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Unison Research Simply 845
Der Simply 845 steht bei Unison in langer Tradition: ein Single-ended Class-A Röhrenamp mit einigen Schrullen und göttlichem Klang. Sein Preis: 8.900 Euro (Foto: Unison Research)

Test Unison Simply 845: dreiundzwanzig himmlische Watt

Mit ihren Röhrenverstärkern haben die italienischen Audio-Ästheten von Unison Research schon so manchen Musikfreund zum glühenden Röhrenfan gemacht. Der Unison Simply 845 ist zwar nicht mehr wirklich ein Einstiegsgerät. Aber dafür liefert er alles, was Röhren begehrenswert macht, in besonders hoher Dosis. Und bleibt dabei wundersam frei von bauarttypischen Problemen.

Alte Röhrenhasen erinnern sich: Einen Simply 845 gab es schon einmal, vor vielen Jahren, als Single-Ended-Triodenverstärker noch maximal esoterisches Nischen-Highend waren. Das sind sie außerhalb audiophiler Kreise eigentlich auch heute noch. Der neue 845 hat aber das Zeug dazu, als einer der ersten seiner Gattung in die Anlagen „ganz normaler“ Musikfreunde vorzudringen. Klar, er ist teuer. Aber er verbindet die spezielle Magie, die dem Klang von Eintaktverstärkern innewohnt, mit höchst ansehnlichem Design und erstaunlich zivilen Praxiseigenschaften. Er macht Röhrenklang auf höchstem Niveau vorstellbar und erreichbar. Er macht also das, was auch die kleineren Unsion-Modelle meisterlich beherrschen – nur hier im XL-Größenmaßstab.

Wo Eintakt-Röhren überlegen sind

Gelegen kommt dem neuen Simply 845, dass sich die Zahl an zumindest theoretisch passenden Lautsprechern inzwischen deutlich vergrößert hat. Daran haben auch moderne Entwicklungs-Tools und Fortschritte in der Treiberfertigung Mitschuld: Man kann heute erschwingliche, ausgewogen klingende Boxen mit richtig gutem Wirkungsgrad bauen. Und weil es zudem einen gewissen Trend in diese Richtung gibt, tun viele Hersteller das auch fleißig. Zweitens hat sich inzwischen deutlich weiter herumgesprochen, welche einsame Sonderstellung die geradlinigsten aller Audioverstärker im Hörraum einnehmen.

Die Überzeugungsarbeit hat zu einem nennenswerten Teil Unison selbst geleistet. Die Firma und ihr Gründer Giovanni Sacchetti sind nicht irgendwann auf die Eintaktwelle aufgesprungen, sondern haben diese Welle Ende der 1980er-Jahre überhaupt erst in Bewegung gesetzt. Aus Überzeugung. Auch wenn die Modellhistorie gleichmäßig mit Gegentakt-Amps durchsetzt ist, nehmen die radikalen Single-Ended-Konstruktionen schon früh eine Führungsrolle im Unison-Kanon ein. „Was auch sonst“, werden Triodenfans jetzt einwerfen, andere HiFi-Fans sind skeptischer: Der Sound leidet unter schlechten Bedingungen stärker als bei Push-Pull-Verstärkern, Leistung ist knapp und muss, wenn man mehr braucht, teuer erkauft werden. Und dann ist da der riesige rosa Klang-Elefant, den man offenbar erst hören lernen muss, weil kleinliche HiFi-Korinthen den akustischen Blick dafür verstellen. Dieser Blick bleibt dann am etwas weichen Bass hängen, vielleicht auch an beginnendem Clipping bei Pegeln, die man in der Praxis dann nie abruft. Oder an überpräsenter Tonalität, die in Kombination mit ungeeigneten Lautsprechern entstehen kann.

Der Elefant, das sind dann zum Beispiel die zwei Stimmen, Lead und Backing Vocals, die im Raum stehen, als hätte sie eine höhere Macht behutsam ins Raum-Zeit-Kontinuum eingetopft. Die dort völlig ungestört und unabhängig wachsen und blühen können, so wirklich und plastisch, dass das Gehör es vorschnell als selbstverständlich abhakt. Wie schwer das ist, hört man erst wieder, wenn man die Eintaktwelt verlässt. Was schon nach kurzer Gewöhnung stets einer Vertreibung aus dem Paradies gleichkommt. Eintakt-Verstärker anderer Hersteller können das auch. Unison ist aber ungeschlagen in der Kunst, diese Technik auch für musikbegeisterte Laien zugänglich zu machen: mit fair kalkulierten, elektrisch betont umgänglich ausgelegten Eintaktern. Wie viele Röhren-Karrieren mit einem Unison Simply Two oder Simply Italy begonnen haben? Niemand weiß es genau, aber es sind viele. Der Simply 845 könnte dann ein, zwei Schritte später der Verstärker sein, mit dem man alt wird.

Die Eintakt-Arbeitsweise, die den gesamten Signalspannungs-Verlauf mit einem einzigen Bauelement nachzeichnet und mit Strom ausstaffiert, definiert den Klang stärker als die dabei verwendeten Röhrentypen. Das können sogar ganz banale Leistungspentoden wie die EL34 sein. Einige der verdientesten, höchstdekorierten Unison-Klassiker arbeiten damit, etwa der „kleine“ (immer noch 15 Kilo schwere) Simply Two, der mir einige der mysteriösesten und schönsten Hörtesterlebnisse meiner frühen Redakteursjahre beschert hat. Oder der aktuelle Einstiegs-Amp Simply Italy, der auch verwöhnte Alt-Audiophile, die sich seiner Preisklasse längst entwachsen glauben, reihenweise in Verzückung versetzt.

Unison Research Simply Italy Test-Titelbild
Der Unison Research Simply Italy ist der bezauberndste Röhrenverstärker der Klasse bis 3.000 Euro (Foto: C. Bussler)

Eintakter sind sagenhaft ineffizient. Weshalb die EL34-Amps mit einstelligen Leistungen auskommen müssen – es sei denn, man schaltet mehrere Röhren im Parallel-Single-Ended-Modus zusammen, wie Unison das beim S6 vormacht: Dreimal EL34 parallel pro Seite ergeben 35 Watt – was allerdings kaum jemand nachmacht, weil diese Bauweise alles andere als trivial in der Umsetzung ist. Speziell die Ausgangsübertrager solcher Parallel-Eintakter gelten als knifflig zu wickeln. Und letztlich bedeutet die Vervielfachung natürlich ein – wenn auch dezentes – Abweichen vom wahren, minimalistischen Weg.

Wer auf dem Pfad der höchsten Tugend zum Leistungsgipfel aufsteigen will, macht das mit sukzessiv größeren Röhren. Wobei das Verhältnis zwischen Anodenspannung, Verlustleistung und Watt-Ausbeute immer recht ähnlich ist, die Dimensionen aber schnell monströs werden. Ist eine EL34 und auch die kultige, bei Unison aber wenig geliebte Triode 300B im Eintaktmodus für nicht mal zehn Watt gut, lassen sich mit anderen Röhren single ended auch 100 oder mehr Watt gewinnen. Da sind dann aber Glasballons wie aus Dr. Frankensteins Kellerlabor beteiligt, selten und teuer, mit Graphitanoden so groß wie Blumentöpfe und Kathoden-Glühwendeln, die konstant ein paar Kilowatt vom guten Ökostrom in das zurückverwandeln, aus dem er gewonnen wurde: Hitze und Licht.

Unison Research Simply 845 Röhren
Lichterfest: Die thorierten Wolframkathoden der 845 leuchten hell wie Glühbirnen. Das meiste Licht wird jedoch von den mattschwarzen Graphit-Anoden abgeschirmt. Nur oben und unten dringt etwas davon nach außen – genug für einen höchst feierlichen Anblick (Foto: B. Rietschel)

Die 845, eine direkt geheizte Triode, liegt zwischen diesen Extremen: Eigentlich für Hochfrequenzverstärker etwa in Mittelwellensendern konstruiert, gilt sie als zuverlässig und langlebig. Und liefert bei noch nicht völlig verrückten elektrischen Anforderungen (>1000 Volt Anodenspannung, rund 100 Watt Verlustleistung) gesunde 23, 24 oder 25 Watt als Audio-Einzylinder.

Die Besonderheiten des neuen Unison Simply 845

Was im normalen Wohnumfeld noch verantwortbar ist, darüber gehen die Meinungen natürlich auseinander. Der Unison Simply 845 nähert sich aber schon dem goldenen Mittelweg in Leistung, Größe, Preis und Hitzeentwicklung. Letztere entspricht ziemlich genau einer ausgewachsenen italienischen Gastro-Espressomaschine, eingruppig wohlgemerkt. Die haben manche Leute ja auch ganz nonchalant in der Küche stehen. Der Simply 845 braucht auch ziemlich exakt gleich viel Platz. Und liegt mit 30 Kilo ähnlich schwer in der Hand. Beim Anschluss kann man aber auf Wasserzu- und Ablauf verzichten: Der Unison braucht nur Strom. Und Quellen, die das 2023er Modell nun ganz normal von hinten betreten, statt sich wie beim Ur-845 von der Seite anzuschleichen.

Die Verlegung der Anschlüsse hätte wegen mir gar nicht sein müssen. Deren Originalposition war ja nicht aus Spaß oder Querulantentum so gewählt worden, sondern weil sich damit ein idealer, kurzer und kerzengerader Signalweg zwischen Buchsen, Eingangswahl, Volume-Regler und Vorstufenröhren ergab. Aber wer bin ich schon gegen die Massen an Kaufinteressenten, die das unorthodox platzierte Anschlussfeld nicht goutierten, wie mir Paula Knorn vom altbewährten Unison-Vertrieb TAD berichtete. Was den ersten Simply 845 trotzdem nicht daran hinderte, zur High-End-Legende zu werden. Er war ein direkter Ableger der Monoendstufe Smart 845, die ihrerseits als Pionierleistung gilt, weil sie zu den ersten Verstärkern gehörte, die die mächtige 845 zu Audiodiensten heranzogen.

Unison Research Simply 845 Anschluss
Sechs Ohm bevorzugt: Das Anschlussfeld des Simply 845 bietet röhrenuntypisch keine Anpassung an unterschiedliche Lautsprecherimpedanzen (Foto: B. Rietschel)

23 Watt pro Kanal stehen im Datenblatt des Simply 845. Würde man die Messung mit den bei Transistoren üblichen Klirrgrenzen machen, wären es noch weniger. Das ist also immer noch keine Wattangabe für Angeber, aber schon ungleich praxistauglicher als die einstelligen Leistungen der kleineren Röhren. Dem Leistungsangebot stehen 320 Watt gegenüber, die der Simply 845 im Betrieb konstant verbraucht. Das klingt nach viel, verschwindet aber auch in so manchem Fernseher. Da man den Unison schon aus Rücksicht auf die Röhren nicht Tag und Nacht laufen lässt – und er auch praktisch keine Warmlaufphase benötigt –, ist das kein wirkliches Thema. Beschäftigen muss man sich allerdings mit der Aufstellung: Der Simply 845 ist zwar nur 37 Zentimeter breit, baut aber 60 Zentimeter tief und passt somit in kein normales Rack. Zumal er wegen der deutlichen Hitzeentwicklung nach oben wirklich frei und auch nach rechts und links nicht direkt neben anderen Geräten stehen sollte.

Unison Research Simply 845 im Hörraum
Imposante Erscheinung: Der Simply 845 braucht die ganze Bautiefe des Tabula-Rasa-Racks. Im Hintergrund der wichtigste Zuspieler im Test – ein zweiarmiger Acoustic Signature Tornado Neo (Foto: B. Rietschel)

Das Design ist in den Grundproportionen durch die Technik vorgegeben: Hinten sitzen die beiden riesigen Ausgangsübertrager gemeinsam mit einem kaum weniger imposanten Netzumspanner in einem gemeinsamen Blechhangar. Ausgangstrafos sind bei Eintaktern generell groß, weil sie auf der Primärseite permanent mit der vollen Anodenspannung belastet werden. Vor dem Trafohaus stehen dann die beiden mächtigen Sendetrioden. Zwischen sie und das Gehäuseblech hat Unison noch einen leicht gekrümmten Reflektor aus gebürstetem Edelstahl gesetzt, der zumindest einen Teil der Wärmestrahlung vom Gerät weg dirigieren soll. Auch das Oberdeck zu Füßen der Röhren ist auf diese Weise abgeschirmt. Die Endröhren stammen aus aktueller Produktion und sind Unison-gelabelt. Die Italiener halten stets paarweise selektierte Ersatzröhren bereit und sind keine Fans von Experimenten mit Fremdglas, raten im Handbuch sogar explizit von Tube Rolling ab.

Der Verstärker läuft natürlich auch mit 845ern ohne Unison-Stempel. Ich kann die Zurückhaltung des Herstellers aber besser verstehen, seit ich einmal (nicht für einen Unison!) eine Riesenauswahl russischer New-Old-Stock-Endröhren (auch keine 845!) bei einem sibirischen Händler bestellt hatte. Da gab es Sätze, die wirklich gut klangen. Aber auch gleich mehrere, die sich beim ersten Antesten mit spektakulärem Feuerwerk verabschiedeten – und dann auch gleich noch andere Bauteile im Verstärker mit ins qualmende Grab rissen. Das war zum Glück nur ein kleiner Spark (sic!) aus China, preiswert und leicht zu reparieren. Bei einem ernsthaften Edelamp wie dem Unison kann ich auf derlei Unheil aber gut verzichten.

Unison Research Simply 845 Röhrensatz
Sicher verpackt: Die Röhrenbesatzung des Simply 845. Die vier kleinen Doppeltioden sind 12AU7 (ECC82) von TungSol. Wer die wuchtigen 845 für Unison baut, ist nicht bekannt (Foto: B. Rietschel)

Das ungewöhnlich grelle Leuchten der 845er ist übrigens normal und beruht auf einer Thorium-Beigabe in seinen Wolfram-Kathodendrähten. Das leicht radioaktive Schwermetall erleichtert den Elektronen den Austritt aus der elektrisch erhitzten Kathode, stellt als reiner Alphastrahler aber keine Gefahr dar, solange man es nicht isst oder inhaliert. Umgeben sind die Kathoden von massiven Grafit-Anoden und natürlich den Steuergittern, womit die drei Komponenten einer Triode auch schon aufgezählt wären. Auch wenn man die Elektronen selbst nicht fliegen sieht: anschaulicher kann man Musiksignale nicht verstärken.

Zur Ansteuerung der Trioden dient je Kanal eine ECC82- (bzw. 12AU7) Doppeltriode, deren Systeme in SRPP-Anordnung beschaltet sind. Was sehr verzerrungs- und rauscharm funktioniert, wenn wirklich alle Bauteile der Schaltung penibelst ausgesucht, eng toleriert und von dauerhafter Qualität sind. Je eine weitere 12AU7 bildet das Begrüßungskomitee für ankommende Signale, die einen angenehm hohen Eingangswiderstand von 47kΩ zu sehen bekommen. Damit kommen auch Röhren-Phonoteile und andere nicht-so-bärige Quellen problemlos zurecht. Probleme gab es auch sonst nicht. In meinem Hörraum machte der Simply 845 – der zuvor schon eine Demotour bei diversen Händlern mit ein paar hundert Betriebsstunden und einer Handvoll Auf- und Abbauten absolviert hatte – nicht mal den leisesten unerwünschten Mucks.

Unison FB
Adäquat: Die Systemfernbedienung schnitzen Unison-Mitarbeiter aus einem massiven Holzblock. Nur zwei der insgesamt 30 Knöpfe haben beim Simply 845 eine Funktion

Seine Anschlüsse trägt der neue 845 nun wie gesagt am Heck, wo sie gemäß vorherrschender HiFi-Meinung wohl auch hingehören. Vier Hochpegel-Zuspieler finden da Anschluss. Auswählen kann der Benutzer oder die Benutzerin sie mit einem satt rastenden, mechanischen Drehschalter auf dem Oberdeck. An den man übrigens nicht mehr herankommt, wenn das (eigentlich vorgeschriebene) Schutzgitter installiert ist. Unison zu hören bedeutet auch, nicht jede Designentscheidung der Italiener verstehen zu müssen…

Neben den Eingängen gibt es auch noch zwei RCA-Ausgangspaare, eines davon mit Festpegel und eines geregelt. Letzteres heißt „Sub“, ist aber funktionsgleich mit einem Pre Out. Überrascht hat mich der Lautsprecherausgang, der nur über ein Klemmenpaar pro Kanal verfügt, also keine unterschiedlichen Trafoabgriffe zur Anpassung an die Lautsprecherimpedanz anbietet. Geiz kann es eigentlich nicht sein. Denn Unison wickelt die Trafos im eigenen Haus und hat sich bei den Übertragern des Simply 845 sogar ganz besonders ins Zeug gelegt: hauchdünne Mylar-Isolierschichten sollen den Aufbau noch kompakter machen, parasitäre Kapazitäten damit verringern und die Effizienz des Umspanners erhöhen. Die angegebene Leistungsbandbreite von 20-50000 Hertz mit Schwankungen deutlich unter einem dB, unterstreicht den hohen Entwicklungsstand dieser Kupfer- und Weicheisen-Kunstwerke. Ausgelegt sind die Übertrager für sechs Ohm Lastimpedanz.

Was bei meinen Tannoy Eaton zufällig perfekt passt. Hochohmigere Boxen stellen meist ohnehin kein Problem dar. Aber für einen 4Ω-Lautsprecher, womöglich noch mit starken Schwankungen im Impedanzverlauf, würde man sich vielleicht doch einen „4Ω“-Abgriff wünschen. Auch wenn er dann vielleicht kaum verwendet wird. Bei der üblichen 4Ω- und 8Ω-Wahlmöglichkeit gab es in der Vergangenheit schon mal Amps und Boxen, die mit den 4Ω-Klemmen am besten klangen. Aber auch da war die Entscheidung meist knapp. Hier scheint die Message zu sein „was willst du mit unserem edlen Verstärker, wenn du dann eine niederohmige Gauder oder B&W daran anschließt?“ Vielleicht auch garniert mit einem Verweis auf die hauseigenen Hybrid-Amps der Unico-Serie, deren extrem bullige Endstufen zur Not auch eine Federkernmatratze zum Spielen bringen.

Hörtest

Tatsächlich gibt es heute mehr als genug Lautsprecher, die den Ansprüchen des Simply 845 gerecht werden. Die sind zudem gar nicht so superstreng, weil 845er eben schon selbst etwas mehr Strom liefern können als kleinere Röhren im strengen Single-Ended-Geschirr. Und weil Unison ganz offensichtlich Ausgangsübertrager wickeln kann, die die Stärken dieses Konzepts nicht nur ergänzen, sondern kongenial ausreizen. So klingt es, wenn man Single Ended Sound auf 11 dreht: Da steht Lana Del Rey auf „Lust For Life“ vom gleichnamigen Album halb rechts leicht vor der Lautsprecherebene, Gast The Weeknd bekommt seinen eigenen Bereich, als gäbe es für ihn eine eigene Anlage. Fantastisch tief und plastisch gestaffelt die vielen Layer der Produktion. Oder wie Lanas Stimme auf „Cherry“ in zahllosen über- und nebeneinander gelegten Aufnahmeperspektiven in eine Art fiebrigen Rausch taumelt: fast cineastisch, diese Produktion, als hätte das Album eigentlich ein Film werden sollen. Mit dem Unison gibt’s dann auch die feuchten Augen dazu.

Stimmen sind eine große Stärke des Simply 845 – aber eben nicht nur die. Billie Eilish etwa singt „I Didn’t Change My Number“ zum Greifen nah und in allen Artikulationsdetails perfekt ausgeformt. Aber der Unison zoomt nicht einfach nur die Stimme heraus. Das machen weniger kompetente Röhrenamps häufig, und auch das macht schon Spaß. Hier lebt die Stimme aber in einem stabilen, in Breite und Tiefe sauber abgezirkelten Raum, der auch den Beats und Instrumenten definierte Plätze gibt. Und der dieses Klanggewebe dann noch so locker und luftig hinbekommt, dass man durch die Maschen hindurch hören kann.

OK, nah mikrofonierte Stimme: Nicht überraschend, dass das gut geht. Also habe ich Platten rausgesucht, die nicht so komfortabel wiederzugeben sind, dafür umso reichere Erträge bringen, wenn alles klappt. „Double, Double You“ (ECM 1262, Testpressung 1984) vom Trompeter Kenny Wheeler etwa. Hier in Allstar-Quintett-Besetzung mit David Holland / Jack DeJohnette (Bass / Drums) sowie John Taylor und Mike Brecker (Piano / Sax). Abgespielt auf dem ebenfalls gerade zum Test angekommenen Acoustic Signature Tornado Neo mit dem Tonarm TA1000 in der Zwölfzoll-Variante. Auf dem Spieler sind beide Längen montiert. Mit dem MC-Tonabnehmer MCX4 und dieser Platte zog ich tatsächlich den Zwölfer vor, der etwas runder und bei dem rücksichtlos hoch ausgesteuerten Piano-Solo gegen Ende der Seite auch noch eine Spur sauberer klingt. Über den Unison und meine Tannoys klingt’s aber letztlich mit jedem Arm spektakulär gut. Mit knallharten, glänzend perlenden Pianoanschlägen, federnden Drums und feuerspeienden Blasinstrumenten, die man nicht entnervt leiser, sondern begeistert lauter drehen will. Eines der vielen Highlights der analogen ECM-Ära.

Kenny Wheeler & Co: Double, Double You
Aus der großen ECM-Zeit: „Double, Double You“ (ECM 1262)

Was nicht heißen soll, dass die digitalen Produktionen bald darauf schlechter gewesen wären. Etwa das Doppelalbum „Still Live“ des Keith Jarrett Trio aus dem Jahr 1988 (ECM 1360/61): Musikalisch atemberaubend, technisch am Limit dessen, was Vinyl an Dynamik und Klangfarbenvielfalt transportieren kann. Und überraschenderweise – weil es eben kein gepflegter Bar-Jazz ist, sondern dichte, strukturreiche Musik – eine jener Platten, mit denen der Simply 845 konventionell arbeitende Verstärker nicht nur deutlich hinter sich lässt, sondern fast schon vernichtet.

Das hat nichts mit hell oder dunkel, mit etwas mehr oder weniger Bums im Bass zu tun. Sondern mit der Fähigkeit, separate Schallereignisse auch als solche wiederzugeben. Das können die einzelnen Töne eines Pianoakkords sein, Jack De Johnettes unterschiedliche Schlagzeug-Toms oder (bei anderen Platten) Lead- und Backingvocals: Mit dem Unison liegen alle Komponenten greifbar im Raum, ohne jedoch auseinanderzufallen. Im Gegenteil: Nicht nur einzelne Töne klingen ungewöhnlich rein und in der Tonhöhe definiert. Sondern sie vermischen sich da, wo sie aufeinandertreffen, konstruktiver, mit klarer Harmonie und natürlichen Schwebungen.

Dass der Simply 845 harte Breakbeats ein wenig aufweicht – geschenkt. Ich höre den Amp schließlich noch nicht einmal mit einem wirkungsgradstarken Standlautsprecher, sondern mit einer ordentlich effizienten, aber keineswegs anspruchslosen Zehnzoll-Tannoy im Monitorgehäuse. An meinem Lieblingsbreitbänder Heco Direkt Einklang, der einige dB mehr Wirkungsgrad und eine nahezu brettlineare Impedanz mitbringt, brennt dafür umso schneller die Bude: Die Kombi ist nicht mehr einfach nur dynamisch, sondern geradezu hinterhältig. Und dennoch tonal absolut stimmig, zumindest so weit das die – stark richtende und somit positionsabhängige – Heco erlaubt. Leistungsmäßig würde mir der Simply 845 an Lautsprechern mit über 90dB Wirkungsgrad völlig ausreichen. Und ich höre laut. Große Räume und sehr hohe Pegel brauchen entsprechend größere, effizientere Lautsprecher. In der Praxis aber, da würde ich wetten, stellt sich diese Frage nur selten.

Und im Vergleich zu den doppelt so starken Amps auf Basis der 805er-Röhre? Klar: die haben mörderisch Power und zeigen das auch gerne. Besonders der glutäugige Musikdrache von Line Magnetic. Der allerdings auch deutlich mehr Hitze in den Hörraum abstrahlt und nicht so edel und kultiviert wie der Unison, sondern eher extrovertiert abgestimmt ist.

Line Magnetic LM-805IA Test Aufmacherbild
Der Line Magnetics LM-805IA ist ein höchst ungewöhnlicher Röhrenverstärker: 42 Kilo schwer und 48 Watt pro Kanal in Triodenschaltung. Ein klanglicher Überflieger für 5.000 Euro (Foto: Line Magnetics)

Klanglich zwischen diesen Polen liegt der Cayin CS-805A, der etwas eleganter klingt als der Line Magnetic, aber dennoch diesen energischen, frischen Ton mitbringt, der vielleicht doch auch eine Charakteristik der 805 ist. Der Unison bringt etwas mildere Tonalität, die mir bei längerem Hören tatsächlich die dokumentarischere, authentischere zu sein scheint: Ein wunderbar ausgewogener, in sich ruhender Musik-Charakter, der sich gerade dadurch maximalen Spielraum in alle Richtungen offenhält.

Dass die chinesischen Amps billiger sind, ist nicht überraschend. Unison baut seine Verstärker komplett in Italien im Manufaktur-Maßstab. Da produziert ein halbstaatlicher chinesischer Großbetrieb wie Cayin natürlich zu anderen Konditionen. Aber genau wie der Unison klingt dann eben doch weder der Line Magnetic noch der Cayin. Dafür klingt der Unison genau wie ein Unison: hoch kultiviert, im ganz positiven Sinn kunstvoll, stilvoll und unaufdringlich. Wer den idealen Lautsprecher findet, kommt diesem Klangideal schon mit dem Simply Italy sehr nah. Der Simply 845 bringt seinen Besitzer noch etwas weiter, mit viel größerer Freiheit bei den Lautsprechern. Eindrucksvoll unkompliziert für Vertreter einer notorisch zickigen Verstärkergattung sind sie beide. Das „Simply“ im Namen hat also wohl doch auch programmatische Bedeutung.

Fazit Unison Simply 845

Wenn man beim Quellenwechsel den Röhrenkäfig abnehmen muss, um den Wahlschalter zu erreichen, ist eine Portion Humor sicher hilfreich. Die Praxisnote spiegelt aber auch wider, dass der Simply 845 in der Planung der Anlage schon eine gewisse Umsicht erfordert: Er hat nur begrenzt Leistung und spielt am besten an höheren und linearen Impedanzen. Andererseits reagiert er viel gutmütiger als viele andere Eintakt-Trioden, wenn diese Forderungen nicht 100-prozentig erfüllt sind. Klare, weite Räume, magische Stimmen und Klangfarben und eine gar nicht zimperliche Dynamik sind die reiche Belohnung für jeden, der sich das bisschen Extramühe gibt.

Unison Research Simply 845
2023/07
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Klingt klar und natürlich, mit sanfter, aber bestimmter Auflösung
Für Triodenverhältnisse kräftig und gutmütig, dadurch recht leicht kombinierbar
Unverwechselbar italienisches Design, schöne, solide Verarbeitung
Steckbarer Schutzkäfig blockiert Zugang zum Quellenschalter

Vertrieb:
TAD Audio Vertriebs GmbH
Rosenheimer Straße 33
83229 Aschau
www.tad-audiovertrieb.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Unison Research Simply 845: 8.900 Euro

Die technischen Daten

unison research simply 845
Technisches Konzept:Röhren-Vollverstärker: Class-A, Single-ended
Bestückung:4 x ECC82 und 2 x 845 Röhren, paarweise selektiert
Leistung:2 x 23 Watt
Gegenkopplung:14 dB
Eingänge:4 x Hochpegel
Ausgänge:
Tape Rec und Subwoofer
Abmessungen (B x H x T):37,0 x 26,0 x 57,0 cm
Gewicht:30,5 Kilo
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Röhrenvollverstärker Cayin CS-805A: der Gentleman
Test Line Magnetic LM-805IA: Röhren-Amp mit 300B-Vorstufe

Mehr von Unison Research:

Unison Research Familientest: die kleinen Röhren-Amps

Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.