Welches ist der berühmteste Lautsprecher der Welt? Das riesige Klipschorn aus dem Jahre 1946? Die Bose 901 mit ihrer außergewöhnlichen Direkt/Indirekt-Abstrahlung von 1968? Oder die millionenfach eingesetzte JBL Control 1, die 1987 auf den Markt kam? Alle drei werden noch gebaut und verkauft. Audiophile Menschen werden hier eine andere Antwort geben: natürlich die LS 3/5a. Seit über 50 Jahren schon verzückt diese Kleinbox (die Ende der 1960er Jahre bei der BBC als Monitor für mobile Übertragungen entstand) die Gemüter von Studioprofis wie Musikliebhaber gleichermaßen. Es gibt keinen Lautsprecher, dessen Geschichte so lebendig und vielseitig ist, den immer noch ein so andächtiger Nimbus umgibt und der so viele “designierte” Nachfolger hat. Und nicht zuletzt war er auch die Inspiration für den Lautsprecher, um den es in diesem Beitrag geht: die ProAc Tablette 10.
Steward Tyler, Chef der britischen Lautsprecher-Manufaktur ProAc, wollte den Rummel um den LS 3/5a eigentlich nicht mitmachen. 1979 präsentierte er mit der ersten ProAc Tablette seine Vorstellung von einem guten Kompaktlautsprecher. Tatsächlich war die Tablette eine Art Gegenentwurf zur LS 3/5a.
Sie war zwar auch eine kleine Zweiwegekombination, aber eine Bassreflexkonstruktion mit dem BR-Port auf der Rückseite (also ungeeignet für die Aufstellung direkt an der Wand). Außerdem hatte sie eine möglichst schmale Schallwand und war zudem klanglich sehr viel frischer abgestimmt.
Auch die Tablette eroberte sich ihre Fans. In den folgenden, fast vier Jahrzehnten entwarf Tyler acht weitere, eigenständige Tablette-Versionen, die allesamt hoch angesehen waren – um nun mit der zehnten Variation des Themas “Tablette” doch noch eine tiefe Verbeugung vor der LS 3/5a zu machen.
Und Tyler macht daraus keinen Hehl. Punkt 1: Auch die ProAc Tablette 10 ist eine geschlossenen Konstruktion, die mehr breit als tief ist. Punkt 2: Die neue Tablette ist – wie in den 60er/70er Jahren angesagt – eine mit 10 Ohm sehr hochohmige Box.
Punkt 3: Auch der Tablette 10 genügen lediglich fünf Liter Volumen. Tyler ging noch einen Schritt weiter: Er übernahm exakt die Abmessungen der LS 3/5a (H x B x T: 30,5 x 19 x 15,9 cm). Kurz: Ist die Abdeckung aufgesetzt, sind die beiden kaum voneinander zu unterscheiden.
Von hinten allerdings schon. Die LS 3/5a hatte nur einen einfachen Lautsprecheranschluss, die Klemmen selbst waren von bescheidener Qualität.
Auch an anderen Stellen sieht man den Einsatz modernerer Materialien. Der BBC Monitor bestand ja aus sehr dünnen Seitenwänden – so auch die ProAc Tablette 10. Deren Gehäuse sind aus zwölf Millimeter starkem High Densitive Fibre. Dieses HDF ist allerdings aus sehr feinem Holzstaub zusammengepresst und deshalb eine deutlich härtere Variante des üblichen MDF.
Die Tablette 10 ist – wie eigentlich alle ProAcs – sehr ordentlich aufgebaut. Alle Anschlüsse sind gelötet und auch beim Finish (Weiß, Schwarz, Kirsche, Ahorn, sowie Ebenholz und Mahagoni gegen 200 Euro Aufpreis) lassen die Engländer mittlerweile nichts mehr anbrennen.
Unser weißes Testmusterpaar jedenfalls sah tadellos aus – selbst als wir die Treiber ausgebaut hatten. Das Gehäuse ist absolut solide und luftdicht aufgebaut, Hoch- und Tieftöner sind mit Gewindeschrauben (statt Holzschrauben) arretiert; das ist bei Lautsprechern dieser Klasse leider längst noch nicht Standard.
Der wichtigste Unterschied aber sind natürlich die Treiber. Tyler hat einen überragenden Hochtöner von Scan Speak (den er auch in seinen größeren Modellen einsetzt) mit einem Tiefmitteltöner von Seas kombiniert, dessen Membran er sich von den Norwegern exklusiv machen lässt.
Der kleine Magnet ist kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil. In geschlossenen Gehäusen sorgen die Rückstellkräfte der eingeschlossenen Luft für eine perfekte Kontrolle der heraus schnellenden Membran. Ein dicker Magnet verhindert in geschlossenen Lautsprechern echten Tiefbass.
Das ist bekannt; auch der Tieftöner der LS 3/5a (KEF B110) war kein Kraftprotz. Neu und in dieser Form noch nicht gesehen ist jedoch die Membran des Tablette-Tiefmitteltöners. Hier wurden einer Schilfrohr-Mischung sehr feste, gummiartige MICA-Kügelchen beigemischt. Das erhöht die Stabilität. Eine Art Akustik-Lack, der auf die Membran aufgetragen wird, reduziert die Resonanzen in den Mitten.
Und da die ProAc Tablette 10 ja eine hochohmige Box ist (nominelle Impedanz: 10 Ohm), handelt es sich bei dem Tiefmitteltöner um eine entsprechende Sonderversion: “wie üblich für uns speziell gemacht”, wie Tyler unterstreicht.
Der Hochtöner ist keine Spezialanfertigung und dennoch vom Feinsten. Das Scan Speak Modell D2604/830004 wird von vielen namhaften Herstellern eingesetzt – sogar in Lautsprechern, die weit teurer sind als die kleine ProAc. Aber auch bei ProAc selbst ist die Gewebekalotte ja bewährt.
Die ProAc Tablette 10 im Hörtest
Vor den Hörtests musste natürlich zunächst einmal der optimale Aufstellungsort gefunden werden. Das aber war kein Problem. Im Grunde spielte die kleine Tablette fast überall fantastisch gut: Direkt an der schallharten Wand entwickelte sie erwartungsgemäß etwas mehr Druck im Bass, doch am besten gefiel sie mir bei absolut freier Aufstellung im LowBeats Hörraum. Der Bass war auch dort immer noch druckvoll genug und die Abbildungsgenauigkeit enorm.
Der optimale Verstärker? Genauso wenig ein Problem: je höher dessen Güte, umso besser wurde es. Wir begannen Klassen-gemäß mit dem Rotel A14. Doch der reichte uns schon bald nicht mehr.
Die Tablette schien ständig zu sagen: “Da geht noch mehr.” Und tatsächlich: Mit dem Atoll IN 300 (2.800 Euro) ging schon richtig die Sonne auf – weil alle Details so fein gezeichnet wurden. Doch am Ende hörten wir stundenlang mit unserem Referenzverstärker Octave V 80 Röhren-Amp – einfach, weil es so großartig geklungen hat.
Das aber zeigt das hohe Potential der ProAc Tablette 10. Sie wächst mit der vorgeschalteten Elektronik und ihre Fähigkeit, Details besonders fein darzustellen, ohne dass es anstrengend wird, ist in dieser Preisklasse genau so angenehm wie selten. Ein Beispiel: Die Stimme von Lorde auf Melodrama, unserem CD-Tipp der KW 24, hatte mit der kleinen Tablette etwas frappierend Offenes, etwas, was ich im besten Sinne als “echt” bezeichnen würde.
Als Vintage-Fan habe ich natürlich noch ein Pärchen originaler LS3/5a zu Hause (Hersteller: Rogers, Jahrgang: 1986), sozusagen als Maßstab über die Jahrzehnte. Und gerade bei Stimmen macht dem BBC Monitor ja so schnell keiner was vor. Doch die etwas heller abgestimmt ProAc war in allen Belangen – auch den Stimmlagen – eindeutig besser.
Auch beim Vergleich mit einer ernsthaften Nachfolgerin der LS 3/5a, der KEF LS 50 (Paarpreis: 1.200 Euro), zeigt die Tablette keine Schwäche. Die KEF schaffte die plastische Darstellung vielleicht noch etwas glaubhafter und hatte mehr Druck im Bass. Doch die ProAc punktete mit größerer Klarheit in den Mitten, mit wunderbar offenen und transparenten Stimmen.
Sogar die Basswiedergabe war erstklassig. Etwas schlanker als gewohnt, vielleicht, aber absolut auf den Punkt. Ich liebe das: Wenn man das Nachschwingen der Trommel-Felle so genau nachhören kann, wenn es schnalzt und nicht wummert.
Selbst die elektronischen Grooves, die Yello Mastermind Boris Blank so eindrucksvoll hin- und herwabern lässt, waren mit der ProAc Tablette 10 perfekt nachzuverfolgen. Dass Tiefbass nicht die Paradedisziplin dieses Lautsprechers ist, liegt auf der Hand. Aber selbst hier schlägt er sich wacker.
Einschränkungen gibt es natürlich auch beim Pegel: Bei derben Paukenhieben und gehobener Lautstärke schlug der Tieftöner an. Aber bitteschön: Wir reden über einen kleinen Tiefmitteltöner von gerade einmal 14 Zentimeter Korbdurchmesser in einem Gehäuse von fünf Liter Volumen. Das ist eine echte Kleinbox. Und dafür ist das, was sie zaubert, atemberaubend.
Auch die fantastische Dynaudio Excite 18, eine Ausgeburt an Neutralität und Ton-Genauigkeit, hatte gegenüber der natürlichen Frische der ProAC Tablette 10 das Nachsehen. Auch, weil die kleine Engländerin den Zuhörer so mitreißt; ihre Raumabbildung ist so mühelos und so “richtig”, dass man förmlich in die Aufnahme gezogen wird.
Wir reden hier auch über eine exzellente Abbildung des musikalischen Geschehens – eine Disziplin, die sowohl die Dynaudio und noch mehr die KEF in beeindruckender Form beherrschen. Die Tablette stand dem nur wenig nach, schuf aber wegen der höheren inneren Dynamik das fast noch glaubhaftere Klangbild.
Fazit ProAc Tablette 10
Die ProAc Tablette 10 ist eine jener raren Konstruktionen, die sich spürbar über ihre Klasse erheben und einfach deutlich mehr können. Klanglich eine Wucht, wegen der geschlossenen Konstruktion weitgehen aufstellungsunkritisch und wegen der hochohmigen Auslegung für jeden Verstärker bestens verdaulich. Da sind 1.400 Euro für das Paar einfach nur günstig zu nennen.
Natürlich ist Steward Tyler auch mit der zehnten Variation seiner Tablette-Idee der offenen, “schnellen” Wiedergabe treu geblieben. Doch fast 40 Jahre Tablette-Entwicklung und fast 40 Jahre intensive Auseinandersetzung mit der BBC Legende LS3/5a haben hier zu noch mehr Natürlichkeit und innerer Dynamik geführt – und somit etwas wirklich Großes entstehen lassen.
Vergesst alles, was ihr über designierte oder Möchtegern-LS3/5a Nachfolger gelesen habt: Die wahre Nachfolgerin kommt von ProAc: es ist die Tablette 10.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Sehr präziser, natürlich-offener Klang |
| Aufstellungs-unkritisch |
| Verstärker-unkritisch |
| Extrem gute Preis/Klang-Relation |
Vertrieb:
CW Acoustics
Gartenstrasse 4
76761 Rülzheim
Tel : 07272 777 56 47
www.cw-acoustics.eu
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
ProAc Tablette 10: 1.400 Euro
(Sonderfinish Ebenholz, Mahagoni: 1.600 Euro)
Die Hörraum-Kontrahenten:
Test Passivbox KEF LS 50: In Tradition der LS3/5A
Test Dynaudio Excite 18: Die feine Kompaktbox
Die Elektronik:
Test Rotel A14: Vollverstärker der Moderne
Test Atoll IN 300: DAC-Amp mit Kraft und Feindynamik
Test: Octave V 80 SE: Der Referenz-Vollverstärker
Die Händler:
Loftsound, Arnsberg
Phoenix HiFi-Studio, Kaiserslautern
Die Steiner Box, Erlangen
Die Steiner Box; Nürnberg
High Fidelity Studio; Augsburg
Hörkultur, Offenburg
Life Like, München
MySound, Starnberg