Der vorliegende Test des Atoll In 400 SE hat eine Vorgeschichte bei LowBeats – nämlich die seines “kleinen” Bruders, dem IN 300. Der INtegrated 300 mit eingebautem HiRes-DAC ist seit über zwei Jahren ein fester Bestandteil unseres Referenzregals und sicher der meistgespielte Vollverstärker im LowBeats Hörraum. Seine große Kraft und sein ungemein schneller, präziser und offener Klang haben schon viele etwas schlapp klingende Lautsprecher “gerettet” und sorgen bei Besuchern regelmäßig für Erstaunen: “Wie bitte? Der kostet nicht einmal 3.000 Euro?” Genau so ist es. Der IN 300 ist ein Kracher. Und während ich in größerer Runde mal wieder so richtig am Schwärmen war, kommt Frank Urban vom hiesigen Atoll Vertrieb (Audium) hinzu und sagt: “Da musst du mal den Atoll IN 400 SE hören. Gegen den ist der IN 300 chanchenlos.” Wie bitte? Das ist ja wohl schwer vorstellbar.
Dabei darf man von jedem Atoll Verstärker viel erwarten. Ich habe noch keine Kette mit Atoll Verstärkung (auf der HIGH END 2019 waren ja einige im Rahmen der Sounds Clever Aktion aufgestellt) gehört, bei der mich diese französischen Amps nicht positiv überrascht hätten. Entwickler Stephane Dubreuil scheint einen schlüssigen Weg gefunden zu haben, auch seine günstigen Verstärker absolut überzeugend klingen zu lassen.
Aber nun sind wir bei dem Flaggschiff Atoll IN 400, beziehungsweise dessen aktueller SE-Version, die sich nun schon seit Wochen im Hörraum warmspielt und mich immer noch hadern lässt, ob ein Verstärker, dessen Front nach oben hin zuläuft und auf dessen Oberseite kein weiteres (klassisches) HiFi Platz findet a.) hübsch und b.) sinnvoll sein kann. Zur Ehrenrettung der Atoller muss gesagt werden, dass es ja den CD-Player der Serie gibt, der die Frontlinie des Verstärkers nach oben hin weiterschreibt. Dennoch: Dieses Design ist gewöhnungsbedürftig.
Ganz und gar nicht gewöhnungsbedürftig ist die selbsterklärende Bedienung. Kein Wunder: Der IN 400 SE ist in seiner Seele ein rein analoger Vollverstärker. Es gibt zwar einen USB-Eingang (Typ B), aber der ist eher als Alibi zu verstehen; es ist eine Verbeugung vor all jenen, die zumindest eine digitale Quelle anschließen wollen.
Dieser USB-Eingang hat aber nichts mit der Qualität zu tun, die der 400er in allen anderen Bereichen bietet. Wer diesen Verstärker digital richtig ausreizen möchte, braucht einen externen DAC. Und wer Phono auf höchstem Niveau erleben möchte, braucht eine externe Phonostufe. So lautet das ziemlich konsequente Konzept des Monsieur Dubreuil.
Diese Konsequenz zeigt auch der Blick unter die Haube, wo eine klare Ordnung und kürzeste Signalwege das Bild bestimmen.
Der Aufbau des Atoll IN 400 SE
Zunächst einmal ist er – wie es sich für einen Verstärker dieser Anspruchsklasse gehört – höchst solide (Gewicht: 19,0 Kilo) und konsequent doppel-mono ausgelegt: Die acht Endstufen-Transistoren pro Kanal sind ordentlich auf jeder Seite aufgereiht, jeder Kanal hat seine eigene (übrigens mit einer speziellen Goldbeschichtung versehene) Platine und sogar die Lautstärkeregelung (wird über ein analoges Widerstandsnetzwerk umgesetzt) ist strikt in Links und Rechts getrennt. Einzig der große Netztrafo ist nur einmal vorhanden, hat aber – na klar – zwei Abgriffe.
Als Transistoren in der Ausgangsstufe kommen hier MOS-FETs zum Einsatz. MOS-FETs sind wie Röhren spannungsgesteuert, während “normale” Transistoren stromgesteuert sind. Allgemein gelten MOS-FETs als “wärmer” klingend – nicht zuletzt deshalb schwören die Entwickler von Accuphase, Yamaha oder auch die Verstärker-Legende Nelson Pass auf diese Halbleiter. Und was sich Stephane Dubreuil ebenfalls von Nelson Pass abgeschaut hat, ist die sehr zurückhaltend eingesetzte Gegenkopplung. Die finden wir im Atoll IN 400 SE vor allem lokal; die Über Alles Gegenkoppelung fällt entsprechend gering aus.
Atoll Verstärker sind im Allgemeinen recht kräftig und erst recht gilt das für den IN 400 SE. Mit mehr als 150 Watt sinus an 8 Ohm (300 an 4 Ohm) pro Kanal kann er einiges bewegen. Für Entwickler Dubreuil ist deshalb aber auch die Abwärme ein großes Anliegen. Und wenn er dafür spezielle, eigens in Japan gefertigte und sündhaft teure Glimmerscheiben einkaufen muss, dann soll es ihm recht sein. Der ganze IN-400-Aufbau folgt einem klaren Belüftungskonzept – mit dem Ergebnis eines stabilen thermischen Mikroverhalten der Ausgangsstufe. Womöglich ist dies einer der Gründe, warum der Atoll IN 400 SE so gut klingt…
Und noch ein bisschen Atoll Philosophie: Für Dubreuil war es wichtig, dem IN 400 SE ein schnell schaltendes Netzteil zu spendieren. Netzteilkondensatoren stabilisieren den Strom durch ihre Speichereffekte – je größer sie sind, um so höher das Speicherpotenzial. Die Schattenseite: Je größer sie sind, umso träger werden sie und die Filterwirkung für Oberwellen lässt nach. Im Atoll IN 400 SE finden sich daher mehrere kleine und dadurch schneller Filterbänke, die parallel geschaltet sind.
Der Hörtest…
Die klanglichen Meriten des IN 300 habe ich schon erwähnt. Dessen Schnelligkeit und impulsive Präzision sind einfach klasse. Vertriebsmann Frank Urban sollte dennoch Recht behalten: Unterm Strich war der Kleine chancenlos. Denn der IN 400 SE addiert zu schlackenlosen Schnelligkeit noch etwas Wärme im Grundtonbereich sowie eine unglaubliche Lässigkeit und Unaufgeregtheit über die gesamte Wiedergabe. Die Triangel klingt noch einen Hauch feiner, Stimmen haben mehr Kraft, klassische Instrumente wie Geigen und Gitarren deutlich prallere Klangfarben und auch die Plastizität der Abbildung nimmt mit dem IN 400 SE zu. Beim quasi immer herangezogenen Referenztitel “Crying” von James Blood Ulmer gewann die Live-Aufnahme deutlich an Intensität; der große Atoll vermittelte uns den Eindruck, als wären wir noch etwas näher an die Live-Vorführung herangerückt. Und da schwingen die Becken nun einmal noch etwas länger, feiner und selbstverständlicher aus…
Dieser Vergleich also war entschieden. Der IN 400 SE ist die nochmals stärkere, gleichwohl kultiviertere, man könnte sagen: audiophilere Variante des IN 300.
Deshalb musste nun ein anderer, ebenfalls sehr fein spielender Verstärker dieser Preisklasse in den Ring. Der Cambridge Edge A ist ebenfalls LowBeats Referenz und hat neben vielen anderen Vorzügen eine wunderbar feine und transparente Wiedergabe. Präzise ausschwingende Gitarrensaiten, hell klingendes Glockenspiel, feinste Details aus großorchestralen Werken herauszuarbeiten – das ist die Welt des Edge A. Und da ist er auch dem IN 400 SE fraglos überlegen.
Der Atoll hat dafür mehr Kraft von unten. Der Vergleich mit einem 12-Zylinder Motor drängt sich auf: jede Menge Drehmoment. Man ist auf der Autobahn vielleicht nicht der schnellste, aber an der Ampel doch ziemlich flott. Diese Kraft ist beeindruckend. Wer Spaß an elektronischer Musik à la Yello oder Infected Mushrooms und deren satten Elektrobeats hat, der kann sich – passende Lautsprecher vorausgesetzt – dieser unbändigen Wucht und Spielfreude des Atoll nur schwerlich entziehen.
Ein anderer Vollverstärker-Dauergast bei uns, der Neukomm CPA155S, spielt wenigstens genauso präzise und druckvoll wie der große Atoll, hat aber in den Stimmlagen weniger Charme als der Franzose. Über alles gesehen erinnert mich der Atoll IN 400 SE mit seiner kraftvoll-audiophilen Art aber eher an den herausragend guten Hegel H590. Der bringt zwar fast noch einmal das Doppelte an Leistung, ist aber auch mehr als doppelt so teuer…
Übrigens: Ich habe während der Hörtests locker ein Dutzend verschieden Lautsprecher an den Atoll IN 400 SE gehängt und keiner – weder die sehr leise TAD Compact Evolution One, noch die elektrisch sehr anspruchsvolle Canton A55 hat ihn irgendwie aus den Tritt kommen lassen. Nein. Dieser Verstärker klingt herausragend gut und schafft das Kunststück, diesen guten Klang an jedem Lautsprecher umzusetzen. Eine seltene Fähigkeit.
Fazit Atoll IN 400
Entwickler Stephane Dubreuil hat bei dem IN 400 nichts Revolutionäres gemacht oder gar Neues erfunden. Er hat lediglich sein Wissen gebündelt, alle Bestandteile sorgsam ausgewählt und ebenso sorgfältig zusammengefügt. Heraus kam kein Ausstattungs-Wunder, aber einer der besten, wenn nicht DER beste Vollverstärker unter 5.000 Euro. Klanglich präzise, natürlich und druckvoll, aber gleichzeitig angenehm unaufgeregt. Und immer vermittelt der IN 400 SE das beruhigende Gefühl, für jede Situation und jeden Lautsprecher ausreichend Leistung unter der Haube zu haben. Eine ganz dicke Empfehlung.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Druckvoller natürlicher, feindynamischer Klang |
| Sehr hohe Leistungsreserven |
| Gute Verarbeitung |
| Sehr gute Klang/Gegenwert-Relation |
Vertrieb:
AUDIUM / Visonik
Catostr. 7b
12109 Berlin
www.audium.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Atoll IN 400 SE: 4.500 Euro
Mit- und Gegenspieler:
Erster Test: Vollverstärker Cambridge Audio Edge A
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