de
Edelholz trifft auf ambitionierten Klang: Der Grado RS2e (Preis: 549 Euro) ist einer der spielfreudigsten Hörer seiner Klasse (Foto: A. Weber)

Test Grado RS2e: mobiler On Ear mit Live-Charakter

In der highendigen Welt hat das bisweilen sympathisch skurril anmutende Unternehmen Grado Labs Ikonen-Status: Hier werden die legendären Tonabnehmer und Kopfhörer nach guter Väter Sitte aus edlen Materialien und in Handarbeit zusammengesetzt. Dabei verschließt sich das in New York ansässige Unternehmen keineswegs dem Neuen: Mit dem Grado RS2e haben die Amerikaner einen der interessantesten Mobilkopfhörer im Programm. Den Grado RS2e hatte ich über viele Wochen im Dauertest und kan nun gar nicht mehr von dem kleinen On Ear lassen.

„Spürst du was?“ Wer diese Frage beim Zahnarzt verneinen kann, freut sich. Interessanterweise erfasst die gleiche Freude auch Menschen, die einen guten Kopfhörer tragen. Denn wie die Behandlung durch einen unmotivierten Dentisten kann allein ein anatomisch schlecht designter Kopfhörer ähnlich enervierende Folgen haben. Es drückt, es zwickt und das Hören wird zur Last. Dabei muss das nicht sein. Denn, Zufall oder nicht, ausgerechnet aus den USA, dem Land, dem wir auch die Jacketkrone zu verdanken haben, stammen federleichte, tragbare und sehr anhörenswerte Kopfhörer. Grado heißt das Unternehmen, das seit beinahe 65 Jahren am selben Standort in New York City aktiv ist und bis heute Kopfhörer überwiegend in Handarbeit fertigt.

Tonabnehmer Grado Reference 2 auf Schallplatte
Tonabnehmer und Kopfhörer haben konstruktiv mehr Ähnlichkeiten, als man meinen mag. Beides sind Schallwandler. Hier ein Bild des Grado Abtasters Reference 2 für 1.600 Euro (Foto: Grado)

Grado ist ein Unikum, das man eher in England als in der neuen Welt vermuten würde. So befindet sich die Manufaktur in demselben Gebäude, in dem die Familie einst ihren Obst- und Gemüsehandel betrieb. „Der heimische Küchentisch wurde für die Tonabnehmerproduktion einfach zu klein“, lautet die lapidare Erklärung von Firmenchef John Grado für den damaligen Umzug des Unternehmens ins größere Gebäude am Sunset Park in Brooklyn. Der Park ist – ganz nebenbei – unter Kennern besonders wegen der guten chinesischen Restaurants geschätzt. Dass hier auch Kopfhörer mit Weltruf gebaut werden, wissen dagegen nur echte HiFi-Gourmets. Und obwohl die Immobilienpreise in New York sich jährlich zu neuen Rekorden hochschaukeln, bleibt Grado vor Ort.

Die Technik des Grado RS2e

Unser Testmodell ist der Grado RS2e, ein offener Kopfhörer mit einem dynamischen Wandler. Wie ein hochwertiges, exklusives Musikinstrument verfügt der RS2e über einen Klangkörper aus Mahagoni. Nicht das einzige seltene Material, das den Kopfhörer veredelt. Um die Anschlüsse im Inneren vor Korrosion zu schützen, werden diese mit einer Schicht des äußerst raren Edelmetalls Rhodium versehen.

Der Grado RS2e arbeitet mit zwei 44 Millimeter großen Treibern, deren Schwingspulen aus UHPLC-Kupferdraht gewickelt sind (UHPLC = Ultra-high purity, long crystal copper; sinngemäß sauerstofffreier, großkristalliner Kupfer). Klingt nach Wissenschaft. John Grado erklärt das so: „Hierzu wird der Kupferdraht in einem aufwändigen Fertigungsprozess langsam und in vielen Einzelschritten durch die immer kleiner werdende Zugmatrize gezogen; nach jedem Zugvorgang wird das Material thermisch entspannt. Das resultierende Kupfer weist eine extrem hohe Leitfähigkeit und beste Übertragungseigenschaften mit niedrigmöglichsten Verzerrungswerten auf. Der Klang dieses Kupfers ist vergleichsweise bruchloser, sauberer und dynamischer.“ Mit Schwingspulen kennt man sich bei Grado Labs aus: Qualitativ höchstwertige und leichte Schwingspulen sind ja auch das Geheimnis des legendären Grado Tonabnehmer-Klangs.

Der Treiber des Grado RS2e
Der 44 Millimeter große Breitbandtreiber sitzt – eingespannt in dem Mahagoni-Rahmen – hinter einer gelochten Abdeckung und dem darüber gespannten, hautfreundlichen Gewebeflies (Foto: H. Biermann)

Der Übertragungsbereich der Treiber reicht von 14 bis 28.000 Hertz. Und wie es sich für eine highendige Manufaktur gehört, sind die Treiber des RS2e gematched: Grado garantiert eine maximale Kanal-Abweichung von gerade einmal 0,05 Dezibel. Das ist ein überragender Wert. Auch auf der Waage macht er erwartungsgemäß eine gute Figur, ohne Kabel wiegt er 150 Gramm, zusammen mit dem 1,5 Meter langen Kabel sind es dann 225 Gramm. Anschluss findet der Kopfhörer via 3,5 Millimeter Stereo-Klinkenstecker, ein vergoldeter 6,3 Millimeter Adapter liegt bei. Seine Impedanz liegt wie bei den meisten Mobilhörern bei 32 Ohm, was einen problemlosen (also ausreichend lauten) Mobilbetrieb an Smartphone & Co. sichergestellt.

Der Grado RS2e in der Totale
Klein, leicht, edel und gut: der Grado RS2e hat auf den ersten Blick alle Attribute eines mobilen Nobel-Kopfhörers (Foto: A. Weber)

Allerdings – und hier zeigt sich die schon angedeutete Skurrilität der New Yorker – ist der Grado RS2e für den Mobileinsatz nur eingeschränkt nutzbar. Wegen seiner sogenannten „offenen“ Bauweise hört der Nachbar in Bus, Bahn und Zug fast genauso viel wie der RS2e-Nutzer selbst; die meisten Mobilhörer sind deshalb geschlossene On- oder Over Ear Hörer oder gleich In Ears. Bei diesen drei Bauweisen dringt so gut wie keine Schallenergie zum Nachbarn. Die Mobilität des offenen Grado RS2e bleibt deshalb auf die einsamen Wanderungen in Mutter Natur oder auf Fahrrad-Fahrten beschränkt. Wenig Mobil-freundlich ist auch das Anschlusskabel, das zwar alle mechanischen Geräusche unterdrückt (die meisten Kopfhörerkabel reagieren auf Berührung oder Druck mit hörbaren Störgeräuschen), aber halt doch einfach ziemlich dick ist.

Der Antrieb des Grado RS2e Treibers
Wegen der offenen Bauweise kann man den Magneten des Treibers (rot) gut sehen (Foto: H. Biermann)

Beide Punkte sind dem hohen Qualitätsanspruch von Grado Labs geschuldet. Ein offener Kopfhörer klingt in der Regel einfach besser als ein geschlossener. Punkt. Also ist der Grado RS2e ein offener On Ear. Außerdem sind diese Kabelgeräusche durch Berührung nun einmal lästig und mit dem highendigen Grado Ideal nicht zu vereinbaren. Also werden sie durch eine Ummantelung unterdrückt. Wenn man dafür dicke Kabel nutzen muss, dann bekommt eben auch so ein mobiles Leichtgewicht wie der RS2e dicke Signalkabel.

Ein absolut Grado-typischer Zug sind auch die Ohrpolster aus Akustikschaumstoff. Das akustische Verhalten dieser Schaumstoffringe ist Teil des Abstimmungskonzepts. Man kann sie also nicht einfach gegen ähnliche Polster aus Leder austauschen. Schade. Denn nicht jeder kommt mit dem Schaumstoff auf den Ohren zurecht. Aber auch hier regiert wieder die Grado Doktrin des besseren Klangs: Der Schaum klingt besser als glattes Leder, also wird er eingesetzt – übrigens auch bei den ganz großen, stationären Over Ear Modellen. Hier empfehle ich eine Anprobe: Die meisten werden wie ich gut damit zurecht kommen. Jene, die nicht, sollten sich nach anderen Marken umschauen.

Die Ohrpolster des Grado RS2e
Die Ohrpolster des Grado RS2e bestehen aus einem speziellen Akustikschaum, dessen Wirkweise mit in die Übertragungskurve des RS2e integriert wurde. Für eine mögliche Reinigung kann man sie problemlos abnehmen (Foto: H. Biermann)

Und damit sind wir schon beim Tragekomfort: Der Grado RS2e trägt sich so leicht wie ein an der frischen Luft getrocknetes Seidenhemd. Der Kopfbügel ist gepolstert und lederbezogen und nicht zu spüren.

Der Bügelbezug des Grado RS2e
Der Bügel des Grado RS2e ist gepolstert und mit weichem Leder bezogen – einer der Gründe, warum er sich so angenehm trägt (Foto: H. Biermann)

Auch der Druck auf die Ohren war angenehm sanft, obwohl mein Kopf gar nicht zu den kleinsten zählt. Die Einstellbarkeit des Grado RS2e wirkt simpel, aber absolut praxistauglich.

Man merkt: Dieses Konzept ist seit fast drei Jahrzehnten bewährt; schon der erste Grado Kopfhörer aus dem Jahre 1988 hatte einen sehr ähnlichen Aufbau. Ich jedenfalls fand schnell eine Einstellung, die nicht drückte, aber auch bei ruckartigen Bewegungen so viel Halt bot, dass der RS2e brav dort sitzen blieb, wo ich ihn haben wollte: auf den Ohren.

Bügel-Einstellungen des Grado RS2e
Die Einstellungen für den perfekten Sitz sind simpel und rasterlos, funktionieren aber gut (Foto: H. Biermann)

Der Praxis- und Hörtest

Denn dieser Kopfhörer klingt fantastisch energiereich. Der New-Yorker strahlt eine Spielfreude aus, die selbst dem übelsten Misanthropen Tränen der Rührung in die Augen treibt. Wenn Gunar Letzbor auf der Violine die Sonata da camera von Carlo Ambrogio Lonati zum Besten gibt, scheint die Sonne des frühen 18. Jahrhunderts durch die handverlöteten Schallwandler. Das Talent vom „Buckligen der Königin“, wie Lonati auch wegen seines anatomisch verformten Rückgrats genannt wurde, wirkt in dieser Darstellung so makellos, so leidenschaftlich, dass selbst Narziss um dessen Gunst geworben hätte. Es ist nahezu unmöglich, bei dieser Darbietung von Künstler und Kunstwerk emotionslos zu bleiben. Ein geniales Werk auf einem großen handwerklichen Meisterstück.

Dass wir uns da aber nicht missverstehen: Der Grado RS2e ist kein Kuschelrock-Hörer. Seine transparent offenen, sehr forschen Mitten sorgen dafür, dass er jede Art von Musik gnadenlos präzise, schnell und kernig wiedergibt. Er ist quasi der Uli Höneß der On Ear Hörer: Abteilung Attacke ist angesagt. Ein gut aufgenommener Live-Mitschnitt ist mit ihm ein mitreißendes Erlebnis, aber schlechte Aufnahmen stellt er gnadenlos bloß und verschweigt nichts. Wer vom unaufgeregten Sound eines Beats träumt oder den basslastigen Klang der House OF Marley Modelle gut findet, ist mit dem Grado RS2e definitiv an der falschen Adresse. Hier wird nichts geschönt, hier gibt es voll auf die Zwölf.

Mit dieser Klarheit in den Mitten und dem trockenen, schnellen Bass ist der RS2e ein klanglicher Gegenentwurf zu dem neuerdings angesagten Kopfhörer-Sound, der eher extrem weich gefederter Cadillac denn englischer Roadster ist. Mit Kopfhörern der Cadillac-Richtung kann man vielleicht länger hören, aber das spürbare Miterleben kann der Grado viel besser.

Cover Art Greogry Porter Liquid Spirit
Greory Porters bislang erfolgreichstes Album: Liquid Spirit (Cover: Amazon)

Dieser Erlebnisfaktor, die hohe Präzision des Grado RS2e sorgte dafür, dass ich selbst in hundertfach gehörten Aufnahmen noch Neues entdeckte. Ein bizarres Beispiel: In Gavin Bryars „Jesus Blood never failed me yet“, meinte ich immer, das Klicken einer mechanischen Kamera zu hören. Falsch. Der Grado zeigte mir, was es wirklich war: Das leise Pfeifen in der Lunge des singenden Obdachlosen. Kein Spaß. Und dabei stammt die Aufnahme dieses armen Mannes von einem transportablen Kassettenrekorder aus dem Jahre 1971! Es ist wirklich erstaunlich, was die Technik von heute an Details zu Tage bringen kann – wenn man denn Schallwandler wie den RS2e hat, die diese Informationen auch auslesen können.

Noch ein Beispiel. Gregory Porter ist ja DIE Stimme im Jazz derzeit und der Porter Jazz ist tatsächlich überwiegend fantastisch gute und exzellent aufgenommene Musik. Das „No Love Dying“ (aus dem Album Liquid Spirit) zeigt, wie farb- und facettenreich seine Stimme klingen kann. Näher als über den Grado RS2e kommt man Porters Stimmbändern nur als HNO-Doc.

Grado RS2e plus Grado RA1 – das Power-Gespann

Wem der Energiereichtum des RS2e immer noch nicht genug ist, kann nachlegen. Und zwar mit dem hauseigenen Kopfhörerverstärker Grado RA1. Das Vorverstärkerchen ist komplett aus Mahagoni gefertigt, hat einen Kopfhörerausgang, einen Lautstärkeregler, einen Cincheingang, den Ein-Ausschalter und die Betriebs-LED.

Der Grado RA1 von vorn
Der kleine Grado RA1. Der Kopfhörerverstärker ist Akku-betrieben und kostet 499 Euro (Foto: A. Weber)

Das war’s. Strom kommt über zwei 9-Volt-Blöcke. Das Gerät ist optimiert für Grado-Kopfhörer mit 32 Ohm Widerstand und wegen seines Akku-Betriebs und des geringen Gewichts ebenfalls auf seine Art mobil.

Der Grado RA1 von innen: In ausgefrästen Kammern sitzen die Akkus (vorn), die Verstärkungseinheit (Foto: A. Weber)

Der legt – wie gesagt – noch eine Schippe Energie in allen Bereichen drauf. Das Klangbild wird noch spritziger, lebendiger, druckvoller. Noch einmal das Anti-Misanthropen-Lied Sonata No. 6 in A Minor: „III. Sostenuto – Spiritoso – Largo – Sostenuto“ von Carlo Ambrogio Lonati in der Aufnahme der „Ars Antiqua Austria“ gespielt vom Barockviolinisten Gunar Letzbor. Jetzt waren sogar die Atemzüge von Letzbor zu hören. Das ist Musik in ihrer erlebnisreichsten Form. Das geht unter die Haut.

Dennoch muss ich bei dem Thema Grado RA1 ein Fragezeichen setzen. Der RS2e hat Energie genug, der braucht eigentlich keinen Turbo-Boost. Das Kästchen ist zwar hübsch und passt optisch gut zum RS2e, aber ist natürlich nur etwas für zu Hause. Vor allem aber muss man mit den Signalkabeln echt aufpassen: Ich habe den leichten Brumm des kleinen Verstärkers nie ganz wegbekommen. Das ist ärgerlich, weil er ja mit knapp 500 Euro zu Buche schlägt. Dafür gibt es schon richtig ambitionierte Kopfhörerverstärker mit ausgewachsenen HiRes-DACs inklusive.

Fazit: Energieschub für 549 Euro

An diesem Hörer stimmt vieles: die Verarbeitung, der angenehme Sitz und vor allem der Klang. Unter 1.000 Euro wird es schwer, einen anderen, derart transparent-präzisen On Ear Hörer zu finden. Der Grado RS2e ist aber nichts für jedermann, sondern für jenen Musikfreund, der möglichst tief in die Aufnahme hineingezogen und die ganze Welt der feinen Details erleben möchte. Tonal ist die überwiegende Zahl der Mitbewerber deutlich samtpfötiger. Die Einschränkungen beim Mobil-Einsatz haben wir erwähnt: Prinzipiell ja, aber nichts für Bus & Bahn.

Die Bilanz für den dazugehörigen Kopfhörerverstärker RA1 fällt bescheidener aus. Klanglich kann er durchaus eine Bereicherung sein, weil er nochmal mehr Details und noch mehr Druck bringt. Aber das Brummen war nicht komplett wegzubekommen und letztendlich verstärkt er den sehr kernigen Klangcharakter des Grado RS2e – was eigentlich gar nicht notwendig wäre.

Grado RS2e
2017/09
Test-Ergebnis: 4,0
SEHR GUT
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Extrem lebendiger, offener Klang
Hoher Schalldruck
Angenehmer Sitz
Nur bedingt mobiltauglich

Vertrieb:
High-Fidelity Studio
Dominikanergasse 7
86150 Augsburg
www.highfidelitystudio.de

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Grado RS2e: 549 Euro

Weitere Kopfhörer für zuhause und für unterwegs:

Test B&W P5: der Bluetooth Reisekopfhörer
Test Bose QC25: perfektes Noise Cancelling
Test KEF M400: High End für die Reise