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Iron And Wine Live
Was ist musikalisch im November 2023 geschehen? Wir fanden sechs Highlights – mit dabei Iron And Wine Live ...

Monatsrückblick: die musikalischen Highlights des November 2023

Die LowBeats Rubrik „Album der Woche“ ist schön und tiefschürfend, aber leider nicht ausreichend. Jeden Monat erreichen uns sehr viel mehr spannende Neu-Veröffentlichungen, die es verdient hätten, vorgestellt zu werden. Das machen wir in einer Art Monatsrückblick: Unter der Rubrik „die musikalischen Highlights des Monats“ geben wir eine Übersicht, was aus dem Vormonat musikalisch unbedingt zu beachten ist: Musik, die – über alle Stilrichtungen und Genres hinweg – fabelhaft, virtuos, meisterhaft ist oder einfach unschlagbar charmant klingt. Und es weihnachtet ja bald. Deshalb haben wir mit dem Rückblick auf die musikalischen Highlights des November 2023 schon einmal ein süß klingendes Pre-Xmas-Päckchen geschnürt…

Als da wären:

♦ Cat Power reiste über ein halbes Jahrhundert zurück – und nahm ein legendäres Konzert von Bob Dylan neu auf: „Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert“ tönt als mutige Coverversion frisch und klanglich klasse.

♦ Jazz-Top-Gitarrist John Scofield inszeniert mit seinem Trio und „Uncle John’s Band“ auf dem ECM-Label locker-lässig ein famoses Hit-Klassiker-Potpourri mit improvisationslustiger Stil-Bandbreite nebst herausragendem Klang.

♦ Joe Jackson würdigt mit „What A Racket! – Joe Jackson Presents Max Champion“ eigenwillig und theatralisch-liebenswert die viktorianische Music-Hall-Entertainer-Ära in Großbritannien.

♦ The Beatles im blau-roten Retro-Rausch: Zusammen mit dem allerletzten (schaunmermal …) Song der Fab Four gibt’s die legendären „Roten“ und „Blauen“ Alben remastert und mit Bonustracks ergänzt: „(1962-1966 The Red Album)“ und „1967-1970 (The Blue Album)“

Die musikalischen Highlights des November 2023

Wir starten mit Cat Power Sings Dylan „The 1966 Royal Albert Hall Concert“

Eigentlich fand das legendäre Dylan-Konzert 1966 in der „Manchester Free Trade Hall“ statt – die Legende besagt, dass sich durch ein falsch etikettiertes Bootleg-Album die Verwechslung etablierte. Sei’s drum. Chan Marshall, die Stimme von Cat Power aus Atlanta, soll bereits seit Kindesbeinen ein Mega-Fan des teils knurrigen Folk-Barden und Literatur-Nobelpreisträgers gewesen sein. Und so ist es naheliegend, dass die 51-Jährige eben dieses Live-Werk von Dylan auserkoren hat – um es 1:1 live mit ihrer Band nachzuspielen.

Der Gig damals verschreckte wohl einige Hardcore-Folkies in der Zuschauermenge, rockte Dylan doch nach einem gemütlichen Teil rotzig elektrisch los. Für Folk-Puristen natürlich ein Unding. Das herausragende Werk ist später in „The Bootleg Series Vol.4: Bob Dylan Live 1966, The Royal Albert Hall Concert“ erschienen. Mein verstorbener Freund und Musik-Redakteurskollege Claus Böhm schrieb dazu in der AUDIO 12/98: „Der hunderttausendfach versilberte illegale Mitschnitt gilt weithin als ‚berühmtestes Bootleg-Album aller Zeiten‘ …eine Sternstunde.“

Videoclip zum Song „Like A Rolling Stone“

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Den für damalige Zeiten für manche verstörenden Dynamik- und Paradigmenwechsel des Dylan-Konzerts leben Cat Power auf ihren Alben auf ihre Weise aus, mit einer Art Shifting von Stil zu Stil, von leise zu laut. Insofern: Das passt schon Dylan und Chan Marshall. Trotzdem ganz schön mutig von ihr. Aber sie ist eben vernarrt in die Musik, das beschwingt. Und das trieb sie zu den Aufnahmen am 5. November wahrhaftig in die „echte“ Royal Albert Hall, 2022. Der Kreis schließt sich so mit 15 souverän und feinsinnig interpretierten Songs, aus der Zeit als Bob Dylan den Folk-/Rock-Olymp erklomm. Mit dabei „Visions Of Johanna“, „It’s All Over Now, Baby Blue“, „Mr. Tambourine Man“ oder „One Too Many Mornings“, „Desolation Row“ (ein 12-Minüter!) und „Like A Rolling Stone“. Der Albert-Hall-Klang: Sehr atmosphärisch und raumgreifend.

(BU zum Cover mit qobuz Link))Cat Power mit „Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert“ Cover
Cat Power „Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert“ erscheint bei Domino Records als Doppel-CD oder Doppel-LP sowie als Stream oder Download (Cover: Qobuz)

 

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John Scofield „Uncle John’s Band“

Beinahe 72 Lenze zählt der US-Gitarrero mittlerweile, der sich wohl unter anderem neben Pat Metheny oder Bill Frisell zu einem der herausragendsten Saiten-Springer des späten 20. Jahrhunderts zählen darf. Sein Rezept spannt sich von Post-Bob über Funk und Fusion bis zu Soul-Jazz-Ausflügen, stets durchdrungen mit einer großartigen Gabe der Improvisation. Im Trio-Team mit Kontrabassist Vicente Archer und Schlagzeuger Bill Stewart stellt er das wieder und immer noch herrlich unter Beweis: Das Miteinander wirkt spielerisch koloriert, teils wie im Wechsel der Gezeiten in einem lebendigen Auf und Ab, Hin und Wieder.

Kurz-Interview mit John Scofield vom Label ECM:

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Die Setlist des Doppelalbums vereint 14 Stücke aus der Hit-Feder verschiedener KollegInnen – mit dabei in dem Varianten-Reich: „Mr Tambourine Man“ von Bob Dylan (siehe auch die vorstehende Rezension zu Cat Power), „Old Man“ von Neil Young, „Somewhere“ von Leonard Bernstein, „Budo“ von Miles Davis oder Jazz-Klassiker wie „Stairway To The Stars“ und Eigenkompositionen im Spannungs- und Stilfeld zwischen Swing und Folk.

Zum audiophilen Klangambiente trug neben der exzellenten Tontechnik auch maßgeblich das akustische Ambiente des „Clubhouse Studio“ in Rhinebeck/New York im August 2022 bei: Auflösung, Klangfarben, Tieftondruck, Raumambiente und Feindynamik – alles top!

John Scofield „Uncle John’s Band“ Cover
John Scofield mit „Uncle John’s Band“ erscheint bei ECM / Universal als Doppel-CD oder Doppel-LP sowie als Stream oder Download (Cover: Qobuz)

 

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Iron And Wine „Who Can See Forever“

Der bärtige Barde aus South Carolina hat seit über 20 Jahren einen festen Platz im Lagerfeuer beschienen Universum des Indie-Folks und Americana-Sounds. Dabei wirkt er oft ein bisschen scheu, so als ob man ihm irgendwie aufmunternd helfen müsste. Knapp daneben: Der beinahe 50-Jährige knüpfte im Laufe seiner Musikerkarriere umtriebig diverse Bande und ging fruchtbare Kollaborationen ein, unter anderem sehr gelungen mit Calexico.

Auf vier Grammy-Nominierungen kann er zurückblicken und auf Vorbilder wie Little Feat oder Talking Heads, Tom Waits und Leonard Cohen. Sam Beam hat nach all seiner Zeit als Vollblut-Musiker mal zurückgeblickt und seine Songs betrachtet. Der Wunsch dahinter: Perlen aus zwei Schaffensdekaden herauszuholen und sie neu, und zwar live, einzuspielen. Gedacht, getan. Dazu rief er MusikerInnen zusammen und formierte eine Band für die Abendkonzerte im „Haw River Ballroom“ in Saxapahaw, North Carolina. Das Venue scheint beliebt, dank der herrlichen Lage am Ufer des Haw River. Und wohl auch wegen der „hoch entwickelten Akustik“ und den „State-Of-The-Art“-Sound- und Lichtsystemen. Sharon Van Etten, Sufjan Stevens, Kurt Vile oder Jeff Tweedy (Wilco) haben sich bislang dort wohl gefühlt.

Und eben Sam Beam mit Bassist Sebastian Steinberg (Fiona Apple), Schlagzeugerin Beth Goodfellow (Allison Russell, Better Oblivion), Cellist Teddy Rankin-Parker und Keyboarderin Eliza Hardy-Jones (War on Drugs).

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Auf der 19-teiligen Setlist glänzen Songs wie „Boy With A Coin“ oder „The Trapeze Swinger“ – dank des wunderbar akustisch ausgeprägten Ensembles und Sams samtig-sonorer Stimme mit leichtem Nick-Drake-Touch, ist das herrlich anzuhören. Das Klangbild lässt die Live-Musik im Wortsinn aufleben, dank toller Atmosphäre, schönem Raumambiente und filigraner Feindynamik nebst Strahlkraft.

Iron And Wine "Who Can See Forever“ Cover
Iron And Wine „Who Can See Forever“ erscheint bei Sub Pop als CD oder Doppel-LP (in der „Limited Loser Edition“ auch farblich) sowie als Stream oder Download (Cover: qobuz)

 

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Joe Jackson „What A Racket! – Joe Jackson Presents Max Champion“

Der Brite ließ seit Ende der 1970er Jahre immer wieder mit klug inszenierten, New-Wave-, Jazz- oder sogar Latin-orientierten Alben aufhorchen – wie „Look Sharp“, „Night And Day“ oder „Body And Soul“. Sein voriges Album von 2019 knüpfte nach ein paar Untiefen wieder an alte Zeiten an, hier gibt’s die Story dazu.
Und seinen famosen Live-Auftritt im deutschen „Rockpalast“ hatten wir bereits hier bewundert:

Aber was, um Gottes Willen, hat er sich hier ausgedacht und ausgeheckt? Eine Art Verehrung der britischen Music-Hall-Ära vor gut 100 Jahren, als noch der viktorianische Zeitgeist die Gemüter knebelte – und sich doch in allerlei teils obskuren Kunstformen Ausdruck verschaffte. Jackson beschritt schon früher eigenwilliges Terrain, zum Beispiel als er mit „Will Power“ sein Talent für „ernste“ Musik versucht hat auszuleben. Was leider einigermaßen in die Hose ging.

Und nun wieder ein mutiger Versuch auszubrechen aus der Popschablone. Dazu knöpfte sich der beinahe 69-Jährige einen gewissen Max Champion vor. Der gilt als leicht geheimnisumwitterter Künstler aus dem Londoner East End, der zu seiner Zeit das damalige Großstadtleben karikierte und mit dem berühmten Unterhaltungskünstler Harry Champion verwandt gewesen sein soll. Auftrittsorte damals waren die massenträchtigen Music Halls, in denen die sogenannte einfachere Schicht sich allerlei musikalischen Eskapaden hingab.

Max soll dann das Zeitliche im ersten Weltkrieg gesegnet haben. Joe Jackson stieß auf Stücke von ihm und ließ sie mit einem zwölfköpfigen Orchester wieder aufleben. Und das hört sich so an: Stampfende Rhythmen im Geiste von Weil-/Brecht motzen sich auf, aber auch kriegslüsterne Marschtöne, dazu Trommel-Wirbel, Bläser, Trillerpfeife – und ein Streicher-Ensemble. Das entzündet Zirkus- und Jahrmarktsambiente, ein bisschen Hokuspokus verpackt mit Alltagslyrik, die schonmal die Machenschaften eines Bischofs aufs Korn nehmen oder Saufgelage vertonen.

Jacksons eigenwillig nasale Stimme scheint sich darin mit englischen Slang-Akzenten pudelwohl zu fühlen. Wer ihn kennt und mag, dürfte auch dieses Album schätzen, zumal der Klang dank Druck, Farbstimmigkeit und prima Auflösung dazu beiträgt.

Joe Jackson „What A Racket! – Joe Jackson Presents Max Champion“ Cover
Joe Jackson „What A Racket! – Joe Jackson Presents Max Champion“ erscheint bei earMusic als CD oder LP sowie als Stream oder Download (Cover: Qobuz)

 

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Beatles „Rotes und Blaues“ Album remastert

Die legendären Red & Blue Compilations der Beatles zählen quasi zum Standard-Repertoire von Musikliebhabern weltweit, vereinen sie doch bereits in ihren Urversionen von 1973, veröffentlicht nach dem Split der Fab Four, die Essenz ihres brillanten, zeitlosen Schaffens.

Zum Jubiläum und zur Veröffentlichung eines neuen Songs der Briten, der mit Hilfe von KI entstanden ist, kommen die Best-Of’s neu mit remasterten und fett erweiterten Versionen, sogar in HiRes, zum Beispiel auf qobuz.de. Ringo Starr hat ja bereits schön übers Jahr verteilt, gewitzt die Neugierde mächtig angeheizt, mit diversen Andeutungen und Aussagen zu „Now And Then“. Kollege Andreas Günther hat zum Erscheinen das Thema beleuchtet.

Im Interview mit mir in den 1990er Jahren wollte Ringo partout nicht über die Beatles sprechen – heute schillern die Zeiten ganz anders. Man wird älter. Und milder. Und man spricht zwangsläufig und gerne über die geniale Band und ihre ebenso geniale Musik.

Das „Red Album (1962 – 1966) vereint nun zwölf extra Songs und damit insgesamt 38. Mit dabei sind unter anderem einige Stücke von George Harrison frühesten Songs. Das „Blaue Album 1967-1970)“ deckt die Schlussphase ab, die nach wie vor überbordend kreativ ausfiel. Neun Songs gibt’s in der aktuellen Auflage extra, darunter eben der genannte jüngste, alte Song „Now And Then“ mit John Lennon an den Vocals.

Videoclip zum neuen Beatles-Song „Now And Then“:

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Das Remastering ging – man ahnt es – in den Abbey Road Studios von statten. Federführend waren Giles Martin, Sohn des Beatles-Produzenten sowie Toningenieur Sam Okell. Klanglich auf dem Roten Album beispielsweise „Norwegian Wood“ mit einem beinahe greifbar vor einem stehenden George Harrison, gleiches gilt für Paul auf „Michelle“ – Feindynamik, Artikulation, Druck und Farben haben Giles & Co gemessen am Alter der Originale fantastisch remastert.

Beim Blauen Album griff das Label teils auf die – hervorragenden – Versionen von 2015 und 2017 bis 2020 zurück. Frisch remastert wurden beispielsweise „Magical Mystery Tour“ oder „The Fool On The Hill“. Hier brillieren die Stimmen meist noch intensiver, wie bei „Hey Jude“ mit unerhörter Präsenz von Paul.

Insofern ist der Kauf der Neuauflagen durchaus eine Überlegung wert, vor allem die eigenständigen, farbigen Vinyl-Versionen aus dem Beatles-Shop.

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The Beatles mit „(1962-1966 The Red Album)“ erscheinen bei Beatles / Universal als Doppel-CD oder 3fach-LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.de mit 24Bit/ 96kHz
The Beatles „1967-1970 (The Blue Album)“ erscheinen bei Beatles / Universal als Doppel-CD oder 3fach-LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.de mit 24Bit/ 96kHz
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The Beatles „(1967-1970 The Blue Album)“
2023/12
Test-Ergebnis: 4,8
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Weitere musikalische Monats-Rückblicke:

Monatsrückblick: die musikalischen Highlights des Oktober 2023
Monatsrückblick: Die musikalischen Highlights des September 2023
Monatsrückblick: die musikalischen Highlights des August 2023
Monatsrückblick: Die musikalischen Highlights des Juli 2023
Monatsrückblick: Die musikalischen Highlights des Juni 2023
Monatsrückblick: die musikalischen Highlights aus dem Mai 2023
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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.