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Atoll In 50 SIG Front Angle
Sieht unverdächgtig aus, ist aber klanglich herausragend gut: der neue Atoll IN 50 Signature kostet in der Basis-Version erfreulich günstige 750 Euro (Foto: Atoll)

Test Vollverstärker Atoll IN 50 Signature: volle Klangpracht für 750 Euro

Bei LowBeats lieben wir die Vollverstärker des normannischen Herstellers Atoll. Kaum ein Test, an dem nicht der Atoll IN 300 oder der In 400 SE teilnimmt. Nun haben die Franzosen ihre kleineren Modelle zur Signature-Generation überarbeitet und wir wollten schauen, ob denn auch der derzeit kleinste Amp der Serie, der Atoll IN 50 Signature, die klangliche Faszination der Großen in den Genen hat. Er hat. Mehr als wir uns erträumt hatten.

Theoretisch gibt es unterhalb des hier getesteten IN 50 Signature sogar noch ein kleineres Atoll-Modell: Der IN 30 müsste um die 400 Euro kosten, scheint aber nur noch auf der Hersteller-Website zu existieren. Wir gehen für diese Geschichte jedenfalls davon aus, dass der IN 50 der aktuell kleinste lieferbare Vollformat-Atoll ist. In der Signature-Serie ist er das auf jeden Fall – unter diesem Familiennamen fassen die Franzosen ihre vier jüngsten Verstärkermodelle zusammen, die sich preislich zwischen 750 Euro für den IN 50 SIG und 1.600 Euro für den IN 200 SIG bewegen.

Der Aufbau des Atoll IN 50 Signature

Ein bischen Aufwand muss man für einen authentischen Atoll halt doch treiben: Die Entwickler in Brecey in der französischen Region Normandie (eine Stadt in der Nähe anzugeben funktioniert hier nicht, weil es weit und breit keine gibt) lieben diskrete Schaltungen, meiden ICs, wo immer es geht, misstrauen miniaturisierten SMD-Schaltungen und versuchen, in ihren Verstärkern mit möglichst wenig Gegenkopplung auszukommen.

Die Normannen achten zudem auf möglichst nachhaltige Produktion, große Fertigungstiefe und kurze Wege. So wird der Trafo im IN 50 SIG in der Nähe von Lyon gewickelt, die Gehäusebleche in der benachbarten Bretagne gestanzt, geschweißt und lackiert, die Frontplatten in der Lorraine gefräst und gelasert, alle Platinen im eigenen Werk von Hand bestückt und gelötet.

So richtig billig lässt sich das nicht machen. Und auch wenn der 50er der kleinste Amp der Serie ist, reicht ein Blick auf diese Boards, um zu erkennen: Hier wird nicht vornehm verbrämter Convenience-Fraß serviert, sondern hoch ambitionierte, handwerklich saubere Audio-Cuisine, selbst bei den preiswertesten Posten auf der Karte, ohne faule Abkürzungen herstellt.

Der Atoll IN 50 Signature ist ein ganz normaler Vollverstärker mit 50 Watt Leistung an 8 Ohm sowie einer Handvoll analoger Eingänge. Quasi das Schnitzel mit Pommes & Salat unter den HiFi-Geräten. Aber eben ein Schnitzel aus bäuerlicher Bio-Schweinehaltung, mit selbstgeschnitzen Pommes. Die Fernbedienung kostet allerdings extra. Atoll baut den 50er zwar stets mit Infrarotauge, mit motorisiertem Lautstärkeregler, mit der gesamten Empfangselektronik und den davon gesteuerten Eingangswahl-Relais – hochwertiges Material, und nach wie vor der beste Weg, sensible Signalströmchen dauerhaft verlustfrei umzuschalten.

Man legt dem Gerät serienmäßig aber keinen IR-Handsender bei. In ordentlicher Qualität sind diese Teile nämlich teuer – und häufig redundant, wenn der Käufer zum Beispiel auch einen CD-Spieler oder Streamer der Marke samt der dort serienmäßigen Systemfernbedienung besitzt. Oder wenn er wie der Autor zu den Leuten zählt, die eine Plattenseite ohne ständiges Laut- und Leisedrehen durchhören wollen – eine Herangehensweise, die übrigens umso leichter fällt, je hochwertiger die Anlage ist. Für 50 Euro gibts die IR-Remote als Extra. Umsatz, auf den die Franzosen nicht scharf sind, zumal sie die hochwertigen Fernbedienungen selbst zukaufen müssen und offenbar fair kalkulieren: Nahezu baugleiche Drücker desselben Zulieferers kosten etwa bei Linn oder Naim als Ersatzteil deutlich über 100 Euro.

Ob die Weichen nun aus der Ferne oder direkt mit den Tippern am Gerät gestellt werden – in jedem Fall passieren die Signale die erwähnten Goldkontakt-Relais und gelangen in eine aus Einzeltransistoren komponierte, mit maximalem Ruhestrom („Class A“) und ohne Gegenkopplung laufende Vorstufe, die über gleich zwei Pre-Out-Buchsenpärchen nebenbei auch externe Endstufen, Subwoofer oder Aktivboxen ansteuern kann.

Atoll In 50 SIG innen
Kurze Wege, diskreter Aufbau wohin das Auge blickt: Hier kann man schon erahnen, dass der IN 50 Signature womöglich recht gut tönt… (Foto: B.Rietschel)

Die Lautstärke regelt ein gekapseltes, langlebiges ALPS-Motorpoti, dann folgt die Endstufe, die praktisch eins zu eins aus den größeren Atoll-Modellen kopiert und lediglich etwas kleiner skaliert ist. So muss hier ein einzelner, immerhin sehr wuchtiger Ringkerntrafo reichen, statt derer zwei im nächstgrößeren IN 80.

Transistoren
Links im Bild sieht man das motorisch betriebene ALPS-Poti (grau), im Hintergrund den ordentlichen Ringkerntrafo. Davor vier MOSFET-Transistoren (zwei pro Kanal), die zusammen mit dem Netzteil für die gesunde Leistung von 2 x 75 Watt sorgen (Foto: B.Rietschel)

Auch die Netzteil-Siebkapazität der Endstufe halbiert sich vom 80er auf hier 2 x 6800µF. Aber die Verstärkertopologie ist gleich – und gleich schön: Leicht anzusteuernde, inhärent verzerrungsgünstige MOSFETs übernehmen hier die Stromarbeit (pro Kanal ein Paar; bei den großen Modellen werden es dann multiple Parallel-Paare), teilen sich aber nicht wie sonst üblich einen gemeinsamen Kühlkörper. Stattdessen ist jeder der vier Leistungshalbleiter an einem individuellen, privaten Aluprofil-Marterpfahl angebunden. Dadurch erübrigt sich die Verwendung von Glimmer-Isolierplättchen zwischen Halbleiter und Kühlprofil, die bei gemeinsamen Profilen zerstörerische Kurzschlüsse verhindern müssen, aber eben auch den Wärmeübergang behindern. Ohne die Isolierschicht fließt Hitze schneller ab, die Endstufen meistern dynamische Belastungen trägheits- und verzerrungsärmer.

Gute Voraussetzungen für den von Atoll favorisierten Betrieb mit nur minimalen Gegenkopplungs-Korrekturbandagen. Der Atoll-Amp verzerrt dadurch auf dem Papier vielleicht ein paar Promille stärker, verhält sich mit den chaotischen, von Transienten geprägten Signalen realer Musik aber erfahrungsgemäß konsistenter, psychoakustisch einleuchtender oder schlicht „musikalischer“ als mit stärker angezogenen Feedback-Zügeln.

Der Klang

Mit modernen Messverfahren lässt sich subjektiv natürlicher wirkendes Klirrverhalten auch dokumentieren, banale THD- bzw. Klirrfaktor-Werte reichen dafür nicht aus. Eine enorme Überzeugungskraft besitzt jedoch auch der ganz normale Hörtest, den jeder zuhause machen kann, und der hier angesichts des günstigen Preises dieses Verstärkers völlig problemlos zu organisieren sein müsste. Bedenken sollte man jedoch, dass 50 Watt pro Kanal an 8Ω oder grob 75 Watt an 4Ω keine riesigen Leistungen darstellen und sich der Verstärker in sicherer Entfernung von diesen Höchstwerten hörbar wohler fühlt. Der Zufall wollte es, dass im Hörraum just zu der Zeit, als der Atoll gastierte, auch eine reiche Auswahl großvolumiger englischer Kompaktmonitore nach BBC-Vorbild bereitstand – Harbeth, Spendor, Tannoy, Wharfedale, Graham Audio – und dass diese Monitore sich allesamt durch ein recht gutmütiges Lastverhalten auszeichnen.

Atoll In 50 SIG Hörraum 1
Der Atoll IN 50 Signature spielte an der Tannoy Legacy Eaton herausragend gut. Auch wenn man wegen der Preisklasse der Tannoy womöglich zu anderen Amps greifen würde, ist diese Kombination doch eine echte Empfehlung (Foto: B.Rietschel)

Die Tannoy Eaton etwa, eine ziemlich große „Kompakte“ mit klassischem 25cm-Dual-Concentric-Koax, schien wie für den Atoll gemacht. Denn eine Box, die so phänomenal genau und zugleich weiträumig abbilden kann wie diese schottische Vintage-Studiomonitor-Wiederauflage, kann man mit Details, dynamischen Kontrasten und melodischen Spannungsbögen regelrecht vollpumpen. Sie bleibt stets souverän, fächert die ganze Vielfalt vor dem Hörer auf wie ein 3D-Projektor und zeigt dabei ganz unaufdringlich, wo eventuell Platz wäre für noch mehr Action. Der riesige Headroom ihres Horn-Hochtöners öffnet ein so weites Spielfeld, dass Verstärker, die sich nur redlich bemühen können, etwa weil ihre Entwickler zu Schaltverstärker-Instantsuppe oder abgelaufener chinesischer Tiefkühlware gegriffen haben, mit ihrer ganzen Lust- und Nutzlosigkeit schnell und schon fast eklatant auffallen.

Das kann aber auch durchaus vornehme Amps treffen: Während der Test-Wochen spielte der IN 50 SIG an der Tannoy so manchen dreifach teureren Amp in Grund und Boden. Weil der Leistungs-Bonus der größeren Amps an der effizienten Tannoy in einem normalen Wohnzimmer keinen Vorteil brachte, der kleine Atoll aber unbeirrt riesige Räume zauberte, diese mit atmenden, greifbar substanziellen Klangquellen bevölkerte und alle mit großer Sensibilität und Lebendigkeit zusammenspielen ließ.

Tonal wirkt der IN 50 auffällig unauffällig. Frequenzgang von irgendwie hörbarer Relevanz machen moderne Transistorverstärker ja ohnehin nicht. Auffällig sind aber der Nachdruck und die Deutlichkeit, die der Atoll feinsten Schattierungen und Modulationen verleiht. Eine Qualität, die häufig mit einem etwas unnatürlich-frischen Hochton einhergeht, weil eine „lebendige“ Klirrsignatur von Verstärkern eben auch als tonale Aufhellung empfunden wird. Nicht so beim IN 50, der obenrum ausgewogen, seidig und ganz leicht warm, zugleich aber sehr wach und agil wirkt. Etwas Körnung gibt es im Hochton noch, aber nicht unangenehm, sondern eher wie ein Hauch Talkumpuder, der die klaren, glatten Mitten etwas griffiger macht. Wirklich besser bekamen wir das im Test nur mit Röhren hin – dann aber bei deutlich größerem Budget und / oder deutlichen Einschränkungen bei der Lautsprecherauswahl und beim Maximalpegel.

Atoll In 50 SIG versus IN 300
Selbst gegen den fast vierfach teureren Bruder IN 300 (unten) machte der Atoll IN 50 Signature eine exzellente Figur (Foto: B.Rietschel)

Auf dem linken Fuß kann man den IN 50 erwischen, wenn man ihm unkooperative Lautsprecher vorsetzt – dann kann er angestrengt, hell und konfus wirken wie jeder überforderte Amp. Aber dafür gibt es ja die größeren Schwestermodelle IN 80, 100, 200, 300 und 400, deren Modellnummer jeweils auch gleich die ungefähre Leistung abbildet. Braucht man die Extra-Watts nicht, wie der Autor an der Tannoy Eaton oder auch der fabelhaft feinsinnigen Spendor Classic 2/3, hält sich der klangliche Zugewinn in engen Grenzen: Der bei LowBeats ebenfalls höchst beliebte Atoll IN 300 etwa wirkte bei normalen Lautstärken nur etwas grundtonstärker und breitspuriger, bot aber eher weniger von der Leichtfüßigkeit und musikalischen Prägnanz, die uns am kleinen 50er so begeisterte.

So ein Hörvergleich, konkret an dem Lautsprecher, den man dann auch verwenden will, kann also im Extremfall schon mal 2.000 Euro sparen. Aber das spricht keineswegs gegen den 300er, für den es zahllose sinnvolle Szenarien gibt, in denen er schwer zu schlagen ist. Den 50er jedoch wird man spätestens nach so einem Vergleich mit missionarischem Eifer jedem umzuhängen versuchen, der in diesem Bereich nach einer Anlage sucht: Ein richtig audiophiler, erschwinglicher Verstärker, technisch eigenständig und solide, völlig frei von digitalen Spielereien. Wem das zu wenig ist, der kann zwischen jeweils zwei unterschiedlich aufwendigen Phono- und Digitalboards wählen.

SIG Rear
Die klassischen Eingänge können durch zwei Zusatz-Boards ergänzt werden: entweder ein Digital-Board oder eine MM-/MC-Phonostufe. Auffällig (und lobenswert) sind hier die beiden Vorstufenausgänge für das Ansteuern zweier Endstufen oder von Subwoofern (Foto: Atoll)

Über letztere erhalten USB-, Bluetooth-, Koax- wie optische Musikdaten Zugang zum Verstärker, die ersteren machen den IN 50 zum besten Freund des Plattenspielers. Jedenfalls solange sich im Spieler ein MM-System befindet. MC kann die teurere Phono-Option P100 (150 Euro) zwar im Prinzip auch, der Rauschabstand ist mit leisen Systemen aber etwas knapp. Trotzdem empfehlen wir LP-Hörern ausdrücklich die P100, weil sie mit MM (da rauscht dann auch nichts) unheimlich saftig, dynamiksatt und strukturiert spielt. Ein vergleichbarer Klang ist mit ähnlich teuren externen Phonoteilen nicht zu kriegen – zumal natürlich auch das P100 getreu der Atoll-Philosophie komplett diskret aufgebaut ist.

SIG innen
Auch das Phono-Board ist diskret aufgebaut. Vor allem der MM-Zug klingt verführerisch gut; die MC-Abteilung ist leider nicht ganz rauscharm (Foto: B.Rietschel)

Fazit

Unter 1.000 Euro gibt es viel Mittelmaß, aber auch Verstärker mit klarer, unverwechselbarer Stimme. Der Atoll IN 50 Signature gehört ganz klar zu dieser Kategorie: An ausreichend effizienten Boxen entfaltet er eine ungetrübte, ungebremste Musikalität, die in sich vollständig, reif und perfekt erscheint und somit überhaupt nicht nach Kompromiss klingt. Auch die vielseitigen Erweiterungsmöglichkeiten sind fair kalkuliert und hochwertig umgesetzt. All dies macht den Atoll zu einem durch und durch sympathischen, höchst empfehlenswerten Amp.

Atoll IN 50 Signature
2020/03
Test-Ergebnis: 4,6
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Fein bewegter, musikalischer Klang
Interessante Phono- und Digital-Erweiterungsboards
2 Vorstufenausgänge
Herausragend gute Klang/Gegenwert-Relation

Vertrieb:
AUDIUM / Visonik
Catostr. 7b
12109 Berlin
www.audium.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Atoll IN 50 Signature: 750 Euro (mit FB: 800 Euro)

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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.