Wenn eine Messe geeignet ist, einem Oldtimer-Fan leuchtende Augen zu bereiten, dann die Retro Classics 2017. Mich macht Europas größte Oldtimermesse vor den Toren Stuttgarts aber immer etwas nachdenklich. Besonders in diesem Jahr. Konnte man sich die vergangenen Jahre bereits die Haare raufen, angesichts all der verpassten Chancen, trieb es einem in diesem Jahr fast die Tränen in die Augen.
Nach dem letzten Preisschub sind nicht nur seltene Exoten und die Sondermodelle von Herstellern wie Porsche, Mercedes oder BMW für die meisten Liebhaber in unerreichbare Sphären gerückt. Inzwischen hat der Run auf Sachwerte nach langandauernder Zinsflaute auch die bisher eher bodenständigen, weil in größerer Stückzahl verfügbaren Youngtimer erfasst und ihnen zu preislichen Höhenflügen verholfen.
So entdeckte ich nicht wenige Fahrzeuge, die einst als Alltagsautos in meiner Garage standen und die jetzt ein kleines Vermögen wert sind oder solche, die ich mir aus Zaudern seinerzeit nicht als Youngtimer gekauft habe und die ich mir jetzt nicht mehr leisten könnte. Damit bin ich aber nicht allein, wenn ich mich so umhöre auf der Messe.
Alte Autos sind längst nicht mehr Feierabendbeschäftigung für Tüftler und Sammler. Old- und Youngtimer haben sich zu einer richtigen Industrie entwickelt. So gibt es neben den zahlreichen Privatangeboten auf der Retro Classics ganze Hallen mit Firmen, die sich auf das Geschäft mit den Klassikern spezialisiert haben.
Und auch die Autohersteller selbst – allen voran die süddeutschen Premium-Marken – widmen sich immer mehr der Traditionspflege. Dazu kommen Spezialisten wie Lightspeed Classic oder Mechatronik, die moderne Technik mit nostalgischem Look und Fahrgefühl kreuzen.
Dazu übt die Retro Classics mit ihrem ungebremsten Besucherandrang immer stärkere Anziehung auf die Autohersteller aus, auf ihrer Bühne ihre Neuerscheinungen ins Rampenlicht betuchter Autonarren zu rücken.
So konnte man nicht nur den brandneuen Aston Martin DB 11 auf den Fildern bestaunen, sondern auch Elektro-Autos vom amerikanischen Trendsetter Tesla, die bisher überhaupt keine Tradition in der 130 jährigen Geschichte des Automobils haben.
Doch wenn es einen Platz gibt, wo Vergangenheit und Zukunft so harmonisch nebeneinander existieren, dann auf der Retro Classics in Stuttgart.
Begleiten Sie uns auf einem Retro-Classics-Rundgang
Obwohl die Retro Classics Menschen aus allen Himmelsrichtungen anzieht, kann man ihr ein gewisses Lokalkolorit nicht absprechen.
Trotz Unmengen an automobilen Hinguckern lässt sich nicht übersehen, dass die Messe in Stuttgart stattfindet, wo zwei der international angesehensten Marken ihren Stammsitz haben: Porsche und Mercedes dominieren das Angebot.
Während Audi im Oldtimerbereich keine Rolle spielt, schickt sich der Bayerische Rivale BMW an, sein Klassik-Engament auszubauen. In diesem Jahr debütierte die erst kürzlich gegründete zertifizierte Klassikabteilung der BMW Niederlassung Stuttgart, die mit einer weißblauen Insel inmitten der schwäbischen Fahrzeugflotte Flagge zeigte.
Angeführt wurde die Phalanx der “ausländischen” Klassiker von einer bekannten Marke aus München. BMW – eine Macht in den Zulassungsstatistiken der Oberliga – fristete gemessen an Porsche und Mercedes Benz auf der Retro Classics auch 2017 eher ein Schattendasein.
Die Außerschwäbischen auf der Retro Classics 2017
An die Bayern geht aber trotz Sonderausstellung allenfalls der Pokal als beliebteste “Importmarke”.
Vergleichsweise stark vertreten waren US-Automobile und natürlich Fahrzeuge aus Bella Italia.
Während Ferrari, Maserati oder Lamborghini nie billig waren, konnte man mit diversen Fiat 500 ein Kult-Auto zum Teil für unter 10.000 Euro erwerben.
Auswärtsspiel für die Bayern
Little Italy meets Stuttgart
Britness-Center
Aus Übersee an den Neckar
Als die gebaut wurden, galten sie als Vernunftslösungen. Der in den 50ern vorgestellte VW Bus war ein Transportmittel oder bestenfalls ein Wohnmobil. Heute ist der Bulli ein Kultauto, für das in der Regel Preise jenseits der 50.000 Euro aufgerufen werden.
Retro Classics 2017: Die ganze Autowelt unter einem Dach
Solche Sprünge haben günstige Alltagskutschen wie der 1977 vorgestellte Mazda 323 zwar noch nicht hingelegt. Doch dass sie überhaupt auf einer Messe wie der Retro Classics 2017 in Stuttgart auftauchen, ist auch schon eine Auszeichnung.
Wer heute seinen Alltag zum Erlebnis machen möchte, bekommt von Firmen wie Lightspeed Classic oder Mechatronik zeitgemäße Interpretationen historischer Mercedes- und Porsche-Modelle.
Selbstverständlich haben auch die Autohersteller selbst die Klassik-Szene für sich entdeckt und versuchen mit großen Auftritten gleichzeitig ihre aktuellen Modelle an den Mann zu bringen (bei der Frauenquote herrscht in der Szene noch Handlungsbedarf).
Und für alle, die es etwas bescheidener möchten, weil es ihnen am nötigen Kleingeld fehlt, bot die Retro Classics 2017 jede Menge Devotionalien und Spielzeugautos vom Bond-Aston-Martin bis zum Tschitti, Tschitti, Bäng, Bäng.
Vernünftig war gestern
Flagge zeigen bei der Retro Classics 2017
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