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Vertere Sabre in Linn LP12
Vertere hat mit dem Sabre einen höchst ambitionierten MM-Tonabnehmer am Markt, der allerdings auch einiges kostet: 1.150 Euro (Foto: B. Rietschel)

Test Tonabnehmer Vertere Sabre: MM mal anders

HiFi wird spannend, wenn es vorgefasste Meinungen in Frage stellt. Touraj Moghaddam, Vertere-Gründer, ehemaliger Roksan-Chef und notorischer Nonkonformist, schuf ein ungewöhnlich teures, ungewöhnlich gutes Magnetsystem, das fast nicht mehr nach MM klingt: das Vertere Sabre.

Über ein einzelnes MM-System kann man nicht unendlich viel schreiben. Aber es gibt Ausnahmen: das Vertere Sabre etwa, das der deutsche Vertere-Vertrieb Beat Audio unangemeldet hinter einem anderen Testgerät herschickte: Hä? Ein kleines, leichtes Paket von Beat Audio? Zu klein für einen Plattenspieler und zu leicht für eine Phonostufe. Ich wusste zwar, dass Vertere auch Tonabnehmer macht: Das MC-System Mystic mit seinem bildhübschen, blau eloxierten Alu-Body habe ich sogar schon selbst getestet. Auch das preiswerte MM-System Magneto hatte ich schon gesehen – erkennbar ein Audio-Technica-Derivat, aber mit durchaus eigenständigem Stil und angenehm erdverbundenem Preis.

Vertere Sabre Verpackung
Einfach, aber effektvoll: Die Verpackung des Sabre ohne die umgebende, neutrale Pappschachtel. Der Plexiglasdeckel nimmt den bogenförmigen Ausschnitt wieder auf, der sich an fast allen Vertere-Produkten irgendwo findet (Foto: Vertere)

Was mich nach dem Öffnen dieses Pakets warm-orange anlachte, war das brandneue Sabre – System Nummer drei im Vertere-Kosmos, preislich angesiedelt zwischen Mystic und Magneto. Er ist nicht der teuerste, sicher aber der bislang spannendste Tonabnehmer aus Touraj Moghaddams Werkstatt. Und einer, der neben gutem Klang vielleicht auch Antworten liefern kann. Etwa auf die Frage, wieviel von dem, was wir als typischen MC-Klang empfinden, wirklich aus dem MC-Prinzip resultiert. Und wieviel davon ein Nebeneffekt des mechanisch definierteren Aufbaus ist, den die Moving Coils im Vergleich zu Magnetsystemen meist zeigen.

Das Konzept hinter dem Vertere Sabre

Konstruktives Leitmotiv des Vertere Sabre ist die Vermeidung unnötiger und undefinierter Materialübergänge. Bei einem hochempfindlichen elektromechanischen Vibrationssensor – und nichts anderes ist ein Tonabnehmer – will man keine Stellen haben, wo sich Werkstoffe nur irgendwie halb berühren und mechanische Energie, die eigentlich zu 100 Prozent in Nutzsignal transformiert werden sollte, willkürlich mal in Wärme, mal in Nebengeräusche verwandeln. Typische Tonabnehmer, die aus allen möglichen Teilen zusammengesteckt, -geklebt und -geschraubt werden, tun aber genau das. Im Idealfall verbinden sich die gesammelten Verluste und Verfälschungen, die all die Klebe- und Kontaktstellen, all die verschiedenen Kunststoff- und Metallkomponenten beitragen, zu einem unauffälligen oder gar angenehmen „Charakter“. Zielführender und HiFi-konformer ist es aber, die Problemstellen so weit es geht zu reduzieren.

Vertere Sabre Nadelschutz
Alu massiv: Das Vertere Sabre ist schon auf den ersten Blick kein gewöhnliches MM-System. Das aus dem Vollen gefräste Alugehäuse gemahnt eher an ein richtig teures MC, auch fehlt jeglicher Hinweis auf einen Nadeleinschub. Der Nadelschutz gehört zu den besseren seiner Art. Er hält gut und lässt sich sicher aufsetzen und abnehmen (Foto: Vertere)

Diese Überlegungen brachten Touraj Moghaddam vor vielen Jahren bei seiner einstigen Firma Roksan dazu, einen professionellen Moving-Coil-Generator des deutschen Herstellers EMT komplett aus seinem Rundfunk-Tondosengehäuse zu befreien und ihn mit nur drei Spikes knallhart in einen eigens gefrästen Aluträger einzuspannen. Das Roksan Shiraz war geboren, bis heute ein Dynamikwunder unter den Spitzensystemen – sicher auch wegen der praktisch nicht steigerbaren mechanischen Eindeutigkeit seiner Generatoraufhängung: Die verschwindend kleine Kontaktfläche dreier Punkte – theoretisch null komma null, real vielleicht ein paar Quadrat-Mikrometer – minimiert die klangliche Mitwirkung des Systemkörpers. Und maximiert die Signalausbeute für eine gegebene Rillenauslenkung.

Strukturelle Festigkeit und klare mechanische Verhältnisse – das sind Faktoren, die aus guten Systemen überragende machen können. Das sieht man auch an den extrem geradlinig aufgebauten Lyra-MCs, an den aus Titan im Laserschmelzverfahren 3D-gedruckten Monocoques der ganz großen Ortofons oder dem hochfesten Alu-Chassis eines Linn Krystal. All das sind MC-Systeme, allesamt erheblich bis drastisch teurer als das Vertere Sabre, das zudem nach dem MM-Prinzip arbeitet.

Vertere Sabre in Linn LP12
Hier wackelt nichts, was nicht wackeln soll: Der Linn Ekos (hier ein Exemplar aus der ersten Serie) führt den resonanzarmen Aufbau des Vertere Sabre konsequent fort. Die Kombination klingt supergriffig und dennoch unaufdringlich. Gut sichtbar hier die eingefräste Kante in der Systemoberseite, die bei korrekter Justage exakt mit der vorderen Kante des Linn-Headshells fluchtet (Foto: B. Rietschel)

Bei MMs herrscht gehäuseseitig traditionell mehr Laissez-faire. Das liegt auch daran, dass kaum ein Hersteller von Magnetsystemen bereit ist, seine Abtaster als wirkliche mechanische Einheit zu konstruieren. Eigentlich fällt mir da nur Rega ein. Bei deren hauseigenen MMs Elys, Bias und Exact gibt es wirklich nur einen zentralen Träger, der sowohl die stationären Spulen und Polplatten als auch die elastische Nadelaufhängung beherbergt. Und der dann auch ohne weitere Materialübergänge direkt ans Headshell geschraubt wird. Mit welchem er dann dank Dreipunkt-Befestigung und sehr hohen empfohlenen Anzugsdrehmomenten (die man tunlichst nicht auf andere Systeme übertragen sollte) wiederum zu einer Einheit verschmilzt.

Verloren geht bei dieser radikalen Variante die Austauschbarkeit der Nadel – eine praktische Einschränkung, mit der vermutlich nur Rega beim Kunden durchkommt. Denn MMs werden ja nicht zuletzt auch wegen des Komfort-Vorteils des „user replaceable“ Nadeleinschubs gekauft. Auch wenn dieser gegenüber einem MC-Kompletttausch keine finanziellen Vorteile bringt. Denn prozentual zum Neupreis liegen Ersatznadeln ganz ähnlich wie Tausch-MCs.

Das Vertere Sabre geht einen Sonderweg: es basiert auf einem konventionellen MM-Generator, dessen ursprünglich gesteckte Nadeleinheit zunächst präzise ausgerichtet und dann dauerhaft fixiert wurde. Dabei entfallen auch sämtliche Plastikelemente, die so ein Nadeleinschub normalerweise hat – schon, um ihn handhabbar zu machen. Den kompletten Generator inklusive seines (für brummfreien Betrieb unverzichtbaren) Blechmantels und der Anschluss-Pins pappt Vertere nun aber nicht irgendwie in irgendein Plastik-, Holz- oder sonstiges Gehäuse. Das wäre der Weg, auf dem zahllose andere MMs entstehen: Großserien-Generator samt Nadel, schickes Gehäuse drumherum – zack! Fertig ist das High-End-MM.

Vertere Sabre aufgestellt
Vier Spikes für ein Halleluja: Zwei Paar Edelstahl-Madenschrauben klemmen den MM-Generator eisern im Inneren des Alugehäuses fest. Kontakt haben Gehäuse und Innenleben nur über die Spitzen dieser vier Schrauben (Foto: Vertere)

Vertere nimmt auch einen zugekauften Generator, gibt sich aber mehr Mühe mit dessen mechanisch einwandfreier Befestigung. Die Abtasteinheit stammt vermutlich aus Yokohama in Japan. Dort sitzt ein Spezialbetrieb mit vielen Jahrzehnten Erfahrung im Bau von MMs und MCs. Auch das Topmodell Mystic dürfte dort seinen Ursprung nehmen. In England entsteht dann das wunderschöne eigentliche Gehäuse des Sabre: aus dem vollen Alublock gefräst, fein gebürstet und gesandstrahlt, dann in diesem warmen Orangeton eloxiert und lasergraviert. An beiden Flanken trägt das Gehäuse je zwei M2.5-Gewinde – man ahnt es schon – für jeweils eine Edelstahl-Madenschraube, die vorne spitz zuläuft. Das sind die vier Spikes, mit denen das Sabre-Gehäuse den Generator in seinem Inneren festkrallt wie eine eiserne Jungfrau ihr Opfer.

Das System wirkt von außen wie aus einem Guss, und es fühlt sich beim Einbau und während der Justage auch so an. In Wirklichkeit berührt der Alumantel sein Generator-Innenleben nur an vier Punkten, hält es dort aber fest wie ein Schraubstock. Das gesamte Gebilde ist übrigens nicht größer als ein beliebiges anderes System. Ich habe das Sabre jedenfalls mühelos in einem Linn Ekos aus der ersten Serie montieren können, dessen Headshell für ihr knappes Platzangebot berüchtigt ist. Was in einen Ekos passt, passt überall. Das Gleiche gilt fürs Gewicht: 10,5 Gramm gilt es auszubalancieren. Arme, die das nicht hinkriegen, stammen entweder aus der ULM-Ära und brauchen eh ganz andere Systeme, oder sie taugen einfach nichts und sollten auch nicht mit einem 1000-Euro-System bestückt werden.

Einbau und Montage des Vertere Sabre…

…sind denkbar einfach. Das System bringt integrierte M2.5-Gewinde und einen Satz griffiger Edelstahl-Rändelschrauben mit, die ohne Werkzeug angezogen werden. Mehr Drehmoment, als Besitzer oder Besitzerin zwischen Daumen und Zeigefinger entwickeln können, ist weder sinnvoll noch erwünscht. Denn das System kontaktiert auch die Headshell nicht vollflächig, sondern nur mit drei Höckern, die aus wenig Kraft punktuell schon reichlich Druck erzeugen. Das ist an dieser Stelle nicht unüblich und findet sich auch zum Beispiel an vielen Ortofon-Systemen.

Verere Sabre
Definierte Kontaktfläche: Nur mit drei erhabenen Zonen – zwei rund um die Gewindelöcher, eine vorne in der Mitte – berührt das Sabre das Headshell. Die eingefräste Vertiefung dazwischen hat keine mechanische Aufgabe – sie bietet Platz für die Seriennummer (Foto: Vertere)

Die dicken Rändelschrauben sehen ungewöhnlich aus und wiegen zusammen fast drei Gramm. Oft passt die zusätzliche Masse gut, weil das Sabre mit 10×10-6 cm/dyn eine eher niedrige Compliance hat, armseitig also mittelschwere bis schwere Massenverhältnisse erwartet. Unpraktisch sind die dicken Schrauben bei Headshells mit versenkten Langlöchern, etwa der Original-Technics-Shell, wo das Material um die Löcher herum auch noch von vorn nach hinten dicker wird. Hier würden die Schrauben auf einer schrägen Ebene aufsetzen und müssen folglich gewöhnlichen Inbus- oder Schlitz-Exemplaren weichen. Auch im Ekos passen die gewohnten Edelstahl-Inbusse besser.

In anderen Punkten sind sich die Konstrukteure von Arm und System angenehm einig. So lässt sich das Sabre im Linn-Arm, aber auch zum Beispiel in Roksan- und natürlich Vertere-Armen ohne Schablone montieren, weil die Oberseite des Systems eine eingefräste Stufe genau an der Stelle hat, wo sich gegenüber, am unteren Ende, die Nadel befindet. Da die Ekos-Headshell wiederum so gefräst ist, dass ihre Vorderkante exakt die Nadel-Sollposition bei korrektem Überhang markiert, muss man beim Einbau des Sabre einfach nur Stufe und Kante genau zur Deckung bringen. Fertig.

Gar zu großen Justage-Ehrgeiz kann man sich beim Vertere-MM eh sparen, da das System auf einem relativ rustikalen Abtastdiamanten durch die Rille reitet, der nicht jede Winkelsekunde Fehlstellung gleich mit klanglichem Unbill bestraft. Am Start ist ein elliptischer Schliff, laut Datenblatt mit den Verrundungsradien 7,5 und 15,5µm. Die schrägen Kommawerte dürften aus der Umrechnung aus den in Japan und UK üblichen imperialen Maßeinheiten ins metrische System herrühren und letztlich die millionenfach bewährte „mittelscharfe“ Ellipse mit 8×16µm beschreiben.

Vertere Sabre vorn
Bewährte Technik, behutsam getweakt: Den zweiteiligen Alu-Nadelträger mit gefasstem elliptischem Diamanten findet man sehr ähnlich zum Beispiel auch im Sumiko Moonstone. Am hinteren Ende trägt der Aluminiumschaft einen winzigen Stabmagneten, der beim Sabre aus dem altmodischen Sintermaterial Alnico besteht. Alnico-Magnete sind bei gleicher Größe etwas schwächer als moderne Samarium-Kobalt- oder Neodym-Exemplare (wodurch die Ausgangsspannung etwas sinkt), sollen aber klangliche Vorteile bringen (Foto: Vertere)

Der Nadelträger ist „teleskopisch“ aufgebaut, er besteht aus zwei ineinandergesteckten und verklebten Aluröhrchen, von denen das vordere, dünnere den Diamanten trägt. Letzterer ist wie gesagt in einem winzigen Metallkegel gefasst, was die Verwendung kleinerer Rohdiamanten erlaubt und folglich eine Sparmaßnahme darstellt. Die Massenträgheit der Abtastspitze erhöht sich dadurch etwas im Vergleich zu einem nackten Diamanten. Die Metallfassung erlaubt andererseits eine sehr sichere Presspassung im vorderen Nadelträger-Ende, die praktisch ohne sichernde Klebstoffe auskommt. Tonabnehmer sollte man zwar grundsätzlich mit höchster Vorsicht behandeln – erfahrungsgemäß sind diese etwas kräftigeren Kombinationen, wie wir sie hier vorfinden, aber tatsächlich auch robuster und nehmen kleine Missgeschicke nicht so schnell – im Wortsinn – krumm wie hochgezüchtete Filigran-Leichtbauten.

Weil der Nadeleinschub in seinem Sitz fixiert ist, lässt er sich auch nicht ohne Weiteres austauschen. Die „Ersatznadel“ dürfte folglich den kompletten Generator umfassen, ist aber dennoch erstaunlich günstig: Mit unter 400 Euro steht der Ersatz in der Preisliste. Das ist gerade mal ein Drittel des Systempreises und damit durchaus attraktiv im Vergleich zu den sonst üblichen 75 bis 80%. Eine recht preiswerte Nadel in einem sehr teuren Gehäuse: Vielhörer lieben diese Budgetverteilung, sofern sie auch klanglich aufgeht.

Hörtest

Neue Auflösungsrekorde sind vom Sabre angesichts seiner Nadelbestückung nicht zu erwarten. Auflösung ist aber auch nicht das einzige Ziel, das ein guter Tonabnehmer haben sollte. Zumal das MM-Prinzip, nach dem das Vertere Sabre arbeitet, den Übertragungsbereich bereits ganz unabhängig von der verwendeten Nadel beschneidet: Das Wechselspiel aus Induktivität, Widerstand und Kapazität ergibt bei MMs mit Glück etwas über 20 Kilohertz Bandbreite – wenn alle Parameter an System und Phonoeingang gut zusammenpassen. Gut – mehr kann CD auch nicht. Und mehr hört auch niemand. Was man bei solchen eher runden Nadeln und eher massereichen Nadelträgern dagegen häufig hört, ist etwas weniger Detailreichtum vor allem auf den letzten Zentimetern einer Plattenseite, begleitet von einer leichten Abdunkelung des Klangs. Andererseits habe ich viel mehr unerfreuliche Hörstunden mit Spielern verbracht, deren System zwar superfein auflöste, aber zumindest in der gehörten Kombination damit eigentlich nur Probleme besser beleuchtete, anstatt mehr Groove, Seele und Energie aus den Rillen zu holen.

Das Vertere Sabre geht klanglich den entgegengesetzten Weg. Es ist in seiner Preisklasse vermutlich das System, das am allerwenigsten nach HiFi klingt. Und das ist positiv gemeint: Was fehlt, ist das Künstliche, Kantige, das die Ohren misstrauisch macht und Platten nach Reproduktion klingen lässt. Das Sabre ist ein System, dass man vergisst, sobald es in der Rille einrastet. Dann spielt Musik, wie sie eigentlich sein soll: Unaufdringlich, weich, fließend, mit kraftvoll-sonoren Stimmen, treibenden Rhythmen und glaubhaft holzigen Akustikgitarren.

Vertere Sabre in Linn LP12
Bewährte Technik, behutsam getweakt: Den zweiteiligen Alu-Nadelträger mit gefasstem elliptischem Diamanten findet man sehr ähnlich zum Beispiel auch im Sumiko Moonstone. Am hinteren Ende trägt der Aluschaft einen winzigen Stabmagneten, der beim Sabre aus dem altmodischen Sintermaterial Alnico besteht (Foto: B. Rietschel)

Natürlich müssen wir ein so teures System auch vergleichen. Etwa mit dem ähnlich teuren Ortofon 2M Black LVB 250 – ebenfalls ein Magnetsystem, aber mit State-of-the-Art-Edelnadel am extraleichten Bor-Träger. In der Tat klingt das Ortofon sauberer und auch facettenreicher, wenn es darum geht, zum Beispiel verschiedene Holzbläser in einem großen Orchester auseinanderzuhalten oder in einem Chor mit dem geistigen Auge auf bestimmte Sänger, Sängerinnen oder Stimmgruppen zu fokussieren.

Greift man aber in einem unsortierten, über Jahrzehnte gewachsenen Plattenschrank wie meinem willkürlich in irgendein Fach und lässt sich von dem Punkt aus Platte für Platte weitertreiben – eine Art 2500-Platten-Shuffle – reist man mit dem Vertere komfortabler und sicherer. Das britische MM-System scheint ein besonderes Faible für ältere Rockscheiben zu haben, die damit wunderbar satt und dynamisch klingen. Dieses besondere Talent gibt es natürlich nicht ohne Schattenseite: Technisch-akustisch gesprochen ist es eine merkliche Zurückhaltung im Präsenzbereich, mit der das Sabre älteren, komprimierten oder sonstwie aufdringlichen Aufnahmen ihre Härte und Giftigkeit nimmt. Mit perfekt ausbalancierten audiophilen Produktionen kann das dann im Gegenzug etwas zu rund und sanft wirken.

Zum Glück kippt die Balance des Sabre durch seine Präsenzsenke nicht ins Dunkel-Muffige – schon weil der daran anschließende Brillanzbereich dann wieder voll da zu sein scheint. So fühlt man sich am Anfang von „Babylon By Bus“ von Bob Marley & The Wailers (Island Records – 300 152), als wäre man dabei, 1977 im Pavillon De Paris. Der Jubel des richtig großen, richtig ekstatischen Publikums, Marleys Gesang und charismatische Ansagen, die dynamischen Percussion-Akzente, die wunderbar viskos rollenden Reggae-Basslinien, das hat alles riesiges Format und prickelnde Live-Präsenz – und wie bei zahllosen anderen Platten fehlt mir hier rein gar nichts.

Nick Caves Konzertflügel auf „Idiot Prayer“ wirkt dagegen etwas dunkler und distanzierter, wenn man von 1000-Euro-Highlights wie dem LVB250 oder dem Skyanalog G-1 zum Vertere kommt. Besonders das MC-System von Skyanalog gräbt sich einfach noch tiefer in die Feinstruktur, die Harmonien und Schwebungen des großen Instruments hinein. Ähnlich verhält es sich mit dem Vibraphon, das das fabelhafte, 90-minütige Leonard-Cohen-Tribut „Who By Fire“ von First Aid Kit eröffnet: Dieses charakteristische, weiche und zugleich metallisch-klare Schwingen zeichnet das MC einfach noch authentischer nach. Auf das Intro folgt „Tired“, ein Gedicht aus Cohens „Book Of Longing“, vorgetragen von vier Frauen: Klara und Johanna Söderberg, die zusammen First Aid Kit bilden, unterstützt von den Schauspielerinnen Nina Zanjani und Maia Hansson Bergqvist. Die vier Stimmen sind schwierig wiederzugeben, und hier zeigt das Sabre wieder seine Klasse: körperreich, plastisch, menschlich nah in den leiseren Solo-Strophen, kraftvoll und dennoch ohne Anflug von Stress in den Chorpassagen.

Nick Cave Iodiot Prayer Cover
Das Album zur Pandemie: das von Nick Cave solo eingespielte Idiot Prayer (Cover: Amazon)

Trotz seines eher einfachen Diamantschliffs bekommt das englische MM sogar die auf diesem Album recht heiklen S-Laute tadellos sauber hin – wenn auch nicht ganz so vielfältig und fein ausgeformt, wie sie dem Skyanalog mit seinem schon recht extrem dimensionierten Line-Contact-Diamanten gelingen. Hochinteressant auch, wie das Sabre eine Art farbneutrale Dynamik schafft: Es lässt die Musik aufbrausen und abklingen, ohne dass sich das Timbre der Stimmen oder Instrumente verändert. Das ist, wenn man mal drauf achtet, alles andere als selbstverständlich und trägt zu dem Gefühl bei, mit dem Vertere einen besonders großen Raum an musikalischen wie dynamischen Ausdrucksmöglichkeiten zu betreten. Die meisten Platten nutzen davon nur einen kleinen Teil. Es ist das besondere Verdienst des Vertere Sabre, dass gerade solche Platten dann nicht dünn und verloren klingen, sondern gerade an der richtigen Stelle einen gemütlichen Teppich vorfinden.

Fazit Vertere Sabre

Das Vertere Sabre ist ein spannendes System mit großem Potential. Es verbindet die gutmütige, manchmal auch etwas vereinfachende Tonalität eines klassischen MM mit der dynamischen Größe eines MC. Um diese Qualitäten zur vollen Entfaltung zu bringen, braucht das Sabre einen wirklich steifen Tonarm – mehr noch als andere Systeme in seiner Qualitätsklasse. Erfreulich anspruchslos ist es als mittellautes, gut geschirmtes MM beim Phono-Vorverstärker. Was aber nicht heißt, das es nur für Leute ohne MC-Preamp gedacht ist: Klanglich ist es eine echte MC-Alternative.

Vertere Sabre
2021/08
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Dynamischer, unangestrengter Klang
Kompaktes, einbaufreundliches, überragend verarbeitetes Gehäuse
Relativ preiswerter Nadeltausch
Etwas zurückhaltend im Präsenzbereich

Vertrieb:
Beat Audio
Hainbuchenweg 12
21224 Rosengarten
www.beat-audio.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Vertere Sabre: 1.150 Euro

Mit- und Gegenspieler:

Test Jubiläums-Tonabnehmer Ortofon 2M Black LVB 250

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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.