Den Namen wird man sich merken müssen: Canor Audio. Die Slowaken sind zwar schon seit 25 Jahren am Markt, feiern ihren Durchbruch in Deutschland aber erst jetzt. Canor steht für außergewöhnlich gutes, sehr traditionelles, liebevoll handgefertigtes HiFi. Vor kurzem hatten wir den CD-Player Canor CD 1.10 im Test und waren sehr, sehr angetan. Aber auch der kleinste ihrer drei Vollverstärker, der Canor AI 2.10, setzte sofort nach seinem Eintreffen in der Redaktion zum Überflug an. Eine herrliche Maschine.
Kein Streaming, kein DAC, kein Bluetooth: Schaut man sich das kleine, aber feine Programm (drei Vollverstärker, zwei CD-Player, eine Phonostufe) an und wirft man einen Blick auf die Verarbeitung und die Zutaten (immer vom Feinsten und immer reichlich), könnte man auch auf die Idee verfallen, dieses Programm sei in den frühen 1990er Jahren entsprungen.
Die Leute von Canor sind zweifelsfrei HiFi-Traditionalisten. Der hier getestete Canor AI 2.10 ist vom Konzept her noch das modernste Gerät, weil es mit einer vergleichsweise neumodischen Class-D-Endstufe ausgestattet ist – obwohl Sony die Schaltendstufe ja schon Mitte der 1980er Jahre im HiFi einführte. Aber als wolle man sich hier auch nicht einen Hauch von “moderner” Blöße geben, lässt Chefingenieur und Canor Mitinhaber Zdeňek Březovják die Schaltendstufe von einer Röhrenvorstufe kontrollieren…
Doch bevor jetzt die Stereotypen-Schubladen aufgehen: Die Canor Leute können auch anders. In ihrem Werk im slowakischen Prešov entstehen auch viele Pro-Ject Komponenten. Und bei Pro-Ject wird das Digitale ja mittlerweile ziemlich groß geschrieben. Nein, Canor ist ein Passions-Projekt: Hier arbeiten Spezialisten, die es nach 25 Jahren der Fertigung von bestem HiFi noch einmal wissen wollen und die ihre Lust und ihr Wissen in diesen Komponenten gekonnt zusammenfließen lassen – zum Beispiel im Canor AI 2.10.
Das Konzept des Canor AI 2.10
Auffällig bei Canor ist stets die Frontgestaltung mit dem mächtigen und massiven Bedienknopf in der Mitte. Hier sorgt schon das Anfassen für ein gutes Gefühl. Bei der kleineren 2er Serie (kann man bei zwei Geräten schon von einer Serie sprechen?) ist der besagte Bedienknopf im Umfang etwas kleiner als bei den 1er Geräten und nicht illuminiert. Das tut der Qualität freilich keinen Abbruch. Und auch beim kleinen AI 2.10 leuchtet es auf der Front noch genug…
Denn da ist ja auch noch das sehr große Display mit Einzel-LED-Darstellung. Auch das wirkt ein bisschen gestrig, ist aber auch irgendwie Stil-bildend und vor allem praktisch: Man sieht alle Informationen auch in großer Entfernung. Und wem es zu grell ist, drückt den Dimm-Knopf…
Eingangsseitig hat so ein traditionell ausgerichteter Vollverstärker nicht viel zu bieten. Neben den beiden symmetrischen (XLR-) Eingängen, hier um Bild, gibt es noch vier asymmetrische Cinch-Zugänge. Das wars.
Doch die symmetrischen Anschlüsse (und die komplett symmetrische Signalführung) verweisen auf den hohen Anspruch von Canor. Den spürt man auch, wenn man den AI 2.10 anhebt: 15,0 Kilo sind für einen Vollverstärker mit hoch effizienter Class-D-Endstufe ziemlich üppig.
Das liegt zum einen an den soliden Blechen und der massiven Aluminium-Front, mit denen das Gehäuse des AI 2.10 aufgebaut ist. Zum anderen an dem massigen Trafo, der das Herz der Endstufe ist. Ein so großes Netzteil für eine Schaltendstufe? Ja, genau. Entwicklungsleiter Zdeňek Březovják: “Wir haben diesen Ringkerntransformator überdimensioniert, um alle Spitzenimpulse mühelos zu verarbeiten. Es ist eine Spezialentwicklung, damit er – das ist uns wichtig – äußerst streuarm ist.”
In jedem Fall ist der kleinste der drei Canor Vollverstärker zugleich auch der kräftigste – was am Schaltungskonzept der beiden großen Brüder liegt: Der AI 1.20 ist ein Class-A-Verstärker reinsten Wassers (2 x 50 Watt), der AI 1.10 ist ein Röhren-Amp (2 x 20 Watt). Beide geizen dementsprechend mit Leistung. Der Canor 2.10 dagegen bringt es dank potenter Schaltendstufe pro Kanal auf stattliche 150 Watt (an 4 Ohm).
Wie üblich bei diesen Schaltungskonzepten sorgt auch beim AI 2.10 eine aufwändige Filterung am Ausgang, dass die hochfrequenten Signale das Audio-Signal nicht beeinträchtigt.
Das eigentlich Besondere am Vollverstärker aber ist die Röhrenvorstufe und basiert auf zwei Electro Harmonix EH 6692 beziehungsweise ECC 88. Diesem Röhren-Typen sagt man einen sehr feinen Mittelhochtonbereich nach. Die Kombination aus Röhre plus Class-D-Endstufe macht zwar Sinn, ist aber gar nicht so häufig am Weltmarkt zu finden. Zdeňek Březovják dazu: “Es ist der Vorzug der modernen Zeiten, dass wir die bewährten Röhren mit neuen Technologien kombinieren können. So war es möglich, viel Leistung und viel Klang aus dieser Kombination herauszuholen.”
Der Canor AI 2.10 in der Praxis
Der Canor AI 2.10 lieferte brav und höchst stabil seine Leistung ab. An den großen Canton A55 habe ich den Lautstärkeregler beherzt Richtung 17.00 Uhr gedreht. Es wurde ziemlich laut, aber der Slowake knickte nicht ein. Und er wurde gerade einmal handwarm.
Wie alle Verstärkern im LowBeats Test musste sich auch der AI 2.10 an Lautsprechern mit sehr verschiedenen Impedanzen laufen: unter anderem die recht hochohmige Dynamikks Modell 12, aber auch die neue Gauder Acona 60 MK II, die bei eingeschalteter “Bass-Extension” (das st ein extrem steilflankiger Hochpassfilter) etwas unter 4 Ohm liegt. Auch das nahm der Slowake unbeeindruckt; die Stabilität des Netzteils scheint wirklich sehr hoch zu sein. Was den angeschlossenen Lautsprecher angeht, muss man sich bei diesem Vollverstärker keine Sorgen machen. Sicher: mehr geht immer. Aber mit seinen 150 Watt an 4 Ohm ist man für die meisten Lebenslagen besten gerüstet.
Weil er so ausgesprochen und im Bass wunderbar kontrolliert spielt, wäre der AI 2.10 die perfekte Ergänzung von Lautsprechern mit “britischem” Sound à la Harbeth, Spendor & Co. Doch auch die größeren KEF-Modelle (Reference 3, Reference 1 sowie R11 und R3) dürften an dem Slowaken ebenso gut klingen wie die Dynaudio-Modelle der Contour-Linie. Aber was schreibe ich? Von seiner Luftigkeit und seinem Feinsinn profitiert fast jeder Lautsprecher.
Hörtest
Das Prozedere ist ja fast immer das Gleiche: Auspacken, anschließen, warmlaufen lassen. Aber hier war irgend etwas anders. Hoppla: Das klingt aber offen und leicht…
Der Canor AI 2.10 brauchte keine lange Aufwärmphase. Er lief anfangs an der Dynamikks Model 12 und ich konnte mich nicht entsinnen, diesen sympathisch-burschikosen Lautsprecher zuvor mit so feinen Manieren gehört zu haben. Das filigrane Hochtongeflecht auf Monty Alexanders “Hurricane Come And Gone” (Album: Caribbean Circle) löste er sehr elegant und in der Raumdarstellung erstaunlich gut platziert auf. Alle Details wirkten sehr plastisch, authentisch.
Auch dynamisch kommt der AI 2.10 authentischer als etliche seiner Mitbewerber daher: Hart geschlagenen Snare-Drums (mit der Model 12 ein Erlebnis…) kamen ungemein präzise auf den Punkt, das Nachschwingen der Felle kam ungemein präzise. Selbst eine kleine Schwäche der Model 12 – den nicht immer ganz präzisen Oberbass – hatte der slowakische Hybrid-Amp souverän im Griff: Es ist ein “schneller” Verstärker mit sehr viel Kontrolle gerade im hörrelevanten Oberbass/Grundton.
Mit der Model 12 also harmoniert der AI 2.10 also bestens. Aber wie sieht es mit klassischen HiFi-Boxen aus? Im Moment testen wir gerade die wirklich bezaubernde Gauder Arcona 60 MK II. Ein Lautsprecher, der ebenso filigran und detailreich spielt, wie der Canor auf Verstärkerseite. Gemeinsam feierten sie ein vielschichtiges, sehr buntes und dreidimensionales Klangfest. Mit einer tiefen Bühne und enormer Spielfreude. Mehr braucht man in kleineren Räumen nicht.
Überragend gut hat mir auch die Kombination mit der Dynaudio Contour 20 gefallen: hohe Natürlichkeit trifft auf hohe Spielfreude und Transparenz. Im Team mit kompakten Contour versetzte uns der Canor in die Aufnahme – so lebensecht klang das.
Wie immer in diesen Momenten, wenn die Euphorie mit mir durchzugehen droht, kommen die bewährten Referenzen ins Spiel: In diesem Fall der Atoll IN 400 SE (4.500 Euro), der Cambridge Audio Edge A (5.000 Euro) und der Neukomm CPA 155S (6.600 Euro). Sie werden dem Neuling schon die Grenzen aufzeigen…
Nein. Taten sie nicht. Beziehungsweise nur in Teilbereichen. Der Cambridge klingt artverwandt: sehr elegant und ebenfalls nicht mit dem letzten Druck im Bass. Er spielt jedoch nicht ganz so mühelos in den Höhen wie der Canor. Der Atoll hingegen ist ein Kraftpaket, das an die Leistungsbeschreibung von Rolls Royce erinnert: “jederzeit ausreichend”. Dieser Kraftentfaltung in den unteren Lagen hat kaum ein Verstärker etwas entgegen zu setzen – auch der elegant klingende AI 2.10 nicht. Aber seine Spielfreude, die Klarheit bei der Darstellung einzelner Details macht ihn – wenn nicht die immense Leistung des Atoll gefordert ist – mindestens ebenbürtig.
Beim Neukomm allerdings war das Ende des Fahnenmastes dann erreicht. Der Schweizer spielt zwar ebenfalls nicht ganz so filigran in den Höhen, aber mit mehr Kraft von unten heraus und in den Mitten etwas saftiger und geschmeidiger. Allerdings ist der kompakte CPA 155S auch fast doppelt so teuer…
Der Hörtest zeigt: Der Canor AI 2.10 ist nicht unbedingt besser als die bewährten LowBeats Referenzen – aber halt auch nicht schlechter. Und er ist um einiges günstiger. Das macht ihn so attraktiv.
Fazit Canor AI 2.10
Ein Verstärker, der nichts sein will als “nur” ein Verstärker. Und zwar ein wirklich guter. Die Verarbeitung ist absolut sauber, sein souverän-kontrollierter, dabei extrem feinsinniger Klang herausragend. 3.500 sind kein Schnäppchen – und dennoch ein exzellentes Angebot. Denn in seiner Leistungs- und Preisklasse dürfte es schwer werden, wirklich Besseres zu finden.
Canor IA 2.10 | 2020/04 |
ÜBERRAGEND |
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Schneller, lebendiger, sehr feiner Klang |
| 2 symmetrische Eingänge |
| Exzellente Verarbeitung, stabile Leistung |
| Günstig |
Vertrieb:
IDC Klaassen
Am Brambusch 22
44536 Lünen
www.idc-klaassen.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Canor AI 2.10: 3.500 Euro
Im Beitrag erwähnt:
CD-Player Canor CD 1.10 mit Röhren-Stufe im Test
Erster Test: Vollverstärker Cambridge Audio Edge A
Test Vollverstärker Neukomm CPA155S – der kompakte Favoritenkiller
Test Vollverstärker Atoll IN 400 SE: bester Amp unter 5.000 Euro?
Familientest Canton Anniversary Serie: A 55, A 45, A 35 und A 45BS
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