Als ich vor einigen Monaten den Line Magnetic LM-34IA testete, machte dieser herrlich seidig und kräftig musizierende Verstärker sofort Lust auf eines der größeren Modelle des Herstellers: Wenn man für 1.800 Euro schon so einen prachtvollen Amp bekommen konnte, was würden die Entwickler dann erst für fast 5.000 Euro auftischen? Die Antwort beeindruckt: 48 Single-Ended-Watt pro Kanal, 42 Kilo Eisen und Kupfer vereint der Line Magnetic LM-805IA unter seiner Haube. Und einen Klang, der lange in Erinnerung bleibt…
Line Magnetic, 2005 gegründet in Zhuhai, wo der Fluss Zhujiang ins südchinesische Meer mündet, kann aus dem Vollen schöpfen: Die Firma ist einer der weltgrößten Röhrenverstärker-Produzenten und muss außer nackten Röhren und Elektronik-Bauteilen nichts zukaufen. Vieles, was hier gebaut wird, trägt später klangvolle japanische, amerikanische oder europäische Markennamen. Was Firmengründer und Chefentwickler Zheng Cai aber unter Line Magnetic auf den Markt bringt, trägt eine unverkennbar eigene Handschrift, mit ebenso unübersehbaren historischen Vorbildern: Zheng ist Fan der gewaltigen Western-Electric-Hornlautsprecher aus den USA der Vorkriegszeit, sowie der zugehörigen Verstärker. Und er baut für ganz kompromisslose Kunden exakte Repliken sowohl jener kinderzimmergroßen Hörner als auch der mächtigen Röhren-Apparaturen, die aussehen, als könnte man damit Frankensteins Monster nicht nur zum Leben erwecken, sondern gleich zum Tanzen bringen.
CE-Prüfer bekommen angesichts dieser mannshohen Hochspannungs-Musikreaktoren mit exponierten Röhren im Maßkrug-Format nervöse Zuckungen. Das in der EU offiziell verfügbare Line-Magnetic-Portfolio endet daher aktuell beim LM-845IA Premium für knapp 10.000 Euro. Eine Stufe darunter gibt es gleich zwei Angebote für etwas unter 5.000 Euro: Der LM-150IA kommt mit modernen KT150-Tetroden, die als Gegentakt-Paar wuchtige 100 Watt pro Kanal stemmen. Damit lassen sich auch recht unempfindliche Lautsprecher, etwa Dynaudios oder kompakte B&W, mit voller Dynamik betreiben. Meine Tannoy-Monitore und der recht kleine Hörraum brauchen derartige Leistungen nicht. Also habe ich mein virtuelles Test-Budget nicht in maximale Power investiert, sondern in Verfeinerung, Reduktion und Geradlinigkeit, in das schlichteste und älteste Schaltungskonzept, mit dem man überhaupt Musik verstärken kann – und dessen wahrhaft prachtvolle Umsetzung in Form des Line Magnetic LM-805IA.
Das Konzept des Line Magnetic LM-805IA
Was für ein Verstärker! Dem frischgebackenen Besitzer wird schon bei der Lieferung klar, dass er die Dimension normaler Hobby-Verwirklichung damit nun endgültig verlassen hat: Der LM-805IA reist per Spedition an, auf einer Einwegpalette (die stets gelegen kommt, um die HiFi-Kartonstapel im Keller ein Stück vom Boden und der dort drohenden Feuchtigkeit wegzubekommen). Und dann, nachdem man den Durchschlag der Versandpapiere in die Tasche gesteckt und den Dachser-Fahrer jovial verabschiedet hat, kommt der Moment, wo man einen starken Freund braucht. Denn selbst ohne Palette wiegt die Lieferung im Line-Magnetic-Doppelkarton immer noch einen knappen Zentner und ist so sperrig, dass man sie auch mit langen Armen nicht sinnvoll umfassen kann.
Beim Auspacken wird‘s nicht leichter: Nun wollen 42 Kilo Verstärker aus den Tiefen des Kartons nach oben herausgehoben werden, und mangels Papp- und Schaumstoff-Knautschzone darf nun auch kein Fehler mehr passieren. Es ist ein ganz besonderer Moment, in dem die ersten optischen Eindrücke des aus seiner Flanell-Kratzschutz-Husse befreiten Verstärkers auf höchste Konzentration, körperliche Anstrengung und die leichte Gesamt-Absurdität der Situation prallen – ich konnte nicht anders als irre vor mich hinzukichern, als ich den Line Magnetic langsam auf mein Tabula-Rasa-Lowboard absenkte. Zum Glück ist das Möbel aus massiven deutschen Hartholzplanken geschreinert und so stabil, dass man neben den Line Magnetic ganz entspannt auch noch den 70 Kilo schweren Burmester-Plattenspieler stellen kann, ohne dass sich irgendwas merklich durchbiegt.

Was für ein Technik-Monument! Wo normale Verstärker eine Frontplatten-Fassade präsentieren, zieht der LM-805IA gleich eine ganze Skyline aus Stahl, Aluminium, Glas und tiefschwarzem, wie flüssig wirkendem Lack hoch. Röhren sehen ja immer sehr hübsch aus mit ihren Glaskolben und dem geheimnisvoll glimmenden Innenleben. Aber normale Leistungsröhren sind Zwerge gegen die direktgeheizten Leistungstrioden des Typs 805A, die wie gleißend helle Leuchttürme alle anderen Glaskolben überragen und überstrahlen. Das ungewöhnlich helle Leuchten entstammt einer Kathode aus Wolframdraht, dem eine dünne Schicht Thorium zu besonders bereitwilliger Elektronen- und eben auch Photonen-Emission verhilft. Wobei ersteres für die Funktion der Röhre entscheidend, letzteres eher ein Nebeneffekt ist, der zum größten Teil von den mächtigen Graphit-Anoden abgeschirmt wird, die die Kathoden umgeben.
Die 805 ist eine Röhre für Erwachsene mit ebensolchen Leistungsdaten: Ursprünglich – in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – wurde sie als Hochfrequenz-Senderöhre konstruiert und war in dieser Funktion für mehrere hundert Watt gut. Für Audioanwendungen kam später die Variante 805A hinzu, bei der die Anodenspannung nicht wie bei der Ur-805 von oben über eine Anodenkappe zugeführt wird, sondern über einen der vier dicken Sockel-Pins. Was natürlich aufgeräumter aussieht und den zusätzlichen Sicherheitsvorteil bietet, dass die Anodenspannung nicht über eine lose Leitung ans obere Ende der Röhre geführt werden muss – angesichts von definitiv tödlichen 1.250 Volt plate voltage klar die sympathischere Lösung.

Im LM-805IA wird die 805A nach alter Väter Sitte im notorisch ineffizienten Eintakt- oder „Single Ended Class A“-Modus verwendet. Wie in den allerersten Audioverstärkern vor 100 Jahren kümmert sich dabei jeweils eine einzige Triode um das gesamte Audiosignal. Sie muss dazu ständig unter vollem Ruhestrom stehen, das „Class A“ ist also redundant, da Eintaktbetrieb nur so funktioniert. Die Ausgangsübertrager, die das von den Röhren abgegebene Hochspannungs-Geschehen in die von hohen Strömen und geringen Spannungen beherrschte Lautsprecherwelt übersetzen, stehen bei diesem Schaltungsprinzip unter hoher Dauerlast und müssen sehr groß dimensioniert werden, um nicht in Sättigung zu geraten. Das gilt umso mehr bei Großröhren wie der 805, die als Eintakt-Einzelkämpfer im Line Magnetic LM-805IA immer noch gesunde 48 Watt abgeben soll: Die drei kapitalen Trafoklötze auf dem hinteren Teil des Chassis sind für diese Anforderungen keineswegs übertrieben dimensioniert, und sowohl der zentrale Netztrafo als auch die beiden ihn flankierenden Ausgangsübertrager werden im Betrieb richtig warm.
48 Watt pro Kanal – das ist in der Single-Ended-Welt schon fast obszön viel, wenn man bedenkt, dass die populäre Uralt-Triode 300B in einer vergleichbaren Schaltung gerade mal 10 Watt liefert, die EL34 nicht mehr und die bullige 845 auch nur 20 bis 25 Watt. Wobei ein Paar 300B beim 805IA auch mit von der Partie ist – als Treiber der dicken Endröhren. Hier erkennt man einen kleinen Nachteil der 805: Es reicht nicht, ihre Steuergitter lediglich mit etwas Spannung zu kitzeln. Es muss bereits in der Ansteuerung auch Strom fließen, was Treiber erfordert, die ihrerseits schon Endstufen-Qualitäten haben und eigene Vortreiber brauchen. So versammeln sich auf dem Röhrendeck des LM-805IA insgesamt: eine Doppeltriode 6SL7, zwei Doppeltrioden 6SN7, zwei 300B und schließlich zwei 805A. Die 300B und 805 tragen das Line-Magnetic-Logo und werden in China bei Shuguang produziert, die drei Doppeltrioden stammen von JJ und Electro-Harmonix, also aus der Slowakei und Russland.

Die Früchte der geringfügig höheren Komplexität ernten vor allem Besitzer nur moderat wirkungsgradstarker Lautsprecher, die also nicht die dreistelligen Effizienz-Zahlen ausgewachsener Hornsysteme vorweisen können: Mit über 40 Watt pro Kanal lassen sich auch ganz normale Boxen bereits adäquat in Wallung bringen. Zumal der Signalweg des innerlich picobello freiverdrahteten 805iA immer noch von berückender Einfachheit und grandioser Dimensionierung geprägt ist: Kein verwinkeltes Gassengewirr, sondern eine Prunk- und Paradestrecke für Elektronen, wie sie im richtigen Leben allenfalls kommunistische Regimes zustande bringen.
Die Ausstattung des Line Magnetic umfasst das Nötigste: Drei Line-Eingänge und eine Direkt-Pforte, über die man die Endstufensektion des Verstärkers mit einem separaten Preamp erreichen kann, nehmen Signale entgegen. Ausgewählt werden sie mit einem satt rastenden Drehschalter und nur direkt am Gerät, denn die schöne Vollmetall-Fernbedienung kennt nur Lautstärke und Mute.

Für die Lautsprecher gibt es pro Kanal vier bananentaugliche Schraubklemmen: jeweils einmal Minus sowie drei Plus-Anschlüsse für verschiedene Impedanzen. 4, 8 und 16 Ohm lauten die Optionen, wobei die Auswahl nicht stur übers Lautsprecher-Typenschild, sondern gehörmäßig erfolgen sollte. Denn nicht immer – oder besser: fast nie – sind Lautsprecher wirklich so hochohmig, wie sie in ihren technischen Daten vorgeben.

Fürs elektrotechnische Housekeeping gibt es zwei Drehspulinstrumente mit abschaltbarer Beleuchtung und umschaltbarer Funktion. Sie können als Leistungsanzeige im Takt der Musik wackeln oder den Endstufen-Ruhestrom anzeigen, den man an zwei Trimmpotis neben den Röhrensockeln nachjustiert. Was im Lauf der Test-Wochen freilich nicht nötig war, da die Werte beider Kanäle punktgenau stimmten und sich auch nicht veränderten. Ein weiteres Trimmpoti-Paar dient dem Brummabgleich der wechselstrombeheizten Endröhren. Auch hier war kein Eingriff nötig. Ein ganz leichter Restbrumm im linken Kanal verschwand nach ein paar Betriebsstunden von selbst und tauchte auch nicht wieder auf.

Weil es sich bei normalen Mehrwege-Lautsprechern um elektrische Netzwerke aus Spulen, Kondensatoren und Widerständen handelt, ist ihre Impedanz frequenzabhängig und enthält komplexe Anteile, die dem Verstärker erheblich mehr Mühe machen als ein einfacher, bei typischen Leistungsmessungen verwendeter Lastwiderstand. Es kommt dabei zu einem hör- und messbaren Einfluss des Impedanzverlaufs auf den Frequenzgang des Verstärkers – ein Impedanz-Dip etwa von 8 auf 4Ω irgendwo im Grundtonbereich kann bei einem typischen Röhrenamp an dieser Stelle auch die Ausgangsspannung um mehrere Dezibel durchhängen lassen. Was dann sehr deutlich hörbar wäre, und was die ausgeprägte Synergie bestimmter Röhrenamps mit bestimmten Lautsprechern erklärt.
Der passende Lautsprecher
Anzustreben ist also ein möglichst linearer Impedanzverlauf, wobei verbleibende Welligkeiten sich umso weniger auswirken, je hochohmiger der Lausprecher im Mittel ist. Konsequent zu Ende gedacht, kommt man bei einem 16Ω-Breitbänder in einem Hochwirkungsgrad-Horngehäuse heraus, an dem dann tatsächlich auch der dünnhäutigste Röhrenamp vollkommen linear arbeiten kann – oder bei einem Mehrwegerich mit welliger Impedanz, deren zu erwartender Frequenzgangeinfluss aber bereits in der Abstimmung berücksichtigt wurde. Was dann aber nur mit einem ganz bestimmten Amp genau passt, dessen Ausgangswiderstand genau dem beim Voicing des Lautsprechers verwendeten entspricht.

Reale Lautsprecher bewegen sich meist weitab von solchen Utopien. Dann muss man ausprobieren und selbst hören, ob die Kombination harmoniert. Mit dem Line Magnetic LM-805IA stehen die Chancen aber gut – besser als mit den meisten seiner Eintakt-Kollegen. Und das hat mehrere Gründe: Erstens hilft dem Line Magnetic seine ungewöhnlich hohe Leistung. Er spielt noch sauber und klar, wenn typische 10-Watt-Vertreter sich bereits ins Clipping verabschiedet haben. Zweitens sorgen seine Riesen-Trioden und die mächtigen Ausgangstrafos für eine spürbare Portion Dämpfungsfaktor. Das reduziert die Auswirkungen der Lautsprecher-Impedanz auf den Frequenzgang, erhöht also gewissermaßen die Sozialkompetenz des Südchinesen. Und drittens bietet der Line Magnetic neben seinen drei unterschiedlichen Übertrager-Abgriffen eine weitere, sehr wirksame Anpassungsmöglichkeit: Einen „NFB“ beschrifteten Drehschalter, mit dem man die Über-Alles-Gegenkopplung des Verstärkers (Negative FeedBack) in vier Stufen verändern kann.
Die Gegenkopplung
Die Über-Alles-Gegenkopplung verwendet eine Portion des Ausgangssignals und mischt sie mit umgekehrtem Vorzeichen dem Eingangssignal bei. Im Idealfall reduziert diese Maßnahme nicht nur Verzerrungen, sondern auch den Ausgangswiderstand eines Verstärkers und erhöht damit seine Kompatibilität zu schwankenden Lastimpedanzen. In ihrer realen Umsetzung reduziert die Über-Alles-Gegenkopplung aber leider auch erwünschte Signalanteile, vor allem Hochton-Details, Plastizität, Raum, Atem und Leben. Mit dem NFB-Schalter am Line Magnetic kann man das wunderbar ausprobieren und das Berührende, Unmittelbare der Musik regelrecht an- und ausschalten.
An meiner Tannoy Eaton, einem nicht ganz anspruchslosen 25er-Koax mit kompaktem Gehäuse und knapp 90dB Wirkungsgrad, brachte zumindest der erste Schritt von Stellung „1“ nach „2“ noch eine Verbesserung: Der Bass wurde straffer und definierter, die tonale Balance entspannter und sanfter. Die Abbildung wich einen Schritt zurück, trat aber nach wie vor wunderbar selbstverständlich aus der Boxenebene hervor.
Nach einigem Hin und Her scheint mir „2“ das Optimum an der Tannoy zu sein. Erhöht man auf „3“, beginnt das Leben aus dem Klang zu entweichen, ohne dass man dafür mit irgendeiner Gegenleistung entschädigt wird. Bei anderen Boxen kann dieser Punkt schon früher oder erst später erreicht sein; wo das Optimum liegt, ist zudem davon abhängig, welche der drei Übertrager-Zapfungen man nutzt. Unterm Strich gibt es also für jede gegebene Box eine gute Handvoll Kombinationen zu probieren, was aber erstaunlich schnell erledigt ist. Denn wir reden hier nicht von Nuancen: Der Klang des LM-805IA ist so unzweideutig, klar und vollständig, dass auch der Einfluss der Gegenkopplung sich nicht schemenhaft, sondern fast greifbar manifestiert. Stellung „1“ bedeutet übrigens überhaupt keine Gegenkopplung, was sich zum Beispiel mit meinen Heco-Breitbändern Direkt Einklang als ideal erwies. „2“ fügt circa 3 dB hinzu, die folgenden Schritte sind gefühlt eher noch etwas kleiner. Man kann das gehörmäßig abschätzen, weil die Gegenkopplung das Gesamtsignal um den verwendeten dB-Anteil leiser macht – was ich bei meinen Vergleichen natürlich per Lautstärkeregler kompensiert habe.
Der Line Magnetic LM-805IA im Hörtest
Nachdem ich so lange mit dem kleinen Bruder LM-34 iA, dem hochgeschätzten Croft Integrated und einigen richtig teuren Röhren (die hier ungenannt bleiben sollen) gehört hatte, traf mich der Klang des Line Magnetic LM-805IA wie ein Donnerschlag. Und zwar im Wortsinn: Die Bassdynamik und -definition des frisch ausgepackten Verstärkers war verblüffend. Da fließt bei Scout Nibletts Schlagzeug richtig Strom durch die Tannoy-Schwingspulen, das Bassdrum-Fell kriegt mächtige Beulen und die Snare knallt so schön, dass man bei jedem Schlag lachen möchte. Das Album Kidnapped By Neptune ist kein manieriertes Audiophil-Lala, sondern eine rohe, nicht immer harmonische Performance einer manchmal ziemlich kauzigen Drummerin und Songwriterin, mit nur sporadischer Unterstützung durch Gitarre und Bass. Ein phantastisches Album, das sich anfühlt wie live im Proberaum, kongenial aufgenommen von Steve Albini, Half-Speed-gemastert von Stan Ricker und erschienen auf dem Indie-Label Too Pure. Nur falls man mal wieder ratlos vor Discogs sitzt und was Lässiges, zugleich klanglich Spektakuläres sucht.

Letztlich ist es aber egal, ob dunkel-hallig aufgenommener Post-Punk läuft (die genialen Preoccupations auf der gleichnamigen LP von 2016), klassischer Retro-Jazz (Abbey Lincoln Abbey Is Blue, 1959), das unverwechselbare Rock-Songwriting des Trail-Of-Dead-Masterminds Conrad Keely (Original Machines, 2016) oder Joanna Newsoms von Van Dyke Parks opulent arrangierte Kammerfolk-Epen (Ys, 2006): Der Line Magnetic verleiht jeder Art von Musik eine Größe, Intensität und energiegeladene Präsenz, die berührt und mitreißt. Neben dem knorrigen, Eintakt-untypisch straff strukturierten Bass ist es vor allem der Mittelton, den man bei anderen Amps nicht mehr so recht akzeptieren will, wenn man ihn einmal über den 805 gehört hat: Farbenreichtum, feinste dynamische Differenzierung etwa bei Gesangsstimmen und eine starke, feste Körperhaftigkeit finden hier mühelos zusammen.
Der Line Magnetic LM-805IA kann auch laut spielen – nahezu unbeschränkt, solange die Boxen einen Rest von Wirkungsgrad aufweisen – und auch bei hohen Pegeln beeindruckend impulsiv. Und das ist zumindest mir auch extrem wichtig. Wenn man etwa Manos von den Spinanes aufdreht, dann muss der Gitarrenverstärker richtig drücken, sein reiches Verzerrungsspektrum sollte aber nicht noch von der Anlage ergänzt werden. Das genau leistet der Line Magnetic, der Rebecca Gates‘ Gesang luftig und fein, ohne die geringste Spur von Stress vor eine Wand aus herrlichem, flammend intensivem Gitarrenkrawall stellt. Den übrigens auch Gates spielt. Außer ihr ist nur noch Scott Plouf zu hören, der staubtrocken aufgenommene Drums beisteuert. Wie bei vielen Indie-Preziosen aus den Neunzigerjahren hat auch hier Günter Pauler von Stockfisch mit einem hochdynamischen Vinylmastering entscheidend dazu beigetragen, diese Platte zu einem audiophilen Rohdiamanten zu machen – für Leute, die auch mal was anderes als akustisches Dideldum hören wollen.
Wenn die Box nicht harmoniert, kann der Mittelton allerdings auch überexponiert wirken – verantwortlich dafür ist meist eine Grundtonsenke im Impedanzverlauf, die sich im Zusammenspiel mit dem Amp dann dem Frequenzgang aufprägt. Die vergleichsweise hohe Leistung des 805 ist also kein Freibrief für Beliebigkeit bei der Boxenauswahl: Wir haben es immer noch mit einem kapriziösen, eher dämpfungsschwachen Verstärker zu tun, der mit Bedacht kombiniert werden will. Wer einen Amp sucht, der unterschiedslos jeden Lautsprecher wegfrühstückt, den man ihm vorsetzt, und der dabei immer gleich performt, kann es ja mit einer dicken, stark gegengekoppelten Transistor-Vor-Endstufenkombi versuchen, die man für das Geld sicher auch findet. So musikalisch ergreifend und real wie mit dem Line Magnetic kann man damit aber nicht hören. Man steht also – etwas zugespitzt formuliert – vor der Wahl zwischen Intensität, Drama und Lebendigkeit auf der einen und Risikoarmut, Bequemlichkeit und Ökonomie auf der anderen Seite. Keine Frage, über die ein Rock-‘n‘-Roller lange nachdenken muss.
Aber wo steht der LM-805iA insgesamt? Glücklicherweise haben wir immer noch den Cayin CS-150A in der Redaktion – ein von Gewicht und Anspruch ernsthafter Fressfeind des Line Magnetic. An einer Dynaudio Contour 20i beispielsweise ist der etwas heller klingende und deutlich kräftigere Cayin der bessere, weil auch der dynamischere Amp. Das dürfte für viele “klassische” HiFi-Boxen gelten, die mit mäßigem bis schlechtem Wirkungsgrad daherkommen. Die hat der Cayin einfach besser im Griff. Das Blatt wendet sich nicht erst bei typischen Röhren-Lautsprechern, sondern bereits bei einer ganz normalen, nicht impedanzlinearisierten Box mittleren Wirkungsgrads. Dann liegt der LM-805iA mit seiner unglaublichen Intensität und Farbkraft vorn. Diese Art von Klang möchte man schon nach kurzer Zeit nicht mehr missen…
Fazit:
Je mehr man mit Verstärkern unterschiedlichster Bauformen experimentiert, desto weniger will man auf die charakteristischen Stärken der wohl archaischsten Amp-Erscheinungsform verzichten: Single-Ended-Amps fordern sorgfältige Boxenwahl, belohnen dafür aber mit einem Klang von beispielloser Reinheit und Intensität. Im Line Magnetic LM-805IA fließen diese Single-Ended-Qualitäten mit einer ungewöhnlich hohen Leistung zusammen. Er ist ein wirklich unwiderstehlicher, in der Praxis relativ pflegeleichter Vertreter seiner Art. Oder anders gesagt: Musikhören mit dem LM-805IA verhält sich zu normalem HiFi wie der Ritt auf einem Drachen zum öffentlichen Nahverkehr.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Fabelhaft klarer, luzider Klang mit packender Dynamik |
| Über Pre-In auch als reine Endstufe verwendbar |
| Gegenkopplung anpassbar |
| Erfordert wie alle Trioden-Amps sorgfältige Lautsprecherauswahl |
Vertrieb:
IAD GmbH
Johann-Georg-Halske-Strasse 11
41352 Korschenbroich
www.audiolust.de
Preis:
Line Magnetice LM-805IA: 4.990 Euro
Technische Daten
Line Magnetic LM-805IA | |
---|---|
Konzept: | Röhrenvollverstärker in Single-Ended Class A |
Bestückung: | Eingangsstufe 2x 6SL7 – 2x 6SNZ, Treiberstufe: 2 x 3000B, Leistungsstufe: 2 x 805A |
Lautsprecher Impedanzabgriffe: | 4/8/16 Ω |
Leistung: | 2 x 48 Watt |
Gewicht: | 42,0 Kilo |
Abmessungen (B x H xT): | 43,0 x 27,5 x 41,5 cm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Erster Test Dynaudio Contour 20i: die Messlatte noch höher gelegt
Test Heco Direkt Einklang – Breitbänder zum Verlieben
Test Vollverstärker Cayin CS-150A: 2 x 100 Röhrenwatt
Mehr von Line Magnetic:
Test Röhren-Vollverstärker Line Magnetic LM-34iA
Elektromagnet Hochtöner: Line Magnetics 597