So sauber und neutral, dass man fast vergisst, einen Röhrenamp zu hören: Canor hat mit dem Canor AI 1.10 einen zeitlosen Verstärker-Klassiker geschaffen, der Genregrenzen transzendiert.
Eigentlich wollten wir den AI 1.10 schon viel früher testen. Unmittelbar nach meiner ersten Begegnung mit den Geräten und den Leuten, die sie bauen – das war auf der High End 2019…glaube ich. Also in prä-pandemischen Zeiten, als noch keine Maske das breite Grinsen verdeckte, das Karl-Heinz Finks Finkteam-Anlage praktisch jedem aufs Gesicht zauberte, der sich auf den Sitzmöbeln in dem akustisch sorgfältig ausgerüsteten Demoraum niederließ. Klar, als Lautsprecher diente die hauseigene Borg. Und dann war da diese bildschöne Elektronik aus der Slowakei, die ich vorher nur vom Namen her kannte, welcher ab und zu auch auf Platinen des österreichischen Vernunft-High-End-Riesen Pro-Ject auftauchte.
In der Tat baut das Canor-Werk im slowakischen Prešov große Teile der Pro-Ject-Elektronik, bedient aber auch andere OEM-Kunden. Das lastet die Kapazitäten der rund 80 Mitarbeiter wohl gut aus, und ist sicher mit für die betont unaufgeregte Markteinführung der Eigenmarke verantwortlich: Selten habe ich von einer so eindeutig in den audiophilen Edelmarkt zielenden Firma so wenig Marketing-Hybris gehört. Da hat es erkennbar niemand besonders eilig oder will im Handstreich den Markt für dieses oder jenes Nischenprodukt dominieren. Tester lieben diesen Trick. Hier bekommt man noch das Gefühl, selbst etwas Großartiges entdeckt zu haben. Jedenfalls wurden erst die Testgeräte knapp, dann kam Anderes dazwischen, etwa auch die beiden überragenden Phonostufen PH 2.10 und PH 1.10. Und nun taucht endlich der AI 1.10 auf, den ich anfangs am dringlichsten haben wollte.
Die Besonderheiten des Canor AI 1.10
Was machte ausgerechnet den 1.10 so besonders attraktiv? Neben dem überragenden Klang, den er damals auf der High End entfaltete, die Aussicht auf einen wirklich universellen, zuverlässigen Röhren-Vollverstärker, dem man nahezu jeden Lautsprecher vorwerfen kann. Darauf wies nämlich bereits der freundliche Canor-Entwickler hin, mit dem ich damals auf der Messe sprach (und dessen Visitenkarte ich nicht mehr finde): Der AI 1.10 sollte eben keine Edelzicke werden, die mit genau drei Lautsprechermodellen auf der Welt fantastisch funktioniert (von denen aber zwei nicht mehr gebaut werden). Sondern ein wirklich universeller Röhrenamp, mit ausreichend Leistung, aber auch ausreichend geringem Ausgangswiderstand, um reale Boxen mit ihrem meist komplexen Lastverhalten dynamisch und tonal ausgewogen antreiben zu können.
Das ambitionierte Ziel hat der AI 1.10 im Test nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen: Er holt aus einem Satz ganz gewöhnlicher Röhren einen Klang heraus, den man eigentlich gar nicht mehr vergleichen will. Einen Klang, der so perfekt in sich ruht, dass andere Amps gar nicht mehr wirklich interessieren. Auch mit der Optik kann man sich anfreunden: Der AI 1.10 sieht aus wie alle anderen Canors, also sehr, sehr gut. Vor allem in Silber, finde ich. Aber auch in Schwarz, finden andere. Der Vertrieb jedenfalls verkauft von beiden Varianten fast genau gleich viel.
Das Design ist schlicht, in der Realisierung sehr vornehm, aber überhaupt nicht protzig-vulgär: Die silberne Frontplatte hat eine gewisse Dicke, und die erlaubt eine leicht versenkte Montage des zentralen Lautstärkeknopfs, der einem weichen, bernsteinfarben leuchtenden Heiligenschein zu entspringen scheint. Aus Respekt davor macht selbst die durchgehende schwarze Acryl-Banderole einen feierlichen Bogen, der das wiederum bernsteinfarben illuminierte Firmenlogo trägt. Rechts davon folgt ein farblich perfekt passendes Riesen-Dotmatrix-Display, das weithin sichtbar, zugleich aber elektrisch sehr störarm den gewählten Eingang und die aktuelle Lautstärke anzeigt.
Wer das viele Licht als störend empfindet, kann alles zusammen mehrstufig bis zur kompletten Verdunkelung dimmen. Der AI 1.10 leuchtet dann nur noch kurz auf, um Frontplatten- oder Fernbedienungsbefehle zu quittieren. Mit Ausnahme der Trioden-Ultralinear-Umschaltung sind alle Funktionen aus der Ferne und direkt am Gerät zugänglich. Es sind nicht viele: Lautstärke, Muting und die Auswahl der fünf Hochpegel-Eingänge, die über hochwertige dauerhaft kontaktsichere Relais erfolgt.
Ebenfalls mit Relais ist die Lautstärkeregelung umgesetzt. Voll aufgedreht stehen dann 0 dB im Display. Anheben kann die passive Vorstufe das Signal nicht, was mit normallauten Quellen aber auch nie nötig ist. Knapp wird‘s nur bei ganz ungeschickten Kombinationen: Wer ein extraleises MC im Plattenspieler betreibt, sollte daher zum Beispiel beim Phono-Preamp auf ausreichend Gain achten.
Technisch umgesetzt ist nicht nur die Eingangswahl, sondern auch die Lautstärkeregelung mit hochwertigen, kontaktsicheren Relais: Je nach gewünschter Abschwächung des Eingangssignals kombiniert das Relais-Stellwerk genau die passende Auswahl von Präzisionswiderständen zu insgesamt 64 Ein-Dezibel-Schritten. Wer an dem spielfrei kugelgelagerten Volume-Knopf dreht oder die entsprechenden Tasten auf der Fernbedienung drückt, erntet folglich nicht nur eine Pegelveränderung, sondern auch munteres Klickern, das die technische Luxuslösung verrät. Zu deren Vorteilen gehören: perfekter Kanal-Gleichlauf heute wie in 20 Jahren, allergeringste Verzerrungen und angenehme Nebeneffekte wie die problemlose Synchronisierbarkeit mehrerer baugleicher Amps – wozu das dient, sehen wir gleich. Wünschenswert und technisch auch problemlos umsetzbar wäre eine Balanceregelung gewesen. Die verfügbaren 1dB-Stufen wären dafür allerdings schon recht grob gewesen.
Nach Eingangswahl und Lautstärkeregelung folgt der aktive Teil des Verstärkers – komplett röhrenbestückt: Eine Doppeltriode des Typs 12AX7 spielt Eingangsstufe, zwei weitere Doppeltrioden – nun die niederohmigeren, aber weniger stark verstärkenden 12AT7 – dienen als Treiber. Die Leistungsverstärkung obliegt je Kanal einem Paar der Beam-Tetrode KT88. Viel gewöhnlicher als diese Röhrenauswahl geht‘s kaum – was hinsichtlich eines zukünftigen Austauschs eine durch und durch positive Nachricht ist: In guter Qualität gibt‘s diese Typen aus allen Ecken der Welt. Zum Beispiel auch bei der Firma JJ im Canor-Heimatland und EU-Mitglied Slowakei, falls man beim Ersatzkauf in ein paar Jahren gerade keine Lust hat, Geld nach Russland oder China fließen zu lassen.
Canor sorgt allerdings vorbildlich dafür, dass so ein Tausch nicht vor der Zeit nötig wird. Und geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Canor-Amps lassen ihre Besitzer vergessen, mit welcher Technik sie überhaupt hören. Beim 1.10 sieht man die Endröhren nur entfernt durch die Lüftungsschlitze im dicken Stahlblechdeckel glimmen. Die Doppeltrioden sieht man praktisch gar nicht, weil sie sich in abschirmenden Aluzylindern verstecken. Im alltäglichen Betrieb erinnern nur noch Indizien wie die halbe Aufwärm-Minute nach dem Einschalten und die getrennten 4Ω- und 8Ω-Lautsprecherklemmen an die thermionische Verstärkung. Der 1.10 war im Test aber komplett frei von irgendwelchen verräterischen Extravaganzen: Kein Knistern, kein Klingeln, kein Rauschen oder Brummen, weder beim Ein- noch beim Ausschalten, und schon gar nicht beim Musikhören.
Ich hatte nach den Erfahrungen mit drei vorhergehenden Canor-Modellen nichts anderes erwartet. Denn die Qualitätssicherung während der Produktion ist 110-prozentig. So müssen alle Röhren vor der Verwendung zunächst 48 Stunden lang einbrennen und wandern dann in ein Canor-eigenes Testsystem namens Aladdin. Aladdin misst mehr und andere Parameter als übliche Röhrentester, und speichert die Ergebnisse jeder einzelnen Röhre in einer Datenbank, die sowohl die Selektion der Bauteile beim Neubau als auch späteren Ersatz enorm beschleunigt und erleichtert.
Die Endstufe des AI 1.10 läuft in Class A, also mit so hohem Ruhestrom, dass keine Übernahmeverzerrungen zwischen den Gegentakt-Hälften mehr entstehen können. Da Röhrenamps auch im AB-Betrieb schon gut warm werden, ist der Unterschied zu reinem Class A nicht mehr so offensichtlich wie bei ihren Transistorkollegen: Der AI 1.10 wird eben noch ein bisschen wärmer und zieht mit 420 Watt auch noch ein bisschen mehr Strom aus der Dose als andere typische KT88-Gegentakter. 40 Watt pro Kanal bekommt man von seinem Energieeinsatz aus dem AI 1.10 heraus – dank jeweils angepasster Übertrager-Anzapfungen steht diese Leistung an 4Ω- wie 8Ω-Boxen gleichermaßen zur Verfügung.
Wer wirkungsgradstarke Lautsprecher mit dem Canor verwendet, kann die Ausgangstetroden per Knopfdruck wie Trioden ansteuern, ihr Schirmgitter also auf das Potenzial der Anode legen. Dann verstärkt das Ganze nicht mehr so gut, die Leistung halbiert sich und man erhält ein noch schöneres, ausschließlich mit geradzahligen Oberwellen besetztes Klirrspektrum. Die Umschaltung geht nur direkt am Gerät und sollte möglichst in Musikpausen und auch nicht zu schnell hin und her stattfinden.
Lang vergleichen muss man dabei eh nicht, weil sich die Vor- und Nachteile der beiden Modi wegen der enormen Grundqualität des Amps geradezu kristallklar manifestieren: „Triode“ kling sehr warm und sanft, „Ultralinear“ räumlich breiter, lebendiger und im Bass viel besser durchgezeichnet. Die Ultralinear-Betriebsart verbindet das Schirmgitter der Röhre mit einem genau definierten Mittelabgriff des Ausgangstrafos und stellt somit eine Art lokaler Gegenkopplung dar – mit entsprechend günstigen Auswirkungen auf Ausgangswiderstand und Verzerrungsniveau.
Es gibt mit Ultralinear also mehr Power, mehr Kontrolle und weniger Klirr. Man könnte sich fragen, wozu dann überhaupt noch ein Umschalter nötig ist – den es nicht nur bei Canor, sondern auch zum Beispiel bei Röhrenamps von Cayin oder Line Magnetic gibt. Das fragt man sich genau so lange, bis man die beiden Modi mit verschiedenen Lautsprechern probiert hat. Da hängt es dann primär vom Wirkungsgrad und Impedanzverlauf des Speakers ab: „Röhrenfreundliche“ Konstruktionen mit eher hohem Wirkungsgrad und hoher / linearer Impedanz klingen oft im Triodenmodus besser. Schwierigere Lasten bevorzugen erwartungsgemäß häufig Ultralinear – wobei auch Geschmack und Hörsituation sowie die Auslegung des jeweiligen Verstärkers eine große Rolle spielen.
Meine Tannoy Legacy Eaton (89dB pro Watt/Meter, 6Ω) sind hinsichtlich des Triodenmodus etwas unberechenbar: An vielen getesteten Amps zog ich ihn vor, aber nicht an allen. Hinzu kommen diejenigen Röhrenverstärker, die zu gar nichts anderem in der Lage sind, weil sie schlicht mit Trioden aufgebaut sind. Auch hier gibt es Exemplare, die an der Tannoy richtig Spaß machen (etwa der Line Magnetic 805) – und solche, die erkennbar mehr Entgegenkommen wünschen. Der Canor AI 1.10 ist gleich in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Er klingt an den Tannoys ganz klar im Ultralinear-Modus besser. Und es ist nicht – wie sonst – ein Kompromiss, wo sich Vor- und Nachteile dann letztlich zugunsten der einen oder anderen Betriebsart summieren. Der Canor erforderte keine Kompromisse. Er klang an den Eatons einfach in jeder Hinsicht so gut, dass ich meine Lautsprecher völlig neu kennen- und lieben lernte.
Das „Output Mono Block“-Klemmenpaar daneben ist intern mit den 4Ω-Wicklungen beider Ausgangstrafos verbunden, versetzt den Amp also in den Mono-Brückenbetrieb. Das benötigte symmetrische Signal erhält der Canor dann über einen der beiden XLR-Eingänge. Die blaue SubD-Buchse rechts unten synchronisiert den Amp im Mono-Modus mit einem zweiten A 1.10.
Hörtest
Dynamik und Größenmaßstab sind zwei Parameter, die eng zusammenhängen: Wie weit öffnet sich das Fenster, durch das wir die Musik betrachten? Beim Canor: riesig. Die Antwort hat überraschend wenig mit der Datenblatt-Leistung eines Amps zu tun. In diesem Punkt gibt es Parallelen zum Pass INT-25, der ebenfalls in Class A arbeitet und mit lediglich 25 Watt an 8Ω angegeben ist – in der Praxis und an niedrigeren Impedanzen aber ein Vielfaches dieser Leistung abgeben kann.
Der Canor liefert unspektakuläre 40 Watt pro Kanal, entfaltet diese aber so völlig mühelos und lässig, dass selbst nahe am Limit nicht ein Anflug von Anstrengung auszumachen ist. Auch wenn jenseits jener 40 Watt dann einfach die physikalischen Grenzen der verwendeten Röhren erreicht sind, wirkt er im direkten Musik-Vergleich zum Pass sogar noch dynamischer. Es gibt Platten, die brauchen das. Die aktuelle LP von Low etwa, die in dem Siebenminüter „The Price You Pay“ endet.
Das Stück beginnt Low-typisch mit dem zärtlichen, zweistimmigen Gesang der Eheleute Sparhawk und Parker. Man hat nach dem Durchhören des Albums zu diesem Zeitpunkt schon einiges mitgemacht und lässt sich dankbar in diese wunderbaren, einfachen Harmonien fallen. Und dann stampfen doch noch einmal diese kantigen, verzerrten Beats in das Stück, türmen sich immer höher zu einem wahrhaftigen „WTF??“-Moment auf: Wenn man frühzeitig nicht per Lautstärkeregler gegensteuert, schafft man‘s ab Minute drei kaum mehr aus eigener Kraft an den Knopf. Und wundert sich, wie zum Teufel dieses Stück jetzt doch noch so eskalieren konnte. Und es eskaliert mit dem Canor einfach noch unmittelbarer, überraschender, furchterregender als mit dem Pass – der ja nicht irgendein dahergelaufener Amp ist, sondern der klar beste mir bekannte Transistor-Vollverstärker.
Sollte einmal besonders viel Power nötig sein, etwa für hochbelastbare Lautsprecher in entsprechenden Räumen, kann man den AI 1.10 in einen Monoblock verwandeln und einen zweiten 1.10 zukaufen. Die beiden Amps laufen dann jeweils in Brückenschaltung und synchronisieren ihre Lautstärkeregelung über ein Steuerkabel. So hatte Karl-Heinz Fink den 1.10 damals auf der High End laufen. Also zwei davon. Für Messebedingungen – Riesenraum, massive Akustikmaßnahmen, Hintergrundlärm, entsprechend hohe Vorführlautstärken – ein ideales Setup mit dann glatten 80 Watt pro Kanal, das zuhause wohl nur selten nötig sein wird. Gut zu wissen jedenfalls, dass die Option jederzeit zur Verfügung steht.
Klangfarben und Neutralität
Tonale Vielfalt und Intensität gewinnt der Canor nicht so sehr durch eigenes Zutun, sondern durch eine für Röhrenverhältnisse ungewöhnlich neutrale Herangehensweise. Im Hörraum spielte stromaufwärts mein alter Linn LP12 / Lingo 2 / Kore / Ekos 1 mit einem nagelneuen, fantastisch sauber und nuanciert abtastenden Thorens TAS 1600.
Die Farbenpalette, die die vereinten Vorarbeiter dem Canor liefern, ist opulent, und sie leuchtet praktisch ungehindert durch den Verstärker hindurch. Wo andere Röhren ganz oben etwas Differenzierung schlucken, den Präsenzbereich etwas unterstreichen oder den Grundton um ein paar Gramm verschlanken, sprich einen Hauch ihres eigenen Sounds hinterlassen, blüht beim Canor reine, duftige, ungefilterte Natur. Farben klar, eindeutig und nuancenreich wiederzugeben: Das gelingt dem Canor besser als jedem anderen Vollverstärker, der je in meinem Hörraum stand. „Ich Tauche Auf“ von der aktuellen Tocotronic-Doppel-LP „Nie Wieder Krieg“ klingt damit delikat, die Stimmen von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und Gastsängerin Soap&Skin so nah, dass man ihren Atem auf der Haut spürt.
Auf der rauen, ledrigen Gegenseite des Klangfarbenspektrums gibt es Platten wie „Bubblegum“ des viel zu früh verstorbenen Mark Lanegan: Aufgenommen im sagen- und anekdotenumwobenen Wüstenstudio Rancho de la Luna in Joshua Tree, Kalifornien, besetzt mit hochkarätigem Stonerrockpersonal, etwa den praktisch kompletten Queens Of The Stone Age, Gitarrist / Studiobetreiber David Catching und Masters-Of-Reality-Chef Chris Goss, sowie illustren Gästen wie PJ Harvey, die auf „Come To Me“ mit Lanegan ein berückendes Duett hinlegt.
Das klingt mit dem Canor genau so, wie es muss: authentisch, direkt, hochdynamisch. Man hört die hölzernen Wände regelrecht mitschwingen, sieht die Wüstensandkörnchen auf den vibrierenden Bodendielen tanzen, spürt den Druck von Josh Hommes Bassverstärker im Magen und wird Zeuge, wie sich zwei große und komplett gegensätzliche Rockstimmen gegenseitig umgarnen: Lanegans leidensgeprüfter, tequilageölter Bariton und Harveys ätherischer Sopran. Unwiederholbar grandios, und mit dem Canor und den Tannoys fühlt man sich, als würde man direkt danebenstehen. In der Hand keine Kaffeetasse, sondern ein Gläschen José Cuervo.
Raum und Details
Der Canor AI 1.10 löst enorm fein auf, bleibt dabei aber komplett zwanglos. Eine seltene Kombination aus Klangschönheit und Komplexität, und eine extrem wünschenswerte, weil das Mehr an Information, das der Amp in den Hörraum zaubert, nie forciert, aufdringlich oder künstlich-zimbelig wirkt. Bei „Live – At The Point“ von Christy Moore steht mal wieder groß „Wow!“ in den Hörtest-Notizen: Stimme und Gitarre stabil wie festgenagelt, akkurat abgegrenzt zum Drumherum-Hören, aber dennoch mit völlig glatten Kanten. Autorität mit Seidenhandschuhen, von der hier das Leichte, Spielerisch-Spontane in Moores Ansagen und Anekdoten enorm profitiert, die funkensprühende Energie, die den Sänger mit seinem Livepublikum verbindet wie eine Hochspannungsleitung. Diese Atmosphäre lebt von feinsten Details, die auf ihrem Weg von der Vinylrille zum Lautsprecher an vielen Stellen hängenbleiben können. Hier tun sie es nicht. Und vieles, was ich zuvor dem Lautsprecher oder Tonabnehmer ankreidete, löste sich einfach in Wohlgefallen auf.
Fazit Canor AI 1.10
Wie es Canor schafft, den AI 1.10 so sagenhaft offen und neutral klingen zu lassen, darüber kann man prächtig philosophieren. Sind es die hausgewickelten, mit einer genau austarierten Kernblech-Zusammensetzung (30% Permalloy) aufgebauten Edel-Übertrager? Die kunstvoll per CNC-Fräse skelettierten Platinen (CMT, Canor Milling Technology), die die Vorteile von Leiterplatten und Freiverdrahtung kombinieren sollen? Oder einfach nur viel Erfahrung, ausgereiftes Schaltungsdesign und etwas Glück? Jedenfalls kenne ich zu dem Preis dieses Amps nichts Besseres, Schöneres und Unkomplizierteres. Die Eckdaten – KT88, 40 Watt – gibt‘s viel billiger. Sie erzählen aber nicht die ganze Geschichte. Nicht mal ein Kapitel davon.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Großvolumiger, dynamischer, natürlicher Klang |
| Hohe, mühelose Dynamik |
| Relativ boxenunkritisch |
| Trotz des hohen Preises günstig |
Vertrieb:
IDC Klaassen
Am Brambusch 22
44536 Lünen
www.idc-klaassen.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Canor AI 1.10: 7.150 Euro
Die technischen Daten
Canor AI 1.10 | |
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Technisches Konzept: | Röhren-Vollverstärker |
Leistung: | 2 x 40 Watt (ultralinear), 2 x 20 Watt (Triode) |
Eingänge: | 5 x RCA |
verwendete Röhren: | 1 x 12AX7, 2 x 12AT7, 4 x KT88 |
Besonderheiten: | Endstufe Mono-brückbar |
Abmessungen (B x H x T: | 43,5 x 17,0 x 48,5 cm |
Gewicht: | 26,0 Kilo |
Alle technischen Daten |
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