Der Februar war voller schöner Musik-Neuveröffentlichungen. Wir haben in diesem Beitrag vier der interessantesten herausgepickt. Und zwar:
1.) Rod Stewart und Jools Holland, die geben sich als alte Hasen gemeinsam die Ehre und verfallen heiter und beschwingt ins „Swing Fever“.
2.) Lusitanian Ghosts betören als Musikkollektiv auf „III“ klangstark mit hinreißendem Folk-Pop und seltenen Saiteninstrumenten aus Portugal.
3.) The Pineapple Thief schweben mit „It Leads To This“ in den wohlverdienten Progressive-Rock-Olymp – nebst formidablem Klang.
4.) Brittany Howard setzt mit „What Now“ ein Ausrufezeichen in puncto Alternative-Soul & Funk & Blues – mit toller Stimme und mitreißenden Arrangements.
Die besten Alben des Februar 2024
Rod Stewart und Jools Holland: „Rod the Mod“ zieht es im Alter von 79 zeitlich weit zurück in die Swing- und Bigband-Ära – zusammen mit Pianist, Bandleader und Moderator Julian Miles Holland alias Jools (66). Da scheinen sich zwei gefunden zu haben, die vorher kaum Kontakt hatten.
Gemeinsam durchforsteten sie eifrig die Archive der Swing-Zeit und wurden natürlich fündig. 13 Stücke stöberten die beiden Briten auf und modifizierten sie auf ihre ganz eigene Art. Nicht einfach umlackieren hieß die Devise, sondern die alte DNA rausfiltern, reduzieren – und dort wieder anreichern, wo es peppt und federt.
Und das schafft das Rhythm & Blues Orchestra von Jools Holland prima, Bläsersätze, krallige Pianoläufe von ihm selbst und die Raubein-Racke-Rauchzart-Stimme von Rod Stewart gehen gut zusammen – let’s fetz!
Songs wie „Almost Like Being In Love“, im Original aus dem 47er Musical „Brigadoon“, gehen runter wie Öl, ähnlich wie einst die Interpretationen von Altvorderen Größen wie Red Garland oder Nat King Cole.
Videoclip von Rod Stewart und Jools Holland mit „Almost Like Being In Love“
Das Team Stewart/Holland flößte dem Stück einen gehörigen Schluck Django-Reinhard-Style ein, schön. Okay, ein bisschen Show-Effekt spielt auf dem Album auch mit, bleibt aber im Großen und Ganzen im Stil-Rahmen. Das gilt auch für die Klassiker „Ain’t Misbehavin“, „Sentimental Journey“ oder Lullaby Of Broadway“.
Sehr nett und adrett. Zumal die Sessions hier und da auch an einstige Highend-Klassiker wie die Direktschnitt-Aufnahme von Bigband-Meister Peter Appleyard erinnern, die man so gerne wieder mal aus dem Plattenschrank nimmt.
Lusitanian Ghosts betören klangstark mit hinreißendem Folk-Pop und seltenen Saiteninstrumenten aus Portugal, den Chordophonen. Als da wären: Amarantina, Braguesa, Campanica, Terceira, Beiroa … Liebevoll werden die traditionellen Schallerzeuger „lusitanische Geister“ genannt – nomen est omen beim Bandnamen des europäischen Alternative-Folk-Pop-Kollektivs.
Neil Leyton (Vocals) und Mikael Lundin alias Micke Ghost (Vocals, Viola Amarantina) lassen sich von Spielern der traditionellen portugiesischen Instrumente begleiten, mit im Boot sind Joo Sousa (Schlagzeug, Adufe), Abel Beja (Viola Terceira, Backing Vocals), Bexiga (Viola Campani’a) und Janne Olsson (Bass und Viola Beiro).
Das Album spielte das europäische Kollektiv in den Hamburger Clouds Hill Studios ein – auf Vinyl gibt’s die Songs sowohl in Stereo als auch in Mono!
Stilistisch spannen die Jungs einen schillernden Bogen von Indie-Folk über Soft-Rock bis hin zu Pop, der teils etwas an Crowded House erinnert – dezent oder pointiert angereichert mit der portugiesischen Saiten-Pracht.
By the way, bei dem Soundausflug auf die iberische Halbinsel fällt mir ein klasse Album einer portugiesischen Band ein: First Breath After Coma punkten mit „The Misadventures Of Anthony Knivet“ (2013) mit klasse Indie-Pop-Rock, mittlerweile zumindest auf Vinyl rar.
Videoclip: „Got Enough“
Bewertung
The Pineapple Thief schweben mit „It Leads To This“ weiterhin im wohlverdienten Progressive-Rock-Olymp – nebst formidablem Klang vielleicht sogar noch ein Stockwerk höher als bisher.
Bereits im zarten Alter von elf Jahren soll der in Deutschland geborene Bandgründer Bruce Soord Songs geschrieben haben. Die professionellen Anfänge gestaltete er dann mit Neil Randall in der Band Vulgar Unicorn, um dann 1999 mit The Pineapple Thief durchzustarten – und zwar beinahe im Jahrestakt mit frischen Alben sowie recht prominent in musikalischer Verwandtschaft zu Radiohead oder Porcupine Tree, respektive Steven Wilson.
Der Album-Neuling der Briten beeindruckt auch ein Vierteljahrhundert nach der Gründung mit unbändiger Kreativität, die einen feinen Art-Rock-Geist nährt. Gepaart mit kompositorischer Raffinesse betören Songs wie der Titeltrack, aber auch „The Frost“ oder „All That’s Left“ mit sanften Melodielinien, die sich aufwallen, um einem dramatischen Storyboard zu folgen und ohne in Bombast oder gar Kitsch zu verfallen. Große Klasse mit kraftvoller Melancholie.
Groß geriet auch der Klang. Hier verleiht der Klang den acht Stücken mächtig Flügel, mit schöner tonaler Balance, fulminantem Bassdruck, Farbechtheit und tollem Raumambiente, vor allem auf der Blu-ray-Audio mit den HiRes- und Dolby-Atmos-Mixen. „Das Album ist konzeptionell gesehen eine Fortsetzung meines Wunsches, das Leben und die Welt um mich herum zu beobachten und zu begreifen. Das ist alles in den Texten enthalten“, so Bruce. Well done.
Videoclip von The Pineapple Thief mit „It Leads To This“
Bewertung
Die Amerikanerin Brittany Howard setzt mit „What Now“ ein Ausrufezeichen in puncto Alternative-Soul & Funk & Blues & more. Denn die Frau hat absolut Schmackes: Als Chefin der US-Rockband Alabama Shakes ließ sie mit sattem Bluesrock aufhorchen, bevor sie 2019 Solopfade mit „Jaime“ einschlug.
Auf ihrem aktuellen Nachfolge-Album zeigt die Tochter einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters noch mehr Finesse und Biss, wenn sie teils durchaus auf den Spuren von Prince ausgefeilte Funk-Überfälle startet. Ihre Stimme ist ohnehin ein Hit, energisch, dunkel-samtig und soulig.
Nur angemessen, dass die 35-Jährige bereits ein paar Grammys in der Tasche hat. „Die einzige Konstante auf dieser Platte ist, dass man nie weiß, was als Nächstes passiert“, so Brittany. Da hat sie recht – Funk, Soul, R&B, Synthie-Sounds, Rock und sogar Disco funkeln um die Wette und dürften das Album zu einem der wohl vielseitigsten des Musikjahres 2024 machen.
Die 35-Jährige feierte ihren Durchbruch als Frontfrau der Alabama Shakes, mit denen sie Mitte des letzten Jahrzehnts zwei Alben aufnahm. Ihre einmalige Stimme und das gefühlvolle Gitarrenspiel waren immer die Fixpunkte des warmen Rock-meets-R’n’B-Sounds der Band. Vier Grammys und zahlreiche weitere Preise waren der Lohn.
Doch schon mit ihrem ersten eigenen Album „Jaime“ hat sich Brittany Howard 2019 neu erfunden und ihren ganz eigenen musikalischen Kosmos erschaffen. Einen Kosmos, den sie auf „What Now“ nun noch einmal deutlich erweitert. Dabei hat ihr das Homestudio geholfen, dass sie sich während der Pandemie eingerichtet hat und in dem sie nach Herzenslust experimentieren konnte.
Video-Clip „Iron City Birmingham”
Das Ergebnis ist ein kunterbunter Sound aus Funk, retrofuturistischem Soul, Disco, Synth-Rock und vielem mehr. Und es ist vielleicht Brittany Howards größte Leistung, aus diesen vielen Einflüssen ein absolut nachvollziehbares und zwingendes Ganzes zu erschaffen. „Power To Undo“ beschwört den Funk-Geist des seligen Prince, „Prove It To You“ ist ein Disco-Banger, der ganz ungeniert in Giorgio Moroders Richtung schielt, und „I Don’t Know“ und „Red Flags“ erinnern daran, dass „What Now“ im Grunde ein Herzschmerz-Album ist.
Brittany Howard selbst sagt über das Album: „Die einzige Konstante auf dieser Platte ist, dass man nie weiß, was als Nächstes passiert.“ Genau das macht ihr zweites Album so besonders.
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
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