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Die Extreme I ist mit 4.400 Euro der günstigste Einstieg in die Progressive-Audio-Welt. Eine Welt, der man durchaus verfallen kann... (Foto: Progressive Audio)

Test Kompaktbox Progressive Audio Extreme I – extrem genaue Abbildung

Wer Fan der Marke Progressive Audio ist, muss in der Regel ziemlich tief in die Tasche greifen. Die klanglich über jeden Zweifel erhabenen Verstärker, DACs oder Lautsprecher haben ihr Jagdrevier im fünfstelligen Bereich. Und wer jemals bei Progressive Audio in Essen-Kettwich eine von Progressive-Chef Ralf Koenen perfekt aufgebaute Anlage gehört hat, wird über den Preis nicht murren – so geil, so plastisch, so richtig klingt es dort. Gleichwohl bleibt die Frage: Kann Ralf Koenen seine Klangideale auch im bezahlbaren Bereich umsetzen? Wir holten uns den kleinsten Lautsprecher der Essener zum Test und müssen konstatieren: Auch die kompakte Progressive Audio Extreme I (Paarpreis: 4.400 Euro) entführt den Zuhörer in eine grandiose Klangwelt…

Mein letzter Besuch bei Progressive Audio ist schon einige Jahre her, aber ich kann mich noch gut an die Faszination erinnern, die diese Anlage mit den großen Transformer-Lautsprechern auf mich machte. Ein befreundeter Händler war kürzlich in Essen-Kettwich und rief mich anschließend an – so berührt war er von dem Progressive-Klang. Sein abschließender Kommentar: „Das klingt so plastisch-räumlich, dass einem der Mund offen stehen bleibt.“ So ging es mir ja auch. Zumindest in Bezug auf Dreidimensionalität und gefühlter Schnelligkeit sind die Progressive-Systeme kaum zu toppen.

Die Schlagworte, die hier fallen müssen, sind Zeit- und Phasen-Richtigkeit. Man hört sie im Gespräch mit Entwicklern oft, aber so konsequent wie Ralf Koenen bearbeitet diese Punkte kaum jemand. Im Gespräch wird auch schnell deutlich, dass der Mann genau weiß, wovon er spricht. Anders als viele Autodidakten im HiFi hat der Diplom-Ingenieur (Nachrichtentechnik) eine sehr klare Vorstellung, davon wie eine perfekte Schaltungstechnik im HiFi aussieht. Das gilt durchaus auch für Lautsprecher. Wer zweifelt, werfe einen Blick auf seine Frequenzweiche.

Das Besondere der Progressive Audio Extreme I

Eine Besonderheit kann man gleich beim Anfassen der Gehäuse spüren: Sie sind aus Acryl. Koenen verwendet Platten mit 10 Millimeter Stärke, die mit einem Zweikomponentenkleber über sieben Stunden miteinander verbacken werden. So entsteht eine extrem stabile Konstruktion, die innwandig zusätzlich versteift ist. Koenen schätzt am Acryl die höhere Dämpfung im Tieftonbereich.

Progessive Audio Extreme 1 innen
Die Progressive Audio Extreme I querliegend von innen. Man sieht die Gehäusewandstäke von 10 Millimetern und die transparenten Versteifungen, das Bassreflexrohr auf der Rückseite sowie die Frequenzweichenplatine am Boden (Foto: H. Biermann)

Die zweite Besonderheit ist der Treiber, ein seit vielen Jahren bewährter Koax des norwegischen Spezialisten Seas. Die Kombination aus 16 Zentimeter Magnesiummembran und 25 Millimeter großer Gewebekalotte gilt als besonders gelungen. Allerdings nimmt Koenen auch hier nichts von der Stange: Er hat sich bei den Norwegern eine Variante bauen lassen, die einen linearen Hub von 14 mm stemmt. Das ist für einen Tieftöner dieser Größe außergewöhnlich und lässt eine große Basstauglichkeit erwarten.

Progessive Audio Extreme 1 Koax
Die 25 Millimeter große Gewebekalotte sitzt mittig im Zentrum des Tiefmitteltöners. Dessen 39 Millimeter durchmessende Schwingspule bietet so gerade eben Platz für den miniaturisierten Hochtöner (Foto: H. Biermann)

Ebenfalls verspricht der koaxiale Aufbau eine gleichmäßige Abstrahlung in alle Richtungen sowie – und hier stoßen wir wieder auf Koenens Credo – eine zeitrichtige (also zeitgleiche) Wiedergabe von Hoch- und Tiefmittelton. Mechanisch ist die gegeben, wenn die Schwingspulen der Treiber exakt übereinander, idealerweise sogar ineinander liegen.

Doch das Außergewöhnlichste an diesem Lautsprecher ist die aufwändige Frequenzweiche, mit der Koenen seine Vorstellungen von Phasen-Linearitäten umsetzt. Dabei wird man hier auch nach langem Suchen keine Über-alles-Impedanz-Linearisierung finden. Doch die kosten immer Dynamik. Deshalb erledigt Koenen diesen Punkt mit einer Vielzahl von Einzelfiltern. Und weil er mit dieser Frequenzweiche wirklich alles geraderückt, ist die Anzahl der Bauteile für eine „einfache“ 2-Wege-Box enorm.

Progessive Audio Extreme 1 Frequenzweiche
Mehr Bauteile sind auf der Platine kaum unterzubekommen: die 18-dB-Schaltung der Extreme I wird mit dutzenden, zusätzlichen Filtern auf die perfekte Phase getrimmt (Foto: H. Biermann)

Praxis

Wir sprachen eingangs von der Koenen‘ schen Idee der idealen Phase. Ein Blick auf die entsprechende LowBeats Messung zeigt: Viel besser geht es mit passiven Lautsprechern nicht. Im Tiefton erkennt man die beiden unvermeidlichen Höcker in der Impedanz (rote Kurve), gefolgt von einem Abfall des EPDR-Werts (graue Kurve) auf deutlich unter 2 Ohm. Ansonsten ist alles absolut makellos.

LowBeats Messung Progressive Audio Extreme 1: Impedanz, Phase, EPDR
Impedanz (rote Kurve), Phase (blaue Kurve) und EPDR (graue Kurve) verlaufen in seltener Linearität (Messung: J. Schröder)

Das ist ziemlich genau das elektrische Verhalten, dass sich Verstärker wünschen. In Verbindung mit einem recht ordentlichen Wirkungsgrad (86 Dezibel) ist dieser Lautsprecher sogar geeignet, von wattschwachen Röhren-Amps angetrieben zu werden. Schon seit einigen Monaten haben wir die Mira Ceti 300B Monos von Fezz Audio (Stückpreis: 2.995 Euro) im Hörraum. Geniale Amps, verzaubernder Klang, aber nur 18 Watt.

Reicht. Es wird mit der Extreme I natürlich nicht infernalisch laut. Aber das würde es auch mit 500 Watt nicht. Viel mehr als 20 Watt müssen es in ihrem Falle nicht sein, weil sonst der (weitgehend unverzerrte) Maximalpegel überschritten wird:

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LowBeats Pegelmessung Progressive Audio Extreme 1 @ 85 dB
Bei der klassischen Wohnzimmerpegel-Messung (@85 dB) sind nur Ansätze von Verzerrungen zu erkennen. Was die Messung ebenfalls zeigt: die Extreme I hat für einen Lautsprecher dieser Größe einen sehr ordentlichen Tiefgang (Messung: J. Schröder)
LowBeats Pegelmessung Progressive Audio Extreme 1 @ 92 dB
Bei der Maximalpegel-Messung fahren wir die Belastung im Tiefbass- und Hochtonbereich etwas herunter, um die Treiber nicht zu zerstören. Die Extreme I kommt immerhin auf dauerhafte 92 Dezibel. Kurzfristig verträgt sie weit über 100 sein Dezibel (Messung: J. Schröder)
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Wir schlossen während der Hörtests auch die fantastischen Transistor-Verstärker Soulnote A-2 (Preis: 7.000 Euro) und Neukomm CPA 155S (um 6.700 Euro) an. Das brachte im Bass etwas mehr Kontrolle, aber wirklich mehr Pegel holten auch diese beiden nicht aus den Extreme 1. Aber schon die Auswahl der Verstärker vermittelt eine Idee davon, wo man die kleine Progressive qualitativ ansiedeln sollte: nämlich ganz schön weit oben…

Zur Aufstellung: Progressive Audio bietet einen optisch passenden Acryl-Ständer für 800 Euro pro Paar. Mechanisch habe ich da keine Besonderheiten erkennen können: Es geht natürlich auch jeder andere qualitativ hochwertige Ständer oder zur Not sogar das Sideboard. Man kann die Extreme I nämlich auch recht dicht an die Rückwand stellen. Allerdings gebe ich dabei zu bedenken, dass die wirklich herausragend gute Abbildung immer besser wird, je freier sie steht. Das gilt im Grunde für jeden Lautsprecher, aber für die Progressive halt ganz besonders.

Progessive Audio Extreme 1 Ständer
Mit den passenden Ständern sieht die Extreme I richtig klasse aus. Die Ständer kosten pro Paar 800 Euro (Foto: Progressive Audio)

Auf der Rückseite finden sich die exzellenten Anschlüsse aus dem Hause Furutech – Koenens Progressive Audio Distribution (PADIS) vertreibt hierzulande ja auch das Furutech Audio-Zubehör-Programm. Da liegt die Verwendung nahe. Hinzu findet sich hier ein kleiner Kippschalter, der bei Bedarf den Hochtonpegel um 1 Dezibel anhebt. Prinzipiell ist der Hochtöner der Extreme I von der eher sanften Natur; da schadet etwas mehr Pegel nicht.

Progessive Audio Extreme 1 Anschluss
Die Rückwand der Extreme I ist aus Service-Gründen verschraubt. Die Kontakte der Furutech Polklemmen namens FP-803 G glänzen mit einer Gold-Schicht von Furutech FP-803 G Polklemmen 24K Gold (Foto: H. Biermann)

Hörtest

Ich kenne den in der Extreme I eingesetzten Seas-Koax schon sehr lange. Der ist gut und bewährt, aber alles andere als Raketentechnik. Meine Erwartungen vor den Hörtests waren daher überschaubar. Umso mehr überraschte mich die Kleine. Allein schon der Tiefton: Die Bässe kommen enorm tief, aber eher satt denn streng präzise. Das sorgt für ein permanent wohliges Gefühl, weil es alles etwas größer oder wärmer klingen lässt. Im Oberbass dagegen klingt die Extreme I eher etwas zurückgenommen.

Diese leichte Senke hat zweierlei Konsequenzen: Gesangsstimmen haben eine sehr gute Durchhörbarkeit – viele Kompaktboxen haben gerade in diesem Bereich eine eigentümliche Unschärfe – und der gesamte Mittenbereich darüber klingt extrem aufgeräumt. Hier trifft sich die tonale Abstimmung mit der aufwändigen Filterung von Hoch- und Tiefmitteltöner.

Wir saßen also auf dem Sofa im Hörraum, ich hatte die Röhren-Monos von Fezz Audio angeschlossen und ließ eher zum Warmwerden Michael Jacksons „Thriller“ als SACD laufen, da verstummten schlagartig alle Gespräche. Ich möchte sagen: Es wurde andächtig still. Nicht nur, dass man anerkennen muss, wie genial dieses Album auch nach 40 Jahren immer noch ist. Oder dass die MFSL-Leute beim Remastern einen echt guten Job gemacht haben. Nein: Vor allem diese schwer beschreibbare Klarheit, Dreidimensionalität und Raumtiefe, mit der die Extreme I die legendären Hits von „Wanna Be Startin‘ Somethin'“ über „Thriller“ bis „Billie Jean“ direkt vor unsere Nase projizierte, beeindruckte uns schwer. Wir hatten jederzeit das Gefühl, wir könnte die einzelnen Facetten dieses Klangereignisses – Snare- und Bassdrum, Gitarre Piano – regelrecht anfassen. Und hey: Die Bässe hatten einen erstaunlichen Punch.

Trotzdem ist die Extreme I keine Hochpegelbox; das erschließt sich schon aus ihrer Größe. Und wenn man es mit dem Pegel nicht übertreibt, klingt sie sehr viel größer und souveräner als ihre Abmessungen vermuten lassen. Ich habe mit diesem Lautsprecher sehr viel Stunden Musik gehört und hatte dabei ein seltenes Gefühl der Zufriedenheit: Weil das Klangbild, das die Extreme I in den Raum zauberte, so reich an Informationen, so lebendig, so vielfältig war.

Einen der Lautsprecher, die wir zum Vergleich heranzogen, war die nochmals kleinere XT-1 von Raidho. Auch sie schafft es ja, aus wenig Volumen einen enorm stattlichen Tiefbass zu zaubern. Und auch die XT-1 ist ja mit einer Tiefenstaffelung gesegnet, die – schließt man die Augen – viele Meter tief reicht. Allerdings legt die Progressive hier noch eine Schippe drauf. Bei der Denon Aufnahme von Mahlers 5. Symphonie (One Point) hatte ich den Eindruck, ich hätte das Orchester und mindestens 30 – 40 Meter vor mir.

Progessive Audio Extreme 1 vs Raidho X1
Auf ihre Art sehr gut vergleichbar: Progressive Audio Extreme I und Raidho XT 1 reichen beide für ihre Größe erstaunlich tief in den Basskeller (Foto: H. Biermann)

Der Hochton der XT-1 ist ja – vielleicht auch wegen des Bändchen-Hochtöners – ungemein fein, sauber und ohne jeden Stressfaktor sanft. Obwohl der Hochtöner der Extreme I – gemessen an der Raidho – vergleichsweise einfach gestrickt ist, hat er sehr ähnliche Attribute: Auch er ist ungemein fein, offen und nie stressig. Und das ist ein klares Plus für die Progressiv: Obwohl sie mit deutlich mehr Energie und Akkuratesse in den Mittellagen zu Werke geht, fehlt auch ihr jeglicher Hang zur Schärfe. Das ist fürs lange Musikhören einfach super.

Wenn es um die Einstufungen von Kompaktboxen dieser Qualitätsstufe geht, muss natürlich auch unsere Referenz ran: die Dynaudio Heritage Special. Die große Stärke der Dynaudio sind Natürlichkeit, authentische Klangfarben und eine ebenfalls außergewöhnlich stabil-plastische Abbildung. Und tatsächlich klang eine Geige oder ein Cello mit der Dynaudio (natürlich ebenfalls an den Fezz Audio Monos) noch ein Stückchen sonorer, im Ton richtiger. Aber die Art und Weise, wie blitzsauber, quicklebendig und habhaft-plastisch die Extreme I im gesamten Mittenbereich agierte, dürfte für viele Musikfreunde womöglich noch überzeugender sein…

Fazit Progressive Audio Extreme I

Eigentlich wollte ich diesen Lautsprecher schon vor fünf Jahren testen. Es kam irgendwie nicht dazu. Heute, fünf Jahre später und nach einigen Wochen des Hörens mit der Extreme I, muss ich mich ärgern, dass es erst jetzt passiert. Denn selten hat mir in den vergangenen Monaten eine Kompaktbox so viel Spaß gemacht wie diese. An einer angemessenen Elektronik-Kette zaubert die Extreme I bei kleinen und mittleren Pegeln eine derart plastische Abbildung, ein solch lebendiges Klangbild in den Hörraum, das einfach nur Staunen macht. Und obwohl der gesamte Mittelhochtonbereich extrem akkurat daherkommt, hatte ich nie Momente, in denen es mir zu scharf wurde.

Die Acryl-Anmutung dieses außergewöhnlichen Lautsprechers könnte polarisieren. Ganz und gar nichts zu bekritteln gibt es dagegen an dem blitzsauberen, elektrischen Verhalten der Box: Der Wirkungsgrad als auch das Impedanz-/Phasenverhalten ist nahezu ideal, sodass selbst wattschwache Röhren-Verstärker an ihr ganz groß aufspielen. Im Paket ist dieser Lautsprecher fraglos eine der interessantesten Kompaktboxen überhaupt.

Progressive Audio Extreme I
2023/01
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Ungemein plastischer, offener Klang mit erstaunlich tiefem Bass
Fantastische Abbildungsfähigkeit
Elektrisch für quasi jeden Verstärker geeignet
Kann aufrecht wie quer betrieben werden

Vertrieb:
Progressive Audio Distribution
August-Thyssen-Straße 13a
45219 Essen, Germany
www.furutech.com

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):

Progressive Audio Extreme I: 4.400 Euro
Progressive Audio Stand: 800 Euro

Technische Daten

Progressive Audio Extreme I
Konzept:2-Wege Koax-Kompaktbox, Bassreflex
Durchmesser Tiefmitteltöner:16 Zentimeter
Durchmesser Hochtöner:25 Millimeter (Gewebe)
Wirkungsgrad (2,83 Volt / 1 Meter):86,0 dB
Nominal-Impedanz3,7 Ohm
Maximalpegel (Dauer / kurzfristig)
92 / 103 Dezibel
Leistungsbedarf für Max.-Pegel
22,4 Watt
Besonderheit:Acryl-Gehäuse (Weiß und Schwarz)
Abmessungen (B x H x T):19,0 x 40,0 x 35,0 cm
Gewicht:11,5 Kilo
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Vollverstärker Neukomm CPA155S – der kompakte Favoritenkiller
Test Vollverstärker Soulnote A-2
Test Kompaktbox Raidho XT-1: die große High-End-Welt im Kleinen
Test Dynaudio Heritage Special: in der Tradition der großen Sondermodelle

Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.