Der US-amerikanische Nobel-Hersteller Wilson Audio ist weltweit berühmt für seine kompromisslos auf Präzision, Dynamik und Klang gezüchteten Standboxen, die dank Kunststein-Gehäuse extrem schwer und leider auch recht teuer sind. Seine derzeitigen Flaggschiffe WAMM und Chronosonic XVX sind riesig und wechseln nur gegen Überweisung einer höheren sechstelligen Summe den Besitzer. Aber da gibt es im Programm der Amerikaner auch noch diesen 2-Wege Kompaktlautsprecher namens Wilson Audio TuneTot, der trotz bescheidener Abmessungen den gleichen Ansprüchen folgt. Geht das? Kann er wie eine echte Wilson klingen? Ergebnis nach einem sehr ausführlichen Test: Er kann. Der neue Vertrieb (Audio Reference) überließ uns die Kleine für etliche Wochen. Und doch zu kurz. Denn dieser Auftritt wirkt noch immer nach…
Lassen wir die Themen Geld und Vernunft mal außen vor. Ersteres sollte man für Lautsprecher wie diese einfach haben und Vernunft ersetzen wir an dieser Stelle durch Emotion, Leidenschaft und Enthusiasmus. Wer nach ausschließlich rationalen Gründen dafür sucht, eine fünfstellige Summe für Kompaktlautsprecher auszugeben, ist hier falsch.
Direkt zum FazitDie Wilson Audio TuneTot schließt einen Kreis
Um die TuneTot besser zu verstehen, ist ein kurzer Ausflug in die Firmengeschichte hilfreich. David A. Wilson II (er starb im Mai 2018 im Alter von 73 Jahren) gründete „Wilson Audio Specialties“ im Jahr 1973 zusammen mit seiner Frau Sheryl Lee und stellte sein Hobby für hochwertige Lautsprecher damit auf eine professionelle Basis. Doch neben Lautsprechern konnte sich Wilson auch für die Kunst der Musikaufnahme stark begeistern, weshalb er 1977, ebenfalls unterstützt durch Ehefrau Sheryl Lee, das Label Wilson Audiophile Definitive Recordings gründete. Ein Lautsprecherhersteller mit eigenem Aufnahmestudio? Das schreit geradezu nach einer hauseigenen Entwicklung für Abhörmonitore. So entstanden die Wilson Audio Tiny Tot, kurz WATT. Relativ kleine Zwei-Wege-Speaker mit einer Gehäuseform ähnlich eines Pyramidenstumpfs.
Die ungewöhnliche Form der WATT hatte neben der Vermeidung stehender Wellen im Gehäuseinneren vor allem den Zweck, die Front mit dem Tief-/Mittel- und Hochtöner schräg zu stellen und so den technisch bedingten zeitlichen Versatz zwischen Hoch- und Mittel-/Tiefton zu kompensieren. Der Schall von beiden Chassis soll zeitgleich an den Ohren des Hörers ankommen. Die WATT waren die bis dato kleinsten Wilson-Speaker nach diesem Prinzip und eroberten mit ihrem ausgewogenen und präzisen Klang auch die Herzen vieler anderer Studioprofis.
Später ergänzte Wilson das Bassmodul „Puppy“, auf dem die WATT platziert werden konnten, womit sie zu zweiteiligen Standlautsprechern ausgebaut wurden. Unter dem Namen Watt/Puppy entstanden viele Modellgenerationen mit immer weiter optimierter Technik, mit ihnen machte Wilson in der High-End-Audio-Welt Furore. Bis heute! Nur heißen die zweiteiligen Lautsprecher inzwischen anders: Die aktuellste Generation trägt dem Namen Sasha DAW, wobei der Zusatz als Reminiszenz für den verstorbenen Firmengründer steht. Davids Sohn Daryl schreibt inzwischen die Geschichte des Unternehmens fort.
Das „Time Domain Setup“, also die Ausrichtung der Chassis zueinander und zum Hörer, gehört bis heute zu den Grundprinzipien der Wilson Audio Lautsprecherphilosophie. Der Hersteller praktiziert dies exzessiv mit seinen Topmodellen, wie den gigantischen WAMM oder der kaum weniger spektakulären und ebenfalls sechsstellig teuren Chronosonic XVX.
Bei den aus einem einzelnen Gehäuse bestehenden TuneTot erfolgt die Laufzeitkorrektur im Gegensatz zur WATT weniger durch eine extrem schräg gestellte Gehäusefront. Dies kompensiert zwar den zeitlichen Versatz, lässt die Treiber aber deutlich nach oben zielen, wenn der Hörer auf Boxenhöhe sitzt. Stattdessen kommen in den TuneTot lange, justierbare Spikes zum Anwinkeln nach Bedarf zum Einsatz. So oder so sind die TuneTot als Nachfahren der WATT einzustufen.
Das TuneTot „Ökosystem“
Am preislich unteren Ende der Wilson-Produktskala rangieren die erst kürzlich vorgestellten Standlautsprecher SabrinaX (ab 24.600 Euro) und eben die hier besprochenen Kompaktlautsprecher TuneTot, die zu Listenpreisen ab 12.000 Euro pro Paar in den „WilsonGloss“ genannten Lackierungen Galaxy Gray, Carbon (Testmuster), GT Silver oder Quartz zu haben sind. Darüber hinaus steht eine Palette von 12 Farben als „Upgrade Color“ gegen Aufpreis zur Wahl, sowie weitere, besonders exklusive Premium-Lackierungen. Wunschfarben nach RAL-Palette sind ebenfalls möglich. Sogar die Farbe der Frontabdeckung ist in sechs Tönen wählbar. Hier eine Übersicht:
Die Farbvielfalt ist auch dem berühmten Gehäusematerial der Wilson-Speaker zu verdanken, das eine besonders gut lackierbare Oberfläche bietet.
Damit sind die Konfigurationsoptionen aber noch nicht ausgeschöpft. Für die Aufstellung der TuneTot auf einem Regal oder Sideboard – oder anderen nicht resonanzoptimierten Oberflächen – ist die Zusatzinvestition in die „IsoBase“ ratsam. Auch wenn dies zusätzliche rund 2.000 Euro bedeutet. Mehr zu den IsoBase weiter unten. Natürlich gibt es auch klanglich und farblich passende Standfüße für die freie Aufstellung im Raum. Die kosten, je nach Lackierung, ab 3.750 Euro das Paar.
Und da ist noch mehr. Mit sogenannten Trim Rings – das sind aus dem Vollen gefräste Metallringe, die magnetisch vor die Tief-/Mitteltöner gesetzt werden können – lässt sich die Optik der TuneTot feintunen. Die Trim Rings empfehlen sich insbesondere für Nutzer, die ihre Lautsprecher gerne ohne Frontabdeckung betreiben, optisch weiter aufwerten wollen und dafür bereit sind, noch ein paar Hunderter extra springen zu lassen. Im Zusammenhang mit den Trim Rings können auch die rückseitige Logoplatte aus massivem Alu und das Terminal farblich passend abgestimmt werden. Im Gegensatz zu den IsoBase haben die Ringe auf den Klang keine Auswirkung. Ein Pärchen der Trim Rings kostet 650 Euro. Zu guter Letzt finden sich im Zubehörprogramm exakt genähte Stoffabdeckungen für die TuneTot.
Zum Test stand mir ein Pärchen TuneTot in Carbon Schwarz mit IsoBases aber ohne Trim Rings zur Verfügung (Preis der Testkonfiguration etwa 14.100 Euro). Die „Carbon“-Lackierung (was nichts mit dem typischen Kohlefasergeflecht zu tun hat) bietet eine wunderbare optische Tiefe mit dezentem, bei genauem Hinsehen aber gut erkennbarem Metallic-Look. Er gehört zur Standard-Farbpalette und wirkt ultra-edel. Allein hieran zeigt sich, warum Wilson in der ersten Liga spielt.
Die Konstruktion im Detail
Auf den ersten Blick könnte man meinen, die TuneTot wären nur eine an der Spitze abgeschnittene SabrinaX, doch das täuscht. Die kleinen Zwei-Wege-Boxen haben völlig eigenständig konstruierte Gehäuse, deren asymmetrische Wände sich aus Wilsons X- und S-Material zusammensetzen. Welche der diversen von Wilson über Jahrzehnte selbst entwickelten Materialmischungen zum Einsatz kommt, wird nicht nach Zufall oder Preis entschieden, sondern nach den Ergebnissen einer Laser-vibrometrischen Schwingungsanalyse der Gehäuse. Ein ziemlich aufwendiger Prozess, der immer wieder neue Prototypen erfordert, bis das Ergebnis überzeugt. Zusätzlich kommt im Inneren der Boxen ein „internal reflection management system“ zum Einsatz, dessen Zweck sich aus dem Namen ergibt.
Zum Lieferumfang gehören neben den Spikes und zahlreichen Werkzeugen auch die weiter oben bereits erwähnten und bei Bestellung farblich abstimmbaren Frontabdeckungen. Der Rahmen der Abdeckungen besteht nicht etwa aus brüchigem Holz, sondern ist ebenfalls aus dem Wilson-typischen X-Material gefräst und sorgfältig abgerundet. Befestigt werden die Bespannungen mit Metallstiften, statt wie heute häufiger zu sehen mit Magneten. Die Befestigungslöcher befinden sich an den mit Filz verkleideten Bereichen der Front und sind daher kaum sichtbar.
An der Rückseite, oberhalb der Single-Wire Lautsprecherterminals, befindet sich ein länglicher Tuning-Port statt wie sonst üblich eine runde Bassreflex-Öffnung. Um bei wandnaher Aufstellung eine Überbetonung des Basses zu vermeiden, liegen im mitgelieferten Zubehör passende Verschluss-Stopfen bei. Diese kamen im Test zeitweise (bis zur raumakustischen Einmessung) bei Desktop-Aufstellung zum Einsatz.
Zu den wenigen Dingen, die Wilson nicht selbst im Stammwerk in Utah fertigt, gehören die Chassis. Diese werden nach Wilson-Vorgaben von Scan Speak beigesteuert. Es ist eine Spezialität von Scan Speak, Lautsprechertreiber nach Kundenvorgaben zu fertigen. Wie man hört, ist Wilson wohl einer der anspruchsvollsten Kunden der Dänen…
Konkret: So handelt es sich bei den Tief-/Mitteltönern nur im Kern um eine Variante aus der Revelator-Serie von Scan Speak. Deren Erkennungsmerkmal sind Membranen, die in leicht unsymmetrischer Weise mit unterschiedlich langen Schlitzen versehen sind, die anschließend wieder verklebt werden. Dadurch werden Membranresonanzen auf ein Minimum reduziert.
Auch die Hochtöner basieren auf der Scan Speak Revelator-Serie, werden aber zusätzlich zu den Produktionsvorgaben in der Manufaktur in Utah umfangreich modifiziert. Die 26-mm-Seidenkalotte wird zudem – auch ganz Wilson-typisch – von einem sternförmig ausgestanzten Filz umrandet, um etwaige Gehäusereflexionen und Beugungseffekte zu unterdrücken.
In gewissen Umgebungen oder aus geschmacklichen Gründen kann es vorkommen, dass die Hochtöner im Pegel leicht angepasst werden sollen. Wie bei den meisten Wilson-Lautsprechern gibt es auch in den TuneTot hierfür eine sehr konsequente und audiophile Möglichkeit: Hinter der dicken Alu-Platte an der Rückseite findet sich ein 11,75 Ohm Widerstand (2 X 23,5 Ohm Parallel). Der lässt sich bei Bedarf zur Pegelanpassung gegen andere Widerstandswerte austauschen. Wilson bietet entsprechend passende und präzise Widerstände im Zubehörprogramm an.
Über die Frequenzweiche ist nicht viel in Erfahrung zu bringen. Wilson ist da sehr zugeknöpft. Auseinanderschrauben geht auch nicht, da die Bauteile vergossen sind.
Kein Geheimnis sind hingegen die Spikes. Kaum ein Hersteller hat diese Art der Resonanzentkopplung bei Lautsprechern derart perfektioniert wie Wilson Audio. Spikes sind in vielen Situationen gar nicht mal die beste klangliche Lösung, wie ich in zahllosen Versuchen selbst erleben konnte (siehe dazu auch den Test der Audio Physic VCF II Magnetic Plus Lautsprecherfüße). Doch haben sich bei Wilson Lautsprechern andere Untersetzer meist als Irrweg herausgestellt. Wilson Speaker gehören auf die vom Werk mitgelieferten Spikes. Punkt. Für den Einsatz ohne IsoBase sind bodenschonende Untersetzer im Lieferumfang enthalten.
Bei Auslieferung sind in den Gewindebuchsen Madenschrauben als Platzhalter versenkt. Diese sollen verhindern, dass beim Transport Schmutz in die Gewinde eindringt, denn diese sind direkt in das Gehäusematerial geschnitten und nicht so hart und unempfindlich wie Stahlgewindebuchsen. Außerdem sollen die Spikes natürlich schön glatt und sanft eingedreht werden können. Was auch sehr wichtig ist, denn die Spikes haben keine Löcher oder gefasten Kanten, an denen man ein Werkzeug als Hebel ansetzen könnte, sollte es mal etwas schwerer gehen.
Im mitgelieferten „Tool Kit“ findet sich natürlich auch ein passender Inbus-Schlüssel, um die schützenden Madenschrauben zu entfernen. Erst dann können die eigentlichen Spikes eingesetzt werden.
Mitgeliefert werden pro Box zwei kurze Spikes mit fest integrierter Mutter und definierter Einschraubtiefe, sowie zwei deutlich längere Spikes mit mehrfach unterbrochenem Gewinde. Je nachdem, ob die Boxen nach vorn oder hinten geneigt werden sollen, kommen die kurzen Spikes in die vorderen oder hinteren Buchsen. Mit den Langen wird der Neigungswinkel eingestellt. Hierfür sind die Unterbrechungen des Gewindes mit dazwischen angebrachten Markierungen hilfreich, damit die Ausrichtung millimetergenau und kippelfrei erfolgt.
Die Spikes sind übrigens nicht extrem spitz, sondern leicht abgerundet. Das verringert die Gefahr von Verletzungen und bietet trotzdem eine extrem kleine Oberfläche an der Spitze.
Und dann sind da noch die optionalen, in vielen Fällen aber äußerst empfehlenswerten IsoBase-Plattformen. Die sind nicht einfach nur eine optisch schöne Ergänzung und ein Schutz für empfindliche Oberflächen gegen die Spikes, sondern eine akustisch sehr wirksame Maßnahme, um die Lautsprecher von Tischplatten oder Regalboards zu entkoppeln. Auch wenn Sie sich für eine freie Aufstellung und die Anschaffung der TuneTot Standfüße entscheiden, können die IsoBase wahlweise ergänzend genutzt werden.
Aufgebaut sind die Plattformen aus unterschiedlichen Wilson-Materialien und mit einer Trägerplatte, die im Sandwich zwischen den zwei Hauptplatten sitzt, plus einer dämpfenden Kunststoffplatte an der Oberseite, die wie schwarzes Glas aussieht. Die Box wird mit den Spikes in Schlitz-Öffnungen an der Oberseite gestellt, sodass sie auf der mittleren Zwischenplatte ruht.
Bei all diesen Details wird klar: Die Macher haben auch bei den kleinsten ihrer Lautsprecher nichts dem Zufall überlassen. Und alles ist irgendwie typisch Wilson kompromisslos. Eine unverkennbare Handschrift.
Aufstellung und Praxis: Erst die Arbeit…
Der deutsche Wilson-Vertrieb Audio Reference hat mir ein großzügiges Zeitfenster für den Test eingeräumt, sodass ich mich ausgiebig mit allen Aspekten der Boxen und verschiedenen Aufstellungen befassen konnte.
Betrachten wir zunächst den elektrischen Charakter der TuneTot. Mit einem Wirkungsgrad von 86 dB liegt die kleine Wilson am oberen Ende dessen, was im HiFi üblich ist. Sie geht also einigermaßen moderat mit der zugeführten Leistung um und harmoniert daher auch mit kleineren, Watt-armen Verstärkern recht gut.
Das unterstreicht auch der Impedanzgang, der mit Ausnahme der üblichen Bassreflex-Resonanzen erfreulich linear verläuft – und zwar immer stabil oberhalb 6 Ohm.
Zur Aufstellung: Statt der Original Wilson-Standfüße habe ich die TuneTot für die freie Wohnraumaufstellung mitsamt IsoBase auf meine seit Ewigkeiten bestens bewährten, höhenverstellbaren Stands von Sonus faber platziert, die zudem mit den hier getesteten Audio Physic VCF II Magnetic plus Entkopplungsfüßen optimiert sind. Optisch ist das natürlich kein Match, für den Test aber absolut adäquat.
Wilson hat über die Jahrzehnte ein sehr ausgeklügeltes Verfahren zur Ermittlung der bestmöglichen Aufstellung und Ausrichtung entwickelt. Normalerweise kommen Wilson-Kunden in den Genuss, diese Prozedur von einem entsprechend geschulten Fachhändler durchführen zu lassen. Dieser Luxus war mir zwar nicht vergönnt, jedoch bin ich mit dem Vorgang aus früheren Erfahrungen mit verschiedenen Wilson Speakern durchaus vertraut. Für die Wilson Audio TuneTot entfallen viele der Schritte, die für die größeren Wilson Lautsprecher nötig sind, weil sie schlicht nicht über deren Einstellungsmöglichkeiten für das Time Domain Setup verfügen.
Lautsprecher einfach an Plätze zu stellen, wo sie optisch eine gute Figur machen oder nicht im Weg stehen, wäre Perlen vor die Säue werfen. Das trifft umso mehr für die Wilson Audio TuneTot zu. Das Ziel ist stets, bestmögliches Timing und Präzision am Hörplatz im Sweet Spot zu erzielen. In der Hörraumaufstellung landeten die kleinen Wilson Speaker nach ausgiebigem Probieren dort, wo fast alle Lautsprecher in meinem Raum optimal klingen – plus/minus ein paar Zentimeter vor und zurück, hin und her.
Sehr wichtig ist die korrekte Anwinkelung und das Eindrehen auf den Hörplatz. Was die Ausrichtung zum Hörer angeht, gilt für die TuneTot dasselbe wie für meine Referenzlautsprecher Børresen 02: Die Innenseiten der Boxen sollten am Sweet Spot gerade noch zu sehen sein. Auch die Neigung wird nach diesem Schema eingestellt. Hier ist das Ziel, die Gehäuseoberseite gerade noch zu sehen.
In dieser Konfiguration wurden die TuneTot – eingemessen via Trinnov Amethyst – einerseits gegen meine Referenzlautsprecher Børresen 02 gehört, anderseits später aber auch ganz alleine gespielt. Mehrere nebeneinander stehende Boxenpaare sind akustisch nicht ideal und in der Praxis schließlich auch nicht sehr wahrscheinlich.
Desktopaufstellung
Da die TuneTot explizit auch als Lautsprecher für „Regalaufstellung“ und als Abhörmonitore gedacht sind, habe ich sie später noch viel ausgiebiger auf dem Desktop ausprobiert, wo ich sie wochenlang während der täglichen Arbeit erleben konnte. Mal mit voller Aufmerksamkeit und hohem Pegel, oder einfach nur zur Hintergrundbeschallung. Besser kann man einen Lautsprecher kaum kennenlernen.
Als Elektronik kamen hier unterschiedliche Testkandidaten der letzten Monate zum Einsatz. Darunter funktionierte der kleine Waversa Wslim LITE erstaunlich gut und noch besser der Lyngdorf TDAI-1120 mit Raumeinmessung (Test demnächst). Beides Geräte in der 2.000-Euro-Klasse, die man gewöhnlich nicht mit rund 12.000 Euro teuren Lautsprechern kombinieren würde, aber gerade die letztgenannte Kombination harmonierte erstaunlich gut. Später mehr dazu.
Am Studiopult, Desktop oder auf dem Sideboard/Regal gelten ähnliche Aufstellungsvorgaben wie weiter oben genannt. Insbesondere, was die Einwinkelung und Neigungseinstellung angeht. Schwierig wird es hier gegebenenfalls mit den optimalen Wandabständen. Mein Arbeitsplatz ist da keine Ausnahme. Der rechte Speaker steht sehr nah vor einer Rückwand, der Linke vor einer Fensterbank.
Tatsächlich erwies sich diese Aufstellung als äußerst kritisch. Mit den hinten liegenden offenen Ports der TuneTot ging das gar nicht. Völlig überbetonte, dröhnige Bässe und ein insgesamt sehr schwammiges Klangbild. Die mitgelieferten Verschlussstopfen für die Ports verbesserten die Situation dramatisch, so dass sich mit dem kleinen Waversa schon ein wirklich bezauberndes, selten zuvor an meinem Desktop erlebtes Klangpanorama entfaltete. Aber die volle Summe war das noch nicht wert. Erst der Einsatz des Lyngdorf mit seiner „RoomPerfect“-Einmessung brachte den Befreiungsschlag.
Wilson Audio TuneTot im Hörtest: …dann das Vergnügen
Im Hörraum: Noch während der (recht langen) Einspielphase wurde klar, dass die TuneTot echte Wilson-Lautsprecher sind. Wie ihre größeren Geschwister zeichnen sie sich durch enorme unverzerrte Maximalpegel bei gleichzeitig fantastischer Feinauflösung und Kohärenz aus. Aber klar ist auch, dass sie keine Bassmonster sind. Das war auch schon rein prinzipbedingt nicht zu erwarten.
Die untere Grenzfrequenz gibt Wilson mit realistischen 65 Hz an (am -3 dB-Punkt, im Raum gemessen). Wie viele Kompaktlautsprecher sind auch die TuneTot mit einer leichten Bassanhebung abgestimmt, um mehr Volumen vorzugaukeln. Allerdings fällt dieses „Sounding“ eher dezent aus. Die Lautsprecher erscheinen insgesamt sehr neutral und ausgewogen. Eine künstlich aufgeblähte Klangkulisse ist mit ihnen nicht zu befürchten.
Bassfetischisten sollten eher die Anschaffung der nächst größeren SabrinaX (Standlautsprecher), in Betracht ziehen, oder einen zusätzlichen Subwoofer. Zwei-Wege-Puristen hingegen werden die ungeschönte und dennoch sehr kraftvolle und vollständig wirkende Spielweise der Wilson Audio TuneTot lieben. Insbesondere frappierend ist die akkurate und enorm hoch aufgelöste akustische Bühne zwischen den Lautsprechern. Das zeichnet Toplautsprecher aus, deren Gehäuse mit hohem Aufwand akustisch optimiert wurde. Und darin sind die Wilson-Macher bekanntermaßen meisterlich. Weniger Kistenklang, mehr Musik. So lautet die Devise.
Im Vergleich zu meinen Børresen 02 Standlautsprechern können die TuneTot in Sachen Hochton-Feinauflösung nicht ganz mithalten. Ich kenne allerdings keine Kalotte, die mit den exotischen Bändchen der Børresen ernsthaft konkurrieren kann.
Ohne diesen direkten Vergleich dürfte aber kaum jemand etwas an der famosen Brillanz der TuneTot auszusetzen haben. Erfreulich ist dabei, wie entspannt die TuneTot auch Pegel-Orgien im Hochtonbereich meistern. Es gab mal Zeiten (da agierten die Amerikaner noch mit den gelben Invers-Kalotten von Focal), zu denen Wilson-Lautsprecher gerade in diesem Punkt als ziemlich hart und unbarmherzig verschrien waren. Mit den heute eingesetzten und aufwändig modifizierten Hochtönern ist das aber kein Thema mehr.
Ähnlich luftig, frei atmend und zugleich anspringend präsentieren sich auch die Mitten, deren Klangfarbe exakt den richtigen Punkt trifft, um ihnen eine grandiose Natürlichkeit bescheinigen zu können. Wobei “Klangfarbe” eine dieser unvermeidlichen Umschreibungen für ein akustisches Merkmal ist, das sich nicht völlig objektiv messen lässt.
Die Umschreibung kann am ehesten mit der Farbtemperatur bei der Bildbearbeitung in der Fotografie verglichen werden. Mit einem RAW-Konverter kann der Profi genau (und hier auch objektiv messbar) festlegen, ob das Bild einen eher wärmeren, kühleren oder exakt dem Umgebungslicht entsprechenden Farbton haben soll. Das nennt sich Weißabgleich. Den TuneTot gelingt, um bei diesem Vergleich zu bleiben, stets ein Weißabgleich, der nahe am natürlichen Licht liegt und keine geschmäcklerische oder künstlerisch gewollte Tönung aufdiktiert.
Anders als so manch gängiger Studiomonitor wirken die TuneTot dabei aber nicht nüchtern und seelenlos. Mit sorgfältiger, exakt ermittelter Aufstellung und einem Spitzen-Front-End „resonieren“ die Lautsprecher in wunderbarer Weise mit dem Hörer. Damit ist diese schwer vermittelbare, positive Resonanz gemeint, die für Gänsehautmomente sorgt.
Die Wilson Audio TuneTot als Desktop-Monitor
Zugegeben: Es mag verrückt klingen, sich dermaßen hochklassige Schallwandler als „Desktoplautsprecher“ auch nur vorzustellen. Ein Einsatzgebiet, das die meisten eher mit Brüllwürfeln aus recycelten Joghurtbechern verbinden, oder wo vielleicht ein HomePod oder Amazon Echo seinen Dienst verrichtet. Aber hey, viele von uns verbringen nicht erst seit Corona etliche Stunden vor dem Bildschirm. Warum soll man diese kostbare Lebenszeit nicht mit bestmöglicher Musikbeschallung verbringen?
Als Desktop-Worker seit vielen Jahren habe ich diesen Bereich schon vor langer Zeit als zweite HiFi-Spielwiese neben meinem Hörraum-Setup für mich entdeckt. Schließlich gibt es schon längst viele gute Möglichkeiten, sich am Bildschirm-Arbeitsplatz ein tolles Nahfeld-Stereodreieck einzurichten. Nicht allzu große Zwei-Wege-Systeme, platziert auf anständigen Sockeln, wie den IsoAcoustics Aperta Stands, angetrieben von einer hochklassigen DAC/Verstärkerlösung im Kompaktformat (oder eben Aktivlautsprecher), können diesen wichtigen Lebensraum zu einem Ort höchsten Klanggenusses machen.
Da die TuneTot zusammen mit den IsoBase explizit für die Aufstellung auf Regalboards oder Tischflächen gemacht sind, lag es für mich auf der Hand, genau dies auszuprobieren. … Und es ist fantastisch! Das heißt, ein paar wichtige Voraussetzungen müssen gegeben sein. Einiges davon habe ich bereits im Kapitel Aufstellung erwähnt.
Die TuneTot haben ordentlich Power. So gut die IsoBase etwaige Restresonanzen der Gehäuse auch zu kompensieren vermögen, sie schützen die Stellfläche – hier die Tischplatte – nicht vor Direktschall von den Treibern und aus den Tuning-Ports. Und was die Arbeitsfläche angeht: Zunächst mal sollte natürlich nichts klappern. Ein Schlüsselbund oder ähnliches auf der Tischplatte könnte zum ungewollten Begleitinstrument werden. Eine nützliche Maßnahme zur Beruhigung ist, schwere, schwingungsabsorbierende Akustikmatten an der Unterseite der Tischplatte anzubringen. Das hilft. Trotzdem: gibt man den TuneTot ordentlich die Sporen, können sie in den untersten Frequenzen die Tischplatte zum Mitschwingen anregen.
Eine sehr positive Eigenschaft der TuneTot: Sie besitzen eine recht homogene, weite Abstrahlung. Das heißt, wird der Kopf vor, zurück, hin und her bewegt, verändert sich nicht gleich die ganze tonale Balance. Die Klangfarben behalten ihre Natürlichkeit. Das ist im Nahfeld ganz besonders wichtig.
Nichts desto trotz gilt auch hier, dass eine exakte Ausrichtung, wie weiter oben beschrieben, zu den Grundvoraussetzungen für perfekte Ortbarkeit und exaktes Timing gehört. Starke Bewegungen vor den Speakern mindern die Präzision, lassen das Klangbild aber nicht gleich kollabieren.
Mit dem Lyngdorf TDAI-1120 eingemessen, ergab sich über die TuneTot ein bis dato an meinem Desktop nie erlebtes Klangpanorama. Überhaupt: Eine ordentliche Einmessung mit einem System von mindestens der Qualität des besagten Lyngdorf ist für diese Einsatzart äußerst ratsam. Ohne die Einmessung konnte ich mit keiner möglichen Aufstellungs- und Ausrichtungsvariante ein auch nur annähernd so ausgewogenes Ergebnis erzielen. Mit dieser Korrektur, und auch sonst dank der großzügigen Leistung des kleinen, desktoptauglichen Lyngdorf, spielten die TuneTot mitreißender als alles, was ich je an diesem Tisch zu Gehör bekommen habe. Und darauf waren nicht wenige Lautsprecher zu Gast – auch aus höheren Preisklassen.
Die TuneTot verfügt über eine fast kopfhörerartige Präzision, gepaart mit einer (auch bei geringen Lautstärken) ständig präsenten Souveränität, die sonst nur größere Standlautsprecher vermitteln können. Die untersten Register können bei Bedarf per Subwoofer ergänzt werden, was eine exakte Einmessung umso wichtiger macht. Alles in allem: ein traumhaftes Erlebnis, das aber nicht ohne Arbeit (insbesondere Einmessung) zustande kam.
Fazit: Der Wilson-Mythos lebt weiter auf
Die Wilson Audio TuneTot sind echte Mitmach-Lautsprecher. Zwar ist ihre Aufstellung und Positionierung im Vergleich zu ihren größeren Geschwistern sogar recht unkompliziert, doch auch sie offenbaren ihre Wilson-typischen Qualitäten nur unter bestmöglichen Arbeitsbedingungen. Dann jedoch erweisen sie sich als „jeden Cent wert“.
Um mal einen alten Spruch aus der Autoszene abzuwandeln: „Wilson hör’n is wie wennze fliechst!“ Das trifft auch auf den kleinsten Lautsprecher der High-Ender aus Utah zu. Viele ausgeklügelte Details, wie die mit speziell gefertigten Spikes optimierbare Ausrichtung, die optionalen IsoBase und Trim Rings, sowie die perfekt lackierten Gehäuse lassen keinen Zweifel an ihrem Luxus-Charakter. Insbesondere, wenn man sich für eine der, wie ich finde, besonders edlen Matt-Lackierungen entschiedet, sind diese Lautsprecher absolute Hingucker, die jede geschmackvolle Einrichtung optisch wie klanglich aufwerten. Doch jene, die sich diese edlen Kompaktlautsprecher von der Kultmarke Wilson Audio leisten können, haben vermutlich auch sonst im Leben wenig mit Kompromissen am Hut.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Dynamisch-präziser, mitreißend-offener Klang |
| Kompromissloser Aufbau, perfekt verarbeitet |
| Farbe und Ausstattung individuell konfigurierbar |
| Hohe Wertstabilität |
Vertrieb:
Audio Reference GmbH
Alsterkrugchaussee 435
22335 Hamburg
www.audio-reference.de
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Wilson Audio TuneTot: ab 12.000 Euro
Technische Daten
Wilson Audio TuneTot | |
---|---|
Konzept: | 2-Wege Bassreflex-Konstruktion |
empfohlene Raumgröße: | bis maximal 25 Quadratmeter |
Anschlüsse: | Single Wiring |
Wirkungsgrad: | 86 dB (1 W/1 M) |
Gewicht: | 13,1 Kilo |
Abmessungen (H x B x T): | 37,7 x 21,8 x 25,9 cm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test der Audio Physic VCF II Magnetic Plus Lautsprecherfüße
Test Trinnov Amethyst: Traumvorstufe mit perfekter Einmessung