Ganz schmal und schlank, nett gerundete Tropfenform und vorbildlich lackiert. Man ist erst einmal geneigt, diese grazile 2,5 Wege-Kombination zu unterschätzen. Aber das wäre ein schwerer Fehler. Denn hinter der Fassade einer adrett harmlosen Spielzeug-HiFi-Box steckt bei der Gauder Akustik Arcona 60 MK II jede Menge Hightech und eine kompromisslos aufwändige Frequenzweiche, wie sie diese Klasse bislang noch nicht gesehen hat. Und klanglich ist die Gauder die wohl erfreulichste Überraschung des Frühjahrs 2020.
Normalerweise passieren große Sprünge im High End ja folgendermaßen: Ein Projekt wird mit sehr viel Zeit und Geld angegangen, es entstehen absurd teure Komponenten, von deren Forschungsergebnissen dann irgendwann später auch günstigere Modelle profitieren. Doch in diesem Fall lief es genau anders herum. Der Legende nach konnte Dr. Roland Gauder, Chef & Mastermind der kleinen schwäbischen Manufaktur, eines Nachts nicht schlafen. Doch statt Schäfchen zu zählen, begann er – so sind Physiker nun einmal – seine bisherige Frequenzweichentheorie noch einmal durchzuarbeiten. Und plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz: “Das muss man doch ganz anders rechnen!” Mit diesem nächtlich gefundenen Ansatz müsste er seine (eh schon extrem aufwändigen) Frequenzweichen noch einmal deutlich verbessern können.
Er zog sich zur Klausur in die Uni Stuttgart zurück, wälzte die Grundlagenwerke der alten Meister und nutzte der Riesenrechner der Uni um die neuen Theorien mathematisch festzuzurren. Gauder: “Diese Weichen sind so komplex, die kann man nicht mehr mit dem Taschenrechner bewältigen. Aber sie lassen sich berechnen!” Die gefundenen mathematischen Modelle wurde anschließend in vielen Versuchsreihen bestätigt. Der klangliche Unterschied zur “alten” Extremweiche soll so groß sein, dass seine Mitarbeiter angeblich empört nachfragten: “Warum kommst du damit erst jetzt?”
Und weil gerade die Überarbeitung der Arcona 60 zur MK -II-Version anstand, profitierte diese kleinste und günstigste Standbox im Gauder Programm als erste von dem neuen Ansatz. Natürlich sollen nach und nach alle Modelle umgerüstet werden. Aber lange Zeit war die Arcona MK II der Technologie-Bannerträger.
Die Technik der Gauder Akustik Arcona 60 MK II
Das grazile Gehäuse der 2,5 Wege Kombination folgt einer modernen Tropfenform. Die Form entsteht durch die Verleimung unterschiedlich starker MDF-Platten, die anschließend aufwändig in Form geschliffen werden. Akustisch gilt die Form als vorteilhaft, weil die Rundung eine höhere Festigkeit bewirkt und im Inneren kaum parallele Wände entstehen – so können sich Dröhnfrequenzen nur schwer aufschaukeln.
Zudem ist die in einem absolut perfekten Hochglanzlack (fast unmöglich, sie zu fotografieren) erhältliche Arcona 60 MK II mehrfach versteift und in zwei Kammern unterteilt – eine größere und eine kleinere im Verhältnis 1:2.
Im größeren (unteren) Teil sitzt jener der beiden Tiefmitteltöner, der nur im Bass – nämlich bis 140 Hertz – tätig ist. Unterstützt wird er von einer Bassreflex-Konstruktion, die der grazilen Standbox eine untere Grenzfrequenz von etwa 50 Hertz beschert. Das ist recht ordentlich.
Im oberen (geschlossenen Gehäuse) arbeitet jener Tiefmitteltöner, der auch für den Mitten (bis etwa 3.500 Hertz) verantwortlich ist. Die 2,5-Wege Mischform ist ja bei schlanken Lautsprechern sehr beliebt, aber die unterschiedliche Ansteuerung der beiden Tiefmitteltöner birgt durchaus akustische Risiken. Denn durch die vorgeschaltete Weiche des “reinen” Basses entsteht ein gewisser zeitlicher Versatz zu dem, der auch die Mitten wiedergibt.
Auch Audio Optimum Chef Stefan Wehmeier hatte anlässlich des Tests seiner herausragend guten Aktivbox FS 62E die Komplexität dieser Bauform unterstrichen. Er stellte sogar die These auf, man könne dieses Prinzip optimal nur aktiv umsetzen.
Aus dem Hause Gauder Akustik kommt hier energischer Widerspruch. Aber es bedarf, so Dr. Gauder, einer ausgeklügelten Mathematik, welche die Frequenzweiche, die Gehäusegröße, die Abstimmfrequenz sowie die Thiele/Small-Parameter der beiden Tiefmitteltöner optimal berücksichtigt. Dann bekommt man auch dieses Problem in den Griff.

Wichtig für das Konzept der Gauder Arcona 60 MK II ist, dass die Tiefmittelton-Membranen eine ähnlich hohe Steifigkeit wie die Kalotte des Hochtöners haben. Das erhöht die Chancen auf eine große Homogenität des Klangbilds. Dr. Gauder: “Harte Membranen haben zwar einen schlechteren Frequenzgang, zeigen aber bis zu hohen Frequenzen hin ein hervorragendes Impulsverhalten. Weiche Membranen hingegen haben einen linearen Frequenzgang, aber können hohen Frequenzen nur schlecht folgen. Da Musik aber praktisch nur aus Impulsen besteht und nicht aus eingeschwungenen Sinustönen, haben wir bei der Arcona-Serie – wie auch bei allen anderen unseren Serien – den Focus auf das Impulsverhalten gelegt. Den leicht welligen Frequenzgang haben wir über die Frequenzweiche glatt gezogen.”
Und damit sind wir auch schon beim Hochtöner: der 25 mm Keramik-Kalotte vom deutschen Treiber-Spezialisten Accuton. Die Rheinländer haben sich ja mit ihren auffälligen (und klanglich exzellenten) Keramik Treibern in den letzten Jahren einen weltumspannend guten Ruf erarbeitet. Das Gauder Team hat enorm viel Erfahrung mit diesen anspruchsvollen Treibern und konnte so einige Anregungen bei diesem neuen Hochtöner einbringen.

Das Ergebnis dieser Kooperation ist aller Ehren wert. Ich selbst war nie ein so großer Fan dieser Keramik-Kalotten von Accuton, weil sie doch lange Zeit etwas schärfelten. Aber nicht diese. Oder zumindest nicht in der Gauder Akustik Arcona 60 MK II. Selten habe ich einen Hochtöner so unaufgeregt und doch so fein gehört. In der Vorgänger-Box Arcona 60 vertraute Dr. Gauder ja noch einem AMT – der durchaus seine Meriten hat. Doch gegen diesen völlig bruch- und mühelos spielenden (und deutlich breiter abstrahlenden) Accuton ist der (von der Bauart eigentlich modernere) AMT chancenlos.
Die Weiche ist der Star
Der eigentliche Star dieses Lautsprechers ruht, gut versteckt, im Inneren des Lautsprechergehäuses: Es sind die – man darf es an dieser Stelle sagen: einzigartig aufwändigen und extrem steilflankigen Frequenzweichen.

Das allerdings galt schon für die Frequenzweichen früherer Modelle. Was sich genau verändert hat, ließ der Schwabe nur sehr diffus durchblicken. Entweder war er der Meinung, dass der Autor (ein gelernter Historiker) damit sowieso überfordert wäre – immerhin kennt man sich ja schon seit fast 30 Jahren. Oder er wollte der Konkurrenz keine Hinweise geben. Ich unterstelle mal in meinem Sinne Letzteres…
Durch den neuen Ansatz erhöht sich die Flankensteilheit von 50 dB/Oktave auf noch höhere Werte von 60 – 66 dB. Die Überlappung der einzelnen Bereiche reduziert sich bei den Übergängen dadurch auf ¼ Oktave (-30 dB). Das ist für eine passive Weiche extrem! Doch Dr. Gauder wollte damit keinen neuen Rekord aufstellen. Durch den neuen Ansatz seien die Phasenverläufe noch besser gelungen, woraus ein verbessertes Impulsverhalten folgen soll.
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