken Lautsprechers Pflicht. An Kraftfressern wäre dieser schöne Verstärker verloren. Zumal er dem Schaltungsprinzip von Single-Ended gehorcht. Das ist die Königsklasse im Röhrenbau, leider auch extrem teuer. Weshalb uns der Preis des neuen Spirit überrascht. Der Deutsche Vertrieb Audium ruft 4.250 Euro auf. Das ist erschwinglich, fast schon günstig. Da muss an einigen Fertigungswegen gespart worden sein. Wir drehen und wenden den Ayon – nein, hier gibt es nicht den kleinsten Punkt der Kritik, das ist blitzsauber und ohne Makel. Der Aufbau ist hochstabil. 22 Kilogramm stehen in unserem Rack. Die Transformatoren und Übertrager sind aufwändig vergossen – hier beherrscht ein Hersteller sein Handwerk.

Ayon Spirit SE II innen
Der Ayon Spirit SE II von unten: eine Vielzahl von Platinen sind sorgsam miteinander verdrahtet (Foto: H. Biermann)

Des Rätsels Lösung: Ayon lässt zu kleinen Teilen in Österreich bauen, zu weit größeren in Bulgarien. Was persönliche Hintergründe hat. In den Anfangsjahren seit der Gründung im Jahre 1999 hat die Company bei Graz viele Ingenieure aus Bulgarien beschäftigt – das waren Profis im Röhrengeschäft, wissend, echte Künstler. Die aber mittlerweile in Rente gegangen und zurück in ihre Heimat gekehrt sind. Dort gestattet ihnen Ayon einen Nebenverdienst – eben kleine Fertigungsstraßen für die elektronischen Bauteile. Beide Seiten freuen sich, vielmehr auch wir als dritte Instanz über die hohe Wertigkeit und den günstigen Preis.

Das Problem liegt auf einer anderen Seite, einer politischen. Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ist die Lieferkette zu russischen Röhren gekappt. Ein Drama, zumal Ayon sich in die KT150 verliebt hat, die derzeit nur in Russia gefertigt wird. Die KT150 sind recht große Glühkolben, die die Treiberstufe des Spirit befeuern. Push-Pull kann jeder, doch eine Single-Ended-Konstruktion mit eben jener KT150 ist Feinkost. Bei Push-Pull durchläuft das Signal eine positive und eine negative Halbwelle – genau bei den Übernahmepunkten entstehen systembedingte Verzerrungen. Single-Ended hingegen funktioniert als eine einzige Welle, es gibt kein Schalten und eben auch keine Übernahmeverzerrungen. Das ganze Gedeck ist dazu frei von Rückkopplungen. Die Bias justiert sich automatisch, wer das nachprüfen will, kann auf die kleinen Zeigerelemente an der Oberseite schauen.

Ayon Spirit SE II Bias
Der Bias geschieht automatisch, lässt sich aber mit dem eingebauten Zeiger-Instrument auch händisch einstellen (Foto: H. Biermann)

Doch nochmals zur globalen Beschaffungskrise: Ayon greift auf einen großen Bestand an KT150 zurück und lässt sich im Bedarfsfall die russischen Röhren über Zweit- und Drittstaaten liefern. Ethisch anfechtbar, aber halt dem wirtschaftlichen und audiophilem Zwang geschuldet. Wer damit nicht einverstanden ist, sollte an dieser Stelle aus dem Text aussteigen.

Aber man könnte etwas verpassen. Insbesondere die Zugabe, oder besser die Option. Denn auf der Rückseite hat Ayon hart rechts einen Platz freigelassen. Hier kann man ab Werk, oder auch nachträglich, einen Digital/Analog-Wandler bestellen. Der wird per USB-Kabel angesteuert, aus dem PC oder Mac. PCM wird hier bis 24 Bit und 384 Kilohertz gewandelt, das ist weit mehr als gehoben und weit in die Zukunft gedacht. Auch DSD-Fans werden mit einer Wandlung bis DSD256 hofiert. Unbedingt diesen Baustein überdenken, am besten gleich komplett kaufen. Der (Spott-)Aufpreis liegt bei 350 Euro, der audiophile Mehrwert um einiges höher.

Ayon Spirit SE II Anschlüsse
Die Rückseite des Spirit SE II mit den üblichen Lautsprecher-Ausgängen mit 4- und 8-Ohm-Abgriff. Hier findet sich auch der Kippschalter für die Bias-Einstellung sowie die vier Cinch-Eingänge. Der Platz für den USB-Zugang war bei unserem Testmodell nicht bestückt (Foto: H. Biermann)

Noch eine Option. Die Fernbedienung liegt nicht dem Lieferumfang bei, wer sie will, sollte weitere 150 Euro an den Händler überweisen. Hinter dem linken Drehregler liegt dazu ein motorisiertes ALPS-Potentiometer.
Jetzt fühlen sich die Freunde des Vinyls ausgegrenzt. Warum gibt es keinen optionalen MC/MM-Port? Weil die Österreicher eine Phonostufe im eigenen Gehäuse anbieten. Doch Vorsicht – der Zweiteiler (41 Kilo) ist exorbitant teuer: Wir sind im Bereich von rund 30.000 Euro. Das widerspricht der preislichen Idee des Spirit SE II. Da richten sich die Augen und Ohren am besten auf Alternativen; auch andere Hersteller haben schöne Töchter.

Ayon Spirit SE II Motorpoti
Ein Motor-Poti von Alps (grau) würde beim Kauf der Fernbedienung die Lautstärke auch motorisch regulieren (Foto: H. Biermann)

Hörtest

Anschalten, hochfahren, eine kleine Minute warten. Schon die ersten Takte sind eindeutig – das ist ein Meister der Eleganz. Wir haben die Dynaudio Heritage Special angeschlossen – die LowBeats Referenz in Sachen Kompaktbox. Das passt im Zusammenspiel von Leistung und Dynamikbereitschaft. Es flirrt, der Raum ist hell und sehr gut beleuchtet. Die Analyse ist hoch, aber nie aufdringlich.

Was hat die Männer von U2 in Wallung gebracht? Das neuste Album „Songs Of Surrender“ ist eine Best-Of-Versammlung, aber in die maximalen Miniaturen getrieben. Opulent jedoch in der Darreichungsform auf gleich vier Scheiben (CD wie LP, natürlich auch im HighRes-Download). U2 hat früher Hallen und Stadien gefüllt, nun eine Wiederkehr wie aus dem kleinen Jazz-Keller.

U2
Wie eine Art Best OF: UE „Songs Of Surrender“ (Cover Qobuz)

Natürlich muss „One“ den Reigen eröffnet. Bono in der Mitte der Stereoachse, der E-Bass klingt heruntergeschraubt wie ein stehender Kontrabass. Hart von rechts ein pulsierendes Klavier. Schlicht großartig, was der Ayon da vor unseren Ohren und unserer Klangfantasie auferstehen ließ. Da gibt es räumliche Präsenz und starken Druck. Nie hatte ich das Gefühl, einem untermotorisierten Verstärker zu lauschen. Dann – natürlich – „With Or Without You“. Diese Präsenz der Singstimme vor den Lautsprechern – das ist höchste Musizierkunst, zumal Bono als Bariton beginnt und dann die Karte des hohen Tenors zückt. Der Mann kann es noch.

Und die Ayon-Elektronik spielte kongenial mit. Die Freude am kleinen, schnellen, intimen, hoch-transparenten Klang – das war beglückend, das hatte bereits rauschhafte Züge. Ein ganz starker Sog in die Songs, U2 selbst könnte es sich nicht besser vorstellen. Das lag weit über dem Anschaffungspreis des Spirit SE II. Also ein Klangtipp, der auf den starken Schultern eines Preistipps steht.

Nein, ich will diesen feinen Aufbau nicht mit AC/DC oder Motörhead peinigen. Das geht zwar, knirscht aber. Bei „Smells like Teen-Spirit“ von Nirvana ist für mich eine Sinngrenze erreicht. Genau dieser Song hat im neuen Hochbit-Remaster tolle Kraft, erstaunlich, was aus der kleinen Dynaudio drang, noch erstaunlicher, welche Grobdynamik der Ayon anbot. Wirklich ein tolles Setup – für mittlere Räume und gutwillige Boxen.

„Peter Grimes“ von Benjamin Britten
„Peter Grimes“ von Benjamin Britten (Cover: Qobuz)

Wo alles in dieser Klangbeschreibung auf gepflegten Minimalismus deutet, hier auch eine Klangtipp aus der Welt der Oper: „Peter Grimes“ von Benjamin Britten. Natürlich in der originalen Einspielung des Komponisten für die Decca von 1958. Die Oper ist groß, doch das ist frühstes Stereo, die Decca-Tonmeister hatten einen Stereo-Baum entwickelt, der über Klangbühne und Orchester thronte. Ein Mikrofon nach links, eines nach rechts, das dritte in den Raum. Das haut uns noch heute um – insbesondere da mittlerweile ein High-Res-Mix der analogen Bänder erschwinglich ist. Es klingt toll und weit: Britten lässt das Meer rauschen, den Chor im Fortissimo brüllen. Dann aber auch die kleinen Momente – eine der wichtigsten Opern des 20. Jahrhunderts, ein Geniestreich. Der Spirit SE II spielte wieder eine wunderbare Sogkraft aus. Die Decca-Techniker liebten den klangstarken Oberbass, der Ayon lag genau auf dieser Welle. Ein gepflegter Druck, nie fett, nie aggressiv.

Ayon Spirit SE II im Hörraum neben Fezz Audio Mira Ceti
Der Ayon Spirit SE II im direkten Vergleich zum Fezz Audio Mira Zeti (weiß) im kleinen LowBeats Hörraum. Der Ayon steht dabei auf einer entkoppelnden Basis von Thixar, der Fezz Audio steht auf Ultra-Feet-Absorbern von Bassocontinuo (Foto: H. Biermann)

Bei so viel Gespür fürs Feine kann selbst einer meiner Lieblinge nicht mithalten: Der Fezz Audio Mira Ceti  steht als Edel-Konkurrent für alle Fälle dauerhaft im LowBeats Hörraum. Interessanterweise sind Fezz und Ayon beim gleichen deutschen Vertrieb (Audium). Da wird man mir nicht böse sein, wenn ich mich im Blindtest klar für den Ayon entscheide. Das war um genau jene Spur souveräner im Bass, da gelangt mehr Energie zu den Membranen. Vielleicht klingt der Mira Ceti noch einen Hauch natürlicher, aber mit dem Ayon flirrt es feiner und ich habe das Gefühl einer noch plastischeren Abbildung.

Fazit Ayon Spirit SE II

Selten hat mich ein Röhren-Amp so erfasst. Die meisten habe ich schon mit einer Schere in meinem Kopf verbannt – zu teuer, zu diffus in der Herkunft, zu sehr Mimose. Doch der Spirit SE II ist ebenso klangstark wie stabil. Zwar ein Single-Ended, so aber doch auf Kraft und reiche Farben inszeniert. Wenn denn der Lautsprecher mitspielt. Mittlere Standboxen sind denkbar, ideal aber ein feiner Zweiwegler und ein nicht zu großer Raum. Für kleines bis mittleres Geld lässt sich hier mit dem Ayon als Schnittstelle eine überragende High-End-Kette aufbauen.

Ayon Spirit SE II
2023/03
Test-Ergebnis: 4,8
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Reicher, eleganter Klang. Röhre at its best
Exzellente Verarbeitung
USB-DAC für kleines Geld nachrüstbar
Benötigt prinzipbedingt wirkungsgradstarke Lautsprecher

Vertrieb:
AUDIUM / Visonik
Catostr. 7b
12109 Berlin
www.audium.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Ayon Spirit SE II: 4.250 Euro

Technische Daten

AYon Spirit SE II
Konzept:Röhren-Vollverstärker (Single-Ended Class A)
Leistungsröhren-Bestückung:2 x KT150
Leistung:2 x 15 Watt an 4 + 8 Ohm
Eingänge:4 x Cinch, USB-DAC (optional, 350 Euro)
Fernbedienung:optional (150 Euro)
Besonderheiten:Auto-Bias
Farben:
Schwarz, Trafos + Übertrager in Chrom
Abmessungen (B x H x T):30,0 x 23,0 x 43,0 cm
Gewicht:22,0 Kilogramm
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Dynaudio Heritage Special: in der Tradition der großen Sondermodelle
Test 300B-Röhrenverstärker Fezz Audio Mira Ceti

Autor: Andreas Günther

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Der begeisterte Operngänger und Vinyl-Hörer ist so etwas wie die Allzweckwaffe von LowBeats. Er widmet sich allen Gerätearten, recherchiert aber fast noch lieber im Bereich hochwertiger Musikaufnahmen.