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Test Lyravox Karlina: High End Aktivbox im Bauhaus-Gewand

Das Gehäuse…

…besteht aus fein lackierten MDF-Platten, die intern durch Versteifungen stabilisiert werden. Die Kanten sind bewusst nur dezent gerundet, um so dem gradlinigen Bauhaus-Stil zu folgen. Die Abmessungen sind mit 36 x 108 x 19 cm (B x H x T) eher ungewöhnlich, weil der Markt meist schlanke den breiten Lautsprechern vorzieht. Aber in meinen Augen ist dieses Konzept viel eleganter. Die Lautsprecher sind halt nicht sehr tief und durch die breite Front (und die dadurch entstehenden Reflektionen) hat das Klangbild zwar weniger Raumtiefe, ist aber sehr dynamisch.

Zusammengehalten werden Mittelton- und Bassgehäuse über lange Gewindestangen, die unten am Fuß austreten. Der kleine Absatz zwischen Fuß und Bassgehäuse hat nicht nur optische Gründe: Er fungiert auch als Bassreflexkanal für den Tieftöner.

Lyravox Karlina Sockel
Der solide Fuß ist aus HDF und in Betonfarbe ausgeführt. Er bringt die Karlina in eine leichte Schräglage, sodass der Hochtöner etwas weiter „trägt“. Die silbernen Punkte sind Muttern, mit denen die Gewindenstangen festgezurrt werden, welche die Einzelbausteine (Bodenplatte, Bass- und Mitteltongehäuse) zusammenhalten (Foto: H. Biermann)

Als smartes Aktivsystem hat die Karlina auf der Rückseite eine Menge Anschlüsse: 3 x digital, 2 x analog sowie der Ausgang für die Verbindung zur anderen Box. Zwar arbeitet die Lyravox nach dem Master/Slave-Prinzip arbeitet, dennoch ist die gesamte Elektronik – immerhin ein DAC, der DSP und drei Paar unterschiedlich starke Endstufen – jeweils in beiden Boxen untergebracht. So kann der Nutzer selbst entscheiden, welche der beiden der „Master“ ist. Ein dünnes Verbindungskabel bringt dann den „Slave“ auf Trab. Will man analoge Quellen wie Phono oder Tape nutzen, muss der User allerdings jede Box mit einem Kabel ansteuern. Das könnte ich mir smarter vorstellen.

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Lyravox Karlina Anschlussfeld3
Karlina bietet drei Digital-Anschlüsse (AES, Cinch, optisch) sowie zwei Analog-Eingänge: einen in XLR und einen in Cinch. Die „Slave“-Box wird über den AES/EBU- oder S/PDIF-Passthrough-Ausgang mit Leistung und Signalen versorgt (Foto: H. Biermann)
Lyravox Anschlussfeld Unterschriften
Hübsche Idee: Auf der verkupferten Platine finden sich die Unterschriften der beiden Lyravox Macher Götz von Laffert und Jens Wietschorke (Foto: H. Biermann)
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Der eingebaute DSP sorgt für die passgenaue Ansteuerung der Treiber und korrigiert ihre Gruppenlaufzeit, damit alle Signale von Tief-, Mittel- und Hochtöner einer Box (Ausnahme: der AMT auf der Oberseite) zeitgleich am Ohr des Hörers ankommen. Auch das macht den Klang der Karlina so präzise. Und der DSP digitalisiert die analogen Eingangssignale, um sie dann an die (digitalen) Class-D-Endstufen weiterzuleiten. Die gesamte Signalbearbeitung erfolgt also auf digitaler Ebene.

Bei den Endstufen handelt es sich um Hypex-Module der neuesten Generation, die optimal auf die jeweiligen Treiber angepasst wurden. Wietschorke: „Jetzt werden wieder viele Leute sagen: Hypex – das klingt doch nicht. Ich kann nur sagen: Wir probieren jede Schraube aus. Da gibt es schrecklich klingende Endstufen, das stimmt.  und die neuen Hypex-Module klingen einfach fantastisch. Man muss halt die richtigen Module für die richtige Anwendung heraussuchen.“

Karlina in der Praxis

Der wichtigste Punkt: Die Karlina wird – wie auch alle Schwestermodelle – vor Ort auf den Raum des Kunden eingemessen. In der Regel übernehmen das die Spezialisten von Lyravox selbst. So auch im LowBeats Hörraum, wobei Entwickler Jens Wietschorke bei diesem Mal nicht allzu lang brauchte: Er kennt den Raum aus früheren Einmessungen gut.

Die Einmessung erlaubt die Aufstellung auch an Positionen, die vielleicht nicht ganz so optimal sind. Aber man muss sich immer vor Augen führen, dass eine akustische Anpassung auf elektronischem Wege immer nur für einen Punkt im Raum gut funktioniert. Deshalb ist es von Vorteil, wenn a.) der Lautsprecher an einem optimalen Platz steht und b.) der Raum akustisch angenehm ist. In akustisch schwierigen Räumen kann auch der DSP keine Wunder bewirken.

Konnte der Kunde bei der ursprünglichen Variante (also mit eingebautem Streaming-Client) über die mitgelieferte Fernbedienung noch eine eigene Klangabstimmung finden, so haben die Lyravox-Verantwortlichen diese Möglichkeit nun ausgeschlossen. Die „pure“ Karlina bietet noch drei Klang-Modi: eine Werkeinstellung, eine perfekte Einstellung im Raum und eine nach Kunden-Gusto. Sollten sich Klangvorstellungen oder die räumlichen Umstände (beispielsweise nach Umzug) des Kunden ändern, kommen die Einmess-Spezialisten zum Selbstkostenpreis von 500 Euro (außerhalb Deutschlands wird es etwas teurer) noch einmal vorbei.

Der Anschluss an weitere HiFi-Geräte ist einfach: Man kann die Quellgeräte direkt anschließen; die Karlina wird dann zur Anlage. Das ist die beste Varianate, wenn man nur eine Quelle wie beispielsweise einen Streamer nutzt. Bei mehreren, womöglich auch analogen Quellen ist ein klassischer Vorverstärker als Zentrale wahrscheinlich praktischer.

Geeignet ist die Lyravox Karlina für Räume von 15 bis 50 Quadratmeter Größe. Die Begrenzung nach oben liegt im Maximalpegel – je weiter der Hörplatz vom Lautsprecher entfernt steht, umso lauter muss der Schallwandler spielen können. Bei niedrigen Pegeln spielt die Karlina sensationell verzerrungsarm – siehe LowBeats Messung bei mittlerer Lautstärke von 94 Dezibel (1 Meter Entfernung).

Lyravox Karlina IM-Spektrum @94dBspl
IM-Spektrum Lyravox Karlina @94dBspl/1m. Durchweg sehr sauber (Messung: J. Schröder)

Und selbst bei höheren Pegeln bleiben die Verzerrungswerte erstaunlich gering. Nach unseren Messungen erreicht die hübsche Hamburgerin Spitzenwerte von etwa 110 Dezibel.

Lyravox Karlina IM-Spektrum @102dBspl
IM-Spektrum Lyravox Karlina @102dBspl/1m. Noch immer sehr sauber, erreicht den IM-Grenzwert zuerst bei etwa 1,5 kHz seine Grenzen. Hier also limitiert der Mitteltöner den Maximalpegel (Messung: J. Schröder)

Das ist vor dem Hintergrund der sehr tiefen Grenzfrequenz von 22 Hertz ungewöhnlich laut. Gemeinhin gilt: je tiefer ein Lautsprecher spielen kann, desto weniger laut.

So klingt die Lyravox Karlina

Unglaublich sauber. Das war das erste, was mir auffiel. Und zwar durchgängig: vom Tief- bis zum Hochton. James Blood Ulmers „Crying“ ist ein fieses Stück. Zuerst die sanften Riffs auf der E-Gitarre, die den arglosen Zuhörer in Sicherheit wiegen. Dann die brachial krachenden Snare-Drum-Hiebe, die den eben noch arglosen Zuhörer in den Sessel drücken. Und dann die wuchtigen Bassdrums, die den ersten Teil von „Crying“ tragen und bei entsprechendem Pegel direkt auf Zwerchfell zielen.

James Blood Ulmer
Eine großartige Live-Aufnahme aus einem relativ kleinen Konzertraum: James Blood Ulmer Live At The Bayerischer Hof München (Cover: Amazon)

Mit der Lyravox Karlina klingt dieses Stück (wie fast alle Aufnahmen aus meinem Hörtest-Repertoire) überragend gut. Die Dynamik, vor allem aber die Sauberkeit, wie sie das Schlagzeug rüberbringt, ist fantastisch. Jeder Schlag so punktgenau. Kein Dröhnen, kein Nachschwingen, wo es Aufnahme nicht vorsieht. Und alles mit viel Druck und Kontrolle auch in den untersten Lagen. Das klingt absolut authentisch.

Dann kommt die Stimme von James Blood Ulmer ins Spiel: ganz dicht am Mikrofon. Die Karlina zieht einen förmlich in die Aufnahme. Man ist an diesem Abend im Bayerischen Hof dabei. Der Saal ist klein, das Publikum nicht weit weg von der Bühne. Man spürt seine Anwesenheit. Ulmers Stimme ist rau, fast ein bisschen krächzend, jedenfalls vielschichtiger als die glattgeschliffenen Stimen des modernen Pop.

Die Karlina gibt alles wieder; sie glänzt mit so hoher Durchsichtigkeit und Detailfreude, dass man meint, Ulmer singen zu sehen. Und trotz aller Rauigkeit in dieser Stimme wirkt sein Gesang doch erstaunlich fein.

Genrewechsel. Die Singer Songwriterin und Nylon-Sängerin Lisa Bessange wird zu Anfang von „So weit, so weit“ (Nylon Album: 10 Lieder über Liebe) nur von einem E-Piano begleitet. Mit der Karlina standen Piano und Sängerin im Hörraum: man hörte wirklich alles. Die substanzielle Kraft des Pianos die Feinheiten der anmutigen Stimme….

Nylon: 10 Lieder über Liebe (Cover: Amazon)

Die Karlina zeigt im gesamtem Mittelhochtonbereich eine ungemeine Ausdrucksstärke und enorme Liebe zum feinen Detail. Ich habe schon viele, extrem hochklassige Passivlautsprecher mit dieser Accuton Mittelhochton-Bestückung gehört. Sie haben alle einen gewissen Reiz und in der Regel eine hohe, innere Dynamik. Aber ich kann mich nicht entsinnen, diese hohe Präzision und den schnellen Antritt schon mit so viel Sinn fürs Feine gehört zu haben wie bei dieser adretten Aktivbox.

Natürlich haben es aktiv-entzerrte Konzepte immer etwas leichter, tonal auf den Geschmack der Zuhörer eingestellt zu werden. Aber guter Klang ist mehr, als nur an den Reglern einen gefälligen Frequenzgang einzustellen. Die Lyravox Karlina ist hierfür das beste Beispiel: Für diese großartige Feindynamik und Impulsivität braucht es als wesentliche Basis ein Konzept, allerbeste Treiber und das Knowhow, diese Treiber auch optimal einzusetzen.

Was mich bei aller Begeisterung für die Karlina aber dennoch erstaunte, war die Abbildung. Gemeinhin spielen breite Boxen eher flächig mit wenig Raumtiefe. Die Lyravox Karlina hingegen zeichnete die Aufnahme-Räume in allen Dimensionen (also auch in der Höhe) sehr genau. Das liegt nicht nur am nach oben abstrahlenden AMT, sondern allem an der perfekten Timing-Einstellung am DSP.

Weil alles so schön klar, transparent und unverzerrt klingt, habe ich es mit dem Pegel oft übertrieben. Während die Overload-LEDs vorn dann hektisch blinken, verliert der Bass an Druck und der kleine Tiefmitteltöner wird etwas rauer. Aber der LowBeats Hörraum ist mit seinen 70 Quadratmetern ziemlich groß und um den angemessen laut zu beschallen, muss man einfach größere Kaliber auffahren. Doch für Räume bis 50 Quadratmeter Größe halte ich diesen Lautsprecher für ideal.

Mir hat ja auch die Lyravox Karlos sehr gut gefallen. Doch der um 6.000 Euro günstigere kleine Bruder ist im Vergleich zur Karlina eher eine Art kumpelhafter Spaßmacher: auch dynamisch mitreißend und ausgewogen. Aber am Ende des Tages kann Karlina fast alles besser. Es ist vor allem die hohe Transparenz, Spielfreude und Durchsichtigkeit in den Mitten, mit der sich die Karlina auch von den (ebenfalls überragend gut getesteten und von der Idee her sehr ähnlichen) Quadral Aurum Gamma und Bohne Audio BB10 absetzen kann.

Fazit:

Man könnte meinen, Lyravox baue Design-Boxen und damit böse unterstellen, dass unter so stilvoller Optik und so smartem Konzept die Technik und der Klang natürlich leiden müssten. Weit gefehlt. Ich hatte jedenfalls schon lange nicht mehr so viel Spaß am Musikhören und im praktischen Umgang mit einem „Design-Lautsprecher“.

Machen wir es kurz. Die Karlina entstehen bei Lyravox in Hamburg und somit bestes „Made in Germany“. Sie sind ordentlich verarbeitet, sehen stylisch aus und aufgrund ihres aktiven Konzepts sind sie nicht nur auf den Raum anpassbar, sondern bieten zudem die Möglichkeiten einer (fast) kompletten Anlage mit eingebautem DAC.

Und sie sind klanglich allererste Sahne. Wer auf präzise-knackigen, fein-transparenten Klang mit druckvollem, sehr tiefen, aber immer sauberen Bass steht, wird Mühe haben, in diesem Preisbereich Besseres zu finden.

Lyravox Karlina
2019/10
Test-Ergebnis: 4,5
überragend
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Dynamisch-feiner, lebendig-offener Klang
Souveräner, tiefreichender und sauberer Bass
Fein justierbarer Raum-Equalizer
Raum-Einmessung durch Lyravox-Spezialisten

Vertrieb:
Lyravox Gerätemanufaktur GmbH & Co KG
Hopfensack 14
20457 Hamburg
www.lyravox.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Lxyravox Karlina: 17.800 Euro

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Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.