Mehr und mehr kommt ein Boxentypus auf, der viel mehr ist als einfach nur ein Lautsprecher. Weil er Endstufen, DSPs, DACs, Vorstufen und Streaming-Player schon eingebaut hat, ersetzt er gleich die ganze Anlage. Wir kennen solche Modelle schon von Ascendo, Canton, KEF, Nubert und Teufel und von vielen weiteren Herstellern. Nun tritt auch Quadral diesem noblen Klub bei: mit der stattlichen Quadral Aurum Gamma. So viel darf schon verraten werden: Bereits dieser erste Auftritt geriet fantastisch.
Der Boxenspezialist Quadral ist eine der konstanten Größen in der hiesigen HiFi-Szene. 1972 gegründet, hatten die Hannoveraner bereits in den Siebzigerjahren stattliche Achtungserfolge zu verzeichnen. Doch der Durchbruch erfolgte erst 1981 – mit der gewaltigen Transmissionline-Box Titan, deren aktuellste Version R9 auch bei LowBeats schon den Testparcours durchlief. Die Titan war ein Paukenschlag, der das damals schlafmützige HiFi-Deutschland gehörig aufrüttelte. Und so wurde über diese Titan viel gesprochen – viel öfter gekauft aber wurde die klanglich kaum minder imposante, von der Größe her aber deutlich zivilere Quadral Vulkan – ebenfalls ein Kind der frühen Achtzigerjahre. Auch im aktuellen Quadral Programm findet sich natürlich eine Vulkan (Paarpreis: 10.000 Euro), aber auf der HIGH END 2018 stellte Quadral zusätzlich eine noch zeitgemäß-modernere Variante der Vulkan vor: die aktive, prozessorgesteuerte Quadral Aurum Gamma mit Quell-Eingängen und App-Steuerung. Deren Paarpreis: 12.000 Euro. Auf der Messe hatte ich die Gelegenheit, sie eine Zeitlang ungestört zu hören und war echt begeistert. Quadral Entwickler Sascha Reckert aber winkte ab: “Wir sind ja noch lange nicht fertig.”

Acht Monate und viele Enzwicklungsstunden später: Die Gamma, die ich mit Reckert die Stufen hoch in den LowBeats Hörraum schleppe, sieht blendend aus, ist final abgestimmt und gar nicht leicht: 55 Kilo wiegt ein Exemplar. Denn zeitgemäß hin oder her: Qualität hat – finde ich – immer noch auch mit Gewicht zu tun. In der Regel ist mehr = besser.
Bei der Gamma kommen schon wegen des soliden Gehäuses viele Kilos zusammen. Die Gehäusewände bestehen aus 25 mm MDF, die Bass-Innenseite ist zusätzlich verstärkt und die gesamte Konstruktion mehrfach versteift. Wie üblich bei Quadral macht das Gehäuse einen exzellenten Eindruck.

Das gilt auch für das Lack-Finish, bei dem die Schreiner bei Quadral schon vor Jahren ein Verfahren gefunden haben, das der Oberfläche von Klavierlack sehr ähnlich ist. Die Gamma gibt es in Hochglanz-Schwarz und -Weiß.
Eine Vulkan R9, deren Bestückung die Gamma erbte, ist ein beeindruckender Lautsprecher. Allein die beiden Tieftöner im 23,5 Zentimeter Format wollen untergebracht sein. Die Quadral Aurum Gamma ist zwangsweise nur wenig kleiner. Doch im Gegensatz zur Vulkan R9 wurden bei ihr die beiden Tieftöner an die Innenseite versetzt; so kann man bei ähnlichem Volumen die Schallwand und damit das ganze Klangmöbel schlanker und eleganter gestalten.
Ein weiterer, elementarer Unterschied zur bekannten Vulkan: Die Gamma ist eine geschlossene Box, auch das reduziert in der Regel das Volumen. Bei allen Vorteilen der Bassreflex-Konstruktionen (mehr Tiefbass, höherer Wirkunsggrad) sind es doch meist die Lautsprecher mit geschlossenen Bassgehäusen, die noch etwas präziser klingen. Das ist jetzt sehr verallgemeinernd. Aber meiner Erfahrung nach sind geschlossene Lautsprecher etwas einfacher dröhnfrei aufzustellen.
Das gilt für passive Lautsprecher. Bei der Quadral Aurum Gamma aber werden ja nicht nur die Tief-, Mittel- und Hochtöner von eigenen Endstufen optimal angesteuert (Gesamtleistung laut Quadral: 350 Watt), sondern auch von einem DSP mit der Vollversion des vielfach bewährten (schwedischen) DIRAC-Systems bis ins Letzte perfektioniert. Das ist natürlich noch viel besser. Der sanft abfallende Frequenzgang zu Tiefen hin (Kennzeichen einer geschlossenen Box) kann durch die Elektronik also mühelos kompensiert werden. Quadral Entwickler Reckert spricht von etwa 25 Hertz als unterer Grenzfrequenz. Die LowBeats Messungen im Hörraum reichten weit tiefer…

Natürlich profitieren auch die Mittel- und Hochtöner von einer perfekt auf ihr Leistungsvermögen zugeschnittenen Ansteuerung per DSP. Wenngleich vor allem die Mitteltöner zu dem Robustesten zählen, was das aktuelle HiFi kennt.

Von diesen Mitteltönern hat die Gamma gleich zwei. Die Verdoppelung von Membranfläche und Belastbarkeit ist an dieser Stelle sinnvoll, weil bei Konstruktionen mit Seitenbässen diese Tieftöner nicht sehr hoch spielen dürfen; sonst kann das Ohr sie orten. Man sagt, unter etwa 150 bis 200 Hertz wäre das Ohr für Richtungsinformationen wenig sensibel. Entwickler Reckert lässt sich auf keinerlei Diskussionen ein und trennt Tief- und Mitteltöner schon bei 110 Hertz. Die Quadral Aurum Gamma ist quasi eine Satellitenbox mit eingebautem Subwoofer.
Zwischen den beiden Mitteltönern sitzt ein echter Sahne-Hochtöner: das mittlere quSense Bändchen. Mit Einführung der Generation R9 hat Quadral erstmals in seiner fast 50-jährigen Firmengeschichte die Produktion der Bändchenhochtöner selbst in die Hand genommen und fertigt die audiophilen Kleinode im Stammwerk: nicht mehr in China, sondern in Hannover/Herrenhausen. Ein begrüßenswerter Schritt, den Reckert so begründet: “Das war die einzige Möglichkeit, die Qualität zu bekommen, die ich für unsere Lautsprecher voraussetze.”

Beim klassischen Bändchen fehlt eine hochohmige Schwingspule, deshalb sind solche Konstruktionen extrem niederohmig. Im Gegensatz zu ähnlichen Hochtönern wie dem AMT oder Magnetostaten brauchen Bändchen daher immer einen Übertrager, der den Widerstand auf 4 oder 8 Ohm hochsetzt und so den Verstärker vor dem Kurzschluss bewahrt. Das erklärt auch die hohe Bautiefe der Bändchen. Die quSense Bändchen konnte ich schon oft hören und stets haben sie ihren Job unauffällig-feinseidig gemeistert.
Die Quadral Aurum Gamma in der Praxis
Weil die beiden Mitteltöner denselben Frequenzbereich abstrahlen und der Hochtöner zwischen ihnen sitzt, spricht man von einer symmetrischen Anordnung. Diese hat den großen Vorteil, dass sie in der Abstrahlung nach oben und unten etwas eingeschränkt ist. Boden- und Decken-Reflektionen sind also weniger stark ausgeprägt, was die Quadral Aurum Gamma dazu prädestiniert, auch bei Hör-Entfernungen jenseits der drei oder vier Meter sehr gut zu klingen.
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