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Ford GT

Ford GT: So fährt sich der 650-PS-Rennwagen mit Straßenzulassung

Das ist ja wie im Autoquartett: Da schickst Du einem befreundeten Rennfahrer via WhatsApp noch ganz berauscht von der Testfahrt ein Foto des über 600 PS starken Ford GT Supersportwagens. Und was kommt zurück? Ein kleines Video von seinem geliehenen Bugatti Chiron mit 1.500 Pferdchen, mit dem der Österreicher gerade durch die Straßen von Dubai düst.

Den Stich gönne ich ihm gerne. Beleuchtet es doch perfekt die ganze Thematik mit den Papierdaten, an denen sich vorwiegend Männer seit Generationen schon von Kindesbeinen an abarbeiten. Auch ich bin schon zahlreiche stärke Autos gefahren, allen voran den “kleinen” beziehungsweise älteren Bugatti Veyron 16.4 mit “nur” 1.001 PS, aber auch zwei 800-PS-Audi vom Tuner MTM. Der Ferrari FF, mit dem ich einige Hundert Kilometer in England und Norddeutschland unterwegs war, brachte es auf 660 PS. Und auch der Audi R8 Spyder – bisher mein liebstes Performance-Fahrzeug – hatte ganz gut Leistung.

Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Alle hatten Allradantrieb und reichlich Pfunde auf den Hüften. Der Ford GT ist gänzlich anders: Er ist ein Rennsportgerät, das im Hinblick auf Langstreckenrennen wie die 24 Stunden von Le Mans gebaut wurde. Seine Karosserie besteht aus Carbon, sein Leergewicht liegt unter 1.400 Kilogramm, der Motor sitzt wie beim Audi R8 Spyder in der Mitte, treibt aber nur die Hinterräder an.

Der ganze Aufbau des Flügeltürers, der beim Rennsport-Spezialisten Multimac in Markham, Kanada, gebaut wird, stößt Kenner mit der Nase auf das Primärziel der kompromißlosen Konstruktion: Eine höhere Aufgabe, der alle anderen Belange wie Komfort, Alltagstauglichkeit oder narrensichere Beherrschbarkeit untergeordnet werden. Jeder Blickwinkel der Karosserie offenbart, dass sie weniger dem Stilempfinden eines Designers folgt, sondern vornehmlich vom Wind geformt wurde.

Adam Webberley von Multimatic
Ingenieur Adam Webberley von Multimatic in Kanada, wo der Ford GT gefertigt wird, erläutert vor dem Start die ausgeklügelte Aerodynamik: In der Mitte der Rückleuchten finden sich Luftaustrittsöffnungen. In Affalterbach, Neckarsulm und Garching wird man vermutlich kaum glauben, dass man Sportwagen mit nur zwei Endrohren ohne Klappenauspuff und künstliche Fehlzündungen bauen kann. Auf den imposanten Durchmesser der beiden höhergelegten, zwischen den Leuchten angeordneten, schwarzumrandeten Auspuff-Öffnungen dürften sie allerdings sehr neidisch sein (Foto: S. Schickedanz)

Der Kühler für den V6-Biturbo sitzt schräg in der Nase und lässt den Wind nach oben in Richtung Frontscheibe entweichen. Die Hinterräder sitzen in verkleideten Kabinen, die durch seitliche Luftkanäle von der eigentlichen Karosserie getrennt sind. In den martialischen seitlichen Kühlöffnungen sitzen die Ladeluftkühler für die beiden Turbolader des kurzhubigen 3,5-Liter-Aggregats, das 647 PS bei 6.250 U/min respektive 745 Nm bei 5.900 U/min an die Kurbelwelle stemmt. Unter den Kühlern, mit denen die von den Ladern komprimierte Luft zwecks besserer Füllung heruntergekühlt wird, sitzen die beiden Atmungsöffnungen. Diese Position bewirkt optimale Frischluft-Anströmung für die Kühler. Für den Ansaugtrakt dürften die riesigen seitlichen Öffnungen nebenbei bei hohen Geschwindigkeiten einen gewissen RAM-Effekt haben.

Trocken-Übung

Ebenfalls der Leistung zuträglich ist die Trockensumpfschmierung für den von Ford gelieferten Motor und für das deutsche Getrag 7DCL750. Das 7-Gang-Transaxle-Doppelkupplungsgetriebe aus bestem Hause – neben unzähligen Rennwagen verwenden auch Nissans “Godzilla” GT-R und diverse BMW M5 Getrags – nutzt getrennte, mit speziell abgestimmten Schmierstoffen befüllte Ölkreise für die Doppelkupplung und dem nach geraden und ungeraden Gängen getrennten Radsatz.

Alle beiden Kreise arbeiten nach dem Trockensumpfprinzip mit geringerer Verlustleistung. Interessanterweise ist das im Gegensatz zu üblichen Wandlerautomatiken ohne Zugkraftunterbrechung schaltende Getriebe wie in normalen Straßenautos schrägverzahnt und nicht wie in Rennwagen geradeverzahnt. Das hört man. Wenn etwas in diesem Supersportler keine Geräusche macht, dann das Getriebe. Aber immer schön der Reihe nach.

Schon vor der Fahrt fordert der Ford GT seinen Fahrer wie kaum ein anderes Gefährt, das eine Straßenzulassung besitzt. Angefangen vom Entriegeln und Öffnen der nach vorne schwenkenden Flügeltüren über das Einsteigen und die Einstellung der Sitzposition sind Geschicklichkeit und Fitness gefordert. Schnell wird klar, dass Ford den Ingenieur aus dem Multimatic Technical Centre Europe in Thetford, Norfolk/England nicht nur als Chauffeur oder wachsamen Co-Piloten für den kleinen Zirkel von Journalisten, die den Ford GT selber fahren dürfen, bereitgestellt hat.

Stefan Schickedanz
Ausgerechnet der Mann fürs HiFi im Auto durfte als einer der wenigen Tester den über ein halbe Millionen Euro teuren Ford GT fahren (Foto: Adam Webberley)

Ohne Adam Webberley wäre ich vermutlich nicht einmal zum Losfahren gekommen. Ich scheiterte schon an der Sitzverstellung! Verdammt nochmal, reicht es denn nicht, dass die HiFi-Systeme, die ich gewöhnlich die meiste Zeit teste, immer komplexer werden? Doch nach einer kurzen Erklärung von Adam konnte ich mich in dem Schalensitz im wahrsten Sinne entspannt zurücklehnen. Wie im Rennwagen verstellt man im Ford GT nicht den Fahrersitz, sondern den Block im den beiden Pedalen. Die dazu nötige Übung erfordert Geduld und beherztes Zupacken.

Am Ende sitzt das Auto um mich herum wie ein Maßanzug und der Beifahrer fast auf meinem Schoss. Der Innenraum ist eng und spartanisch wie eine Dahlbuschbombe zur Rettung bei Bergbaukatastrophen.

Vorm Drücken des Start-Buttons ging mein Puls hoch: Three, two, one, Ignition! Der V6 brüllt ungefiltert mit einem metallisch klaren Tenor – einfach herrlich! Ein Königreich für eine freie Landstraße.

Ford GT
Le Mans Sieg im Visier: Ford hegt mit dem GT große Motorsport-Ambitionen. Das prägt sein gesamtes Design, das schon im Stand extreme Dynamik ausstrahlt (Foto: S. Schickedanz)

Die Fahrprogramme werden mit einem Drehschalter gewählt. Meine Wahl fiel auf Sport und manuelles Schalten mit den beiden Wippen am ovalen Lenkrad, welches wie im Rennwagen mit Tasten gespickt ist, die auch Blinker oder Scheibenwischer steuern.

Adam hütete den Ford GT wie seinen Augapfel

Sportliches Fahren und automatisches Schalten gehen gerade in Kurven in meinen Augen nicht wirklich zusammen, ganz gleich, ob es sich um Drehmoment-Wandler-Automatiken oder Doppelkupplungs-Getriebe handelt. Wenn man gewohnt ist, den Wagen im Grenzbereich mit dem Gaspedal und der passenden Übersetzung auszubalancieren, will man alles, nur keine fremdbestimmten Gangwechsel. Darin liegt auch der Grund, dass ich im Gegensatz zu zahlreichen Kollegen mit dem Audi R8 Spyder trotz deaktiviertem ESP keinerlei Balanceprobleme hatte und zu einem abweichenden Ergebnis kam.

Doch beim Ford GT blieb das ESP permanent aktiviert. Da gab es keine Diskussionen mit Adam, der mein Treiben am Lenkrad aufmerksam verfolgte. Allerdings ließ die Sport-Einstellung den Wagen an der langen Leine und trat trotz ruckartigem seitlichem Versetzen an der Hinterachse unter Vollast nicht in Aktion.

Während ich bei anderen Gelegenheiten mitunter für mich selbst überraschend hemmungslos dem Reiz der Geschwindigkeit fröne, bringe ich dem Ford GT ungeachtet seiner Motorleistung einen Respekt entgegen, der noch Ende der vieeeel zu kurzen Testfahrt noch weiter Bestand hat.

Beim Bugatti Veyron 16.4, dem damals schnellsten und stärksten Serienauto, wickelte sich die Leistungsanzeige im Cockpit schon nach fünf Minuten Testfahrt um den Rechtsanschlag bei 1.000 PS. Der Elsässer wog auch zwei Tonnen und entwickelte mit seinem Allradantrieb zumindest im Trockenen eine unglaubliche Traktion. Dadurch wirkte der Veyron im Vergleich zum Ford GT fast schon stoisch wie eine Luxuslimousine. Vermutlich sah man ihn deshalb trotz seiner atemberaubenden Längsbeschleunigung nie im Motorsport.

GT Rückleuchte
Licht-Übung: In der Mitte der Rückleuchten brachten die Rennsport-affinen Entwickler des Ford GT Luftauslässe unter (Foto: S. Schickedanz)

Der Ford GT soll als rasender Markenbotschafter in Le Mans und der WEC-Serie die ellenlange Motorsportgeschichte fortschreiben, die mit dem Ford GT 40 in den 60ern begann – ich hatte ihn damals als Slotracer für meine Carrerabahn – und die mit der Neuauflage von 2005 belebt wurde.

Die unverdünnte Race-DNA schimmert überall durch. Zwar nutzt der Ford GT lobenswerterweise keine künstlichen Geschmacksverstärker. Doch er ist durch seine unbedämpfte Rohheit von Motor, Karosserie und Fahrwerk gespickt mit natürlichen Aromen, die den Rausch der Geschwindigkeit bis zum Anschlag steigern. Mit dem trotz der auf 2022 verlängerten Produktion sechs mal überzeichneten, lediglich 1.350 mal gebauten Leichtgewicht erlebt der Fahrer reinrassige Rennsport-Technik. Dies und ein Leistungsgewicht von knapp über 2 Kilo pro PS machen jenseits der Boulevards mehr her als aberwitzige Leistungsangaben bei zwei Tonnen schweren Poser-Sportautos.

Adam Webberly und Stefan Schickedanz
Ford fördert mit dem Mustang die Webgemeinde. Social-Media-Hyperaktivität steigert die Chancen, einen der 1.350 Ford GT zugeteilt zu bekommen. Den Selfie mit Co-Pilot Adam Webberley hätte ich mir sparen können. Es mangelt nicht nur an 540.000 Euro, sondern auch am nötigen Stallgeruch: Ford möchte markentreue Kunden belohnen (Foto: S. Schickedanz)

Die gewöhnlich nur im Prototypen- und Formel-Rennsport anzutreffende Push-Rod-Federung ist die automobile Analogie zu Hi-Res-Audio. Sie ist wegen ihrer vom Gewicht von Federn und Dämpfern befreiten, daher geringeren ungefederten Massen trotz straffer Abstimmung hochauflösend – genau wie die ohne die inzwischen allgegenwärtige Elektrounterstützung auskommende Lenkung. Einem geübten Fahrer erzählen Lenkung und Fahrwerk Bände von Grip und Straßenbeschaffenheit.

Ford GT 2018
Für einen Supersportwagen klingen 3,5 Liter und 6-Zylinder erst mal nicht spektakulär. Doch was die 647 PS und 745 Nm mit dem nur knapp 1.400 kg schweren Ford GT anstellen, ist atemberaubend. (Foto: S. Schickedanz)

Selbst auf der unebenen Landstraße bockte die Federung nicht einmal bei sehr hohem Tempo und verhinderte zuverlässig, dass Stöße Unruhe in die Lenkung brachten.  Die trägheitslos ansprechende Push-Rod-Konstruktion behielt sogar ihr geschmeidiges Ansprechen auf der Vorderachse, als ich nach einer kurzen Eingewöhnung dazu überging, die Kurven später und schärfer anzubremsen. Bei vielen Sportwagen mit straffer Abstimmung, gerade in Verbindung mit in der Front eingebauten Motoren, verhärtet sich dabei nämlich die Federung und lässt Stöße weitgehend ungefiltert durchhauen.

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Autor: Stefan Schickedanz

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Schneller testet keiner. Deutschlands einziger HiFi-Redakteur mit Rennfahrer-Genen betreut bei LowBeats den Bereich HiFi im Auto sowie die Themengebiete Mobile- und Smart-Audio.