Der weltweit erste Test der Sonus faber Guarneri Tradition
Eine Kompaktbox mit höchsten Ansprüchen, aber auch entsprechend hohem Preis (15.900 Euro)
Eine Kompaktbox, die eigentlich keine ist, weil der Ständer zum Konzept gehört
Die Bühne war gerichtet, der Ort gut gewählt. Und doch werden viele der über 5.000 Besucher der Norddeutschen HiFi Tage 2017 (4./5. Februar 2017) womöglich gar nicht wahrgenommen haben, dass sie in der Lobby des Hamburger Holiday Inn an der wohl schönsten Messe-Premiere vorbeigeschoben wurden – einfach, weil es zeitweise so voll war. Schade, denn die Sonus faber Guarneri Tradition hatte hier in der Lobby ihren ersten Europa-Auftritt und man muss kein HiFi-Fan sein, um sich für diese Art Lautsprecher zu begeistern: schlüssige Formsprache, hohe Ästhetik, begnadete Handwerkskunst, ein Lack-Finish zum Niederknien…
Auf der Messe gab es noch keine Gelegenheit, die Sonus faber Guarneri Tradition zu hören. Aber eines der ersten ausgelieferten Paare fand seinen Weg umgehend in die LowBeats Redaktion, wo es seitdem läuft und von Tag zu Tag besser wird.
Aber der Reihe nach. Die Sonus faber Guarneri Tradition steht in einer langen Reihe anmutiger und klanglich herausragender Kompaktlautsprecher.
Vor allem zu nennen sind hier die Electa Amator von 1987, die Extrema von 1991, die Guarneri Homage von 1993 und die Guarneri Memento von 2006. Alle vier hier in der Slideshow:
Schon seit Bestehen von Sonus faber (Firmengründung: 1983) orientiert man sich bei der Gestaltung der Lautsprecher am klassischen Instrumentenbau: die Form, die Hölzer, die ästhetische Anmutung.
So tief verwurzelt in der Tradition der italienischen Meister sieht man sich bei Sonus faber, dass sogar das Dach der Manufaktur einem Cello nachempfunden wurde.
Und selbst die Front-Abdeckung, die bei den größeren Sonus faber Modellen ja immer in Form von gespannten, elastischen Bändern umgesetzt wird, wurde von den Saiten der (Saiten-) Instrumente inspiriert. Und dass der legendäre italienische Geigenbauer Giuseppe Guarneri (1698 – 1744) hier Pate für den Namen unseres Testmodells stand, ist natürlich auch kein Zufall.
Doch im Gegensatz zu Giuseppe Guarneri, der für seine Instrumente ausschließlich edelste Klanghölzer verwendete, nutzen die Entwickler von Sonus faber Holz nur noch für die Schallwand, die Seitenwangen und die Intarsien-Arbeiten auf dem Deckel.
Basierend auf den Erfahrungen der Modelle Amati Futura und Guarneri Evolution (beide aus dem Jahr 2011) bestehen Rücken, Boden und Deckel nun aus massivem Aluminium.
Dieser Kulturwandel ist den Italienern sicher nicht leicht gefallen, macht aber akustisch viel Sinn. Denn im Gegensatz zum früheren Ansatz, Lautsprecher wie klingende Instrumente zu bauen, kommt man mit dem heutige Konzept – nämlich möglichst neutrale Schallwandler zu entwickeln – womöglich doch weiter.
Die Metallteile sind miteinander verbunden und bilden quasi das extrem steife Skelett (die Marketingabteilung bei Sonus faber taufte die Konstruktion “Exoskelett”) des Gehäuses. Ein “reines” Holzgehäuse hat nie die Festigkeit einer Metall-Konstruktion und produziert somit mehr Eigenklang.
Während viele Hersteller die Schallwand mit Aluminium verstärken (bekanntestes Beispiel: Dynaudio), sind es bei der Sonus faber Guarneri Tradition halt Rücken, Boden und Deckel. Zu Recht, denn vor allem der Deckel nimmt mehr Einfluss auf den Klang und die Abbildung als gemeinhin gedacht.
Aber auch das Rückenteil ist wichtig, weil hier alles zusammenläuft. Die neue B&W 800 D3 Linie nutzt ja ebenfalls solch eine massive Rückenpartie – dort allerdings dient das Aluminium – trickreich – auch noch als Kühlung für die Widerstände der Frequenzweiche.
Bei der Sonus faber Guarneri Tradition ist der Metallrücken stattdessen Bestandteil des Bassreflex-Konstruktion. Eigentlich ist die Italienerin ja ein in allen Belangen höchst ziviler Lautsprecher, aber beim Bassreflex wurde zumindest verbal aufgerüstet: Das „Stealth Ultraflex-System“ ist eine Kombination aus klassischem BR-Kanal (Holz) plus dem vorgesetzten Alu-Profil sowie einem neuen, sogar patentierten Dämmstoff im Inneren.
Alles gemeinsam soll sehr viel tiefere Abstimmungen ermöglichen als übliche BR-Konstruktionen. Das konnten wir im Hörtest nicht bestätigen. Aber dazu später mehr.
Die Technik der Sonus faber Guarneri Tradition
Lange Zeit bediente sich Sonus faber bei den besten Treiber-Herstellern der Welt, hier vor allem bei Audio Technology und Scan Speak. Diese Zeiten sind lange vorbei. Die Entwicklungsabteilung entwickelt die Treiber schon lange selbst und kann sie so exakt auf die jeweiligen Einsatzbereiche hin optimieren.
Der Hochtöner namens DSD H28 XRT-04 entstammt den Flaggschiff-Modellen Sonus faber Lilium und Il Cremonese und hat eine 28 Millimeter große Seidenkalotte, die an ihrer Kuppelspitze über ein kleines Filzstück am vorgesetzten Schallverteiler (der Spitze) bedämpft ist. So wollen die Sonus-Entwickler Resonanzen im Material reduzieren.
Angetrieben wird die Schwingspule von einem kräftigen Neodym-Magneten. Die größte Besonderheit aber ist die hinten angesetzte Kammer aus echtem Holz, wo der nach hinten abgestrahlte Schall in einem Labyrinth die Energie verliert und so keinen akustischen Schaden mehr anrichten kann.
Der Tiefmitteltöner W15 XRT-04 (15 Zentimeter Außendurchmesser) stammt von seinen Anlagen her ebenfalls aus der Lilium und ist ein echtes Technik-Highlight. Die Membran besteht aus einer sehr stabilen Naturfaser-Mischung, die in einem lang andauernden Prozess luftgetrocknet wird und – so Paolo Tezzo – „einen möglichst natürlichen Klang ohne Coloration“ garantiert.
Auch die Aufhängung, also Sicke und Zentrierungsspinne, wurden in Bezug auf Form und Material komplett neuentwickelt, um bei den Hubbewegungen möglichst wenig Widerstand aufzubauen. Das ist wichtig für die Feindynamik.
In der Sonus faber Entwicklungsabteilung werden, so Entwicklungsleiter Paolo Tezzo, Frequenzweichenbauteile durch lange Hörsitzungen ermittelt.
Dementsprechend liest sich die Bestückungsliste des Guarneri-Tradition-Netzwerks wie das Who-is-Who der Edelzulieferer: Mundorf EVO Silver Gold Öl Kondensatoren, Spulen von Jantzen, induktionsarme Widerstände.
Livio Cucuzza, Chef-Designer bei Sonus faber, erklärte bei der ersten Präsentation in New York, womit er und sein Team sich bei der Sonus faber Guarneri Tradition haben inspirieren lassen. Hätte er es nicht verraten, wäre man vielleicht trotzdem drauf gekommen…
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