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KI-gesteuerter Motor-Sound-Generator im Tesla Model 3
Das Müncher Spezial-Unternehmen Impulse Audio Labs gab uns auf der IAA in München Gelegenheit zum Testen eines Tesla-Model-A-Protytypen mit einem KI-gesteuerten Motor-Soundgenerator. (Foto: Impulse Audio Labs)

IAA 2021: Sound spielt eine führende Rolle in der Automobil-Zukunft

Die international Automobilausstellung IAA hat sich gewandelt. Sie fand erstmalig in München statt, war nicht nur auf ein Messegelände beschränkt und widmete sich auch zweirädriger Fortbewegung mit Pedalen und selbstverständlich auch dem gehypten Thema Elektromobilität. LowBeats war vor Ort und fand auf der IAA 2021 auch Sound-mäßig sehr viel Zukunftsweisendes…

Dieses Jahr war grundlegend anders. Während sich früher in Frankfurt Massen von Endkunden um Messestände voller glänzender, von Hostessen in engen Kostümen umringten Blechkarossen drängten, gab es nicht nur wegen des Bundesdeutschen Rikscha-Booms nur vereinzelt neue Automobile zu bestaunen. Gefühlt die Hälfte der Stände auf dem Messegelände in Riem schien Zulieferern vorbehalten. Da drängten sich nicht nur Batterie- an Brennstoffzellen-Hersteller, es gab auch interessante Auftritte von Unternehmen, die sich mit dem Sound beschäftigen. Unsere beiden Highlights könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite der Audio-Video-Gigant Dolby Laboratories mit einer Aufsehen-erregenden Erweiterung seines umfangreichen Produktportofolios.

Dply Atmos Music im Autocockpit
Dolby Atmos Music bringt 3D-Klang ins Auto. Nach dem Lucid Air sollen nach dem Willen der neuen Kooperation aus Dolby Laboratories und Cinemo möglichst viele weitere Autos folgen. (Foto: Dolby)

Auf der anderen Seite mit Impulse Audio Lab ein dem breiten Publikum kaum bekanntes Münchner Spezialunternehmen, das mir nach der Veröffentlichung meines Fahrberichts mit der Porsche Soundtrack My Life App im Porsche Taycan (Testbericht) spontan eine Testfahrt mit ihrem Tesla Model 3 Prototypen anbot. Ich muss zugeben, dass mich der Test eines Autos, das (aus Sicht eines Petrol Heads) keinen richtigen Motor und nicht einmal Tacho oder Scheibenwischerhebel besitzt, bisher nicht gereizt hat. Aber die Aussicht auf reichlich exklusive Erfahrungen mit einem durch künstliche Intelligenz gesteuerten, virtuellen Motorsound weckte mein Interesse.

IAA 2021 Highlight: Tesla Model S mit Gänsehaut-Effekt dank Impulse Audio Lab

Meine Aversion gegen das Bedienkonzept bekam bereits beim Losfahren Bestätigung in Form eines labbrigen, gefühllosen Blinkerhebels. Ein temperamentvoller Audi- oder BMW-Pilot würde ihn in einer hitzigen Situation beim Versuch, die Lichthupe zu betätigen, garantiert gleich abbrechen. Aber solche „Folter-Instrumente“ dürften Tesla-Fahrer sicher kaum benötigen, wenn sie es sich bei knapp 100 Sachen auf der linken Spur zwischen zwei LKWs gemütlich machen, um sich den Windschatten zu teilen.

Dass es bei solchen, von mir oft aus dem Augenwinkel im Vorbeibrausen beachteten taktischen Fahrmanövern nicht an der Leistung liegt, wurde mir spätestens am Ortsausgang klar: Die über 500 PS starke Performance-Version des Tesla Model 3 schoss beim Kickdown ab, dass es einem fast schwindelig wurde. Der Sound, den der Elektro-Sprinter dabei erzeugte, entsprach weder den Star-Wars- oder Tron-Sounds aus Science-Fiction-Filmen noch dem Arbeitsgeräusch eines Benziner oder Diesels. Es handelte sich vielmehr um eine Hommage an den vom Aussterben bedrohten Verbrennungsmotor – eine äußerst gelungene Transformation von dessen charakteristischen Eigenschaften in die elektrische Zukunft. Von der in gängigen E-Auto-Testberichten überstrapazierten „Lautlosigkeit“ des Gleitens konnte dabei keine Rede sein, zumal der synthetische Motorsound-Effekt zu Demo-Zwecken bewusst etwas überbetont war. Der in knapp über 3 Sekunden von 0 auf 100 jettende Tesla brüllte und fauchte, dass dabei selbst so manchem V8-Fan vermutlich eine Gänsehaut den Rücken heruntergelaufen wäre.

Doch der eigentliche Clou kommt noch: Wo spätpubertäre AMG-Fans noch die Sport-Taste oder gar verbotene Cheat-Funktionen für die Auspuffklappe manuell betätigen müssen, übernimmt hier die künstliche Intelligenz die Regie. Als ich nach dem – in diesem Fall sogar der Forschung dienenden – Katapultstart wieder tugendhaft durch die nächste Ortschaft rollte, schaltete die KI auf sanfte Sphärenklänge um. Diese synthetischen Sounds gingen zwar in die Richtung von Porsche bei der Soundtrack My Life App, doch gab es einen wesentlichen Unterschied. Während das Team um Product Owner Norman Friedenberger bei Porsche Digital eine zu direkte Ankopplung an Beschleunigung, Tempo oder gar Gaspedalstellung unbedingt vermeiden wollte, setzte Impulse Audio Lab bei seiner Inszenierung gezielt auf verzögerungsloses Feedback, wie man es von einem Verbrenner kennt. Es bleibt abzuwarten, welcher Weg sich in Zukunft durchsetzt. Wir begleiten die Entwicklung gerne mit emissionsfreien mobilen Hörtests.

Dolby Atmos Music: Kinosaal auf Rädern

Nichts zu hören, außer spannender Ankündigungen gab es dagegen bei den Dolby Laboratories. Die amerikanische Patentschmiede braucht man niemandem, der die Hochzeit der Tapedecks noch miterlebt hat, vorzustellen. Und Kino-Fans gleich welchen Alters erst Recht nicht. Aber Dolby im Auto ist abgesehen von älteren Semestern, die wie ich noch im letzten Jahrhundert mit der legendären Rauschunterdrückung im Cassetten-Autoradio herumfuhren (und es im Oldtimer noch heute tun), schon eine äußerst spannende Neuigkeit.

Die Amerikaner wollen ihr aus dem Kino bekanntes Dolby-Atmos-Verfahren im Auto etablieren – und zwar im großen Stil.  „Autohersteller brauchen Infotainment-Spezialisten, die ihre Bedürfnisse verstehen. Aus diesem Grund arbeiten wir mit Cinemo zusammen“, erklärte Andreas Ehret, Director of Automotive bei Dolby anlässlich der Verkündung der neuen Partnerschaft mit dem deutschen Automobil-Multimedia-Spezialisten. Dem amerikanischen BEV Lucid Air bleibt es vorbehalten, als erstes Auto mit integriertem Dolby Atmos-Sound-System auf die Straße zu gehen:

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Das von Dolby selbst abgestimmte Atmos-Sound-System setzt auf 21 Front-, Rear-, Seiten- und Höhen-Lautsprecher, die nicht nur der Musikwiedergabe, sondern auch für frei im dreidimensionalen Raum platzierbare Signale und Warnhinweise für den Fahrer dienen.

Durch die auf der IAA verkündete Kooperation mit Cinemo soll sich Dolby Atmos selbst in bestehende Car-Audio-Systeme nahtlos integrieren und mit den meisten Lautsprecherkonfigurationen nutzen lassen. Christopher von Deylen, Kopf hinter dem Musikprojekt Schiller, fand in der Pressekonferenz griffige Worte für den Effekt des immersiven Audio-Verfahrens, das er aus künstlerischer Sicht sehr begrüßt: „Gegen Dolby Atmos Music klingt Stereo wie Mono.“ Da inzwischen auch Apple das Potenzial räumlicher Musikwiedergabe erkannt und das 3D-Audio-Format in seinen iTunes Store aufgenommen hat, dürfte sich ein richtiger Trend daraus zu besonders intensivem und natürlichen Musikhören entwickeln.

Man könnte sagen: Den „Konzertsaal auf Rädern“ beanspruchen schon Bose, Burmester oder Bowers & Wilkins. Doch jetzt kommt gewissermaßen noch der Kinosaal dazu. Doch das war erst der Anfang. Seitdem Apple ankündigte, Titel mit Dolby Atmos Music über den App Store bereitzustellen, geht es Schlag auf Schlag. Zwar hatte Dolby zu seiner IAA-Pressekonferenz keine Demo-Cars mitgebracht und geizte auch mit technischen Details zur konkreten technischen Umsetzung der ersten integrierten Atmos-Sound-Systemen im Auto. Aber man konnte die Kooperation mit Cinemo verkünden und auf den bereits erwähnten Lucid Air verweisen. Mit dem immersiven Raumklang liegt Dolby jedenfalls voll im Trend und braucht auf Grund der größeren, durch Apple sogar noch verbreiterten Software-Basis nicht wie Burmester im Porsche Panamera (Testbericht) auf einen durch Stereo-oder gar Mono-Aufnahmen gespeisten Upmixer wie Auro-3D mit der Auro-matic zurückgreifen.

Und wenn unsere Autos eines nicht so fernen Tages wie so oft beschworen autark fahren sollten, kommen sogar noch Dolby-Atmos-Kinofilme hinzu. Spätestens dann verlieren Staus und monotone Langstreckenfahrten ihren Schrecken…

Autor: Stefan Schickedanz

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Schneller testet keiner. Deutschlands einziger HiFi-Redakteur mit Rennfahrer-Genen betreut bei LowBeats den Bereich HiFi im Auto sowie die Themengebiete Mobile- und Smart-Audio.