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Zweiwegebox Audes ML 106
Aufsteiger: Die Audes ML 106 im Aufgang zum LowBeats Büro. Die kleinen Zweiwegeboxen glänzen mit einer schönen Schleiflack-Oberfläche und schick sich nach hinten verjüngenden Gehäusen. Paarpreis: 1.300 Euro (Foto: H. Biermann)

Test Audes ML 106: Zweiwegebox für Röhre

Musiktruhe Estonia 3
Estonia 3 – Musiktruhe mit Röhrenverstärker, Plattenspieler und ausfgelagertem Stereo-Lautsprechersystem in einer Box (Foto: Audes)

Wer oder was ist Jöhvi? Ein mongolisches Nationalgericht? Ein Schlachtruf isländischer Fußballer? Bevor jetzt ein emsiges Gegoogle beginnt, löse ich auf: Jöhvi ist ein kleinen estländisches Städtchen, irgendwo zwischen Tallin und St. Peterburg und ziemlich dicht am finnischen Meerbusen gelegen. Hübsch hier. Die Firma Audes hat in Jöhvi ihren Sitz und dort auch eine große, moderne  Schreinere. Und weil die Esten sehr professionell fertigen, sich sehr viel Mühe geben und weil sie, davon konnte ich mich auf der letzten HIGH END in München vergewissern, ausgesprochen nette Menschen sind, lassen auch viele andere Marken wie beispielsweise Genelec ihre Lautsprechergehäuse dort zusammengebauen. Aber Audes hat auch vier eigene Lautsprecherlinien: Zum Beispiel die Maestro Line, deren kleinster Sproß, die Audes ML 106, uns über einige Wochen im Hörraum begleitete.

Aber der Reihe nach. Die Wurzeln von Audes reichen zurück bis ins Jahr 1935. Schon damals – also noch lange vor der großen Vaterländischen Krieg – produzierten die Esten noch unter dem Markennamen Estonia Röhrenradios und Musiktruhen. Mein Favorit der frühen Audes-Zeit stammt aus dem Jahre 1962 und hieß Estonia 3 – siehe Bild rechts. Doch die Idee, möglichst viele Glieder der Übertragungskette im eigenen Haus zu bauen, treibt Audes noch heute an: Neben dem Gehäusewerk gibt es eine große Röhenverstärker-Produktion und Audes baut auch seine eigenen Lautsprecher-Treiber.

In der Audes ML 106 allerdings findet sich davon nur ein knapp 18 Zentimeter durchmessender Tiefmitteltöner aus de Audes Produktion. Es ist der 68-8P, der durch eine vergleichsweise große Schwingspule (Durchmesser: 40 Millimeter) auffällt. Das spricht für eine hohe Belastbarkeit. Im Hochton vertrauen die Esten – wie übrigens bei der gesamten Maestro Line – lieber auf die Produkte von Seas. Warum auch nicht? Die eingebaute 26 Millimeter Gewebekalotte ist sehr breitbandig und weltweit in vielen Modellen bewährt. In der Audes ML 106 läuft sie ab etwa 1.800 Hertz aufwärts.

Weil Audes – wie erwähnt – selbst Röhrenverstärker entwickelt und verkauft, hat man auch bei der kleinen 106 auf einen möglichst hohen Wirkungsgrad und einen weitgehend stabilen Impedanzverlauf oberhalb 4 Ohm  geachtet. Das heißt: Die Audes ist durchaus Röhren-geeignet, was in dieser Preisklasse ja nicht allzu häufig anzutreffen ist.

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Der 18er Tiefmitteltöner von Audes
Der 18er Tiefmitteltöner aus eigener Produktion macht einen technisch soliden Eindruck und unterstrich dies auch im Hörtest (Foto: H. Biermann)
Der Hochtöner der Audes ML 10
Der Hochtöner der Audes ML 106 kommt von Seas (Foto: H. Biermann)
Die Frequenzweiche der Audes ML 106
Die ML 106 ist eine Bassreflexbox und somit nur sparsam – nämlich mit polyesterwatte an den Innenenwänden – gedämpft. Die Frequenzweiche sitzt auf der Rückwand und ist mit klanglich gut beleumdeten Kondensatoren bestückt (Foto: H. BIermann)
Anschluss der Audes ML 106
„Handmade in Estonia“ prangt stolz auf der Rückseite der Audes ML 106. Die Lautsprecherklemmen sind sehr solide, aber nur in einfacher Ausführung vorhanden; Bi-Wiring ist daher nicht möglich (Foto: H. Biermann)
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Und auch damit sticht die kleine Audes ML 106 aus der Menge heraus: das penibel verarbeitete MDF-Gehäuse, welches in einer attraktiven Trapezform daherkommt. Das verringert die Anzahl der parallelen Flächen und so das Risiko stehender (Dröhn-) Wellen im Gehäuse-Inneren. Die Wände bestehen aus einem recht groben MDF, die Wandstärke liegt bei 18 Millimetern, was sich zusammen mit den Treibern auf ein Gesamtgewicht von 8,0 Kilo addiert.

Grundform fder Audes ML 106
Die Draufsicht zeigt die trapezförmige Grundform der Audes ML 106 (Foto: H. Biermann)

Nicht so schön indes sind die Holzschrauben, die die Treiber in der Schallwand halten. Denn ganz günstig sind die Audes ML 106 ja nun auch nicht und in dieser Preisklasse sollten eigentlich Gewindeschrauben Standard sein. Warum? Weil sich die Schrauben der Tieftöner im Laufe der Zeit durch die Vibrationen lösen und man gut beraten ist, sie alle Vierteljahr nachzuziehen – was sich eindeutig in der klanglichen Präzisison niederschlägt. Holzschrauben verlieren nach vielen Jahren zwangsläufig an Festigkeit.

Yello: Toy. Das Cover
Das 13. Album von Yello. Alle waren extrem gut aufgenommen, dieses  vielleicht am besten (Cover: Amazon)

Im LowBeats Hörraum: So klingt die Audes ML 106

Mangelnde Festigkeit allerdings konnten wir der kleinen Audes nicht absprechen. Sie geht los wie die Feuerwehr, ist  knackig und druckvoll abgestimmt. Erstaunlich, mit welcher Kraft und welchem Tiefgang sie die elektronischen Bässe des neuen Yello-Albums Toy in den Hörraum drückte. Erstaunlich a.), weil sie erst einmal viel größer klang, als sie tatsächlich ist. Erstaunlich b.), weil sie nicht wie viele andere Lautsprecher dieser Größenklasse Tiefgang durch einen  schwammigen Bass erzeugt/suggeriert, sondern immmer wunderbar packend und griffig blieb. Es war, ich muss es so sagen, ein echtes Vergnügen, über diesen Lautsprecher Yellos Toy mit üpppigem Pegel zu hören. Die hohe Quirligkeit, die sehr präsenten Mitten der Audes ML 106, bringen die Aufnahme der Schweizer förmlich zum Leuchten.

Aber auch so ein Album wie das neue Lambchop (Flotus) ist wie gemalt für die ML 106. So dezent Frontmann Kurt Wagner seine brüchige Stimme ins Mikro haucht, braucht es einen Lautsprecher, der auch die ganz feinen Nuancen offenlegt. Und das macht die Audes wirklich gut. Sie vermittelt dem Zuhörer die Illusion, ganz dicht neben dem Mikro zu stehen: eine intime Authenzität.

Doch diese Abstimmung bewirkt manchmal etwas zuviel des Guten. Diese enorme Präsenz und Intensität ist nicht

Audes ML 106 Front
Von vorn sieht die Audes ML 106 recht normal aus: eine Zweiwegebox im hübschen Bassreflex-Schleiflackgehäuse mit den  Abmessungen (H x B x T): 33,5 x 20 x 28,5cm (Foto: H. Biermann)

bei jeder Art von Musik langzeitverträglich. Bei klassischen Aufnahmen mit Streichern im Vordergrund (Scheherazade) oder mit kraftvoller Stimme (Fritz Wunderlich „Das Lied vom Leben des Schrenk“) bekam die Audes einen recht harschen Tonfall. Die zm Vergleich herangezogene Dynaudio Excite X18 blieb auch bei dieser Musik ausgewogener, feiner und räumlicher in der Darstellung.

Fazit:  die richtige Verstärker-Kombination

Einschränkend muss ich sagen: Diese Hörergebnisse entstanden überwiegend an den Cambridge 851 W, die wir im Hörraum als Mono-Endstufen betreiben, und am Musical Fidelity M5si, einem der universellsten Vollverstärker der (passenden) Preisklasse um 1.500 Euro. Ein ganz anderes, weit harmonischres Klangbild stellte sich mit der Audes dagegen an der AMC 2100 MK2 ein. Die Röhrenendstufe mit knapp 80 Watt pro Kanal hat eine wunderbare Farbigkeit der Klangfarben und eine schöne Wärme im Grundton. Sie passt vom Charakter her sehr viel besser zur kleinen Estin und zeigt, in welche Richtung die ein passender Verstärkerkauf gehen könnte:. Nämlich in Richtung eines Unison Research Simply Italy oder eines Cayin MA-80 Selection, also kleine Röhren-Verstärker, die nicht viel Leistung haben müssen, aber sehr fein und röhrig-warm klingen und den Dampf und die Dynamik, die die Audes ML 106 zur Genüge mitbringt, gut vertragen können. Insofern ist die Audes ML 106 nicht DER Kompaktlautsprecher für alle Gelegenheiten, aber eine exzellente Wahl bei der schwierigen Kombination mit kleinen Röhren-Amps.

Audes ML 106
2016/11
Test-Ergebnis: 4,0
SEHR GUT
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Frischer, knackig-lebendiger Klang
Guter Wirkungsgrad
Röhren-geeignet
Trapezform, edles Finish

Vertrieb:
TCG Handels GmbH
Döppers Esch 7
48531 Nordhorn
www.tcg-gmbh.de

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Audes Maestro Line 106: 1.300 Euro

Im Beitrag erwähnte Themen:

Test Dynaudio Excite X18: die feine Kompaktbox
Test Musical Fidelity M5si: der Alleskönner-Verstärker

 

Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.