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Der Thiel TT01 mit Tonarm TA01 ist ein echter Hingucker – aber auch technisch mit das Raffiniertestes, was es im Analogen gibt. Sein Preis: 24.000 Euro (Foto: Thiele)

Test Plattenspieler Thiele TT01/TA01: Moby Disk

Auf der Jagd nach dem Erzfeind der Analogwidergabe sind schon viele gescheitert. Nun hat es auch Helmut Thiele auf den Spurfehlwinkel abgesehen – und will ihn mit einem trickreichen Tonarm besiegen. Der Test seiner einzigartigen Laufwerks-/Tonarm-Kombination Thiele TT01/TA01.

 „Ah, die kenn ich doch!“ Kaum, dass Helmut Thiele einen Kaffee in der Hand hatte, stieß er in meinem Wohnzimmer schon auf eines seiner eigenen Werke: Die bildschöne Heco Direkt Einklang in Dunkelgrau. Design von Thiele, Technik von Shandro Fischer (ehemaliger Entwicklungsleiter bei Heco/Magnat) – ein Dreamteam deutschen Lautsprecherbaus. Und eine Box, die mit ganz dezenten Mitteln ein unglaublich starkes optisches Statement setzt. Die Einzige hier, die regelmäßig von ganz normalen Besuchern Komplimente bekommt. Ja, sogar von Frauen.

Helmut Thiele
His Master’s Work: Helmut Thiele mit einigen älteren und seinem jüngsten Werk, dem Thiele TT01/TA01 (Foto: Thiele)

Andere Thiele-Designs stehen weniger exponiert: Im Hörraum läuft gerade der Thorens 1600 – ebenfalls komplett aus der Feder Thieles. Der direkt angetriebene Magnat MTT990, den ich jüngst mal wieder für einen Vergleich aufgebaut hatte? Logisch: Thiele. Die schicken und guten Excalibur-Tonabnehmer, die der Vertrieb TAD mit großem Erfolg als Hausmarke etabliert hat, und die ich immer wieder gerne irgendwo einbaue? Designed by Thiele in Duisburg. Und das sind nur die Sachen, die mir im eigenen Umfeld spontan auf- und einfallen. Schaut man etwas weiter zurück, tauchen Kultmarken wie Acapella, Michaelson & Austin, Phonosophie und Phase Linear auf, aber auch einstige Riesen wie Pioneer.

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Der TT01 in seiner ganzen Pracht – und natürlich mit dem außergewöhnlichen Tonarm namens TA01 (Foto: Thiele)

Zu behaupten, Helmut Thiele hätte mir an diesem Morgen seinen ersten Plattenspieler gebracht, entbehrt also nicht einer gewissen Komik. Der TT01 ist aber der erste Dreher, der tatsächlich seinen Namen trägt. Ein persönliches Statement nach bald 50 Jahren Karriere. Auftraggeber war allein er selbst, Ideengeber ebenso. Wobei die Konstruktion natürlich nicht aus dem Nichts entstanden ist. Thiele kennt alle ähnlichen Ansätze, ihre Stärken und Schwächen. Das sind viele. Das Ziel, einen Plattenspieler ohne Spurfehlwinkel zu bauen, ist fast so alt wie die Schallplatte selbst. Und es bleibt schwierig.

Die Besonderheiten des Thiele TT01/TA01:

Das Problem des Spurfehlwinkels resultiert aus einem Grundprinzip der Schallplattenherstellung: Schneidstichel und Abtastnadel nehmen meist nicht den gleichen Weg über die Schallplatte. Am Anfang steht eine Schneidemaschine, die die Schallschwingungen in eine weiche Schicht aus Nitrozellulose graviert: Das Lackmaster. Der Schneidstichel erinnert dabei an die Nadel eines Tonabnehmers, besitzt aber scharfe Flanken, die nicht geschmeidig gleiten, sondern eine präzise Spur in dem Rohling hinterlassen – und dabei einen Span abheben, der kontinuierlich abgesaugt wird. Die spiralige Rille entsteht, indem der Schneidkopf mit jeder Umdrehung um einen Millimeterbruchteil nach innen wandert. Für Leerrillen zwischen den Tracks wird der Vorschub vorübergehend erhöht, das ist einfach.

Eine richtige Wissenschaft dagegen ist es, die Spurweite während eines Stücks stets perfekt an die Musik anzupassen: Je mehr Stereoanteil, je mehr Bass und je lauter das Signal, desto breiter werden die nötigen Auslenkungen. Liegen die Rillen zu dicht nebeneinander, können sie sich berühren oder gar überschneiden, was das Master ruinieren würde. Andererseits will man keinen Raum verschenken, weil darunter die Spielzeit pro Seite leidet.

Moderne Schneidemaschinen (wobei „modern“ hier 1980er-Jahre bedeutet – danach wurden keine mehr gebaut) errechnen den idealen Vorschub dynamisch mit Computerhilfe. In jedem Fall aber ist die Reise des Schneidstichels – und später des Tonarms – über die Plattenseite eben nicht so gleichmäßig und geruhsam, wie das zunächst aussieht. Sondern eine Folge von Beschleunigungen und Verzögerungen, die mit bloßem Auge zwar kaum wahrnehmbar sind, für den Arm und Tonabnehmer aber reale Kräfte bedeuten, denen sie folgen müssen. Die Bewegung verläuft nicht einmal kontinuierlich von außen nach innen. Denn bereits die offiziell zulässige Exzentrizität der Platte – also die beim Pressvorgang entstehende Abweichung des Mittellochs von der geometrisch perfekten Mitte – ist größer als der Rillenvorschub. Erst recht die reale Abweichnung, mit der uns unsere täglich gekauften LPs erreichen: Selbst, wenn wir die ganz krassen Fälle reklamieren, wo die Platte so eiert, dass die Tonhöhe um einen Viertelton schwankt, sind wir doch happy, wenn die Scheibe mit vielleicht einem halben Millimeter Abweichung rotiert. Das sieht man beim Auflegen kaum mehr, und hört es meist auch nicht.

Aus Sicht des Arms bedeutet das aber Arbeit: Für 20 Minuten Musik muss sich eine LP-Seite 666,666 mal um sich selbst drehen. Übrigens auch dann, wenn es sich bei der Musik nicht um Black Metal handelt. Im Laufe dieser rund 666 Umdrehungen überquert der Tonabnehmer den bespielten Bereich der LP, der – kurz nachgemessen – 8,5 Zentimeter breit ist. Der durchschnittliche Vorschub pro Umdrehung beträgt in diesem Beispiel also 8,5cm/666 oder knapp 130 Mikrometer. Selbst wenn wir sehr kritisch sind und die alte DIN zugrunde legen, betrüge die erlaubte Exzentrizität einer LP 0,2 Millimeter oder 200 Mikrometer. Tatsächlich wandern Arm und System also nicht nur 130µm pro Umdrehung stetig nach innen, sondern taumeln jedes Mal um 135µm (Exzentrizität minus halber Vorschub) nach außen und um 265µm (Exzentrizität plus halber Vorschub) nach innen. Wie gesagt, die realen Zahlen dürften meist höher liegen.

Aber was soll der ganze Exkurs denn jetzt? Vor allem zeigen, dass die realen Anforderungen an einen Tonarm von den theoretischen oft deutlich abweichen. Nicht alle Konstruktionen berücksichtigen diese Tatsachen gleichermaßen. Manchmal werden sie sogar – wissentlich oder versehentlich – ignoriert, weil man komplett auf einen anderen Klangfeind fixiert ist, den Moby Dick unter den zahlreichen Analogproblemen: den Spurfehlwinkel. Eine systemimmanente Schwäche der Vinylwiedergabe, die auch Helmut Thiele für seinen Statement-Tonarm TA01 an den Zeichentisch trieb (oder besser ans CAD-System). Der TT01 ist dafür lediglich das adäquate Vehikel, die Pequod, mit der Thiele auf der Jagd nach dem Weißen Vinylwal in See sticht. Der TA-01, das ist die Harpune.

Thiele
Thiele verwendet für seine Konstruktion die professionelle CAD-Software „Autodesk Inventor“ (Foto: Thiele)

Der Spurfehlwinkel ist leicht zu erklären, aber schwer zu vermeiden: Die Schneidemaschine führt ihren Schneidkopf auf einem massiven Schlitten, der mit einem mächtigen Spindelantrieb über den Plattenradius geschoben wird. Ähnlich wie bei einer Drehbank, was im englischen Begriff cutting lathe auch sichtbar wird. Zunächst kontrolliert der Mastering-Ingenieur per Mikroskop, ob der Stichel auch kerzengerade in die Nitrozellulose-Schicht des Rohlings schneidet. Und an dieser Ausrichtung ändert sich auch nichts mehr, weil der Schneidkopf dann exakt parallel über die Plattenseite fährt. Leider tun Tonarme das meist nicht. Sie schwenken den Tonabnehmer entlang eines Kreisbogens. Mit einem geometrischen Trick – einer definierten Kröpfung nach innen – kann daher ein Dreharm zwei Punkte des bespielten Bereichs exakt tangential abspielen.

Davor und danach stehen Tonabnehmer und Nadel – von oben betrachtet – stets ein bisschen in die eine oder andere Richtung verdreht in der Rille. Diese Fehlstellung bewirkt Verzerrungen, und gar nicht mal so geringe. Zum Glück handelt es sich dabei größtenteils um geradzahlige Oberwellen niedriger Ordnung. Sie machen den Klang nicht hell, aggressiv und giftig, sondern fallen tonal allenfalls durch etwas künstliche Wärme auf. Aber sie schlucken auch Details, und sie werden mit abnehmendem Rillenumfang – also zur LP-Mitte hin – zunehmend auch auf problematische Weise hörbar: als konkrete Unsauberkeit vor allem an hoch ausgesteuerten Stellen.

Um dem Spurfehlwinkel den Garaus zu machen, gibt es einige probate Tricks. Man kann den Tonarm zum Beispiel länger machen. Im Grenzfall eines unendlich langen Arms hätte man null Spurfehlwinkel – und das sogar ohne Kröpfung, was nebenbei die störende Skatingkraft annullieren würde. Aber das ist ein rein theoretischer Fall. Schon die ab und zu auftauchenden 14- oder 16-Zöller sehen obszön aus und passen nirgends mehr hin. Praktische Annäherungen messen meist 12 statt der sonst üblichen 9 Zoll. Auch das bringt schon deutlich geringere Fehler, hat aber auch Nachteile, die wir jüngst beim Test des Acoustic Signature Tornado direkt nachhören konnten: Der Spieler kam mit zwei identisch aufgebauten Armen, die sich nur in der Länge unterschieden, sowie identischen Tonabnehmern. Ein perfekter Versuchsaufbau also, wie man ihn sonst selten vorfindet. Und auf dem ich langfristig tatsächlich (und wider Erwarten) den Neunzöller vorzog.

Ein anderer Approach ist der Tangentialarm. Eigentlich die perfekte Lösung, weil da der Tonabnehmer tatsächlich exakt dem Weg des Schneidstichels folgt. Die Umsetzung ist aber heikel: Manche Konstruktionen lassen eine Art Tonarmschlitten auf Röllchen und Schienen über die Platte fahren. Das bedeutet empfindliche, exponierte Laufflächen und viele Lager mit Spiel und/oder Reibung. Andere lassen den Schlitten auf Luftkissen gleiten und die Reibung damit praktisch verschwinden, brauchen dafür aber Kompressoren, Filter und allerlei wenig hübsches Schlauchwerk. Wieder andere helfen dem Schlitten mit einem elektrischen Antrieb aktiv nach. Das erfordert eine sensible Steuerung, die den ständigen Bewegungen der Platte blitzartig folgt, bevor diese einseitig an der Nadel ziehen und das heilige Kräftegleichgewicht um den Diamanten herum gefährden.

Ich bin da wirklich leidenschaftslos, aber die meisten dieser Arme würde ich nicht täglich verwenden wollen. Im besten Fall, weil das Handling halt etwas komplizierter ist. Vielleicht auch wegen prohibitiver Preise. Ich meine nicht die 24.000 Euro für den Thiele TT01/TA01, sondern wirklich prohibitive Preise. In ungünstigeren Fällen aber auch wegen offensichtlicher Schwächen. Sei es im Abbau von Resonanzen, im Umgang mit welligen Platten, durch praxisfremde Bauweise oder komplexe Steuerungen, die spätabends außer Kontrolle geraten. Was bringt es, Moby Dick zu erlegen, wenn dabei das Schiff sinkt?

Die Thiele Lösung

Helmut Thieles Ansatz ist schon optisch wohltuend: Sieht aus wie ein normaler Drehtonarm mit einem extravagant geformten Lager. Beziehungsweise zwei. Oder nein: drei? Industriedesigner Thiele hat viel Funktion in eine klare, elegante Form gebracht. So fällt erst im näheren Umgang mit dem Arm auf, wie anders er sich bewegt. In der Horizontalen (vertikal arbeitet er ganz normal) dreht sich der TA01 tatsächlich um zwei Punkte. Er vollführt dabei im Grunde zwei Kreisbewegungen, die sich so überlagern, dass die Headshell an jedem Punkt der Platte stets parallel über den Rillen schwebt. Das erinnert an die Schwenkmimiken bestimmter Küchenmöbel, oder auch an Mehrlenker-Radaufhängungen moderner Autos. Da kann das Rad einfedern, so weit es will, ohne dass sich der Sturz verändert. Hier schwenkt der Arm über die Platte und steht an jedem Millimeter seiner Reise exakt tangential zur Rille. Spurfehlwinkel: Null. Beziehungsweise für Pedanten: maximal 0,036 Grad. Von der Lead-In- bis zur Endrille. Jetzt muss das Ganze nur noch funktionieren.

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Der Thiele TA01 passt in jedes Laufwerk, das für herkömmliche 9- oder 10 Zoll Tonarme konstruiert wurde (Foto: Thiele)

Und funktionieren tut es gut, überraschend gut sogar. Was nicht heißt, dass der Arm keinerlei Ein- oder Umgewöhnung erfordert. Die „Tonarmhand“ – bei mir die rechte – hat über Jahrzehnte gelernt, wie Armrohr und Headshell ihrer Führung vom Parkplatz zum Anfang der Platte folgen. Ein simpler Schwenk. Der Thiele-Arm dagegen bewegt sich nicht nur nach innen, sondern zugleich auch nach vorne. Denn das Armlager sitzt seinerseits am Ende eines kurzen, massiven Schwenkarms. Die beiden Armteile sind gekoppelt: Wieviel Bewegung reinwärts welcher Bewegung vorwärts enstspricht, ist durch ein schlankes, ebenfalls kugelgelagertes Führungsgestänge aus Ebenholz vorgegeben. Das hat eine zunächst überraschende Nebenwirkung: Obwohl die Headshell kerzengerade ist, erzeugt auch dieser Arm im Betrieb Skatingkräfte. Jeder Zug am Armrohr in axialer Richtung resultiert durch die Anordnung der beiden Lager in einem proportionalen Zug Richtung Plattenmitte. Also auch die Reibung der Nadel in der Rille.

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Der Montageabstand zum Zentralpunkt beträgt genau 240 mm. Die benötigte Fläche für die Tonarmbasis liegt bei etwa 112 mm x 80 mm (Zeichnung: Thiele)

Um die Skatingkraft zu kompensieren, nutzt Helmut Thiele die Masse des Lagerblocks und des Arms selbst. Der Schwerpunkt dieser Baugruppe liegt außerhalb des Drehpunkts. Kippt man die Drehachse nur minimal, strebt die Masse unbeirrt bergab – auch wenn der „Berg“ hier allenfalls ein paar Hundertstel hoch ist. Für freie Beweglichkeit in alle Richtungen sitzt die Armbasis auf einer zentralen Lagerkugel, vier Stellschrauben außen herum ziehen sie bombenfest und erlauben zugleich feinfühligste Lageänderungen. Bei der Herstellung in Duisburg kalibriert Thiele den Arm zunächst und setzt erst dann eine supergenaue Dosenlibelle an der Basis ein. Später braucht man den Spieler nur noch exakt (wirklich exakt!) horizontal zu stellen. Die genaue Ausrichtung von Arm und Laufwerk ist kritisch: Abweichungen, die man mit den üblichen Billiglibellen nicht mal erkennen würde, können hier bereits die Funktion beeinträchtigen. Weshalb ich auch jenen Kollegen nicht zustimmen kann, die den TT01 als unkompliziert beschrieben haben: Diesen Spieler schiebt man nicht mal kurz zur Seite oder stellt ihn gar von seinem Stammplatz irgendwo anders hin – und sei es nur, um an irgendein Kabel heranzukommen. Man betreibt ihn auch nicht auf Böden, die in irgendeiner Form „arbeiten“: Beton und Top-Möbel oder ein erstklassiger Wandhalter sind Pflicht.

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Der TA01 besteht aus einer Kombination aus Drehtonarm und Tangentialtonarm. Das Tonarmrohr ist doppelwandig und mit Gel bedämpft (Foto: B. Rietschel)

Material und Finish des Arms sind vom Feinsten: akkurat gefrästes, gestrahltes Aluminium prägt Basis und Lagergehäuse. Darin sitzen die feinsten aktuell erhältlichen Kugellager, die Thiele dennoch vor dem Einbau selektiert und aufarbeitet. Spielfreiheit hat bei einem Arm mit so vielen beweglichen Teilen höchste Priorität. Aber auch Leichtlauf, den der Entwickler mit genau abgemessenen Papierschnipselchen im Milligramm-Bereich prüft. Und Resonanzarmut, die beim TT01 spür- und hörbar sensationell gut ist. Auch weil das Armrohr nicht aus einem, sondern aus zwei koaxial angeordneten Kohlefaserrohren besteht. Den Raum zwischen den Rohren füllt Thiele in einem trickreichen Verfahren mit einem dämpfenden Gel – spätestens jetzt lassen gewöhnliche Carbonarme verschämt ihre Headshell hängen. Die am TA01 übrigens aus einem Alu-Ebenholz-Sandwich besteht und im Azimuth verstellbar ist.

Auch die Tonarmhöhe ist einstellbar – sogar sehr komfortabel während des Betriebs. Ganz engagierte Benutzer können den kompletten Arm zudem mit zwei Handbewegungen nach oben abziehen und durch einen zweiten, vorjustierten ersetzen: ein teurer, aber kompromissloser Weg, um mal schnell auf einen anderen Tonabnehmer zu wechseln.

Thiele TT-01
Außen schön, innen resonanzarm: Der Teller besteht aus drei unterschiedlichen Materialien, die absolut spielfrei ineinanderstecken. Auch die Zarge des Spielers ist dreischichtig aufgebaut. (Zeichnung: Thiele)

Das Laufwerk trägt den spektakulären Arm mit vornehmem Understatement: Ein dreischichtiges Chassis aus unterschiedlichen Hölzern und Holzverbundwerkstoffen bietet jeweils eigene Plattformen für Motor und Elektronik, den Tonarm und das Tellerlager. Die Füße sind sehr feinfühlig von oben einstellbar (gottseidank!), und das große Linearnetzteil ist störungsmindernd ausgelagert. Auch der Teller ist dreiteilig, mit Außen- und Innenteil aus Alu und einem Acrylring dazwischen – und alles so eng toleriert, dass man es, einmal zusammengesetzt, nur mit Nachdruck wieder auseinanderbekommt.

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Das Chassis ist eine dreilagige Konstruktion aus verschiedenen Hölzern (Constrained-Layer-Prinzip). Die Komponenten Motor, Tonarm und Plattenteller sind auf jeweils eine eigene Ebene verteilt (Grafik: Thiele)

Was dem TT01 fehlt, ist eine Haube. Zum Trost gibt es für den Transport serienmäßig ein wunderschönes, professionelles Flightcase. Mein Testexemplar entstieg dieser Schatulle mit bereits vormontiertem Tonabnehmer, den ich wegen seines fantastischen Klangs auch erstmal einfach montiert ließ. Es ist ja Helmuts System, da können mir die Kosten pro Betriebsstunde egal ein. Und die sind für das Ortofon Verismo bei einem Neupreis von 7.000 Euro nichts für schwache Nerven. Nach einigen Plattenseiten war mir auch klar: Das Edel-MC passt hier wirklich perfekt, und es spielt am TA01 in Topform.

Thiele TT-01
Dezentes Detail: Der Mitteldorn ist gesteckt und besteht aus Ebenholz. Ein Material, das wir auch am Headshell und an den Koppelstreben des Armlagers wiederfinden (Foto: B. Rietschel)

Hörtest

Die Stabilität des Thiele-Klangs ist atemberaubend: Egal, ob Singer-Songwriter, Bigband oder Studio-Rockepos: Meine Tannoys zeichneten stets ein weites, geräumiges Bild, in dem sich Musiker ganz entspannt bewegen oder – je nachdem – punktgenau an ihrem Platz sitzen. Bevor ich jetzt meine Notizen zu irgendwelchen Jazztrompetern ausgrabe, fällt mit eine Aufnahme ein, die meist noch viel schwerer zugänglich ist: das spröde, nervöse, klaustrophobische „The Apple Drop“ der US-Postpunk-Band Liars.

Liars sind eine dieser Bands, von denen man auf Anhieb weiß, dass sie genial sind, dass man ihre Platten besitzen und feiern muss. Bei denen aber auch schnell klar ist, dass man nur selten die nötige Stimmung und Stabilität haben wird, um mehr als ein, zwei Tracks auszuhalten. Eine Hassliebe, die sich seit dem ersten Album „They Threw Us All In A Trench And Stuck A Monument On Top“ über zehn gehegte, aber selten gehörte Alben erstreckt. Und ganz langsam wird man dann doch zum Fan – oder deutlich schneller, wenn man einen TT01 betreibt. Mit dem nämlich weicht die dissonante Komponente in den Stücken etwas zurück, und die hypnotischen Rhythmus- und Gesangsparts beginnen Sinn zu ergeben. Die Musik, die Kollegen gerne als „Uneasy Listening“ bezeichnen, wird merklich easier.

Viel weniger sperrig, dafür in ihrer Opulenz herausfordernd ist die Musik von Sufjan Stevens, der innerhalb eines Albums zwischen intimen Singer-Songwriter-Arrangements und vielschichtigen Chor- und Orchester-Freakouts pendelt. „Mars“, vom Album „Planetarium“ (2017, 4AD – 4AD0009LP) öffnet über sieben Minuten Spielzeit gewaltige Räume, mit einem bläserschweren Mittelteil und bezaubernd zartem Chorfinale.

Sufjan Stevens Planetarium Cover
Vielschichtiges Meisterwerk von Sufjan Stevens: „Planetarium“ (Cover: Amazon)

Schwieriger Stoff, den der TT01 in seiner ganzen Verspieltheit und Größe präsentiert. Und zwar ohne die Aufnahme im beginnenden letzten Seitendrittel subtil, aber sukzessive zu verdichten, wie das selbst der vornehme Thorens TD 1600 mit TP 160 nicht ganz verhindern kann. Gut, der kostet auch nur ein Fünftel. Und erinnert in Details – die Drehzahltasten des Laufwerks, das externe Netzteil und das Anschlussfeld – sogar an seinen großen Halbbruder. Bei seinem Meisterwerk TT01 setzt Helmut Thiele aber ausschließlich auf symmetrische Verkabelung. Besitzer von Phono-Preamps mit Cinch-Eingängen müssen sich mit Adaptern behelfen. Oder halt gleich einen passenden Preamp mitkaufen. Es lohnt sich. Denn in unserem Test profitierten Top-MCs vom symmetrischen Anschluss, und die Entscheidung für den TT01 ist aller Voraussicht nach eine dauerhafte. Dafür sprechen Wucht, Stabilität, tolle Dynamik und eine Klarheit, die dank tangentialer Abtastung ungewöhnlich gut bis ans Ende der Plattenseite erhalten bleibt.

THiele TA-01 Eroica
Hohe Qualität, günstiger Unterhalt: Neben dem dekadenten Ortofon Verismo hörten wir auch erschwingliche MCs wie das Goldring Eroica LX in Thieles Tangentialarm (Foto: B. Rietschel)

Fazit Thiele TT01/TA01

Falls es Helmut Thieles Plan war, tangentiale Abtastung mit der Wartungsarmut und dem Komfort eines klassischen Drehtonarms zu verbinden, ist er damit nur teilweise erfolgreich gewesen. Der TA01 ist kein anspruchsloses Arbeitstier im Sinne eines Technics- oder Linn-Schwenkers – auch nicht des von Thiele selbst entwickelten Thorens TP 160.

Der einzige Arm, der Thieles Namen trägt, ist ein bisschen kapriziös, verlangt beim Aufbau Geduld und im Betrieb eine ruhige Hand. Wie ein Rennwagen im Vergleich zu einem Allrad-SUV fühlt sich dann aber auch das klangliche Potenzial des Arms wie des kompletten Spielers an. Oder anders: Viel besser geht es nicht.

Thiele TT01/TA01
2024/02
Test-Ergebnis: 4,6
Überragend
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Großformatiger, hochdynamischer Klang
Raffinierter Tangentialarm mit perfektem Finish
Optisch unscheinbares, überragend geräuscharmes und stabiles Laufwerk
Arm-Setup braucht viel Gefühl, sauberes Aufsetzen erfordert etwas Übung

Vertrieb:
AUDIO-TRADE Hi-Fi Vertriebsgesellschaft mbH
Wallufer Straße 2
D-65343 Eltville am Rhein
www.audiotra.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Thiele TT01/TA01: 24.000 Euro (ohne Tonabnehmer)
Thiele TA01 Tonarm: 11.500 Euro

Thiele TT01/TA01
Konzept:Riemen-Laufwerk mit Tangential-ähnlichem Tonarm
Chassis:3-lagige Konstruktion aus verschiedenen Hölzern
Ausgänge:1 x symmetrisch (XLR)
Netzteil:extern
Geschwindigkeiten:33,3 U/Min und 45 U/Min
Besonderheit:Drehtonarm (TA01) ohne Spurfehlwinkel
Abmessungen (B x H x T):51,0 x 20,0 x 40,0 cm
Gewicht:17,0  Kilo
Alle technischen Daten


 

Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.