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Cayin CS-55A KT88
Kompakt, aber gewichtig: Der Cayin CS-55A bringt 17 Kilo auf die Waage – und fast alles mit, was man zum Musikhören braucht, inklusive eines D/A-Wandlers und eines Phono-Vorverstärkers. (Foto: Cayin)

Test Röhren-Vollverstärker Cayin CS-55A: Evolution und Emotion

Cayin setzt bei seinen Verstärkern auf stetige Weiterentwicklung statt hektische Modellwechsel und Fake-Innovation. Der Cayin CS-55A hat es auf diesem Weg zu einer Balance aus Ausstattung, Kraft und Klang gebracht, an der wir uns noch in Jahrzehnten erfreuen werden.

Während ich diesen Beitrag beginne, schallt aus dem benachbarten Hörraum „Afrique Victime“ (Matador ‎– OLE1614LP) von Mdou Moctar, einem Sänger, Songwriter und Gitarristen aus Niger, der live meist in traditioneller Tuareg-Kleidung auf der Bühne steht, und dessen Musik eine riesige Bandbreite an Klangfarben, Intensitäten und Stilen aufweist. In den leisen Momenten erinnert Moctar an den lyrischen Afrofolk eines Ali Farka Touré, um dann wieder vor charakteristisch schrägen Beats elektrifizierte Soli abzufeuern, deren Energiegehalt einem fast die Gesichtsbehaarung abflämmt.

In der Sahara geht es musikalisch also nicht immer beschaulich zu, sondern oft auch laut, dissonant und hektisch. Die Produktion des Albums tut wenig, um diesen Eindruck abzusoften. Maximal „authentisch“ wäre wahrscheinlich eh die Wiedergabe von einer Speicherkarte über ein Mobiltelefon oder vielleicht im Auto. Schließlich hat Matador Records „Afrique Victime“ nicht nur als CD, Download und in vielfältigen LP-Ausführungen veröffentlicht, sondern auch in einer limitierten (und ausverkauften) Auflage auf vorbespielten Nokia-Vintage-Handys des Typs 6120, für deren spezifische Audioeigenschaften sogar ein eigenes Remaster angefertigt wurde.

Mdou-Moctar Cover
Nicht wirklich audiophil, aber sehr spannend und aufschlussreich: Mdou Moctars hitzig groovendes, dabei nicht unpolitisches 2021er Album „Afrique Victime“.(Cover: amazon)

Das Konzept des Cayin CS-55A

Unabhängig vom Medium ist es aber keine gute Idee, die Spontanität und Direktheit der Musik, die eigenartig schaukelnden Beats, die feinen Gesangsharmonien, aber auch die schrillen Spitzen und Kanten, mit einem desinteressiert-matt herumwurstelnden Verstärker glattzubügeln. Dann wird das Hören nämlich nicht etwa komfortabler, sondern ermüdend und nervig. Der Cayin CS-55A gehört ganz eindeutig nicht zu der Sorte Amp. Der Röhren-Vollverstärker glänzt nicht nur mit wunderschönem Aufbau und praxisnaher Ausstattung – auf Wunsch sogar inklusive Phono-Eingang. Sondern vor allem mit seinem liebevollen Klang-Handling, das die Musik mit Samthandschuhen anfasst und in all ihrer Komplexität bewahrt, statt sie in handliche Sound-Förmchen zu pressen. Wenn‘s sein muss, dann eben Sahara – aber niemals Schottergarten.

Cayin CS-55A im Hörraum
Ready to rock: Vor allem mit der etwas dynamischeren KT88-Bestückung klingt der Cayin CS-55A herzhaft und unkompliziert auch bei gehobenen Lautstärken (Foto: B. Rietschel)

KT88 oder EL34? Triode oder Ultralinear? 4 oder 8 Ohm?

Der Cayin CS-55A arbeitet – wie sicher 90 Prozent aller Röhren-Amps – nach dem Gegentakt- oder Push-Pull-Prinzip. Er beschäftigt in jedem Kanal also zwei identische Leistungsröhren, von denen eine das Musiksignal, die andere dessen gegenphasige Kopie erhält. So verstärken die beiden Röhren jeweils nur die positive beziehungsweise negative Halbwelle. Erst im Ausgangstrafo finden die Signalhälften wieder zusammen. Das bringt Effizienz – oder in Zahlen: 40 Watt pro Kanal aus einem „nur“ 17 Kilo schweren Verstärker – bei nicht mal 300 Watt Leistungsaufnahme.

Was sich auf den ersten Blick verschwenderisch liest, ist für Röhrenverhältnisse tatsächlich sehr moderat, zumal sich der Verbrauch im Leerlauf oder beim leisen Hören auf etwa die Hälfte des Maximalwerts reduziert. Ich hatte mit dem Cayin CS-55A jedenfalls auch bei hochsommerlichen Außentemperaturen keine ungebührliche Hörraum-Aufheizung zu beklagen und konnte dank des üppigen Leistungsangebots nicht nur meine röhrenfreundlichen Heco-Breitbänder Direkt Einklang fürstlich damit bewirten, sondern auch die schon etwas mehr fordernde Tannoy Eaton und sogar die nahezu wirkungsgradfreien, aber wunderschön klingenden Harbeth-Kleinmonitore P3 ESR XD.

Was immer der CS-55A bei seinem neuen Eigner oder seiner frischgebackenen Eignerin als Anlagen-Umgebung und Hörsituation vorfindet – die Chancen stehen sehr gut, dass der Röhrenverstärker sich perfekt einfügt. Zu dieser Vielseitigkeit tragen auch verschiedene technische Optionen bei, die der Cayin bietet. Röhrentypisch verfügt der Amp über eine Impedanzanpassung für den verwendeten Lautsprecher, indem er an seinen Ausgangsübertragern zwei verschiedene Sekundär-Abgriffe zugänglich macht. Dabei ist einer auf 8Ω-Lasten spezialisiert (in meinem Fall etwa Harbeth und Tannoy), der andere auf die heute viel verbreiteteren 4Ω-Modelle. Weil die Röhren die eigentliche Lautsprecherimpedanz nicht direkt, sondern nur durch die jeweils angepasste Trafobrille „sehen“, entfällt das bei Transistoramps übliche Leistungsgefälle: 40 Watt pro Kanal – die Angabe gilt hier sowohl für vier als auch für acht Ohm.

Cayin CS-55A Rückseite
Solide und vollständig: Die Eingangsbuchsen des CS-55A sind massiv und direkt mit der Rückwand verschraubt. Der „CD“-Input wird auf Wunsch zum Phono-Eingang. Isolierte, stabile Schraubklemmen nehmen die Lautsprecherkabel auf – röhrentypisch stehen dabei 8Ω- und 4Ω-Klemmen zur Wahl. Die Entscheidung trifft man am besten nicht nach Datenblatt, sondern nach Gehör (Foto: Cayin)

Die Leistung des Cayin CS55A: freiwillige Selbstbeschränkung

Aber nicht immer geht es bei Röhrenamps darum, das letzte Watt rauszuholen. Oder besser gesagt: eigentlich nie. Denn was mit Messsignalen Power und mitunter auch andere schöne Zahlen bringt, neigt im Gegenzug oft dazu, das sensible Obertonspektrum realer, komplexer Musiksignale hier ein bisschen zu verbiegen, da um eine Terz zu kürzen und andernorts vielleicht ein paar Millimeter zu lang wachsen zu lassen. Und schon sendet unser evolutionär bedingt höchst argwöhnischer Gehörsinn Warnsignale statt Wohlgefühl: da stimmt was nicht!

Weshalb Röhrenfans im Zweifel lieber weniger Leistung bei größerem Material- und Energieeinsatz in Kauf nehmen und sich die Ratio lieber für den Autokauf aufheben – wo sie letztlich auch viel mehr Gutes vollbringen kann. Die höchste Stufe der eklektischen Unvernunft, der Eintakt-Betrieb, bleibt dem Cayin zwar verwehrt. Auch ist er nicht dafür ausgelegt, seine Endröhren in Class A, also mit maximalem Ruhestrom quasi unter Dauer-Vollgas laufen zu lassen. Eine Reihe an subtileren Optionen bietet er dennoch – und es lohnt sich, damit zu experimentieren.

Beim Kauf eines CS-55A muss man sich zunächst mal für einen der zwei angebotenen Endröhren-Sätze entscheiden, zwischen denen nicht nur ein kleiner Preis- sondern auch ein Klangunterschied besteht: Mit einem Quartett der klassischen Pentode EL34 gibt‘s den Amp für 2098 Euro. Nimmt man ihn mit vier Exemplaren der historisch etwas jüngeren und kräftigeren Beam-Tetrode KT88, steigt der Preis um 150 Euro. Wir haben für den Test einfach beide Röhrensätze bestellt und mal diesen, mal jenen gehört – mehr darüber etwas weiter unten. Käuferinnen und Käufer können, falls sie nicht ohnehin schon eine Präferenz haben, natürlich genauso verfahren. Oder erstmal die günstigere EL34-Version nehmen und irgendwann später ein bisschen experimentieren.

Cayin CS-55A EL 34
Große Klasse auch in der „kleinen“ Version mit EL34-Endröhren: Der Cayin liefert für 2000 Euro reichlich Gegenwert. Auch der Kopfhörerausgang klingt übrigens gar nicht übel: Er zapft die Musik kurzerhand an den 8Ω-Lautsprecherklemmen ab, schaltet automatisch die Lautsprecherausgänge stumm und treibt auch wirkungsgradschwache Magnetostaten wie den Quad ERA-1 des Testers zu kraftvollem, sauber aufgelöstem Klang praktisch ohne Pegel-Limit (Foto: Cayin)

Abgesehen von den Endröhren sind die Versionen identisch und der Wechsel geht im Handumdrehen: Amp aus, Stecker raus, abkühlen lassen, Röhren vorsichtig abziehen (dabei möglichst am Sockel greifen und behutsam rauswackeln), neue Röhren einsetzen (dabei die Kolben möglichst nicht mit bloßen Fingern betatschen). Ein versenkter Schiebeschalter am Heck passt den Verstärker an die jeweiligen Röhren an: diesen also je nachdem auf „EL34“ oder „KT88“ schieben und erst dann (!) den Verstärker wieder einschalten.

.Der nach dem Röhrentausch zwingend nötige Neuabgleich der Ruheströme erledigt sich dank des eingebauten Zeigerinstruments fast von selbst. Noch viel einfacher als das tube rolling ist aber der Vergleich zwischen Trioden- und Ultralinearmodus. Diese Modi sind per Fernbedienung umschaltbar und betreffen die Arbeitsweise der Endröhren. EL34 wie KT88 verfügen als „moderne“ Leistungsröhren (vorgestellt in den 40er- respektive 50er Jahren) nicht nur über Kathode, Anode und Steuergitter, sondern über zwei zusätzliche Elektrodensysteme, die den winzigen Ladungsträgern ihren Flug durchs Hochvakuum erleichtern – und damit die Verstärkung erhöhen. Eines davon, das Schirmgitter, wird im Ultralinearbetrieb an einer genau berechneten Mittel-Anzapfung des Ausgangsübertragers angeschlossen, was die Effizienz erhöht und Verzerrungen mindert.

Noch verzerrungsgünstiger ist es, die Pentode oder Tetrode einfach wie eine Triode zu behandeln, indem man das Schirmgitter mit der Anode verbindet. Der Triodenmodus hat aber nicht nur Vorteile: Der Ausgangswiderstand steigt und macht den Verstärker kritischer gegenüber dem Lautsprecher, weil dessen bauartbedingt schwankende Impedanz nun stärker am Frequenzgang zieht. Zugleich sinkt die Leistung gegenüber Ultralinear um fast die Hälfte: Beim CS-55A mit EL34 etwa von 38 auf 20 Watt pro Kanal.

Klassischer Aufbau – mit modernen Einflüssen

Wie von Cayin gewohnt, ist der CS-55A blitzsauber mit durchweg guten Bauteilen aufgebaut und in einem dickwandigen, sorgfältigst lackierten Stahlblechgehäuse untergebracht. Die Lackierung schließt auch den steckbaren Röhren-Schutzkäfig mit ein, der das Gerät somit berührungssicher macht, ohne gleich die ganze Optik zu verschandeln.

Cayin CS-55A mit Deckel
Sicher ist sicher: Cayin liefert selbstverständlich den vorgeschriebenen, mit etwas Kraft einfach abziehbaren Röhren-Schutzkäfig mit. Wobei der Schutz weniger den Röhren als dem Leben von Besitzer und Mitbewohnern gilt. Das Bild zeigt übrigens noch die alte Variante des CS-55A, erkennbar am etwas kleineren Trafo und dem LED-Punkt am Lautstärkeregler. Letzterer ist jetzt ein Leucht-Strich, der Käfig blieb aber unverändert (Foto: Cayin)

Die eigentliche Verstärkerschaltung ist nach alter Väter Sitte frei verdrahtet, mit Lötstellen und einer Bauteilanordnung, denen man die Sorgfalt beim Aufbau förmlich ansieht. Kleine Hilfsplatinen gibt es für die Fernbedienungs-Elektronik, die Bias-Einstellung und den USB-DAC. Jawohl: Der Chinesische Verstärker besitzt einen vollwertigen, mit allen High-End-Wassern gewaschenen Digital-Analogwandler, der Daten über einen asynchronen USB-Eingang entgegennimmt. Daran schließt der aufgeklärte Digital-Audiophile einfach einen übriggebliebenen Rechner oder eine Streaming Bridge (also einen Netzwerkplayer ohne eigenen DAC) an und erhält für wenig Geld eine absolut amtliche Musikquelle. Das könnte zum Beispiel ein gebrauchter Mac Mini sein, vielleicht mit nachgerüstetem SSD für noch leiseren Betrieb und mit einem spezialisierten Abspielprogramm wie Audirvana, das den Rechner praktisch komplett für Audio in Beschlag nimmt und sich zudem wunderbar per eigener App steuern lässt.

Was für eine traurige Welt wäre das, so ganz ohne greifbare Tonträger, würden da Analogmenschen sagen – und den Cayin auf jeden Fall auch noch mit einem Plattenspieler verbinden. Dank optionalem Phonoeingang geht das sogar ohne zusätzliche Kästchen im Signalweg. Die Zahl an normalen Line-Eingängen reduziert sich dadurch zwar auf zwei. Aber was um alles in der Welt will man denn daran noch anschließen, wenn man bereits einen Plattenspieler via Phono und einen Streamer via USB am Start hat?

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Cayin CS-55A inside
Vollgepackt mit Freiverdrahtung und diversen Hilfsplatinen: Kleine grüne Print-Boards gibt es für die Lautstärkeregelung, Phono, Bias-Einstellung, Fernbedienung, Eingangswahl-Relais sowie die Umschaltung des Endstufenmodus. Die Platine für den USB-DAC in der Mitte ist rot und wird vermutlich komplett zugeliefert (Foto: B. Rietschel)
Cayin CS-55A inside
Nein, das ist nicht der Netztrafo: Wie die meisten guten Röhren-Amps reinigt der Cayin die Anodenspannung mit hochtemperaturfesten Marken-Elkos (hier von Nichicon) und einer Drosselspule (Foto: B. Rietschel)
Cayin CS-55A Einstellung
Erfordert Fingerspitzengefühl und gute Beleuchtug: Den Ruhestrom der Endröhren (hier die beiden KT88 für den rechten Kanal) stellt man mit einem kleinen, isolierten Schraubendreher ein. Der Kippschalter rechts neben den Stellern entscheidet, welchen Ruhestrom das eingebaute Zeigerinstrument anzeigt (Foto: B. Rietschel)
Cayin CS-55A Vorstufenröhren
Grüße aus der Slowakei: Sämtliche Vorstufenröhren des Testverstärkers stammen aus der aktuellen Fertigung von JJ. Es handelt sich um zwei ECC82 sowie zwei ECC83S. Letztere ist in mikrofoniearmer Spanngitter-Bauweise ausgeführt und entspricht damit technisch der alten, bei Sammlern begehrten und praktisch nicht mehr zu bekommenden Telefunken ECC803 (Foto: B. Rietschel)
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Cayin CS55A: Wer gut hören will, muss spüren

Der Phono-Input kostet 250 Euro extra und ist angesichts der recht simplen Ausführung jetzt nichts für Sparhasen. Das Gefühl, einen wirklich vollständigen Verstärker zu haben und die clean-schnörkellosen Anlagen, die man damit bauen kann, dürfte vielen Käufern jedoch den Mehrpreis wert sein. Geht es knallhart um „bang for the buck“ beziehungsweise Erregung pro Euro, steckt man die 250 Euro natürlich in eine Phonobox S2 Ultra von Pro-Ject, die mit volldiskretem Aufbau, knorrigem Bass und strukturreichem Mittelhochton das Thema Vinyl in jeder Hinsicht noch vollständiger behandelt. Vinyl-Maximalisten und Tester greifen beim Phono-Preamp sogar noch deutlich höher, etwa zum aberwitzig guten LP33 von Line Magnetic, der dann nebenbei auch einen 100-prozentigen Röhren-Signalweg vom Tonabnehmer bis zur Box gewährleistet. Oder demnächst möglicherweise zu einem Cayin-eigenen Edelphono, der dem Vernehmen nach aktuell entwickelt wird.

Der Hörtest mit dem Cayin CS-55A zog sich über einige Monate hin, während derer der Amp ganz nebenbei diverse Plattenspieler- und Tonabnehmertests verstärkte und in diesen Situationen einfach ganz diskret im Hintergrund verschwand. Wie sich das für einen guten Verstärker eben gehört: Der Cayin machte jeden noch so subtilen Unterschied völlig mühelos hörbar – etwa zwischen den technisch eng verwandten MC-Systemen G-3, G-2 und G-1 von Skyanalog, die sich abwechselnd für einen bald folgenden Test warmspielten. Er hinterließ aber kaum eigene Spuren in der Musik.

Das klingt fast widersprüchlich: Wieso soll ausgerechnet ein Röhren-Amp besonders neutral und wasserklar einfach nach gar nichts klingen? Aber das ist die Realität im Hörraum – zumindest sobald man einen Lautsprecher anschließt, der einigermaßen harmoniert. Dann kann es zwar immer noch an bestimmten Stellen des Audiospektrums leichte Wellen und Dellen geben, weil nun mal praktisch keine Box einen wirklich linealgeraden Impedanzverlauf aufweist. Diese Effekte sind aber vernachlässigbar klein gegenüber der riesigen tonalen und dynamischen Spannweite, die der Cayin erschließt und von Platte zu Platte vergrößert – und die die meisten mittelprächtigen Transistoramps komplett überschattet. Der Cayin klingt von Box zu Box unterschiedlich, dabei aber fast immer aufregend, kontrastreich und mitreißend.

Cayin CS-55A im Hörraum
Verstärker und Plattenspieler: Mehr muss für perfekten Musikgenuss nicht auf dem Rack stehen. Hier habe ich den Cayin mit einem Technics SL-1210 Mk7 verbunden und diesem ein Nagaoka MP-150 ins Headshell montiert. Der Player kostet dann inklusive einer Black Forest Audio DädMät – Ersatz für die serienmäßige, wenig klangförderliche Slipmat – gut 1.400 Euro und klingt absolut sauber und stabil (Foto: B. Rietschel)

Der CS-55A ist mir im Jahr 2013 übrigens schon einmal begegnet, als ich noch bei AUDIO war. Damals kam das Modell frisch auf den Markt und schlug sich im Hörtest ganz hervorragend. Ich erinnere mich aber auch, dass uns der 55A im Bass vielleicht einen Hauch zu vornehm erschien – da gab es bei anderen Herstellern noch knackigeren Tiefton. Genau an dieser Stelle hat Cayin aber beim aktuellen Modell nachgelegt, das sich zwar im Namen nicht vom Urtyp unterscheidet, unter der Haube aber immer wieder behutsam weiterentwickelt wurde. Schon von außen sichtbar ist etwa der neue, etwas größere Netztrafo, der entscheidend zum kräftigeren Punch des aktuellen Modells beiträgt.

Maximale Basskompetenz erhält man vom CS-55A, wenn man ihn mit KT88-Röhren im Ultralinear-Modus betreibt. Der Klang ist dann ungemein präsent und vital, mit präzise getimten Rhythmen und straff aus dem Mix hervorschnalzender Percussion. „Danzig II – Lucifuge“ (Def American Recordings ‎– 846 375-1) will man genau so und nicht anders hören. Die Raumabbildung – bei Platten, die geeignete akustische Indizien liefern – hat ihr Zentrum etwas vor der Boxenebene, Stimmen oder Soloinstrumente treten schön hervor, wirken nah und plastisch. Wechselt man in den Triodenmodus, geht die Abbildung etwas auf Distanz und der unmittelbare, kernig durchgezeichnete Bass weicht einem weicheren, dezenteren Tiefton. Detailauflösung und Feinstruktur im Mittelhochton legen dafür merklich zu, ohne dass der Klang jedoch ins Forciert-Analytische überschwingt. Beim direkten Umschalten neigte ich dazu, spontan den UL-Modus vorzuziehen – wozu aber auch die merkliche Erhöhung der Lautstärke beiträgt, wenn man von Triode nach Ultralinear wechselt.

Danzig 3 Cover
Dämonen, Blues und harte Gitarren: Danzig brauten auf ihrem zweiten Album eine dunkel-dramatische, kraftvolle Metal-Mischung. „Danzig II“ erschien 1990 auf Rick Rubins Label Def American Recordings. Das „Def“ verschwand 1993 aus dem Namen – übrig blieb American Recordings, das Audiophile vor allem wegen der gleichnamigen späten Johnny-Cash-Alben lieben (Foto: B. Rietschel)

Mit etwas längeren Hörphasen und akkurat angeglichenem Pegel entwickelt der Triodenbetrieb aber einen ganz eigenen Reiz. Und zwar ganz besonders dann, wenn der CS-55A mit EL34 bestückt ist. Dann erhält man einen ganz vornehmen, mit feiner Feder gezeichneten Understatement-Klang mit üppigem, aber nie grellem Klangfarben-Repertoire. Je nach Lautsprecher hat man also eine recht große Bandbreite an Klang-Charakteristika.

Die 20 Watt Trioden-Leistung sind in der Praxis fast immer ausreichend. An meiner Tannoy Eaton mit mittelprächtigen 89dB Wirkungsgrad war es jedenfalls kein Problem, sich etwa „Walking Cloud And Deep Red Sky, Flag Fluttered And The Sun Shined“ der japanischen Instrumental-Postrockband Mono (Temporary Residence Limited ‎– TRR68) annähernd so reinzuziehen, wie es gedacht ist. Nämlich so, dass schon die ersten zarten Melodien des elfminütigen Openers „16.12“ eine gewisse Präsenz haben und nicht minutenlang irgendwo an der Hörschwelle umhermäandern. Steve Albinis charakteristisch hochdynamische Aufnahme sorgt dann dafür, dass zehn Minuten später und diverse mächtige Pegelplateaus höher schon eine gewisse Furchtlosigkeit nötig ist, um das bis zum Ende ohne Griff zum Lautstärkeregler durchzuziehen. Der Amp bleibt erstaunlich souverän, lässt die Drums mächtig donnern und separiert die vielen übereinandergeschichteten Gitarren- und Bassspuren behutsam, ohne dabei den reichen, harmonischen Gesamtklang auseinanderfallen zu lassen.

Mono Cover
Kein Gesang, dafür umso längere Albumtitel: „Walking Cloud And Deep Red Sky, Flag Fluttered And The Sun Shined“ von Mono erschien ursprünglich 2004 als CD und Doppel-Vinyl, letzteres im verspieltem Ausstanz-Cover. Das japanische Quartett spielt schwermütigen Instrumentalrock in langsamem Tempo, aber gewaltigem Größen- und Dynamikmaßstab (Foto: B. Rietschel)

In der Summe seiner klanglichen Eigenschaften besitzt der CS-55A ein ähnliches Gewicht wie der LM-34iA von Line Magnetic – der, wenn man den exzellent klingenden DAC des Cayin herausrechnet, auch preislich vergleichbar ist. Der Line Magnetic spielt speziell mit EL34-Röhren noch etwas weicher und fließender, der Cayin etwas knackiger und präsenter.

Aber das sind eher subtile Unterschiede, die letztlich nur unterstreichen, dass beide Firmen die Möglichkeiten, die ihnen ihr Budget bietet, mit großer Erfahrung und Kompetenz ausgelotet haben. Bedenkt man die stetig steigenden Rohstoffpreise – allein die drei Trafos verschlingen kiloweise teure Metalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt – und die auch in China zunehmenden Lohnkosten, ahnt man auch, dass niemand solche Verstärker einfach mal kurz viel billiger bauen kann. Cayin kann sich mit kleineren Modellen zwar selbst noch unterbieten – etwa mit dem MT-12N für unglaubliche 900 Euro. Aber diese kleineren Amps erfordern deutlich mehr Um- und Rücksicht bei der Lautsprecherwahl.

Fazit Cayin CS55A

Mit erstklassiger Verarbeitung, üppigen Leistungsreserven und kraftvollem, musikalischem Klang stellt der CS-55A nicht nur innerhalb des Cayin-Programms eine Art goldene Mitte dar. Er gehört auch ganz allgemein zu den begehrenswertesten Verstärkern seiner Klasse und öffnet ambitionierten Musikfans einen unkomplizierten, nachhaltigen Weg zu akustischen Abenteuern.

Cayin CS-55A
2021/06
Test-Ergebnis: 4,7
Überragend
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Schöner, klarer Klang mit reichlich Dynamik
Harmoniert mit vielen (wenn auch nicht allen) Lautsprechern
Guter, integrierter DAC
Einstellbare Modi: Triode, ultralinear, Gegenkopplung

Vertrieb:
Cayin Audio Distribution GmbH
An der Kreuzheck 8
61479 Glashütten-Schlossborn
Telefon: 06174-9554412
www.cayin.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Cayin CS-55A: ab 2.100 Euro

Cayin CS-55A: die technischen Daten

Cayin CS-55A
Konzept:Push/Pull Röhren-Vollverstärker mit integriertem DAC
Leistung:2 x 40 Watt (ultralinear), 2 x 22 Watt (Triode)
Bestückung:2 x 12AX7/ECC83, 2 x 12AU7/ECC82 × 2, 4 x KT88
Eingänge:3 x Line, 1 x asynchoner USB
Abmessungen (B x H x T):36,0 x 18,0 x 33,5 cm
Gewicht:
17,2 Kilogramm
Alle technischen Daten
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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.