Von einer wahren Welle zu sprechen, ist sicherlich übertrieben. Gleichwohl darf man festhalten, dass es einen beständigen Trend zum gut gemachten Retro-Lautsprecher gibt. Die neuen Modelle der LS 3/5a mit all ihren Derivaten und Nachfolgern ist sicherlich das beste und bekannteste Beispiel dafür. Nun wurde auch die größere LS 5/9 unter verschiedenen Marken (zum Beispiel Musical Fidelity und Harwood) wieder aufgelegt – ebenfalls einst von der BBC ersonnen und als Studio-Monitor eingesetzt. Wir hatten kürzlich die neue Harwood LS 5/9 im Test, die sich natürlich ebenfalls an die gestrengen BBC-Vorgaben hält, aber mit einigen interessanten Variationen aufwartet – vor allem, dass man sie auch als Bausatz bekommt…
Im Vergleich zur sehr kompakten LS 3/5a, die ja bereits in den frühen 1970er Jahren als Monitor für die Übertragungswagen der BBC eingesetzt wurde, ist die LS 5/9 fast noch ein Youngster. Erst 1983 wurde sie auf Grundlage des BBC Forschungs-Reports RD 1983/10 auf Kiel gelegt. Und sie sollte auch ganz andere Schwerpunkte haben: Für einen Mobileinsatz war sie viel zu groß. Sie sollte stattdessen mit deutlich mehr Pegelreserven die Rolle eines guten Studio-Monitors ausfüllen. Das tat sie wunderbar. Und manche HiFi-Freunde sind der Meinung, dass diese Konstruktion (die ja immerhin 40 Jahre auf dem Buckel hat) auch heute noch eine hervorragende Alternative zu aktuellen Modellen ist.

Die Geschichte hinter der Harwood LS 5/9
Raimund Saerbeck, Chef von Hifisound Münster, ist fraglos ein echter LS 3/5a-Spezialist. Immerhin bietet der Münsteraner diesen legendären BBC-Monitor unter seinem eigenen Lautsprecher-Label namens Harwood als originalen Nachbau und sogar als Bausatz an. Da hat er jede Variante und Alternativ-Variante gehört. Und natürlich schlug er sofort zu, als ihm jener auf Repliken spezialisierte Hersteller, der ihm die LS 3/5a fertigt, auch die LS 5/9 anbot. Doch Saerbeck, der einen der arriviertesten Lautsprecherselbstbau-Shops der Republik betreibt und von Lautsprechern einfach sehr viel versteht, war mit dem Ergebnis der nach Originalplänen gebauten LS 5/9 nicht glücklich. Unerklärlich tiefe Frequenzgang-Einbrüche und unverständliche Hochtonanpassungen waren für ihn mit den hohen BBC-Anforderungen unvereinbar.

Also ließ er eine tiefgehende Analyse anfertigen, die seine Bedenken belegten. Beispielsweise waren die Nachbauten des Originalhochtöners (früher ein Audax HD13D34H) um glatt 2 Dezibel leiser als das Original. Damit ist die Original-Frequenzweiche womöglich nicht mehr ganz passend. Also begannen Saerbeck und sein Team, in kleinsten Modifikationsschritten eine größere Frequenzgang-Linearität und mehr Spielfreude zu gewinnen. Das gelang überzeugend – so viel kann ich hier im Vorfeld schon festhalten.
Kommen wir zunächst zu dem Aufbau der 2-Wege-Konstruktion. Wie bei BBC-Entwicklungen üblich, besteht das Gehäuse aus 12 mm starkem (oder dünnem) Birken-Multiplex, unterstützt von 15 mm starken Verstrebungen in den Ecken. Dem deutschen Ingenieur durfte man damals nicht mit so etwas kommen; der stand auf Masse. Aber die BBC hatte für sich in langen Messreihen die Vorzüge dieser Gehäuse (wenig Masse schwingt schnell aus) festgestellt. Und damit die Gehäuse noch schneller ausschwingen (und damit der Schall nicht so leicht durch die dünnen Wände diffundieren kann), werden inwendig Bitumenplatten aufgeklebt. Hinzu kommt in Säcken eingebundenes (und damit dauerhaft in der Form bleibendes) Dämmmaterial.

Bestückt war beziehungsweise ist die LS 5/9 mit einem 21 cm Tiefmitteltöner, der durch seine fast durchsichtige und hoch-dämpfende Polypropylen-Membran auffiel. Ebenfalls besonders ist die recht harte Sicke aus Vinyl und die vergleichsweise kleine Schwingspule mit einem Durchmesser von 25 mm. Schwingspulen dieser Größe sind nicht sonderlich hoch belastbar, weil sie aber so wenig Gewicht mitbringen (was in die gesamte schwingende Masse mit eingeht) steigt der Wirkungsgrad. 88 dB ermittelte das LowBeats Messlabor – das ist für Lautsprecher dieser Herkunft und dieses Alters fast schon utopisch laut.

Ergänzt wurde damals die Kombination mit dem Audax HD13D34H, einer mit 34 mm ungewöhnlich großen Hochtonkalotte, die man mit einigen Tricks bis knapp 1.000 Hertz runterziehen konnte.
Danach aber stand den BBC-Entwicklern offenkundig nicht der Sinn. Sie legten die Übergangsfrequenz auf 3.000 Hertz und sorgten so für ein sorgenfreies Leben des Hochtöners. Dies bestätigen auch die LowBeats-Messungen unten: der gesamte Hochtonbereich ist frei von Verzerrungen – selbst bei Maximalpegel.
Die Analyse, die Saerbeck in Auftrag gab, erkannte gerade am Hochtöner kleinere Schwächen. So hat der chinesische Hersteller zwar eine blitzsaubere Kopie des legendären Audax HD12D34H abgeliefert, aber dem Nachbau fehlen im Einsatzbereich gut 2 Dezibel. Damit stellte sich die originale BBC-Abstimmung schon an sich in Frage. Kein Problem könnte man sagen: Wozu haben ich denn die aufwändige und ungewöhnliche (weil man selber löten muss) Hochtonanpassung auf der Front?
Bei genauem Hinsehen aber entpuppte sich das Anpassungs-Netzwerk als nicht ganz makellos: Wenn man nämlich den Hochtonpegel verändert, veränderte sich auch die Übergangsfrequenz zum Hochtöner hörbar.
Das alles brachten Saerbeck & Co. auf Kurs: In der von ihm aktuell abgesegneten Version klingt die Harwood LS 5/9 wie ein Original-Rogers-Modell aus Ende der 1980er Jahre. Beide Versionen konnte ich mir bei Hifisound Münster anhören und beide klingen wunderbar natürlich und recht lebendig – mit leichten Vorteilen für die neue Harwood.

Praxis
Von dem erfreulich hohen Wirkungsgrad habe ich schon gesprochen: 88 dB sind selbst für modernste Konstruktionen ein guter Wert. Aber die Messungen zeigten noch weitere Schokoladenseiten der Replika: Zum Beispiel den erfreulich hohen Maximalpegel von 95 dB (Dauer) und bis zu 105 Dezibel mit Musik. Damit dürften die Vorgaben BBC mehr als erfüllt worden sein.
Ebenfalls ein echtes Plus ist der erfreulich lineare Verlauf von Impedanz, Phase und EPDR. Damit kommt jeder Verstärker zurecht.

Betrachtet man also den hohen Wirkungsgrad und die fast perfekte Impedanz-/Phasenlage, darf man unterstellen, dass so gut wie jeder Verstärker in Frage kommt. Das gilt auch für kleinere Röhren-Amps, die allerdinge nicht meine erste Wahl wäre, weil die LS 5/9 nicht zu den lebendigsten Lautsprechern unter der Sonne zählen… Stattdessen bekommt man mit kleinen, aber feinen Transistor-Verstärkern – beispielsweise einem Atoll IN50 Signature (850 Euro) oder einem Exposure 2510 (1.750 Euro) – eine entzückend, weil hoch ausgewogen musizierende Kombination.
Aus meiner Sicht erfreulich ist auch der nüchtern und präzise abgestimmte Bassbereich, der vor allem durch hohe Präzision gefällt. Dieser Umstand versetzt den Hörer in die Lage, die LS 5/9 dicht an die Rückwand zu schieben, ohne dass überbordende Dröhnbässe zu befürchten sind.
Hörtest
Der Charakter der LS 3/9 ist unverkennbar der eines BBC-Monitors der 1980er Jahre. Dazu gehört fast schon zwingend eine Zurückhaltung in den Mitten (in diesem Fall zwischen 1,5 – 4 KHz), die sich auch klanglich niederschlägt. Diese dezente Herangehensweise macht Stimmen und sehr präsent aufgenommene Streicher immer noch gut hörbar. Wie überhaupt eine hohe tonale Harmonie eine der größten Vorzüge dieses Lautsprechers ist – man hört einfach gern Musik mit ihm.
Ebenfalls zu diesem Charakterzug gehören ein niemals überzogener Hochtonbereich und eine nicht sonderlich ausgeprägte Lebendigkeit – deshalb sollte der angeschlossene Verstärker einen eher frischen Ton pflegen. Man darf die LS 5/9 jetzt aber nicht in einen Topf mit der keinen LS 3/5a werfen. Die ist zwar ebenfalls sehr wohlklingend, hat aber quasi gar keine Dynamik. Gemessen daran spielt die LS 5/9 quicklebendig…

Was die Agilität angeht, liegt die LS 5/9 in etwa auf dem Niveau unserer Kompaktboxen-Referenz – der immerhin doppelt so teuren Dynaudio Heritage Special. Allerdings zeigte die Dynaudio auch, was moderne Konstruktionen auszeichnen kann: Die Dänin holte sehr viel mehr und tiefere Bässe aus einem erheblich kleinerem Gehäuse. Zudem präsentierte die Dynaudio Details in den Mitten und in den Höhen noch etwas griffiger, feiner und luftiger.
Gleichwohl bietet die LS 5/9 eine sehr eigenständige, hoch kultivierte Form der Wiedergabe, die tatsächlich mit viel Charme eine Alternative zu gleichteuren, modernen Konstruktionen (wie beispielsweise einer B&W 705 S3) darstellen kann.
Bewertung
Der Bausatz
Die LS 5/9 war lange bei uns und mit der Zeit wuchs sie mir richtig ans Herz. Es ist ein Lautsprecher, mit dem man wirklich gern Musik hört, wenn der Pegel im normalen Bereich bleibt. Da sind 3.000 Euro für das Paar kein Schnäppchen, aber wer auf diese Form des britischen HiFi steht, ist mit der LS 5/9 gut bedient.
Aber da gibt es bei Hifisound Münster ja noch dieses Bausatz-Angebot für 2.000 Euro pro Paar. Und hier sollten alle, die Lust auf anfassbare HiFi-Technik und keine zwei linken Hände haben, unbedingt aufhorchen. Bei meinem Besuch im Hifisound-Stammladen in Münster habe ich mir den Bausatz genauestens angeschaut. Da ist an alles gedacht:
Das Gehäuse kann man leider nicht beim Hifisound bestellen. Doch Saerbeck hat mit der variant GmbH eine exzellente Tischlerei gefunden, die sogar unterschiedliche LS5/9 Leergehäuse für maximal 380 Euro (fertig verleimtes Gehäuse) anbietet. Hier noch einmal die volle Adresse:
variant GmbH
Molkereistr. 3
35039 Marburg
Deutschland
Telefon: +49 6421-483909
Mail: [email protected]
All jene, die sich besonders versiert halten, können nach Originalplänen aber auch selbst zur Tat schreiten. Da bekommt man vielleicht die noch bessere Qualität und das noch bessere Gefühl.
Und der Bausatz hat nicht nur den Vorteil bedeutend günstiger zu sein: Saerbeck spendiert dem Selbstbauer den Originalhochtöner, den HD13D34H von Audax, der – wie wir gelernt haben – 2 dB mehr Wirkungsgrad hat.
Ich hatte die Gelegenheit, die Fertigbox über mehrere Tage mit dem Bausatz im Gehäuse der Variant-Tischlerei zu vergleichen. Der Unterschied war zu vernachlässigen. Wenn überhaupt hätte ich leichte Vorteile beim Bausatz gesehen…
Fazit Harwood LS 5/9
Mit der LS 5/9 bereichert ein weiterer Lautsprecher aus der großen BBC-Zeit unsere Szene. Die Replika ist wirklich gut gemacht – bis hin zu den mit Heftklammern fest getackerten Krepp-Bändern auf der Front oder der eigenwilligen Hochton-Anpassung neben dem Hochtöner. Britische Lautsprecher dieser Zeit hatten einen hohen Schrulligkeits-Faktor – und der wird hier voll gelebt. Klasse.
Mir noch sympathischer (und deutlich besser in der Preis-/Klang-Relation) aber ist der Bausatz. Man muss nicht viel tun, um einige hundert Euro zu sparen, aber das Gefühl beim Selberbauen ist in der Regle in gutes. Zudem sind alle Bausätze geprüft und abgeglichen. Böse Überraschungen bleiben also aus und klanglich bekommt man mit dem Bausatz für etwa über 2.000 Euro ein wirklich außergewöhnliches und gut klingendes Stück HiFi-Geschichte – mit dem sich auch heute noch trefflich (und lange) hören lässt.
Bewertung
KlangPraxisVerabeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Dezente, musikalisch-natürliche Abstimmung |
| Elektrisch anspruchslos, für jeden Verstärker geeignet |
| Als Bausatz erfreulich günstig |
| Schrullige Frontgestaltung, eigenwillige Hochton-Anpassung |
Vertrieb:
hifisound Lautsprechervertrieb
Drensteinfurtweg 32/34
48163 Münster
www.hifisound.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Harwood LS 5/9: 3.000 Euro
Technische Daten
Harwood LS 5/9 | |
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Konzept: | passive 2-Wege Kompaktbox, Bassreflex |
Bestückung: | TMT: 1 x 21 cm, HT: 1 x 34 mm |
Übergangs-Frequenz: | 3.000 Hz |
Nenn-Impedanz: | 6,7 Ohm |
Wirkungsgrad (2,83 V/m): | 88 dB |
Maximalpegel (Dauer/kurzfristig): | 95 / 105 dB |
Mindestleistung für Maximalpegel (Dauer) | >10 Watt |
Gehäuse: | 12 mm Birkensperrholz mit Kirsch-Furnier |
Abmessungen (H x B x T): | 46,2 x 28,1 x 27,6 cm |
Gewicht: | 12,2 Kilogramm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test Kompaktbox Harwood LS 3/5a: der BBC-Klassiker für unter 1.000 Euro
Test Dynaudio Heritage Special: in der Tradition der großen Sondermodelle
Test Vollverstärker Atoll IN 50 Signature: volle Klangpracht für 750 Euro